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An die Syllogistik hat sich von jeher manche kindische Spielerei bei ihren Vertretern und manche Verkehrtheit bei ihren Tadlern geknüpft. Wer aber unbefangen beides vergleicht, wird den ungleich grösseren Unverstand auf der Seite der Tadler finden. Denn die Vertreter pflegen doch wenigstens einen gewissen Grad von Sachkenntniss zu besitzen, während von den Tadlern viele im Gleichmaasse von Ignoranz und Arroganz verwerfen, was sie nicht verstehen.

§ 100. Der Syllogismus ist einfach (simplex), wenn aus zwei Urtheilen, welche zwei verschiedene und einen gemeinsamen Hauptbestandtheil haben, ein drittes abgeleitet wird; er ist zusammengesetzt (compositus), wenn mehr als drei Hauptbestandtheile von Urtheilen oder mehr als zwei Urtheile zur Begründung des Schlusssatzes dienen. Der gemeinsame Bestandtheil vermittelt den Schluss und wird demgemäss Mittel- (vermittelnder) Begriff oder Mittelglied (medium, terminus medius, nota intermedia, tò μétor, ögns μévos) genannt. Derselbe kommt, seiner Bestimmung zufolge, in einer jeden der Prämissen, aber nicht im Schlusssatze vor. Die gegebenen Urtheile aber, woraus das neue abgeleitet wird, heissen Prämissen (propositiones praemissae, iudicia praemissa, posita, προτάσεις, τὰ προτεινόμενα, τὰ τεθέντα, τὰ κείμενα, auch sumptiones, acceptiones, nuuata), und das abgeleitete Urtheil Schlusssatz (conclusio, iudicium conclusum, to ovμяéqɑona, auch illatio, upogά). Von den Prämissen wird diejenige, welche das Subject oder das subordinirte Satzglied (z. B. die Hypothesis) des Schlusssatzes enthält, Untersatz (propositio minor, assumptio, ngóσλs), die andere aber, welche das Prädicat oder das übergeordnete Satzglied (den Hauptsatz oder Nachsatz) des Schlusssatzes enthält, Obersatz (propositio maior, a) genannt. Die Bestandtheile des Syllogismus überhaupt oder die darin enthaltenen Urtheilsglieder werden unter dem Namen: Elemente des Schlusses (syllogismi elementa, τὰ τοῦ συλλογισμοῦ στοιχεῖα) zusammengefasst. Der Syllogismus hat die Relation seiner Prämissen, d. h. er ist copulativ, disjunctiv, hypothetisch etc. oder gemischt je nach

einzelnen Falle thatsächlich statthabe, dann lässt sich freilich mehr folgern, als nach dem schematischen Verfahren zulässig ist; aber dann ist eben auch die Zahl der vorausgesetzten Data überschritten worden.

der Form der Prämissen, welche auch die Form des Schlusssatzes bedingt. Sind die Prämissen von verschiedener Form, so pflegt man die Relation des Syllogismus vorzugsweise nach der des Obersatzes zu bezeichnen.

Aus zwei Urtheilen, die gar nichts mit einander gemein haben, kann, da keine neue Beziehung begründet wird, auch kein Schlusssatz abgeleitet werden. Soll also aus zwei Urtheilen ein drittes folgen, so müssen dieselben entweder einen gemeinsamen Hauptbestandtheil haben oder durch blosse Umformung erhalten können; der letztere Fall findet statt, wenn ein Hauptbestandtheil des einen Urtheils der contradictorische Gegensatz zu einem Hauptbestandtheile des andern ist. Man könnte nun zwar auch diesen Fall noch den einfachen Syllogismen zurechnen, indem man den Begriff derselben dahin bestimmte, dass jeder Schluss, der sich auf zwei von einander unabhängige gegebene Urtheile gründe, ohne dass ein drittes, welches nicht aus einem der gegebenen durch blosse Umformung folge, hinzugenommen zu werden brauche, einfach genannt würde, und nur derjenige zusammengesetzt, der mehr als zwei gegebene Urtheile voraussetze. Allein im Verfolge der Darstellung würde diese Bestimmung zu mancherlei Missständen führen. Mehrere von den Regeln, welche die Syllogistik aufzustellen pflegt (z. B. der Satz: ex mere negativis nihil sequitur, vgl. unten § 106; ferner die Bestimmungen über die Zahl und Form der gültigen Modi etc.) würden dann nicht zutreffen, und wollte man sie durch andere ersetzen, so würden diese minder einfach und übersichtlich sein. Auch an innerer Berechtigung würde diese Terminologie der im Texte dieses Paragraphen aufgestellten nachstehen. Denn in dem Falle, wo zwei Bestandtheile der beiden Prämissen zu einander im Verhältniss des contradictorischen Gegensatzes stehen, kann der Schlusssatz nicht gewonnen werden, ohne dass zugleich ein Hülfsurtheil, welches durch Aequipollenz aus einem der gegebenen Urtheile folgt, mit hinzugedacht wird, und so ist der Schluss in der That zusammengesetzt, nämlich aus einer unmittelbaren Folgerung und einem einfachen Syllogismus.

