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kommt diese Eindeutigkeit zum Bewusstsein, und sagt nichts, was nicht der Satz des Widerspruchs auch sagte. Es ist also vollkommen naturgemäss, dass Aristoteles den Satz des Widerspruchs allein als Princip heraushebt, und seine positive Kehrseite nur gelegentlich zum Ausdruck bringt (Metaph. IV, 4 ff.), wie auch lange Zeit unter dem Principium identitatis der aristotelische Satz des Widerspruchs verstanden wurde. « Dieser Auffassung Sigwart's hat Wundt in s. Logik Bd. 1. Abschn. 6. Cap. 1. 1 b. S. 506 u. ff. widersprochen. Es scheint ihm, dass mit diesem Begriff der Eindeutigkeit der Sinn des Identitätsgesetzes nicht zutreffend bezeichnet ist, da der Satz A = A nicht auf das Verhältniss des Urtheils zu andern Urtheilen, sondern zunächst nur auf die Stetigkeit der Begriffe im einzelnen Urtheil sich bezieht.< Gerade darum, weil der Satz des Widerspruchs nicht selbst schon das Gesetz der positiven Urtheile sei, sondern nur auf dasselbe zurückschliessen lasse, weil er es voraussetze, erscheine es angemessen, abweichend von dem Gebrauche der älteren Logik das Identitätsgesetz positiv zu formuliren. In der That übertreffe dasselbe in dieser seiner positiven Form den Satz des Widerspruchs ebenso sehr an Bedeutung, wie das positive das negative Urtheil.

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§ 78. Der Grundsatz des ausgeschlossenen Dritten oder mittleren (principium exclusi tertii sive medii inter duo contradictoria) lautet: contradictorisch einander entgegengesetzte Urtheile (wie: A ist B, und: A ist nicht B) können nicht beide falsch sein und lassen nicht die Wahrheit eines dritten oder mittleren Urtheils zu, sondern das eine oder andere derselben muss wahr sein, und aus der Falschheit des einen folgt daher die Wahrheit des anderen. Oder: die Doppelantwort: weder ja noch nein, auf eine und dieselbe in dem nämlichen Sinne verstandene Frage ist unzulässig. Die Gültigkeit dieses Gesetzes folgt wiederum aus den Definitionen der Wahrheit (§ 3), des Urtheils (§ 67) und der Bejahung und Verneinung (§ 69), welchen gemäss die Falschheit der Bejahung gleichbedeutend ist mit der Abweichung der Vorstellungscombination von der Wirklichkeit, folglich mit der Wahrheit der Verneinung, und die Falschheit der Verneinung gleichbedeutend mit der Uebereinstimmung der Vorstellungscombination mit der Wirklichkeit, folglich mit der Wahrheit der Bejahung.

Die obigen Bemerkungen zum Gesetze des Widerspruchs über die im Begriffe des contradictorischen Gegensatzes liegende Gleichheit der Zeit und der anderen Beziehungen, über die Bestimmtheit des Sinnes der Urtheile, über die Beweisbarkeit des Satzes und deren Voraus

