Page images
PDF
EPUB

in irgend welche räumlich-zeitliche Formen zu fassen; aber es würde jeder besondere Stoff zu jeder besonderen Form beziehungslos sein und mithin, ohne eine reale Veränderung erlitten zu haben, auch in anderer Form wahrgenommen werden können, als worin er wirklich erscheint. Allein in der That fühlen wir uns bei der Wahrnehmung jedesmal an die Verbindung bestimmter Formen mit bestimmten Stoffen gebunden. Dazu kommt, dass die neuere Physik und Physiologie, indem sie Ton, Wärme und Farbe auf die Perception von Schwingungen der Luft und des Aethers, Geruch und Geschmack auf die Perception gewisser mit chemischen Vorgängen verbundenen Bewegungen zurückführt, eben hierdurch die Abhängigkeit des Wahrnehmungsinhaltes von Bewegungen, also von Veränderungen der räumlich - zeitlichen Formen darthut, wodurch die Ansicht unmöglich wird, dass, indem jener Inhalt auf Affectionen beruhe, die wir von aussen her erleiden, doch zugleich diese Formen aus dem wahrnehmenden Subjecte allein herstammen und nicht durch die dasselbe afficirende Aussenwelt bedingt seien.

Die hier bekämpfte Ansicht ist diejenige, welche Kant (Krit. der r. Vern. Elementarl. I. Theil: transscendentale Aesthetik) aufgestellt hat. Die von Locke sogenannten »primären Qualitäten, welche dieser für objectiv hielt, erklärt Kant für rein subjectiv. Der berechtigte Gedanke, dass in der Wahrnehmung ein subjectives und ein objectives Element zu unterscheiden sei, nahm eine höchst unglückliche und ganz von der Wahrheit ablenkende Wendung, indem Kant jenes Element die Form, dieses den Inhalt oder Stoff der Wahrnehmung nannte und die Form näher als die Räumlichkeit und Zeitlichkeit bestimmte. Nach Kant sollen die Empfindungsqualitäten, wie blau, grün, süss etc., zwar als solche nur subjectiv sein, aber doch auf bestimmten äusseren Affectionen beruhen, die eben ihre jedesmalige Bestimmtheit bedingen, und diese Lehre (die später von Joh. Müller zu der Lehre von den specifischen Sinnesenergien fortgebildet worden ist) ist untadelhaft; die räumlich-zeitliche Form dagegen soll etwas rein Subjectives, weil Apriorisches, sein, und doch ist es durchaus unzulässig, den räumlichen nicht mindestens das gleiche Maass objectiver Bedingtheit zuzugestehen, welches den Empfindungsqualitäten zugestanden wird, weil diese, wie die Physik zeigt, auf bestimmten Bewegungen beruhen. Uebrigens liegt in Kant's Lehre von den räumlichen (und zeitlichen) Formen etwas Schwankendes, sofern einerseits (worauf unsere obige Angabe fusst) dieselben auch in ihrer jedesmaligen Bestimmtheit aus dem Subject allein stammen müssen, welches nur einen noch durchaus ungeordneten Stoff vor