Die Ausdrücke: ogos und noórais erklärt Aristoteles Anal. pri. I, 1. 24 a. 16 πρότασις μὲν οὖν ἐστὶ λόγος καταφατικὸς ἢ ἀποφατικός τινὸς κατά τινος und 24 b. 16 δρον δὲ καλῶ εἰς ὃν διαλύεται лóτaos; den Mittelbegriff (rò μégov) definirt derselbe ib. I, 4. 25 b. 38 καλῶ δὲ μέσον μὲν ὃ καὶ αὐτὸ ἐν ἄλλῳ καὶ ἄλλο ἐν τούτῳ ἐστὶν, ὃ καὶ τῇ θέσει γίνεται μέσον; der Name: συμπέρασμα findet sich ib. I, 9 u. öfter. Die Termini: λýμμara und лupoά gehören den Stoikern an.

§ 101. Die Möglichkeit des Syllogismus als einer Form der Erkenntniss beruht auf der Voraussetzung, dass eine reale Gesetzmässigkeit bestehe und erkennbar sei, gemäss dem Satze des zureichenden Grundes (§ 81). Da die vollendete Erkenntniss auf der Coincidenz

des Erkenntnissgrundes mit dem Realgrunde beruht, so ist auch derjenige Syllogismus der vollkommenste, worin der vermittelnde Bestandtheil (der Mittelbegriff, das Mittelg lied), welcher der Erkennt nissgrund der Wahrheit des Schlusssatzes ist, zunächst den Realgrund der Wahrheit desselben bezeichnet.

Die in diesem Paragraphen vorgetragene Lehre ist die wichtigste der gesammten Syllogistik. Von der Anerkennung der Beziehung des Syllogismus auf eine reale Gesetzmässigkeit hängt die Entscheidung der Streitfrage ab, ob der Syllogismus ein Mittel der Erkenntniss sei und in diesem Sinne dem Begriff und Urtheil als gleichberechtigte Form zur Seite gestellt werden dürfe, oder ob das syllogistische Verfahren für eine blosse Combination von Begriffen gehalten werden müsse, welche nur etwa zur Verdeutlichung der Erkenntniss, die wir in verhüllter Weise bereits besitzen, und ausserdem zum Zwecke der Mittheilung unseres Wissens an Andere einigen Werth beanspruchen möge. Wenn nämlich die Ueberzeugung von der allgemeingültigen Wahrheit der Prämissen sich nicht auf die Voraussetzung einer realen Gesetzmässigkeit gründet, sondern erst durch Vergleichung aller einzelnen Fälle gewonnen werden soll: so leuchtet ein, dass unter den verglichenen Fällen auch diejenigen, von welchen im Schlusssatze die Rede ist, mitvorkommen müssen, dass also die Wahrheit des Schlusssatzes zuerst feststehen muss, damit die Wahrheit der Prämissen erkannt werden könne, dass wir aber in einen fehlerhaften Cirkel verfallen würden, wenn wir doch auch wiederum aus den Prämissen den Schlusssatz ableiten wollten. Diese letztere Ableitung könnte höchstens den Werth einer Entzifferung unserer eigenen Noten (Mill) haben, also nur der Wiedererinnerung, der Verdeutlichung, der Mittheilung an Andere dienen. In der That verhält es sich so in vielen Fällen. Wird z. B. der Schluss aufgestellt: jeder um unsere Sonne in einer elliptischen Bahn laufende Körper ist ein an sich dunkler Körper; Vesta ist ein um unsere Sonne in einer elliptischen Bahn laufender Körper; folglich ist auch Vesta ein an sich dunkler Körper: so kann ich offenbar die erste der Prämissen nur dann als allgemeingültig erkennen, wenn ich zuvor schon weiss, das Vesta zu den um unsere Sonne in elliptischer Bahn laufenden Körpern gehöre und dass auch sie kein eigenes Licht besitze. Ich kann so wenig die Wahrheit des Schlusssatzes aus der Wahrheit der Prämissen erkennen, dass im Gegentheil die Ueberzeugung von der Wahrheit der ersten Prämisse an der im Voraus feststehenden Ueberzeugung von der Wahrheit des Schlusssatzes eins ihrer Fundamente finden muss, und dass, wenn etwa der Schlusssatz sich als ungewiss oder als falsch erweisen muss, sie ihrerseits das gleiche Schicksal theilen würde. Der Satz, dass alle Planeten immer nur innerhalb des Thierkreises uns erscheinen (der von den altbekannten Planeten gilt) verliert seine anscheinend allge