setzungen und über den Fall der scheinbaren Ausnahme finden auch wiederum auf das Gesetz des ausgeschlossenen Dritten Anwendung und sind hier um so mehr zu beachten, da dieses Gesetz dem Missverständnisse noch in höherem Maasse ausgesetzt ist. An falsche Ansichten über die Tendenz und den Sinn des Gesetzes knüpfen sich die verschiedenen Einwürfe, die man theils gegen seinen Werth, theils auch gegen seine Wahrheit erhoben hat. In der ersten Beziehung hat man es (und zwar fast gleichmässig auf den ganz entgegengesetzten Standpunkten der reinen Speculation und Empirie) der Leerheit und Oberflächlichkeit beschuldigt und ihm aus diesem Grunde auch wohl die Existenzberechtigung in der Logik absprechen wollen: es unterscheide nicht zwischen den Fällen, wo die Verneinung angemessen und wo sie unangemessen sei, und nicht zwischen der partiellen und totalen Verneinung, was doch die erste Bedingung eines tieferen Eingehens sein würde; mithin sei dasselbe eine bedeutungslose und unfruchtbare Formel (Hegel, Encycl. § 119; Beneke, Logik I, S. 104 ff.). Aber diese Vorwürfe beruhen nur darauf, dass von dem Satze gefordert wird, was nicht in seiner Aufgabe liegt. Der richtig verstandene Satz sagt nicht, dass man bei jedem gegebenen Subjecte nach möglichen Prädicaten gleichsam »ins Blaue hinauslangen dürfe oder gar solle, um dann ein jedes entweder durch den positiven Prädicatsbegriff oder durch dessen contradictorisches Gegentheil bestimmbar zu finden, dass man also z. B., um Prädicate des Geistes zu erhalten, etwa die Eigenschaftsbegriffe grün und nicht-grün, hölzern und nicht-hölzern etc. heranbringen und sich nun der Gewissheit erfreuen solle, dass jedesmal, wenn nicht das eine, dann sicherlich das andere Prädicat zutreffen müsse. Das wäre albern. Der Satz setzt vielmehr eine vernünftige Fragestellung schon voraus. Welche Fragestellung aber vernünftig sei, soll nicht erst durch ihn gezeigt werden, sondern folgt aus dem Wesen der Bejahung und Verneinung (vgl. oben § 69): es muss nämlich irgend ein Motiv der Bejahung geben können, also in der Regel zum mindesten der Gattungsbegriff, unter welchen das fragliche Prädicat fällt, dem Subjecte zukommen. Ist die Fragestellung nicht vernunftgemäss, so führt der Satz des ausgeschlossenen Dritten zwar zu einem unangemessenen, aber dennoch nicht zu einem unwahren Urtheil (denn dass der Geist nicht blau, dass er kein Tisch sei etc. ist nicht unwahr, und der Modethorheit der Tischorakel gegenüber ist ja das letztere Urtheil eine Zeitlang sogar nicht einmal unangemessen oder überflüssig gewesen); der Satz gilt ohne Ausnahme bei jeder Fragestellung, wofern nur der Sinn der Frage unzweideutig bestimmt ist, wesshalb derselbe auch nicht (wie I. H. Fichte a. a. O. S. 30, und Ulrici, Logik, S. 125 fordern) durch Aufnahme der obigen Bedingung in seiner Formel beschränkt werden darf; die Schuld der unangemessenen Anwendung aber trifft nicht den Satz selbst. Doch musste freilich der Name, den einige Logiker dem Satze des ausgeschlossenen Dritten haben geben wollen: »Satz der Bestimmbarkeit jedes Gegenstandes durch jedes Prädicate und die Formel, dass jedem Dinge von

allen möglichen einander contradictorisch entgegengesetzten Prädicaten das Eine zukommen müsse, jenes absurde »Hinauslangen in's Blaue zu provociren scheinen, und einer solchen Auffassung gegenüber ist jener Tadel nicht ohne eine gewisse Berechtigung. Dass der richtig verstandene Satz nicht unfruchtbar ist, zeigt insbesondere seine Anwendung bei indirecten Beweisen; übrigens würde auch abgesehen von allen Anwendungen die wissenschaftliche Pflicht systematischer Vollständigkeit fordern, ihn dem Satze des Widerspruchs als dessen wesentliche Ergänzung zur Seite zu stellen.

