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der Tüchtigste sein. Plato stellt, wie Sokrates, das Zusammenfassen des Einzelnen zum Allgemeinen in den Dienst der Begriffsbestimmung. Phaedr. 265 D: εἰς μίαν τε ἰδέαν συνορῶντα ἄγειν τὰ πολλαχῇ διεσπαρμένα, ἵνα ἕκαστον ὁριζόμενος δῆλον ποιῇ περὶ οὗ ἂν ἀεὶ διδάσκειν ἐθέλῃ. Dies sei die eine Verfahrungsweise (sidos) des philosophischen Denkens, welche die naturgemässe Voraussetzung der entgegengesetzten, nämlich des Herabsteigens vom Allgemeinen zum Besonderen bilde. Der Weg der Abstraction, die zum allgemeinen Begriffe, und der Induction, die zum allgemeinen Satze führt, erscheint hier noch in ungesonderter Einheit. Aristoteles nennt die Abstraction àpaigɛois (Anal. post. I, 18 u. öfter), die Induction aber naуwyń, und definirt die letztere (Top. I, 12. 105 a. 13): ἐπαγωγὴ ἡ ἀπὸ τῶν καθ ̓ ἕκαστον ἐπὶ τὰ καθόλου ἔφοδος. Cf. Anal. post. I, 18. 81 b. 1: ἡ δ' ἐπαγωγὴ ἐκ τῶν κατὰ μέρος. Die Induction im strengeren Sinne ist bei Aristoteles der Abstraction coordinirt, indem sie zu dem allgemeinen Urtheil oder Satz, die Abstraction dagegen zu dem allgemeinen Begriff führt; doch gebraucht Aristoteles nicht ganz selten (so namentlich auch in der oben, § 12, S. 22 angeführten Aussage Metaph. XII. 4. 1018 b. 27, dass Sokrates das inductive und das definitorische Verfahren begründet habe) лαywyn in einem weiteren Sinne, in welchem er die Abstraction mit darunter subsumirt. Der Name naуwуń geht auf das successive Aufzählen der einzelnen Glieder (rationes inferre). Aristoteles lehrt (Anal. post. I, 18. 81 b. 2): ἀδύνατον δὲ τὰ καθόλου θεωρῆσαι μὴ δι' ἐπαγωγῆς, ἐπεὶ καὶ τὰ ἐξ ἀφαιρέσεως λεγόμενα (d. h. insbesondere das Mathematische) ἔσται δι' ἐπαγωγῆς γνώριμα ποιεῖν. Doch hält er die Induction nur für eine mehr populäre, als streng wissenschaftliche Erkenntnissweise (Anal. pri. II, 23. 68 b. 35): φύσει μὲν οὖν πρότερος καὶ γνωριμώτερος ὁ διὰ τοῦ μέσου συλλογισμὸς, ἡμῖν δ' ἐναργέστερος ὁ διὰ τῆς Enaуwyns. Wohl um dieser Ansicht willen hat Aristoteles die Theorie der Induction weit weniger eingehend dargestellt, als die des Syllogismus. Als wissenschaftliche Induction gilt ihm nur die vollständige (vgl. unten § 128). Analyt. pri. II, 23. 68 b. 27: Sai dè voi To Γ τὸ ἐξ ἁπάντων τῶν καθ ̓ ἕκαστον συγκείμενον· ἡ γὰρ ἐπαγωγὴ διὰ пávov. Ueber das Verfahren bei unvollständiger Induction lehrt Aristoteles in seinen logischen Schriften nur, dass die Verallgemeinerung vieler gleichartigen Erfahrungen dann zulässig sei, wenn kein Gegenfall vorliege. Top. VIII, 8. 156 b. 1: πρὸς δὲ τὸ καθόλου πειρατέον ἔνστασιν φέρειν· τὸ γὰρ ἄνευ ἐνστάσεως, ἢ οὔσης ἢ δοκούσης, κωλύειν τὸν λόγον δυσχεραίνειν ἐστίν· εἰ οὖν ἐπὶ πολλῶν φαινομένων μὴ δίδωσι τὸ καθόλου μὴ ἔχων ἔνστασιν, φανερὸν ὅτι δυσκολαίνει. Der Gedanke, dass der Causalzusammenhang zur Verallgemeinerung berechtige, tritt bei Aristoteles zwar bei der Bildung bestimmter Inductionen hervor (de part. anim. IV, 2. 667 a. 37: Langlebigkeit der Thiere, welche wenig Galle haben), gewinnt aber nicht in der logischen Theorie des Aristoteles eine fundamentale Bedeutung. Im Anschluss an Aristoteles definirt Boëthius (de differentiis topicis, oper. ed. Basil. 1546, p. 864: »inductio est oratio, per quam fit a particularibus ad universalia pro

