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§ 75. Principien des Schliessens sind die Grundsätze der Identität und Einstimmigkeit, der contradictorischen Disjunction (oder des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten) und des zureichenden Grundes. Auf dem ersten beruht die Ableitung eines Urtheils aus einem Begriff, auf dem ersten und zweiten die Ableitung eines Urtheils aus einem Urtheil, auf dem ersten, zweiten und dritten die Ableitung eines Urtheils aus mehreren Urtheilen.

Die Logik betrachtet diese Principien als Normen unseres (erkennenden) Denkens. Inwiefern aber dieselben so einfach und in ihrer Anwendung einleuchtend seien, dass sie bei klarem Denken gar nicht verletzt werden können und in diesem Sinne etwa auch die Eigenschaft von Naturgesetzen für unser Denken gewinnen, oder inwiefern nicht; dies ist nicht mehr eine logische, sondern eine psychologische Frage.

Aristoteles stellt jene Sätze nicht an die Spitze der Logik, sondern trägt dieselben, soweit er sie überhaupt in wissenschaftlicher Form aufstellt, theils nur gelegentlich als Normen der Schlussbildung, theils und besonders in der Metaphys. (III, 3. 1005 b. 19) vor, wo ihm der Satz des Widerspruchs als πασῶν βεβαιοτάτη αρχή gilt. Leibniz (Monadol. § 31) hält dieselben für die Principien unserer Schlüsse (raisonnements). Wolff verfährt wie Aristoteles. Daries und Reimarus sind die Ersten. welche in einzelnen von jenen Sätzen das Princip der Logik finden. Reimarus setzt (Vernunftlehre, § 15) das Wesen der Vernunft in die Kraft, nach den beiden Regeln der Einstimmung und des Widerspruchs über die vorgestellten Dinge zu reflectiren, hält aber dafür, dass durch den richtigen Gebrauch der Vernunft die Erkenntniss der Wahrheit zu gewinnen sei. Er definirt die Vernunftlehre als eine Wissenschaft von dem rechten Gebrauche der Vernunft in der Erkenntniss der Wahrheit (a. a. O. § 3), die »Wahrheit im Denken aber als die Uebereinstimmung unserer Gedanken mit den Dingen, woran wir gedenken (a. a. O. § 17), und sucht den Satz zu beweisen: »wenn wir nach den Regeln der Einstimmung und des Widerspruchs denken, so müssen auch unsere Gedanken mit den Dingen selbst übereinstimmen oder wahr gedacht sein; eben diese Regeln sind zureichend, alle Wahrheit und Richtigkeit aller unserer Gedanken auszumachen<< (a. a. O. § 17 ff.). Kant dagegen reducirt die formale Logik auf die Lehre von den Gesetzen, die aus dem Princip der Identität und des Widerspruchs herfliessen, in dem Sinne, dass durch die Befolgung derselben die Uebereinstimmung des Denkens mit sich selbst oder die Widerspruchslosigkeit erzielt werden soll, unter Verzicht auf die von ihm für unmöglich gehaltene Uebereinstimmung des Erkenntnissinhalts mit dem wirklichen Sein oder den Dingen an sich. Mit Recht bemerkt Fries (System der Logik, § 41), dass jene Grundsätze nicht an die Spitze der ganzen Logik gesetzt werden dürfen, da sie