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Aber nicht bloss gegen den Werth und die Fruchtbarkeit, sondern auch gegen die Wahrheit des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten sind Einwürfe gerichtet worden: einige Logiker haben denselben durch gewisse Ausnahmen beschränken, andere völlig aufheben wollen. Jene meinen, der Satz gelte in dem Falle nicht, wenn das Subject ein allgemeiner Begriff sei; so sei z. B. das Dreieck überhaupt weder rechtwinklig, noch auch nicht rechtwinklig. (So lehrt namentlich Krug, Denklehre, § 19.) Jedoch es ist nur die Unbestimmtheit des Sinnes, die hier den Schein der Ungültigkeit erzeugt. Ist der Sinn des Satzes dieser jedes Dreieck ist rechtwinklig, so ist die Verneinung desselben und nur die Verneinung wahr. Ist aber der Sinn: es giebt überhaupt rechtwinklige Dreiecke als mathematische Objecte, so ist die Bejahung und nur diese wahr. Andere (wie namentlich Hegel und seine Schule, und Friedr. Fischer, Logik, S. 40 ff.) versagen dem Satze überhaupt die Anerkenung seiner Berechtigung. Das Mittlere sei vielmehr in sehr vielen Fällen gerade das wahre Prädicat; ja alle Entwickelung beruhe auf der Vermittelung der Gegensätze. Zwischen schuldig und nichtschuldig liege halbschuldig in der Mitte, zwischen der vollen Zurechnung und der vollen Nichtzurechnung die partielle Zurechnung, eine gesetzliche Ausschliessung dieser Mitte sei ein verderblicher Irrthum, der die Richter nicht selten in die peinliche Alternative einer ungerechten Freisprechung oder ungerechten Verurtheilung setze und so wider besseres Wissen und Wollen zu Aussprüchen von nur halber Wahrheit zwinge. Die absolute Anerkennung oder Verwerfung, die einfache Eintheilung der Charaktere in gute und böse mit Ausschluss der Mittelstufen, der Systeme in wahre und falsche ohne Würdigung des allmählichen Fortschritts der Erkenntniss, der Erzählungen in glaubhafte und irrthümliche oder erlogene ohne Verständniss des Wesens des Mythus und der poëtischen Wahrheit dies alles bezeichne in der Regel eine gewisse Rohheit des Denkens; der Gebildete aber wisse die feineren Verzweigungen von Wahrheit und Irrthum zu erkennen und die überall verbreiteten Elemente der Wahrheit aus der Hülle von Irrthümern, wie das Gold aus den Schlacken, herauszufinden. Hegel sagt (Philosophie der Geschichte, Ausgabe von 1837, S. 202): Deine Philosophie der Geschichte hat in den verkümmertsten Gestalten ein Moment des Geistigen aufzusuchen. Schon Aristoteles (Metaph. I, 10; cf. II, 1) und noch entschiedener Leibniz (im dritten Briefe an Remond de Montmort, S. 704 der Erdmannschen Ausgabe)

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weisen auf die in den verschiedensten und einander aufs schärfste widerstreitenden Systemen verborgen liegenden Wahrheitselemente hin, die der aufmerksame Blick des tieferen Forschers in ihnen allen zu erkennen vermöge; ja Leibniz (de conform. fid. et rat. § 80) bemerkt (gegen Bayle), dass die Vernunft, wo sie zwei einander entgegengesetzte Ansichten beide als falsch erkenne, da gerade die erhabenste Einsicht verheisse; jedoch hat sich weder Aristoteles, noch Leibniz über das Verhältniss jener Relativität zu der absoluten Gültigkeit der logischen Gesetze des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten, die von beiden Philosophen anerkannt wird, näher erklärt. In Gegensatz wird beides von Neueren gestellt. Ist die Erkenntniss der Wahrheit nicht in einer Entwickelung begriffen (sagt in Hegel's Sinne Erdmann, Gesch. der neueren Philos. I, 2, S. 171), so ist alles entweder ganze Wahrheit oder ganze Unwahrheit; die werdende, sich entwickelnde Wahrheit ist beides oder keins von beiden; ja von demselben wird (in der von Fichte etc. herausg. Zeitschrift für Philos. Bd. XXVIII, S. 8-9, 1856) das Festhalten an den Gesetzen der Identität und des ausgeschlossenen Dritten, welche die Grundsätze des Erzheiden Aristoteles seien, in scherzhaftem Ernst für unchristlich erklärt, weil die Versöhnung der Gegensätze der Grundgedanke des Christenthums (die Schuld als getilgte eine felix culpa«), das Verharren im Gegensatze aber heidnisch sei. Allein jene Bemerkungen, so richtig sie auch an sich sind und so beachtenswerth, sofern wir sie als Warnungen vor einer falschen Auffassung und Anwendung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten betrachten dürfen, beweisen doch nichts gegen die Gültigkeit des richtig verstandenen Satzes, sondern können nur durch Verwechselung des contradictorischen und des conträren Gegensatzes für Instanzen gegen denselben gehalten werden. Wer (wie Friedr. Fischer, Logik, S. 40 ff.) erst erklärt, dass er unter non-A etwas anderes verstehe, als die übrigen Logiker, nämlich nicht, wie jene, den contradictorischen, sondern den conträren Gegensatz, und hernach denselben vorwirft, dass das von ihnen aufgestellte Gesetz unrichtig sei, weil es nämlich, wenn es nach seiner eigenen Terminologie gedeutet wird, nicht mehr zutrifft: der verfährt nicht anders, als etwa jener, welcher erst die Erklärung gäbe, dass er, von dem Euklidischen Gebrauche abweichend, unter Dreieck das sphärische Dreieck verstehen oder mitverstehen wolle, und hernach den Euklid tadelte, weil dieser fälschlich lehre, die Summe der Dreieckswinkel sei immer gleich zwei rechten. Doch hat der Tadel ein gewisses Recht gegenüber der ungenauen Formel: jedem Gegenstande kommt entweder ein Begriff oder dessen Gegentheil zu. Hält man sich aber streng an den Begriff des contradictorischen Gegensatzes, so bezeichnen dessen Glieder nur das Vorhandensein und den Mangel einer genauen Uebereinstimmung der Vorstellungscombination mit der Wirklichkeit. Dass nun stets eins dieser beiden Glieder wahr sein müsse, und also der Satz des ausgeschlossenen Dritten, der richtig verstanden nur dies aussagt, allgemeingültig sei, kann keinem begründeten Zweifel unterliegen,