gressio (wogegen der Syllogismus ab universalibus in particularia herabsteige). Die volle Bedeutung des inductiven Verfahrens in den Wissenschaften zu erkennen, blieb der neueren Zeit vorbehalten. Das Mittelalter wollte aus gegebenen Principien das Einzelne deduciren, und dazu diente ihm die syllogistische Form; die neuere Zeit aber suchte auch die Principien selbst auf wissenschaftliche Weise aufzufinden, und bedurfte zu diesem Zwecke der Induction: die neueren Naturforscher üben die inductive Methode neben der mathematischen Deduction, und Baco von Verulam entwirft die Grundzüge zur Theorie derselben. Er verlangt ein methodischeres Verfahren, als die blosse Aufzählung einzelner Fälle, denen doch stets andere widerstreiten können. Baco sagt (Nov. Org. I, 105): Inductio quae procedit per enumerationem simplicem, res puerilis est et precario concludit et periculo exponitur ab instantia contradictoria et plerumque secundum pauciora quam par est et ex iis tantummodo quae praesto sunt pronunciat. At inductio quae ad inventionem et demonstrationem scientiarum et artium erit utilis, naturam separare debet per reiectiones et exclusiones debitas ac deinde post negativas tot quot sufficiunt super affirmativas concludere quod adhuc factum non est nec tentatum certe nisi tantummodo a Platone, qui ad excutiendas definitiones et ideas hac certe forma inductionis aliquatenus utitur. Baco sucht dann (freilich in einer sehr unzulänglichen Weise) das richtige Verfahren näher zu bestimmen. Die dogmatistische Entwickelungsreihe der neueren Philosophie von Cartesius bis auf Leibniz und Wolff verschmäht nicht die Induction, führt aber auch nicht die Theorie derselben bedeutend über die Aristotelischen Lehren hinaus; ihr Interesse ist vorwiegend der Deduction zugewandt. Doch weist Wolff (Log. § 706-8) mit Recht darauf hin, wie der Causalzusammenhang zur Bildung allgemeiner Urtheile von einzelnen Erfahrungen aus berechtige, wiewohl er diesem Verfahren den Namen der unvollständigen Induction (vgl. § 129), woran damals noch bei der äusserlichen Auffassung der inductiven Methode der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit haftete, nicht giebt, sondern es derselben als das bessere entgegensetzt. Die von Locke angebahnte empiristische Richtung bevorzugt die Induction, vermag aber, weil sie von den metaphysischen Beziehungen allzusehr absieht, die Theorie dieser Methode nicht wesentlich zu bereichern und zu vertiefen. Die neuesten Versuche, das, was Baco in seinem Novum Organum beabsichtigte, mit den wissenschaftlichen Mitteln unserer Zeit und in einer dem heutigen Standpunkte der positiven Wissenschaften entsprechenden Weise auszuführen, sind meist von philosophisch angeregten Vertretern naturwissenschaftlicher Disciplinen ausgegangen. Ausser den oben (zu § 35) angeführten Werken von Whewell, J. Herschel, J. St. Mill und A. Comte ist hier besonders noch die auf den philosophischen Grundsätzen von Kant und Fries beruhende Schrift von Apelt zu erwähnen: die Theorie der Induction, 1854. Vieles Schätzbare giebt auch, zunächst in Beziehung auf sein specielles Gebiet, Oesterlen, Medicinische Logik, 1852. Vgl. auch Liebig, Induction und Deduction (Rede, ge

halten in der öffentl. Sitzung der Münchener Akad. d. Wiss. am 28. März 1865, abgedr. in s. Reden u. Abhandlungen 1874), der jedoch die logische Form der Induction zu wenig von der glücklichen Antecipation wissenschaftlicher Resultate durch die Einbildungskraft des geübten mit seinem Gegenstande vertrauten Forschers sondert. Auch: Th. Jacob, Inductive Erkenntniss. Eine Skizze. Berlin 1880. Ueber die inductive Forschungsmethode (im weiteren Sinne dieses Ausdrucks) vgl. unten § 140.

