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Fünfter Theil.

Der Schluss in seiner Beziehung zu der objectiven Gesetzmässigkeit.

§ 74. Der Schluss (ratio, ratiocinatio, ratiocinium, discursus, ovoyouós) im weitesten Sinne ist die Ableitung eines Urtheils aus irgend welchen gegebenen Elementen. Die Ableitung aus einem einzelnen Begriff, wie auch aus einem einzelnen Urtheil ist der unmittelbare Schluss oder die (unmittelbare) Folgerung (consequentia immediata), die Ableitung aus mindestens zwei Urtheilen der mittelbare Schluss oder der Schluss im engeren Sinne (consequentia mediata).

Wie die Vorstellung auf die Einzelexistenz und auf das, was an ihr zu unterscheiden ist, und der Begriff auf das Wesentliche geht, so gehen das Urtheil und der Schluss auf die Verhältnisse der Einzelexistenzen zu einander, und zwar das Urtheil auf die ersten und nächsten Verhältnisse, das einfache Urtheil auf ein einzelnes Grundverhältniss, das zusammengesetzte Urtheil auf ein Zusammentreten mehrerer, der Schluss aber auf eine solche Wiederholung gleichartiger oder auch verschiedenartiger Verhältnisse, woraus sich eine neue Beziehung ergiebt. Die Möglichkeit der Schlussbildung und ihrer objectiven Gültigkeit beruht, wie unten näher zu erweisen ist, auf der Voraussetzung eines realen gesetzmässigen Zusammenhangs. Doch gilt dies nur von dem mittelbaren Schluss, da der unmittelbare eine blosse Umbildung der subjectiven Form des Gedankens und des Ausdrucks ist.

>Ableiten heisst: auf Grund eines Andern annehmen, so dass die Annahme der Gültigkeit des Einen (des Abgeleiteten) von der Annahme der Gültigkeit des Andern (woraus abgeleitet wird) abhängig ist, d. h. darum und insofern stattfindet, weil und inwiefern die letztere statthat.

Die Unmittelbarkeit bei dem sogenannten unmittelbaren Schliessen ist eine relative (indem es dabei nicht, wie bei dem »mittelbaren Schliessen der Hinzunahme eines zweiten gegebenen Elementes

zu dem ersten bedarf, sondern sofort aus diesem selbst das abgeleitete Urtheil sich ergiebt); es besteht nicht eine Unmittelbarkeit in dem volleren Sinne, dass es, um das abgeleitete Urtheil zu gewinnen, nicht einer Denkthätigkeit bedürfte. Da aber doch der jetzt traditionelle

Terminus im relativen Sinne gültig ist, so möchte eine Verwerfung desselben nicht rathsam sein. Ist eine Aenderung der Terminologie nicht unbedingt erforderlich, so ist sie vom Uebel, da sie das gegenseitige Verständniss erschwert und zu Irrungen Anlass giebt.