finden darf, um denselben ausschliesslich nach seinen apriorischen Formen ordnen zu können, andererseits aber doch die einzelnen bestimmten Formen und sogar die speciellen Naturgesetze empirisch gegeben sein sollen und daher ihre jedesmalige Bestimmtheit doch nicht aus dem Subject allein stammen kann, sondern auf der Art beruhen muss, wie jedesmal das Subject seitens der Dinge an sich vermöge deren eigenen Ordnung afficirt wird. Die Unhaltbarkeit jener Trennung erkennend erklärte Fichte sowohl den Stoff, als die Form der Wahrnehmung für bloss subjectiv, Schelling und Hegel für zugleich subjectiv und objectiv. Herbart unterwirft die Kantische Ansicht einer eingehenden Kritik (Einl. in die Philosophie § 127; Psychol. als Wissenschaft, in Herb. sämmtlichen Werken V, S. 504 ff.). Ueber die Sinnesreize als Schwingungen der Materie s. besonders Joh. Müller, Physiologie, 4. Aufl., Bd. I, S. 667 ff.; Bd. II, S. 249 ff.; vgl. George, die fünf Sinne, S. 27-42: Maximilian Jacobi, Natur- und Geistesleben, S. 1-34; Lotze, medicinische Psychologie, 1852, S. 174 ff., Mikrokosmus, Bd. I, 1856, S. 374 ff., 2 Aufl., 1869, Bd. I, S. 386 ff.; Helmholtz, über die Natur der menschlichen Sinnesempfindungen, 1852, S. 20 ff. (wo der Unterschied der Sinnesempfindungen von den sie veranlassenden Schwingungsverhältnissen hervorgehoben und mit Recht den Sinnen » Dank gezollt wird, dass sie aus jenen die Farben, die Töne etc. »hervorzaubern und uns ihre Nachrichten von der Aussenwelt durch die Empfindungen als durch »Symbole« überbringen); Helmholtz, über das Sehen des Menschen, Leipzig 1855, insbes. auch s. Handb. d. physiol. Optik, Leipz. 1867. Abschn. 3 und ebenso s. popul. wissensch. Vorträge, Braunschweig 1871, Heft 2. Abhdl. 1. Die neueren Fortschritte in d. Theorie des Sehens. Die Lehre von der specifischen Energie der Sinnesnerven hat neuerdings Wundt bestritten, er hält dieselben nicht für ursprünglich, sondern für erworben (s. Grundzüge der physiol. Psychologie, 1873. S. 347 ff. 2. A. 1880. Bd. I. S. 315 ff. Zur Kritik der Kantischen Ansicht vgl. m. Grundr. der Gesch. der Philos. III, § 16, 2. Aufl., S. 167 ff., 176 u. ö. 3. Aufl. S. 181 ff., 192 u. ö.

§ 39. Auf Grund der sinnlichen Wahrnehmung allein würde nicht nur das Maass ihrer objectiven Bedingtheit nicht ermittelt, sondern auch nicht einmal die Existenz von afficirenden Objecten erkannt werden könnnen. Denn da die Wahrnehmungen Acte unserer Seele sind, so führen sie als solche uns nicht über uns selbst hinaus. Die Ueberzeugung von dem Dasein äusserer Objecte, die uns afficiren, gründet sich auf die Voraussetzung von Causalverhältnissen, welche nicht auf der sinnlichen Wahrnehmung allein beruht.

Die Lehre Friedrich Heinrich Jacobi's, dass ein Glaube, der sich nicht in wissenschaftliche Erkenntniss auflösen lasse, uns das Dasein der Aussenwelt offenbare, ist eine Fiction, die durch die Aufzeigung des

wirklichen Weges der Erkenntniss der Aussendinge aufzuheben ist. Die Entscheidung über die in diesem Abschnitt aufgestellten Probleme kann aber erst unten (C, § 41-44) gegeben werden.