§ 128. Die vollständige Induction (inductio completa) ist diejenige, bei welcher die Sphäre des Subjectes im Untersatze in ihrer Gesammtheit mit der Sphäre des Prädicates zusammenfällt. Dies geschieht in der Weise, dass durch vollständige Aufzählung alles Einzelnen oder Besonderen die ganze Sphäre des Allgemeinen (durch vollständige Aufzählung aller M1, M2, M3 . . . . die ganze Sphäre von S) erschöpft wird. Demgemäss kann der Untersatz hier auch durch Umkehrung auf die disjunctive Form gebracht werden:

Jedes S ist entweder M, oder M . . . . oder Mn, wodurch der Schluss in einen conjunctiv-disjunctiven Syllogismus der ersten Figur übergeht, dessen Beweis nach den allgemeinen Regeln des Syllogismus in dem Verhältniss der Sphären liegt. Jedes S fällt in eine Sphäre und die gesammte Sphäre aller S coincidirt mit einer Sphäre, welche ihrerseits in die Sphäre von P fällt; folglich ist jedes S P.

Eine vollständige Induction ist bei einer unendlichen Anzahl einzelner Glieder in zwei Fällen möglich: 1. wenn die Glieder sich räumlich zu einem Continuum zusammenschliessen, so dass eine Uebersicht über alle in einer endlichen (meist kurzen) Zeit möglich wird (was bei jedem geometrischen Beweis in der Erweiterung eines jeden zunächst auf die einzelne Figur bezüglichen Schlusses zur Allgemeingültigkeit für alle unter die gleiche Definition fallenden Figuren geschieht); 2. bei discreten Objecten dann, wenn sich syllogistisch beweisen lässt, dass, was für ein bestimmtes ntes Glied gilt, jedesmal auch für das (n+1)te Glied gelten müsse. Doch ist diese letztere Methode (die besonders in der Arithmetik Anwendung findet) nicht mehr eine rein inductive.

Da bei der vollständigen Induction die Sphäre dessen, was nach dem gegebenen Obersatze das Prädicat P hat, mit der Sphäre dessen, dem dasselbe durch den Schlusssatz zuerkannt wird, coincidirt,

....

so fällt dieselbe nur in sofern noch unter die allgemeine Begriffsbestimmung der Induction, als sie als Grenzfall angesehen wird (in ähnlicher Weise, wie unter dem particularen Urtheil auch das universale als Grenzfall mitbegriffen ist). So lange in der Aufzählung der Individuen oder Arten M1, M2 die Reihe noch nicht ganz geschlossen ist, ist noch die Sphäre des S weiter als die Sphäre von M,, M, . . und somit der Schluss auf ein Allgemeineres gerichtet; die angegebene successive Erweiterung der Subjects- (auch die Verengung der Prädicats-) Sphäre führt bis zur Gleichheit der Sphären, aber niemals darüber hinaus.

Beispiele zu der vollständigen Induction sind folgende: Der Mercur hat Axendrehung; ebenso die Venus, die Erde, der Mars, der Jupiter und der Saturn; eben diese sind die alten Planeten; mithin haben die sämmtlichen alten Planeten Axendrehung. - Der Peripheriewinkel im Kreise hat die halbe Grösse des Centriwinkels, welcher mit ihm auf gleichem Bogen steht, sowohl in der Lage, worin einer seiner beiden Schenkel mit einem der Schenkel des Centriwinkels auf der betreffenden Strecke zusammenfällt, als auch in der Lage, worin seine beiden Schenkel die des Centriwinkels umfassen, als endlich in der Lage, worin einer seiner Schenkel einen Schenkel des Centriwinkels schneidet; nun aber sind diese drei Lagen die einzig möglichen; folglich gilt der Satz über das Verhältniss jener Winkel allgemein.

§ 129. Die unvollständige Induction (inductio incompleta) würde nach den syllogistischen Regeln nur zu einem particularen Schlusssatze berechtigen: mindestens einiges Sist P; mindestens einiges, was sowohl o1, als σ2.... ist, ist P. Die Gültigkeit der Verallgemeinerung des Schlusssatzes und Ergänzung der nach den gegebenen Sphärenverhältnissen übrig bleibenden Lücke beruht theils auf der allgemeinen Voraussetzung eines gesetzmässigen Causalzusammenhangs in den Erkenntnissobjecten, theils auf der besonderen Voraussetzung, dass im vorliegenden Falle irgend ein gesetzmässiger Causalzusammenhang zwischen dem Subjecte und Prädicate des Schlusssatzes bestehe. Der Gewissheitsgrad des inductiven Schlusses hängt jedesmal von der Zulässigkeit, der Art und dem Gewissheitsgrade der letzteren Voraussetzung ab.