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Bei Plato findet sich συλλογίζεσθαι und συλλογισμός noch nicht im Sinne der späteren logischen Terminologie, sondern nur in der weiteren und unbestimmteren Bedeutung: aus mehreren Daten gleichsam zusammenrechnend das Resultat ziehen, und zwar vorwiegend: aus dem Besondern das Allgemeine ermitteln (Theaet. 186 D; cf. Phileb. 41 C). Aristoteles definirt (Anal. pri. I, 1. 24 b. 18): oulloɣioμòs δέ ἐστι λόγος, ἐν ᾧ τεθέντων τινῶν ἕτερόν τι τῶν κειμένων ἐξ ἀνάγκης συμβαίνει τῷ ταῦτα εἶναι. Diese Definition wird von Aristoteles nicht auf den unmittelbaren Schluss mitbezogen, umfasst aber die beiden Arten, in welche der mittelbare Schluss zerfällt, nämlich den Schluss aus dem Allgemeinen auf das Besondere und den Schluss vom Besondern auf das Allgemeine. In diesem Sinne wird von Aristoteles unterschieden: ὁ διὰ τοῦ μέσου συλλογισμός und ὁ διὰ τῆς ἐπαγωγῆς oder ó 15 Inaywyns ovλloyioμós (Anal. pri. II, 23. 68 b). Der Syllogismus im engeren Sinne aber ist der Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere: in diesem Sinne sagt Aristoteles (das. 68 b. 13): тóлov tivà ἀντίκειται ἡ ἐπαγωγὴ τῷ συλλογισμῷ. — ἅπαντα πιστεύομεν ἢ διὰ συλλογισμοῦ ἢ ἐξ ἐπαγωγῆς. Im Anschluss an Aristoteles und gleich wie dieser nur auf den mittelbaren Schluss Bezug nehmend, definirt Wolff (Log. § 50; § 332): est ratiocinatio operatio mentis, qua ex duabus propositionibus terminum communem habentibus formatur tertia, combinando terminos in utraque diversos; syllogismus est oratio, qua ratiocinium (seu discursus) distincte proponitur. Kant (Kritik der r. Vern. S. 360; Log. § 41 ff.) definirt den Schluss als die Ableitung eines Urtheils aus dem anderen. Dieselbe geschieht entweder ohne ein vermittelndes Urtheil (iudicium intermedium) oder mit Hülfe eines solchen; hierauf gründet sich der Unterschied des unmittelbaren und des mittelbaren Schlusses; jenen nennt Kant auch Verstandesschluss, diesen Vernunftschluss. Hegel (Log. II, S. 118 ff.; Encycl. § 181) sieht in dem Schluss die Wiederherstellung des Begriffs im Urtheil, die Einheit und Wahrheit des Begriffs und des Urtheils, die einfache Identität, in welche die Formunterschiede des Urtheils zurückgegangen sind, das Ziel, zu welchem das Urtheil in seinen verschiedenen Arten sich stufenweise fortbestimmt, das Allgemeine, das durch die Besonderheit mit der Einzelnheit zusammengeschlossen ist. Der Schluss gilt ihm als der wesentliche Grund alles Wahren, als das Vernünftige und alles Vernünftige als der Kreislauf der Vermittelung der Begriffsmomente des Wirklichen. Hegel identificirt demnach auch hier wiederum das logische und das metaphysische Verhältniss oder die Form der Erkennt

niss und Existenz. Schleiermacher (Dial. S. 268) bestimmt den Schluss als die Herleitung eines Urtheils aus einem anderen vermittelst eines Mittelsatzes. Er erkennt den Schluss nicht als eine selbständige dritte Form neben Begriff und Urtheil an und gesteht ihm nicht ein eigenthümliches reales Correlat zu; er glaubt demgemäss auch, derselbe habe keinen wissenschaftlichen Werth für die Erzeugung neuer Erkenntniss, sondern nur didaktischen für die Ueberlieferung der schon bestehenden Erkenntniss. Wir halten diese Ansicht für irrig und werden unten (§ 101) das reale Correlat des Schlusses und seine Bedeutung als Erkenntnissform nachzuweisen suchen.

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Trendelenburg in seinen logischen Untersuchungen 3. Aufl. Bd. 2. XIII. S. 331 bemerkt: »Die Schlüsse werden in mittelbare und unmittelbare unterschieden. Die letzteren bedürfen keines neuen Begriffes, um aus einem Urtheil ein neues zu erzeugen, sondern begründen aus der blossen Form eines Urtheils ein anderes. Es wird auf diesem Wege kein eigentlich neuer Inhalt des Urtheils gewonnen, sondern nur für einen vorliegenden Zweck eine bestimmtere Beziehung. Dabei handelt es sich nur darum, was mit dem gefällten Urtheil zugleich mit ausgesprochen ist. Und S. 341: »Von den unmittelbaren Schlüssen unterscheiden sich die mittelbaren, die durch das Zwischenglied eines eigenen Begriffes geschehen. Sie bilden den Syllogismus im engeren Sinne.< Dieser mittelbare Schluss so wird weiter S. 388 bemerkt sei mehr als eine subjective Function, und bleibe nicht ohne reales Gegenbild. » Was im Realen der Grund ist, das ist im Logischen der Mittelbegriff des Schlusses. Und S. 390: Wenn aber der Mittelbegriff dem hervorbringenden Grund entspricht, so vollendet sich der Syllogismus. In dieser Bedeutung ist er ein Schluss des Wesens zur Erscheinung, wie die Induction ein Schluss der Erscheinungen zum Wesen. Wie sich das Wesen in die Erscheinungen ergiesst und darin bestätigt, so ist die Induction auch von dieser Seite ein Gegenstück des Syllogismus.<< - Trendelenburg sucht ferner darzuthun, dass der Schluss der Induction als Schluss der Erfahrung in Beziehung stehe zum Schlusse der zweiten Figur, in dem die vollständigen Einzelnen als solche die vermittelnde Mitte bilden, während der Schluss der Analogie die dritte Figur des unmittelbaren Schlusses zu seinem abstracten Schema habe, sofern die Mitte der Analogie ein Einzelnes sei, aber im Sinne seiner wesentlichen Allgemeinheit, während ein anderes Einzelnes Extrem sei, welches mit jenem dieselbe allgemeine Natur habe (das. S. 363). In diesem Verhältniss soll dann der Ausgleich des bemerkbaren Mangels des Syllogismus gesucht werden, dass der allgemeine Obersatz bereits den Schlusssatz umfasst, den er erst erzeugen will, und den er, um wahr zu sein, selbst voraussetzt (das. S. 394 u. 362). Trendelenburg will also aristotelisch den Schluss der Deduction (den sogen. eigentl. Schluss) und den Schluss der Induction und Analogie unter einem allgemeineren Gesichtspunkt zusammenfassen.

