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ruht auf dem Mangel an Klarheit und Deutlichkeit. Die dunkle und verworrene Erkenntniss der Sinne soll durch die Demonstration zur Klarheit und Deutlichkeit erhoben werden. Die logischen Regeln erklärt Leibniz (im Gegensatz zu Cartesius), da von ihrer Befolgung die Richtigkeit der Demonstration abhange, für nicht zu verachtende Kriterien der Wahrheit. Als die allgemeinsten Principien aller Demonstration gelten ihm der Satz des Widerspruchs und der Satz des zureichenden Grundes. Gestützt auf die Leibnizische Theorie stellt Wolff (1679-1754) die Logik (wie überhaupt fast die sämmtlichen philosophischen Disciplinen) in systematischem Zusammenhang nach mathematischer Methode dar. Die Logik behandelt er als Erkenntnisslehre und setzt die logischen Formen theils zu den ontologischen Formen, theils zu den psychologischen Gesetzen in wesentliche Beziehung.

Leibniz hat seine auf die Erkenntnisslehre bezüglichen Ansichten theils in kleineren Abhandlungen niedergelegt, theils in den gegen Locke gerichteten Nouveaux essays sur l'entendement humain, die erst lange nach seinem Tode durch Raspe 1765 veröffentlicht wurden. Leibniz billigt im Allgemeinen das Cartesianische Princip: quidquid clare et distincte de re aliqua percipio, id est verum seu de ea enunciabile. Aber er hält für nöthig, dem vielfach eingerissenen Missbrauch desselben durch Angabe von Kriterien der Klarheit und Bestimmtheit entgegenzutreten. Demnach definirt er die klare Vorstellung (notio clara) als diejenige, welche genüge, um das vorgestellte Object zu erkennen und von anderen zu unterscheiden. Die klare Vorstellung aber ist entweder verworren (confusa) oder bestimmt und deutlich (distincta); Verworrenheit nämlich ist Unklarheit der einzelnen Merkmale (notae), Bestimmtheit oder Deutlichkeit dagegen ist Klarheit der einzelnen Merkmale einer zusammengesetzten Vorstellung; bei absolut einfachen Vorstellungen ist zwischen Klarheit und Deutlichkeit kein Unterschied. Die deutliche Vorstellung endlich ist in dem Falle adäquat, wenn auch die Merkmale der Merkmale bis hinab zu den letzten, einfachen Elementen klar vorgestellt werden. Siehe Leibnitii Meditationes de cognitione, veritate et ideis, in Actis eruditorum Lips. 1684, p. 537 sqq. Diese Bestimmungen sind an sich nicht frei von Tadelhaftem (denn Bestimmtheit und Verworrenheit sind von Klarheit und Unklarheit specifisch und nicht bloss graduell verschieden, gleich wie Genauigkeit und Ungenauigkeit einer Zeichnung von heller und matter Beleuchtung); aber sie liegen in der Consequenz des Systems der prästabilirten Harmonie, welches eine von der Unklarheit specifisch verschiedene Quelle des Irrthums nicht zugeben darf. Die Möglichkeit, welche in der Freiheit von innerem Widerspruch liegt und durch vollständige Auf