meine Gültigkeit sofort, sobald (unter den Asteroiden) irgend welche gefunden werden, die den Thierkreis überschreiten, und es kann keineswegs aus dem allgemeinen Satze, als ob dieser im Voraus und unabhängig von der Vollzahl der Einzelbeobachtungen feststände, geschlossen werden, dass sich kein Planet finden könne, der jene Grenze überschreite; der Planet Pallas überschreitet thatsächlich dieselbe. Aber nicht alle Fälle sind von der nämlichen Art. Sofern in Bezug auf das zu erörternde Verhältniss eine bestimmte Gesetzmässigkeit vorausgesetzt werden darf, lässt sich allerdings das Allgemeine vor der Durchforschung der. Gesammtheit alles Einzelnen als wahr erkennen, und daher auch aus der Wahrheit desselben die Wahrheit des Einzelnen durch syllogistische Deduction ermitteln. Dass z. B. die Kepler'schen Gesetze eine allgemeingültige Wahrheit haben, kann seit Newton gewusst werden, ohne dass sie vorher an allen einzelnen Planeten und Trabanten geprüft zu sein brauchen, und so oft daher ein neuer Himmelskörper dieser Art entdeckt wird, können auf ihn jene Gesetze syllogistisch mit voller Zuversicht angewandt werden. Steht ja doch die Gewissheit der aus dem Gravitationsprincip abgeleiteten Gesetze so fest, dass, als die beobachtete Bahn des Uranus denselben zu widerstreiten schien, diese Beobachtung keineswegs jener Gewissheit Eintrag that, sondern vielmehr den Schluss auf das Vorhandensein eines noch niemals beobachteten Planeten rechtfertigte, der auf die Bahn miteinwirken müsse, den Schluss, der zur Entdeckung des Neptun geführt hat. Und so ist in allen Fällen, in welchen unser Denken auf dem Grunde einer bestimmt erkannten realen Gesetzmässigkeit ruht, der Syllogismus eine vollberechtigte Form der Erkenntniss, welcher wir die werthvollsten Erweiterungen unseres Wissens verdanken.

Wird der Mittelbegriff in dem für die Erkenntniss werthvollsten Syllogismus der Ausdruck des Realgrundes genannt, so soll hierdurch keineswegs in Abrede gestellt werden, dass der Realgrund nur im Verein mit den entsprechenden äusseren Bedingungen die Wirkung zu erzeugen vermag. Ist z. B. der Schluss gegeben: Was das Pendel verlängert, verlangsamt den Gang desselben, Wärme verlängert das Pendel, also verlangsamt sie seinen Gang: so ist die Verlängerung der Realgrund der Verlangsamung des Gangs des Pendels durch die Wärme, aber sie ist dies nur auf Grund der Anziehung des Pendels durch die Erde und der Bewegung seiner Theile nach den Fallgesetzen. Vgl. oben zu § 69, S. 211 und zu § 81, S. 273 über das Zusammengesetztsein jeder Ursache aus dem (inneren) Grund und den (äusseren) Bedingungen.