Auf das Gleiche scheinen im Wesentlichen die Betrachtungen Lotze's in s. Syst. der Philos. Bd. 1. Logik. Cap. 3. A. Der Schluss

durch Subsumtion, durch Induction, durch Analogie S. 122 u. ff. — hinauszulaufen, nur werden einseitiger die Aristotelischen Syllogismen, sämmtlich auf die unbestimmte Einordnung eines Begriffes in den Umfang eines andern gebaut, unter dem Namen des Schlusses durch Subsumtion zusammengefasst. Von den so begrenzten Aristotelischen Syllogismen bemerkt Lotze, dass sie die gegebene Aufgabe nicht lösen könnten. Die logischen Wahrheiten, deren sich das Denken in seiner Behandlung des Vorstellungsinhalts nach und nach bewusst geworden sei, habe das disjunctive Urtheil vorläufig dahin zusammengefasst, jedem S, welches eine Art von M sei, komme von jedem der allgemeinen Prädicate des M eine besondere Modification mit Ausschluss aller übrigen als sein Prädicat zu. Die zu lösende Aufgabe sei nun die Auffindung der Denkhandlungen, durch welche dies geforderte eigenthümliche Merkmal für ein gegebenes S bestimmbar würde. Lotze's Ansicht scheint nun dahin zu gehen, dass weder der Schluss der Subsumtion, noch der Schluss der Induction, noch der Schluss durch Analogie diese Aufgabe vollständig löse. Die allgemeine Aufgabe jedes Schlussverfahrens bestehe naturgemäss darin, aus gegebenen Datis oder Prämissen so viel neue Wahrheit zu entwickeln als möglich; wie dies geschehe, sei an sich völlig gleichgültig; das Verfahren werde sich nach der Gestalt der Prämissen richten, die wir nehmen müssten, wie sie uns die Erfahrung innere und äussere darbiete. Was so das natürliche Denken allenthalben wirklich ausübt, das will Lotze durch neue logische Formen auch für die Theorie dieses Thuns festzustellen suchen, indem er die Gesetze mathematischer Folgerungen, und ebenso die Gesetze der systematischen Formen der Classification, der erklärenden Theorie und des dialektischen Ideals des Denkens aufsucht.

Sigwart, nachdem er in s. Logik Bd. 1. Th. 2. Abschn. 2. Die Wahrheit der unmittelbaren Urtheile dargethan hat, dass die Urtheile, welche wir vom natürlichen Denken ausgehend für unmittelbare halten mussten, doch, sofern ein Grund ihrer Gewissheit verlangt werden muss, sich bereits müssen als nothwendige Folgen eines allgemeinen Gesetzes darstellen lassen, die analytischen als Folgen des Grundsatzes der Uebereinstimmung, die Wahrnehmungsurtheile als Folgen der Gesetze, nach welchen wir aus subjectiven Assertionen die Ueberzeugung realer Dinge gewinnen, bespricht dann im Abschn. 3 die Begründung der vermittelten Urtheile durch die Regeln des Schlusses. In beiden Abschnitten hat nach § 39. 5. S. 269 die Untersuchung die Regeln aufzustellen, nach denen ein Urtheil mit Nothwendigkeit aus seinen Voraussetzungen hervorgeht, da die Bedingung der logischen Nothwendigkeit und Allgemeingültigkeit der Urtheile ist, dass sie begründet sind. Das logische Schliessen will Sigwart ausdrücklich unterschieden sehen von dem Folgern oder Schliessen im psychologischen Sinne, welches überall da stattfinde, wo wir zu dem Glauben an die Wahrheit eines Urtheils nicht unmittelbar durch die in ihm verknüpften Subjects- und Prädicatsvorstellungen, sondern durch den Glauben an die Wahrheit eines oder mehrerer anderer Urtheile be