lösung der Vorstellung in ihre Bestandtheile erkannt wird, gilt Leibniz als Bürgschaft der objectiven Gültigkeit oder Wahrheit. Er sagt a. a. O. S. 540: Patet etiam, quae tandem sit idea vera, quae falsa: vera scilicet quum notio est possibilis, falsa quum contradictionem involvit. Durch die Zerlegung der Vorstellung in widerspruchslose Merkmale lässt sich a priori, andererseits aber durch Erfahrung oder a posteriori die Gültigkeit einer Vorstellung erkennen. Die Wahrheit der Sätze liegt in der Correspendenz derselben mit den Objecten, worauf sie gehen. Sie wird erlangt durch genaue Erfahrung und logisch richtige Beweisführung. Medit. p. 540-41: de caetero non contemnenda veritatis enunciationum criteria sunt regulae communis Logicae, quibus etiam Geometrae utuntur, ut scilicet nihil admittatur pro certo, nisi accurata experientia vel firma demonstratione probatum; firma autem demonstratio est, quae praescriptam a Logica formam servat. Ueber den Satz des Widerspruchs und den Satz des zureichenden Grundes als Principien aller Demonstration siehe die Monadologie (Principia philosophiae) § 30-31. Leibniz wünschte der Logik als zweiten Theil eine Lehre von der Wahrscheinlichkeit beigefügt zu sehen. Ueber Leibniz Logik vergl. Dr. J. B. Květ, Leibnizens Logik, Prag 1857, und Trendelenburg, histor. Beiträge z. Philos. Bd. 3. Art. 1 u. 2. Berlin 1867. Christian Wolff stellt die Logik systematisch dar in seiner kürzeren deutschen Schrift: Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes, 1710, und in dem ausführlichen Werke: Philosophia rationalis sive Logica, 1728. Er definirt die Logik als scientiam dirigendi facultatem cognoscitivam in cognoscenda veritate (Log. discursus praeliminaris § 61; prolegom. § 10). Die Regeln, nach denen die menschliche Seele das Wesen der Dinge erkennen soll, müssen sich einerseits auf psychologische, andererseits auf ontologische Principien stützen (discurs. prael. § 89; proleg. § 28); aus Gründen didaktischer Zweckmässigkeit ist es zwar räthlich, die Logik der Ontologie und Psychologie vorangehen zu lassen, und so will Wolff in der That verfahren (discurs. praelim. § 91: methodum studendi praeferre maluimus methodo demonstrandi); aber der Beweis der logischen Sätze darf darum nicht wegfallen, sondern es müssen nur die betreffenden Lehren der Ontologie und Psychologie in die Logik zum Voraus aufgenommen werden, wo sie sich theils durch unmittelbare Evidenz, theils durch ihre Uebereinstimmung mit der Erfahrung vorläufig rechtfertigen mögen (Log. § 2; § 28). Demgemäss stellt Wolff einige psychologische Betrachtungen (§ 30 ff.) und einen Abschnitt »de notitiis quibusdam generalibus entis (§ 59 ff.) an die Spitze seines logischen Systems. Er theilt die Logik in die theoretische (vom Begriff, Urtheil, Schluss) und praktische (vom Gebrauch der Logik bei der Beurtheilung und bei der Erforschung der Wahrheit, beim Studium und beim Verfassen von Büchern, bei der Mittheilung der Erkenntniss, bei der Abschätzung der individuellen Erkenntnisskräfte, und endlich in der Praxis des Lebens und beim Studium der Logik selbst). Als Nominaldefinition der Wahrheit stellt Wolff die Bestimmung auf: Est veritas consensus iudicii