Eine Thatsache, die einen Einwand gegen die allgemeine Gültigkeit des Schlusssatzes begründet, heisst eine Instanz (instantia, ἔνστασις).

In die unvollständige Induction geht das erste Beispiel des vorigen Paragraphen (zur vollständigen Induction) über, wenn entweder die Beobachtung der Axendrehung als nur bei einzelnen der genannten

Planeten (Mercur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn), nicht bei ihnen allen ausnahmslos vollzogen vorausgesetzt wird, oder wenn andererseits, während die angegebenen Resultate der Beobachtung sämmtlich als Ausgangspunkte dienen, der Schluss auf die sämmtlichen Planeten (nicht bloss auf die schon den Alten bekannten) bezogen wird. Die Berechtigung zur Verallgemeinerung knüpft sich daran, dass die Erde nicht als Erde, d. h. als dieser bestimmte Planet, und der Mars nicht als Mars, vermöge seiner individuellen Natur, sondern dass ein jeder dieser Planeten als Planet, vermöge seiner planetarischen Natur, Axendrehung habe, d. h. dass zwischen dem Planetsein und der Axendrehung irgend eine causale Verbindung bestehe (die im Ursprung der Planeten begründet sein mag). Die Vielheit beobachteter Fälle führt uns auf die Annahme, dass dieses Verhältniss bestehe. Wäre es möglich, auf Grund einer einzelnen Beobachtung sofort zu wissen, in welcher causalen Beziehung dieselbe begründet sei, z. B. ob der Erde die Axendrehung, ob ihr das Bewohntwerden etc. als einem Planeten oder als diesem Planeten, vermöge ihrer allgemeinen oder vermöge ihrer individuellen Natur zukomme, ob der Stein als ein zur Erde gehöriger dichter Körper oder als Materie niederfalle, ob Eisen, Blei, Gold etc. schon als Metalle schwerer als Wasser seien (wo dann das Gleiche auch von den Metallen Kalium und Natrium gelten müsste, die doch leichter sind), ob nach dem Gebrauch eines Medicamentes die Heilung vermöge der generischen oder specifischen Natur des gebrauchten Medicamentes und der Krankheit oder vermöge individueller und zufälliger Umstände erfolgt sei, ob das von uns als Masculinum vorgefundene Wort planeta als ein lateinisches Wort auf a ein Masculinum sei, ob die von uns weissblühend gesehene Rose als Rose weiss blühe etc.; dann bedürfte es der inductiven Zusammenstellung vieler Fälle überhaupt nicht; es bedarf derselben gerade zum Behuf dieser Entscheidung, die wir nach einer einzelnen oder auch nach wenigen Beobachtungen zwar sofort zu fällen leicht geneigt sind, aber nur vermöge einer schlimmen Selbsttäuschung sofort mit logischem Rechte fällen zu dürfen wähnen können. Das gesicherte Wissen, ob die der Induction zum Grunde liegenden Urtheile ein Prädicat enthalten, das dem Subjecte vermöge seiner allgemeinen Natur oder vermöge seiner individuellen Natur oder vermöge zufälliger Umstände zukomme, ist nicht der Ausgangspunkt der Induction (denn wo dasselbe schon vorhanden ist, bedarf man des inductiven Verfahrens überhaupt nicht mehr), wohl aber das wesentliche Ziel derselben.

Inductionen bilden sich ursprünglich ohne Absicht und ohne bewusste Regel vermöge des Associations- und Abstractionsprocesses (der Hume'schen Gewöhnung) und gehen dann meist in ungültiger Verallgemeinerung über die Wahrheit hinaus. Von den vielen so entstandenen allgemeinen Annahmen erweisen sich bei fortschreitender Erfahrung nur wenige als haltbar, während die übrigen durch den Widerstreit mit Thatsachen als unberechtigt erkannt werden; die haltbaren sind diejenigen, bei welchen der oben bezeichnete Causalnexus besteht.

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