stimmt würden. Der Motive, welche psychologisch diesen Glauben herbeiführen, seien mancherlei, und es geschehe häufig, dass die Vermittlung, welche die Gewissheit eines Urtheils aus der Gewissheit eines andern ableite, nicht einmal deutlich zum Bewusstsein komme. Die logische Theorie habe nun aber zu fragen, unter welchen Bedingungen Schliessen gültig sei; d. h. da jeder Schluss die Behauptung enthält, dass ein Urtheil (die Conclusion, der Schlusssatz) wahr sei, weil ein oder mehrere andere Urtheile (die Prämissen) wahr seien, habe sie die logische Nothwendigkeit dieser Behauptung zu untersuchen, dass die Conclusion durch die Prämissen begründet sei. Wenn nun ein gültiges Urtheil A gegeben sei, so sei so viel klar, dass es ein davon verschiedenes Urtheil X nur dann sicher begründen könne, wenn der allgemeingültige Satz bestehe: Wenn A gilt, so gilt X; denn dieses hypothetische Urtheil drücke ja eben gar nichts anderes aus, als dass X nothwendige Folge von A sei, und wer A annehme, auch B annehmen müsse. Ohne eine solche Regel aber gebe es keine Folgerung. Jede Gewissheit eines Schlusses von A auf X sei also von der Gewissheit dieser hypothetischen Regel abhängig. Darum sei das allgemeinste Schema alles und jedes Folgerns der sogenannte gemischte hypothetische Schluss. Nach Sigwart's Ansicht wird also der Schluss wesentlich betrachtet als fortgesetzte Urtheilsbildung, sofern durch dieselbe Gewissheit erlangt wird, und werden demgemäss auch im Bd. 2. Th. 3 die Methoden der Urtheilsbildung im Zusammenhange betrachtet, im Abschn. 3 als diverse Methoden der Urtheilsbildung Deduction und Beweis mit ihren Voraussetzungen, dann Abschn. 4 die methodischen Principien der Bildung der Wahrnehmungsurtheile und Abschn. 5 das Inductionsverfahren als Methode der Gewinnung allgemeiner Sätze aus einzelnen Wahrnehmungen.

Schon diese ungewöhnliche Art der Behandlung und Anordnung mag zum Theil bei Wundt und Bergmann die Missverständnisse hervorgerufen haben in der Beurtheilung der Schlusslehre Sigwart's, die dann Sigwart in beiden Artikeln: Logische Fragen in d. Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. Bd. 4 u. 5 zu berichtigen gesucht hat. In der Hauptsache bleibt aber als Differenz in der Auffassung des Schlusses zwischen Sigwart und Wundt das bestehen, dass Wundt die Beschränkung des Terminus Schluss auf die Folgerungen, bei denen aus gegebenen Urtheilen ein neues mit Nothwendigkeit hervorgeht, aufheben und den Begriff des Schliessens so erweitern will, dass mit dem Namen des Schliessens oder Folgerns jede Gedankenverbindung zu belegen ist, durch welche aus gegebenen Urtheilen neue Urtheile hervorgehen, dass somit auch die Folgerungen, die zu einem bloss wahrscheinlichen Ergebnisse führen, darunter fallen. Im Uebrigen stellt aber auch nach Wundt der Vorgang der Schlussfolgerung sich dar als eine Erweiterung des Urtheils processes, insofern jeder Schluss aus einer Verbindung selbständiger, aber unter einander durch gemeinsame Begriffe zusammenhängender Urtheile besteht (siehe Wundt Logik. Bd. 1. Abschn. 4. Cap. 1. S. 770).

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