erst dann in ihrer wahren Bedeutung verstanden werden können, wenn man die Form der Begriffe und das Verhältniss von Subject und Prädicat im Urtheil schon kennen gelernt habe. In der That sind dieselben, da sie das Verhältniss mehrerer Urtheile zu einander betreffen, erst bei der Schlusslehre von bestimmendem Einfluss. An die Spitze der gesammten Logik stellt Delboeuf (Log. S. 91 sqq., 104 sqq., 113 sqq., 130 sqq.) drei Sätze, die bei ihm die obigen zum Theil vertreten. Diese Sätze sind: 1. On peut conclure de la représentation des phénomènes aux phénomènes eux-mêmes; 2. on peut poser comme identiques les résultats de l'abstraction des différences; 3. l'enchaînement logique des idées correspond à l'enchaînement réel des choses. Er leitet dieselben aus dem postulat primitif de la raison ab: »que la certitude est possible, und zwar durch folgende Argumentation: Soll es Gewissheit geben, so muss es Wahrheit geben; soll es Wahrheit geben, so müssen unsere Vorstellungen wahr sein können; sollen diese wahr sein können, so muss: 1. der Geist im Stande sein, sich die Erscheinungen so, wie sie sind, vorzustellen, 2. müssen die Ursachen, welche die Erscheinungen bewirken, mit sich selbst identisch bleiben in den verschiedenen Verbindungen, in welche sie eingehen, 3. muss die logische Kraft der Deduction auch der Wirklichkeit entsprechen, die geistige Analyse ein treues (obschon umgekehrtes) Abbild der reellen Synthese sein. Vermöge des ersten Princips gehen wir, sagt Delboeuf, von der Vorstellung zur Wirklichkeit, vermöge des zweiten von der vorgestellten Identität zur wirklichen Identität, vermöge des dritten von der vorgestellten Verknüpfung (connexion) zu der wirklichen Verknüpfung. Die Bürgschaft für die Uebereinstimmung eines Gedankens mit der Wirklichkeit findet Delboeuf in der durchgängigen logischen Harmonie bei den Operationen: observation, conjecture, véri fication (S. 85). In diesem Sinne verstanden, coincidirt das erste jener drei Principien mit dem Princip des vorliegenden Systems der Logik und einer jeden Logik, die eine Erkenntnisslehre sein will, dass nämlich die Uebereinstimmung der Gedanken mit der objectiven Wirklichkeit dem Menschen durch Befolgung der Gesammtheit der logischen Normen erreichbar und gesichert sei (s. oben § 3). Das zweite Princip geht insbesondere auf den Process der Abstraction (s. oben § 51). Von dem dritten Princip erkennt Delboeuf an, dass es den Schlüssen (raisonnements) zum Grunde liege (vgl. unten § 81). Delboeuf stellt diesen drei Sätzen, die er als »principes réels bezeichnet, und deren beiden ersten er das Princip der Identität, deren letztem er das des zureichenden Grundes correspondiren lässt, noch als principes formels den Satz des Widerspruchs und den des ausgeschlossenen Dritten zur Seite (Log. S. 165 ff.).

§ 76. Der Grundsatz der Identität (principium identitatis) pflegt dahin ausgesprochen zu werden: A ist A, d. h. ein Jedes ist, was es ist, oder: omne subiectum est praedicatum sui; und der damit verwandte Grundsatz der

Einstimmigkeit (principium convenientiae) dahin: A, welches B ist, ist B, d. h. ein jedes Merkmal, welches im Subjectsbegriffe liegt, kann demselben als Prädicat beigelegt werden. Der Grund der Wahrheit dieses Satzes liegt darin, dass das im Inhalte des Begriffs vorgestellte Merkmal dem durch eben diesen Begriff vorgestellten Gegenstande inhärirt, das Inhärenzverhältniss aber durch das prädicative repräsentirt wird. Der Satz: non-A ist non-A, ist nur eine Anwendung des Grundsatzes der Identität auf einen negativen Begriff, nicht ein neuer Grundsatz, und ebenso ist der Satz: A, welches non-B ist, ist non-B, nur eine Anwendung des Grundsatzes der Einstimmigkeit. Die letztere Formel begründet den Uebergang zu der Anwendung desselben Gedankens auf negative Urtheile in dem Satze der Negation (principium negationis): A, welches nicht B ist, ist nicht B. In einem erweiterten Sinne kann der Satz der Identität auf die Uebereinstimmung aller Erkenntnisse unter einander als die (nothwendige, obschon nicht zureichende) Bedingung ihrer Uebereinstimmung mit der Wirklichkeit bezogen werden.