nostri cum obiecto seu re repraesentata (Log. § 505), und als Realdefinition der Wahrheit: Veritas est determinabilitas praedicati per notionem subiecti (Log. § 513). Dem wahren affirmativen Urtheil entspricht der mögliche Begriff (§ 520); die Möglichkeit aber liegt in der Widerspruchslosigkeit (§ 518). Auf dieses (Leibnizische) Kriterium führt Wolff ausser dem Cartesischen auch das von Leibnizens Zeitgenossen Tschirnhausen (1651-1708) in dessen Medicina mentis 1687 aufgestellte Kriterium der Conceptibilität (»verum est quidquid concipi potest, falsum vero quod non concipi potest) zurück (§§ 522; 528). — Unter Leibnizens Zeitgenossen ist ausser Tschirnhausen noch Christian Thomasius (1655-1728) zu erwähnen, der die Logik praktischer zu gestalten sucht und eine Mittelstrasse zwischen den Aristotelikern und den Cartesianern halten zu wollen erklärt. Er machte sich (wie später Wolff) besonders auch dadurch verdient, dass er durch sein Beispiel die wissenschaftlichen Gedanken in deutscher Sprache ausdrücken lehrte. Unter den Gegnern Wolffs sind Lange, Crusius, Daries und Euler zu nennen. An Wolff schliessen sich mehr oder minder an: Baumeister, Baumgarten, Meier, Reimarus (Vernunftlehre 1756; 5. Aufl. 1790), Ploucquet (Methodus calculandi in logicis 1753; methodus tam demonstrandi omnes syllogismorum species, quam vitia formae detegendi ope unius regulae 1763). Neben vielem, was nach Inhalt und logischer Form verfehlt ist, giebt doch auch manches Originale und Bedeutende Lambert, dessen Neues Organon 2 Bde. (Leipzig 1764) sich in vier Abschnitte gliedert, die Lambert nennt: Dianoiologie, Alethiologie, Semiotik und Phänomenologie; nach seiner Erklärung sollen dieselben > zusammengenommen auf eine vollständigere Art das ausmachen, was Aristoteles und nach demselben Baco ein Organon genannt hat. Diese Wissenschaften sind instrumental oder Werkzeuge des menschlichen Verstandes bei der Erforschung der Wahrheit. Die Dianoiologie ist nach Lambert die Lehre von den Denkgesetzen, die der Verstand zu befolgen hat, wenn er von Wahrheit zu Wahrheit fortschreiten will, die Alethiologie die Lehre von der Wahrheit, sofern sie dem Irrthum entgegengesetzt ist, von der Kenntlichkeit der Wahrheit, die Semiotik die Lehre von der Bezeichnung (besonders der sprachlichen Bezeichnung) des Gedankens, die Phänomenologie die Lehre vom Schein und den Mitteln der Vermeidung des Scheins. Auf den Leibnizischen Principien fussen mehr oder minder auch Bilfinger (der auch eine Vernunftlehre für die unteren Erkenntnisskräfte wünschte), Feder (Grundsätze der Logik und Metaphysik 1769 und öfter; institutiones logicae et metaphysicae 1777), Eberhard (Allgemeine Theorie des Denkens und des Empfindens 1776) und Ernst Platner (Philosophische Aphorismen 1776 und öfter; Lehrbuch der Logik und Metaphysik 1795). Aus der Schule Wolff's gingen auch einige Versuche zur Popularisirung der Logik hervor, so: M. F. Ebeling, Vers. einer Logik f. d. gesund. Verstand. Eine Preisschr. Berlin 1785. 1797. — P. Villaume, prakt. Logik f. junge Leute, die nicht studiren wollen. Berlin u. Löbau 1787. 1794 u. s. populäre Logik zur Einl. in d. Schul

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wiss. Hamb. u. Mainz 1805.

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K. H. L. Pölitz, Elementarlog. f. pådag. Zwecke. Dresden u. Leipzig 1802. J. G. Dolz, Kl. Denklehre. Leipzig 1807. F. Ebh. v. Rochow, Kl. Logik f. Frauenzimmer. Braunschweig 1789. Phil. Freiin v. Knigge, Vers. einer Logik f. Frauenzimmer. Hannover 1789.