B. Die innere oder psychologische Wahrnehmung.

§ 40. Die innere Wahrnehmung oder die unmittelbare Erkenntniss der psychischen Acte und Gebilde vermag ihre Objecte so, wie sie an sich sind, mit materialer Wahrheit aufzufassen. Denn die innere Wahrnehmung erfolgt, indem das einzelne Gebilde durch den Associationsprocess als ein integrirender Theil der Gesammtheit unserer psychischen Gebilde aufgefasst wird; sie ist in ausgebildetster Form, mit dem Denken verschmolzen, dann vorhanden, wenn das betreffende psychische Gebilde unter den Begriff gestellt wird, unter welchen es gehört, und wenn zugleich das Bewusstsein, welches der, der die innere Wahrnehmung vollzieht, von sich hat, die Form des Ichbewusstseins gewonnen hat. Nun aber kann a. die Association des einzelnen Gebildes mit den übrigen dasselbe nach Inhalt und Form nicht verändern; es geht so, wie es ist, in dieselbe ein; wie daher gegenwärtig unsere Vorstellungen, Gedanken, Gefühle, Begehrungen, überhaupt die Elemente unseres psychischen Lebens und deren Verbindungen untereinander wirklich sind, so sind wir uns ihrer bewusst, und wie wir uns ihrer bewusst sind, so ist ihr wirkliches Sein, indem bei den Seelenthätigkeiten als solchen Bewusstsein und Dasein identisch ist. b. Bei der Wiedererinnerung an frühere Seelenthätigkeiten werden die im Unbewusstsein verharrenden Gedächtnissbilder derselben wiedererregt und daher können die früheren Acte, obschon mit verminderter Intensität, doch in qualitativer Uebereinstimmung mit ihrem ursprünglichen Sein reproducirt werden. c. Bei der Subsumtion der einzelnen Acte und Gebilde unter die entsprechenden allgemeinen Begriffe wird die Bewusstseinsstärke ihrer gemeinsamen Merkmale erhöht, aber ohne Zumischung irgend einer fremdartigen Form; folglich steht auch das hierdurch gewonnene Bewusstsein von unseren psychischen Acten und Gebilden seiner Natur nach in qualitativer Uebereinstimmung mit dem realen Sein dieser Elemente. Doch wächst hierbei allerdings die Möglich

keit des Irrthums um so mehr, je mehr über das Gebilde selbst hinausgegangen wird und die Genesis und die Beziehungen desselben zur Bestimmung seines Begriffs mit in Betracht kommen (wie z. B. bei der Frage, ob eine gewisse Vorstellung eine Wahrnehmung oder eine Vision sei). d. Das Selbstbewusstsein im engeren Sinne oder das Ichbewusstsein entwickelt sich in drei Momenten. Das erste Moment ist die Einheit eines bewusstseinsfähigen Individuums, vermöge welcher alles Einzelne in ihm nicht als ein selbständiges Einzelwesen, welches sich mit anderen zu einem zufälligen Aggregate zusammenfände, sondern als ein Glied eines einigen Gesammtorganismus angesehen werden muss. Das zweite Moment ist das Bewusstsein des Einzelnen von sich als Einem Individuum oder die zusammenhängende Wahrnehmung der eigenen psychischen Acte und Gebilde in ihrer gegenseitigen Verbindung, wonach sie sämmtlich dem nämlichen Wesen angehören. Das dritte Moment ist die fernere Wahrnehmung, dass auch jenes Bewusstsein, welches der Einzelne von sich hat, wiederum dem nämlichen Wesen angehört, wie die Acte und Gebilde, auf welche es gerichtet ist, mit anderen Worten: die Wahrnehmung, dass das vorgestellte und das vorstellende Wesen oder das Object und das Subject der Vorstellung ein und dasselbe Wesen ist. Das erste und zweite Moment bilden die Voraussetzungen oder Grundlagen, das dritte constituirt das Wesen des Selbstbewusstseins als Ichbewusstseins. Da mithin dieses nur eine potenzirte innere Wahrnehmung ist, so bringt es wiederum nichts hinzu, was unserem wirklichen Sein fremd wäre. Demgemäss steht bei allen Formen der auf das eigene Seelenleben gerichteten inneren Wahrnehmung und des mit ihr verschmelzenden und sie zur inneren Erfahrung durchbildenden Denkens die Erscheinung mit der psychischen Wirklichkeit in wesentlicher Uebereinstimmung.