Der Satz der Identität hat nicht, wie Einige meinen, irgend einen Scholastiker (wie etwa den von Polz und nach diesem auch von Bachmann u. A. angeführten Scotisten Antonius Andreä, der die Formel aufstellte: ens est ens), noch weniger aber erst einen modernen Logiker, sondern den Eleaten Parmenides zum Urheber. Dieser spricht denselben in der einfachsten Form dahin aus: čor (Parm. fragm. ed. Mullach vs. 35; 58), ferner: χρὴ τὸ λέγειν τε νοεῖν τ' ἐὸν ἔμμεναι oportet hoc dicere et cogitare: id quod sit, esse (vs. 43), und čoti yào ɛivai (vs. 43). Vgl. oben § 11. Den Gegensatz zwischen der Heraklitischen Ansicht, dass ein Jegliches zugleich sei und auch nicht sei und alles fliesse, und der Parmenideischen Ansicht, dass nur das Sein sei, das Nichtsein aber nicht sei und alles beharre, sucht Plato durch seine Unterscheidung der unwandelbaren Welt des Seins oder der Ideen, deren jede ein stets mit sich selbst gleiches Wesen, tale, quale est, άeì xarà ravτà or (Tim. p. 27 u. ö.) sei, und der wandelbaren Welt des Werdens oder der sinnlichen Dinge zu lösen: das Wissen oder die wahre Erkenntniss geht auf das Sein und besteht darin, dass das Seiende als seiend erkannt wird. Rep. V, p. 477 В: oùxovv Eriorýμn μὲν ἐπὶ τῷ ὄντι πέφυκε γνῶναι ὡς ἔστι τὸ ὄν; p. 478 Α: ἐπιστήμη μὲν γέ που ἐπὶ τῷ ὄντι (πέφυκε) τὸ ὂν γνῶναι ὡς ἔχει. Vgl. Cratyl. 385 Β: λόγος ὃς ἂν τὰ ὄντα λέγῃ ὡς ἔστιν ἀληθής, ὃς δ ̓ ἂν ὡς οὐκ ἔστι, euds. Die Annahme, dass die blosse Uebereinstimmung der Vorstellungen unter einander ein Kriterium ihrer Wahrheit sei, wird von

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Plato (Cratyl. p. 436 C, D) ausdrücklich verworfen. Aristoteles definirt Metaph. III, 7. 1011 b. 26: τὸ μὲν γὰρ λέγειν, τὸ ὂν μὴ εἶναι ἢ τὸ μὴ ὂν εἶναι, ψεῦδος· τὸ δὲ, τὸ ὂν εἶναι καὶ τὸ μὴ ὂν μὴ εἶναι, ἀληθές. Metaph. VIII, 10. 1051 b. 3: ἀληθεύει μὲν ὁ τὸ διηρημένον οιόμενος διαιρεῖσθαι καὶ τὸ συγκείμενον συγκεῖσθαι· ἔψευσται δὲ ὁ ἐναντίως ἔχων ἢ τὰ πράγματα. Wenn Aristoteles (Anal. pri. I, 32. 47 a. 8; cf. Eth. Nicom. I, 8. 1098 b. 11) von der Wahrheit auch durchgängige Uebereinstimmung mit sich selbst verlangt: δεῖ γὰρ πᾶν τὸ ἀληθὲς αὐτὸ ἑαυτῷ ὁμολογούμενον εἶναι πάντη so geht dies doch nicht auf die blosse tautologische Einheit, welche der Grundsatz der Identität nach seinem engeren Sinne fordert, sondern auch auf die Uebereinstimmung der Folgen mit den Gründen; das als nothwendig Deducirte findet sich bei der Analyse des Gegebenen auch thatsächlich bestätigt. In den Erörterungen des Arist. de interpret. c. 11 über die Setzung von Inhaltsbestandtheilen des Begriffs als Prädicaten liegt der Satz der Identität in dem im Texte des Paragraphen bezeichneten Sinne. Leibniz (Nouv. ess. IV, 2, § 1) stellt als erste affirmative Vernunftwahrheit oder als erste identische Wahrheit den Satz auf: chaque chose est ce qu'elle est, oder: A est A. In ähnlicher Art betrachtet Wolff (Log. § 270) als allgemeinstes identisches Urtheil den Grundsatz: idem ens est illud ipsum ens, quod est, seu omne A est A. Der Wolffianer Baumgarten (Metaph. 1739, § 11) gebraucht die Formel: omne possibile A est A, seu quidquid est, illud est, seu omne subiectum est praedicatum sui, und nennt diesen Grundsatz principium positionis seu identitatis«. Der Wolffianer Polz (Fasc. comm. metaph. 1757, p. 21; 26; 28; 39) findet das absolut erste Princip in dem Satze: idem sibimet ipsi est idem. Der Satz galt in der Wolffischen Schule im Allgemeinen nicht als logisches, sondern vielmehr als metaphysisches Princip. Der Eklektiker Daries (Vernunftkunst, 1731, § 1) stellte zuerst den Satz des Widerspruchs, und Reimarus (Vernunftlehre, 1756, § 14) die Regel der Einstimmung (principium identitatis)< unter der Formel: ein jedes Ding ist das, was es ist, oder ist mit sich selbst einerlei oder sich selbst ähnlich und gleich, zugleich mit der Regel des Widerspruchs« als oberstes Princip an die Spitze der Logik. Noch weiter ging in dieser Richtung die subjectivistisch-formale Logik, wie sie sich in Folge der Kantischen Verzweiflung an der Erkennbarkeit des wirklichen Seins gestaltete. Dieselbe betrachtet statt der Uebereinstimmung mit dem Sein (welche noch Wolff und Reimarus gefordert und durch logisches Denken erreichen zu können geglaubt hatten) die blosse Uebereinstimmung des Denkens mit sich selbst oder der Gedanken unter einander als das Wesen der logischen Wahrheit und erhebt demgemäss den Grundsatz der Identität und der Einstimmigkeit in jener tautologischen Form: A A, oder: alles ist mit sich selbst identisch, zum allbeherrschenden Princip des Systems der Logik. Aber als tautologischer Satz ist die Formel: A A nichtssagend, und keineswegs die nothwendige positive Ergänzung zu dem Satze des Widerspruchs. Denn dass der einmal als wahr anerkannte Gedanke