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§ 28. Kant (1724-1804) verwirft die von Cartesius und Leibniz behauptete Identität der Klarheit, Deutlichkeit und Widerspruchslosigkeit mit der materialen Wahrheit der Erkenntniss und wendet sich wiederum der Locke'schen Ansicht zu, dass nur der Ursprung der Erkenntniss über ihre Wahrheit entscheiden könne, ohne jedoch die Locke'sche Theorie des empirischen Ursprungs aller menschlichen Erkenntniss zu adoptiren. Demgemäss untersucht Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft" auf's Neue den Ursprung, Umfang und die Grenzen der menschlichen Erkenntniss. Er unterscheidet die analytischen oder Erläuterungsurtheile, welche allein auf dem Satze des Widerspruchs beruhen, von den synthetischen oder Erweiterungsurtheilen, und unter den letzteren wiederum die Urtheile, denen eine beschränkte und zufällige Gültigkeit zukommt, von denjenigen, durch welche das Allgemeine und Nothwendige erkannt wird. Alle strenge Allgemeinheit und Nothwendigkeit glaubt aber Kant auf Apriorität, d. h. auf einen von aller Erfahrung unabhängigen, rein subjectiven Ursprung zurückführen zu müssen. Er gelangt unter dem Einfluss dieser sein ganzes Denken beherrschenden Voraussetzung (welche freilich einen durch den mehrdeutigen Mittelbegriff a priori vermittelten Sprung von der Apodikticität auf blosse Subjectivität involvirt) von der Grundfrage aus: ,,Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich?" dem Resultat, dass zwar die Materie der Erkenntniss uns vermittelst der sinnlichen Affectionen von Aussen zukomme, die Formen derselben aber von der menschlichen Seele a priori hinzugethan werden. Diese apriorischen Erkenntnissformen sind nach Kant a. die beiden Anschauungsformen des äusseren und inneren Sinnes: Raum und Zeit; b. die zwölf Kategorien oder reinen Stammbegriffe des Verstandes, und zwar 1. die drei Kategorien der Quantität: Einheit, Vielheit, Allheit, 2. die drei Kategorien der Qualität: Realität, Negation, Limitation, 3. die Kategorien der Relation, Substantialität,

zu

Causalität, Gemeinschaft, 4. die Kategorien der Modalität: Möglichkeit, Dasein, Nothwendigkeit; c. die Vernunftideen von der Seele, der Welt und Gott. Diese apriorischen Erkenntnisselemente hält Kant gerade um ihres subjectiven Ursprungs willen für unfähig, uns das eigene Wesen der Dinge zu offenbaren. Die menschliche Erkenntniss erstrecke sich nur auf die Erscheinungswelt, in welche wir unbewusst jene Formen hineintragen und welche sich daher nach diesen Formen richten müsse, aber gar nicht auf die Dinge, wie sie an sich ausserhalb unseres Erkenntnissvermögens existiren; mithin sei auch über das Wesen der menschlichen Seele, der intelligiblen Welt und Gottes keine theoretische Einsicht, wiewohl doch auf Grund des moralischen Bewusstseins ein fester praktischer Glaube zu gewinnen. Alle diese erkenntnisstheoretischen Betrachtungen schliesst jedoch Kant aus der allgemeinen formalen Logik völlig aus. Er definirt diese als die Vernunftwissenschaft von den nothwendigen Gesetzen des Denkens nicht in Ansehung besonderer Gegenstände, sondern aller Gegenstände überhaupt oder von der blossen Form des Denkens überhaupt, oder als die Wissenschaft des richtigen Verstandesund Vernunftgebrauches nach Principien a priori, wie der Verstand denken solle. Kant theilt die allgemeine Logik in die reine und angewandte; jene betrachte den Verstand für sich allein, diese, die jedoch eigentlich zur Psychologie gehöre, betrachte den Verstand in seiner Vermischung mit andern Gemüthskräften. Die reine allgemeine Logik zerfällt in die Elementarlehre und Methodenlehre. Die besondere Logik handelt von den besonderen Methoden der einzelnen Wissenschaften. Die transscendentale Logik gehört zur Kritik der reinen Vernunft und macht den Theil derselben aus, welcher von den Kategorien des Verstandes und ihrem Werthe für die Erkenntniss handelt. Die reine allgemeine Logik soll die Denkformen mit Abstraction von allen metaphysischen und psychologischen Verhältnissen aus sich selbst verstehen und dieselben nur dem Gesetze der Identität und des Widerspruchs unterwerfen. Diese Tendenz begründet den subjectivistischformalen Charakter der Kantischen Logik.

Kant's theoretisches Hauptwerk, die Kritik der reinen Vernunft«,

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