Dass mein Schmerz mir als Schmerz erscheine, meine Farbenempfindung als Farbenempfindung etc., ist selbstverständlich, und dies erst beweisen zu wollen, wäre allerdings überflüssig und wunderlich<; aber von dem Schmerz, von der Ton- und Farben empfindung etc. als psychischer Erscheinung unterscheidet der psychologische Transscendentalist (nicht nur das Wesen und die Substanz der Seele, und die inneren Bedingungen der einzelnen psychischen Vorgänge, auch nicht

bloss die veranlassende äussere Affection, auf was alles die gegenwärtige Untersuchung sich nicht bezieht, sondern auch) ein Ansich eben desjenigen einzelnen Zustandes in mir, der mir als Schmerz, Farbenempfindung etc. erscheint, und auf den Nachweis, dass diese Unterscheidung unberechtigt sei, zielt die vorstehende Argumentation ab. Durch die sinnliche Wahrnehmung percipire ich einen Ton, eine Farbe etc. im empirischen Sinne richtig, wenn ich so percipire, wie bei normaler Sinneswahrnehmung percipirt werden muss, und ich erinnere mich richtig, falls meine Erinnerungsvorstellung mit eben dieser normalen Perception übereinstimmt; doch fragt sich dabei immer noch, ob diese normale Perception mit dem Vorgang, wie er an sich ausserhalb meines Bewusstseins stattfindet und durch Einwirkung auf meine Sinne zu meiner Perception den Anlass giebt, in Uebereinstimmung stehe; eben diese Frage aber hat keinen Sinn mehr, wenn es sich um die (psychologische) Auffassung einer meiner Empfindungen oder überhaupt eines meiner psychischen Gebilde handelt; auf diese Auffassung kann die bei der äusseren Wahrnehmung berechtigte und nothwendige Unterscheidung der Wahrheit im empirischen und im »transscendentalen Sinne nur durch eine falsche Analogie übertragen werden. Es hat einen guten Sinn, nicht nur nach den äusseren, sondern auch nach den inneren Bedingungen der Entstehung eines psychischen Gebildes zu fragen; aber es hat keinen Sinn, falls das psychische Gebilde als solches das Object meiner Auffassung ist, das Sein desselben in meinem Bewusstsein (für mich) und das Sein desselben ausserhalb meines Bewusstseins (an sich) zu unterscheiden; denn das aufzufassende Object ist hier ein solches, welches eben nicht, wie das Object der äusseren Wahrnehmung, an sich selbst ausserhalb meines Bewusstseins, sondern nur innerhalb desselben existirt. Bei der äusseren Wahrnehmung kann das Gebilde des Subjects nicht nur Elemente enthalten, die mit der Objectivität übereinstimmen, sondern auch Elemente, die von ihr abweichen, und diese letzteren oder die rein subjectiven Elemente begründen eine Discrepanz zwischen dem Bilde und der objectiven Realität; bei der inneren Wahrnehmung dagegen, sofern diese auf unsere eigenen noch unmittelbar (ohne dass die Erinnerung vermittelnd einzutreten braucht) in unserm Bewusstsein gegenwärtigen Gebilde geht, kann das Gebilde des Subjects, da es ja nunmehr selbst das Object der Auffassung ist, nicht solche Elemente enthalten, die eine Nichtübereinstimmung mit dem aufzufassenden Object begründeten; alles Subjective ist hier, bei dieser Selbstauffassung, zugleich auch objectiv. Es sind hier nicht zwei Gebilde zu unterscheiden, die mit einander übereinstimmen oder auch nicht übereinstimmen könnten, sondern es giebt hier nur Ein mit sich selbst identisches Gebilde. Bei Erinnerungsvorstellungen und bei der Subsumtion der psychischen Gebilde unter psychologische Begriffe kommt allerdings die Uebereinstimmung in Frage; hier besteht nicht mehr das Verhältniss der Identität; wohl aber kann hier das auffassende Gebilde dem aufzufassenden, indem beide dem nämlichen beseelten Wesen angehören, in einem Maasse gleichartig

« PreviousContinue »