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nicht durch einen widersprechenden wieder aufgehoben werde, ist eine berechtigte logische Anforderung; dass er aber sich selbst gleich und also immer wieder wahr sei, ist eine überflüssige Bemerkung. Schelling (Phil. Schr. I, S. 407) erkennt die Unzulänglichkeit dieses Grundsatzes für eine wissenschaftliche Logik, und macht mit Recht darauf aufmerksam, dass selbst identisch lautende Sätze ihrem Sinne nach über das blosse analytische Princip: A = A hinausgehen. Dem Grundsatze der Identität in seiner gewöhnlichen Form setzt Hegel (Log. I, 2, S. 32 ff.; Encycl. § 115) die richtige Bemerkung entgegen, dass kein Bewusstsein nach diesem Gesetze denke, noch vorstelle, noch spreche, vielmehr das Sprechen nach demselben (eine Pflanze ist - eine Pflanze; der Planet ist ein Planet etc.) für albern gelten würde. Schleiermacher (Dial. § 112) meint, dass der Satz, um nicht leer zu sein, entweder auf Identität des Subjectes als Bedingung des Wissens oder auf Identität des Gedachten und des Seins als Form des Wissens gedeutet werden müsse. Die Deutung einiger neueren Logiker auf die feste und sich selbst gleiche Natur der menschlichen und insbesondere der begrifflichen Erkenntniss (Weisse, über die philos. Bedeutung des Grundsatzes der Identität, in Fichte's Zeitschrift für Philosophie u. spec. Theol. 1839, IV, 1, S. 1 ff.; I. H. Fichte de principiorum contradictionis, identitatis, exclusi tertii in logicis dignitate et ordine dissertatio, 1840, S. 10 ff.; S. 26), wobei auch der Satz des Widerspruchs nur als die negative Form desselben Princips aufgefasst wird, möchte sich allzusehr von derjenigen Bedeutung und Anwendung entfernen, welche diesen Sätzen in der Logik und insbesondere in der Schluss- und Beweislehre seit Aristoteles mit Recht zuerkannt wird; auch hat die Lehre vom Begriff bereits ein anderes metaphysisches Princip, nämlich in der Lehre vom Wesen, dessen Bedeutung durch die blosse beharrliche Identität mit sich selbst keineswegs erschöpft wird. S. oben § 56. Wenn freilich davon ausgegangen wird, dass der Satz das Princip der gesammten Logik enthalten müsse, so ist eine Umdeutung in entsprechendem Sinne nothwendig; es muss dann die Forderung hineingelegt werden, dass die Erkenntniss überhaupt wahr sein, d. h. mit dem Sein übereinstimmen solle. Aber warum sollte diese Forderung nicht lieber vermittelst des adäquaten Ausdrucks: Idee der Wahrheit bestimmt bezeichnet, als unter der vieldeutigen Formel: A = A verhüllt werden? Delboeuf will den Satz der Identität entweder auf die Forderung gedeutet wissen, dass jedes Urtheil wahr, d. h. mit der Wirklichkeit in Uebereinstimmung sei (welche Deutung in der ersten Auflage der vorliegenden Schrift gegeben wurde), oder auf das erste oder zweite seiner drei logischen Principien (s. oben zu § 75).

Sigwart in seiner Logik Bd. 1. Th. 1. Abschn. 2. § 14 Die objective Gültigkeit des Urtheils und das Princip der Identität S. 77 u. ff. möchte es zutreffender finden, von dem Principe der Uebereinstimmung zu reden, nach welchem ein Urtheil darum objectiv gültig ist, weil es nothwendig ist Uebereinstimmendes in Eins zu setzen. Was

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