und liegt schon in den Definitionen der Wahrheit und Falschheit, der Bejahung und Verneinung; denn diesen gemäss heisst: die Verneinung für falsch erklären, so viel als: die Abweichung von der Wirklichkeit leugnen, also so viel als: bejahen oder die Bejahung für wahr halten; ebenso heisst die Bejahung für falsch erklären, so viel als: die Uebereinstimmung mit der Wirklichkeit leugnen, was wiederum gleichbedeutend ist mit: verneinen oder die Wahrheit der Verneinung anerkennen. Nur darf die Verneinung nicht mit der Bejahung des conträr entgegengesetzten Prädicates verwechselt werden: nicht sterblich (was sich auch vom Steine sagen lässt) ist nicht gleichbedeutend mit unsterblich oder ewig, nicht gut (niemand ist gut als Gotte) nicht mit schlecht oder böse (das neugeborene Kind ist nicht moralisch gut, sondern bedarf der Erziehung und der Selbstbildung, um gut zu werden; aber dies heisst nicht: das Neugeborene ist moralisch böse), und so in allen ähnlichen Fällen. Die Wahrheit der Verneinung, welche die Uebereinstimmung der affirmativen Behauptung mit der Wirklichkeit ausschliesst, schliesst darum nicht irgend welchen Grad, auch nicht den höchsten, der Annäherung an die Uebereinstimmung aus. Die Frage, ob dieser Angeklagte dieses bestimmten Verbrechens schuldig sei, muss verneint werden, wenn nur eine halbe Schuld stattfindet, weil in diesem Falle die Voraussetzung der Schuld, an der Wirklichkeit gemessen, nicht zutrifft; aber die Verneinung dieser Frage macht die fernere Frage nicht überflüssig, sondern nothwendig, ob und in welchem Grade eine Annäherung an die volle Schuld statthabe. Der Irrthum, der die Möglichkeit der halben Schuld und halben Zurechnung verkennt, liegt nicht in der contradictorischen Disjunction: schuldig oder nicht, sondern erst in der Verwechselung der Negation dieser bestimmten Schuld mit der Affirmation einer völligen Unschuld, da doch die Verneinung der Schuld in dem Sinne, wie die Anklage sie behauptete, die Möglichkeit eines gewissen Grades von Schuld offen lässt. So ist auch die Verneinung der vollen Zurechnungsfähigkeit stets wahr, wenn die Bejahung derselben falsch ist; aber dieselbe darf keineswegs der Behauptung der vollen Zurechnungsfähigkeit gleichgesetzt werden. Die Uebergangsformen zwischen verschiedenen Arten der nämlichen Gattung sind ein Mittleres zwischen positiv bestimmten Existenzen, die sich nicht wie Sein und Nichtsein, sondern wie Sosein und Anderssein zu einander verhalten; derartige Uebergänge aber werden durch das Gesetz des zwischen der Bejahung und Verneinung des Nämlichen ausgeschlossenen Dritten nicht mit ausgeschlossen: das Graue ist nicht ein Mittleres zwischen dem Weissen und Nichtweissen, sondern zwischen dem Weissen und Schwarzen, gehört aber ebensowohl, wie das Schwarze, zum Nichtweissen; der gemischte Charakter ist nicht ein mittlerer zwischen dem guten und nicht-guten, sondern zwischen dem guten und bösen, gehört aber selbst zu den nicht-guten Charakteren. So ist auch die stufenweise Entwickelung der Erkenntniss und allmähliche Annäherung an die volle Wahrheit durch jenen Grundsatz nicht ausgeschlossen. Parteiansichten, die einander als conträre Gegensätze

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