Aristoteles spricht die in dem vorstehenden Paragraphen dargelegte Lehre bereits mit voller Bestimmtheit aus, indem er fordert, dass der Mittelbegriff die reale Ursache ausdrücke, Anal. post. II, 2. 90 a. 6: τὸ μὲν γὰρ αἴτιον τὸ μέσον. Aristoteles will hier nicht das Reale auf ein Formales zurückführen« (wie Drobisch meint, Logik, Vorrede, 2. A., S. XI.), sondern umgekehrt das Formale durch die Beziehung auf das Reale vertiefen. Denn an sich zwar lässt der angeführte Ausspruch beide Deutungen zu, da das Subject und das

Prädicat desselben beide den bestimmten Artikel haben und also das Urtheil reciprocabel ist; aber nur die eine entspricht dem Zusammenhang der Stelle, welcher folgender ist. Um uns des Seins zu vergewissern, sagt Aristoteles, so wie auch, um das Wesen zu erkennen, müssen wir den Mittelbegriff haben; denn haben wir diesen, so kennen wir die Ursache und haben damit gefunden, was überall gesucht wird und was auch wir suchen mussten, da selbstverständlich die Gewissheit von der (realen) Ursache auch die Gewissheit von dem Sein sichert. Der Sinn jenes Satzes ist also: die Bedeutung des Mittelbegriffs liegt darin, dass er der Ursache entspreche. (Nicht im Widerstreit hiermit sagt Aristoteles Anal. post. II, 12. 95 a. 11: rò vào μéGov atriov. Das Werdende und Gewordene etc. hat dieselbe Mitte; die Mitte aber ist Ursache; also hat es auch dieselbe Ursache.) Der umgekehrte Gedanke aber: das Wesen des altiov liegt darin, dass es der Mittelbegriff eines Schlusses sei, würde nicht in den Zusammenhang passen. Denn aus den Sätzen: das atov sichert das Sein, und: das Wesen des altiov liegt darin, dass es der Mittelbegriff eines Schlusses sei, würde ja nicht folgen, dass immer, wenn wir den Mittelbegriff haben, das Sein gesichert sei, was doch Aristoteles darthun will; vielmehr wäre dies ein fehlerhafter allgemein bejahender Schluss in der dritten Figur. Waitz sagt in seiner Erläuterung (ad Anal. post. II, 2; vol. II, p. 380) mit Recht: >quum omnis quaestio iam in eo versetur, ut rei subiectae naturam sive causam, per quam res ipsa existat vel ob quam aliud quid de ea praedicetur, exploremus, quam quidem causam terminus medius exprimere debet. Auch die Beispiele, die Aristoteles hier und an anderen Stellen anführt, zeigen, dass er nicht das Reale zum Formalen verflüchtigen, sondern die Form aus ihrem Verhältniss zum Inhalt begreifen will. Die reale àvíqqaşıs der Erde zwischen Sonne und Mond ist das aitiov der Mondfinsterniss; nun aber liegt doch offenbar das Wesen jener realen Stellung der Himmelskörper zu einander nicht darin, dass dieselbe der Mittelbegriff eines Syllogismus sei, sondern im Gegentheil das Wesen des Mittelbegriffs darin, dass derselbe jene reale Ursache bezeichne. (Ein undurchsichtiger Körper, welcher zwischen einen selbstleuchtenden und einen nur von diesem beleuchteten, an sich dunkeln Körper tritt, verfinstert den letzteren. Die Erde ist ein undurchsichtiger Körper, der zu gewissen Zeiten zwischen die selbstleuchtende Sonne und den nur von ihr beleuchteten, an sich dunkeln Mond tritt. Also verfinstert die Erde zu gewissen Zeiten den Mond.) In demsel ben Sinne lehrt Aristoteles c. 11, dass die vier metaphysischen altía: Wesen, Bedingung, bewegende Ursache und Zweck, alle durch den Mittelbegriff aufgezeigt und erkannt werden, nicht als ob sie alle auf eine blosse formale Beziehung reducirt und ihr realer metaphysischer Charakter aufgehoben werden sollte, sondern im Gegentheil, um dem Mittelbegriffe die reale Beziehung auf die sämmtlichen metaphysischen altíc zu vindiciren. Am Schluss von c. 12 bemerkt Aristoteles, im wirklichen Geschehen finde sich zum Theil eine strenge causale Nothwendigkeit und Allgemeinheit, zum Theil aber nur ein ὡς ἐπὶ τὸ πολύ,

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