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XIII.

Mein Freund!

Iglau den 14. April 1837.

Es ist doch gut Freunde zu haben, die im Nothfalle die Stelle des Gewissens vertreten können, wenn es etwa zu lange schlummern sollte, und ich danke Dir für die heilsame, wenn auch etwas bittere Arznei. Heute habe ich dem guten Heinz geschrieben, und ich hoffe, dass er mir mein langes Schweigen zu Gute halten wird, so wie Du, den ich durch meine frühere Eilfertigkeit verwöhnt habe, denn habe ich nicht seit geraumer Zeit beinahe jeden Brief auf der Stelle beantwortet, und weil ich Einmal etwas lange brauche, qui clamores! Und noch dazu eine ganz falsche Ursache mir unterzulegen, als wenn ich Dich deswegen zum Vertrauten meiner Abendstunden gemacht hätte, um sie mir so boshaft aufzumutzen. So wisse denn, und erröthe, dass ein Theil jener Familie, und gerade der, an dem ich das meiste Interesse nehme, schon einen Monat auf einer Reise abwesend ist, und also in der That mich im Schreiben nicht hindern konnte. Die wahre Ursache meines längeren Schweigens gegen Dich, so wie auch gegen Heinz, war mein Wunsch, euch von den Veränderungen am hiesigen Gymnasium Näheres schreiben zu können, welche lang erwartet, sich bis jetzt hinausgeschoben haben. Unser Tomassek1) ging nämlich erst vor kurzem nach Ollmütz ab, und an dessen Stelle kam ein H. Libérta 2) von Brünn, ein Schlesier, der mir prima vista nicht übel gefiel; er hat viele Ähnlichkeit mit meinem biederen Brunner 3) in Vinkovcze. Maniak,1) zwischen dem und Libérta ich einen Tausch einzuleiten suchte, wollte oder konnte sich nicht entschliessen, und bleibt folglich bis Ende des Schuljahres in V. um dann nach Znaim abzugehen. Im Ganzen bin ich schon zufrieden, dass er wenigstens aus den ihn drückenden Verhältnissen heraus und in meine Nähe kommt, wo ich ihn doch in den kleinern Vacanzen sehen kann, wenn es der Stand der Finanzen erlaubt. Ich

1) Tomaschek Johann Adolf, Professor der Grammatical classen am Gymnasium zu Omütz. Lebte 1791-1849. Hat Neubeck's „Gesundbrunnen" ins Lateinische übersetzt; wie es scheint ungedruckt.

2) Liberda Valentin, Professor der Grammaticalclassen am Gymnasium zu Iglau. 3) Brunner Joseph, Professor der Grammaticalclassen am Gymnasium zu Vinkovcze. 4) Maniak Alois; wird 1837 Professor der Grammatical classen am Gymnasium

zu Znaim.

habe Dich auf Deiner beängstigenden und gefahrvollen Reise mit Theilnahme begleitet, und war recht froh Dich am Ziele zu sehen. Ich wünschte, Du hättest zuvor H. Dr. Meyerhofer in Laibach consultirt, der sich mit jenen wunderbaren Zuständen viel befasst hat; vielleicht hat Dir Hz. davon gesprochen. Du schreibst mir nichts von Deiner Gesundheit? ich hoffe, dass sie von den Anstrengungen des Leibes und des Gemüthes letzter Tage nicht gelitten hat; halte Dich ums Himmelswillen ans kalte Wasser und an Deinen Vorsatz in Betreff der geistigen Aufreibung; denke, dass Du es den Deinen schuldig bist.

Deinem Urtheile über Uschold stimme ich sehr bei; es ist äusserst unerquicklich sich in solchen willkürlichen Combinationen herumgeworfen zu sehen. Da ist freilich Niebuhr ganz ein andrer; ich lernte ihn auf Veranlassung eines Prof. Dr. Kopp') in Erlangen kennen, mit dem ich, nach einer zufälligen früheren Bekanntschaft in Wien, dann später in Karlsbad zusammentraf, und dem ich manche genussreiche Stunde verdanke; auch er sprach mit Begeisterung von dem unermesslichen Aufwand von Gelehrsamkeit und Scharfsinn, der eine ganze Revolution in der römischen Geschichte herbeiführte. Es war mein Erstes, als ich 1826 nach Wien zurückkahm, ihn in der Hofbibliothek aufzusuchen; der III. Th. war damals noch nicht heraus. Ich bin sehr begierig ihn bald wieder zu lesen; denn ich habe unsern Präfect beredet dieses höchstwichtige Werk für unsere Bibliothek anzuschaffen. Der selige Khy. war weniger erbaut davon; ihm missfiel, denk ich, das zerstörende, angreifende, negative, kurz protestantische Element darin; ihm war leid um die schöne Mährchenwelt des Livius, für welche Niebuhrs Forschungen freilich keinen adäquaten Ersatz bieten; und doch ging ihm Wahrheit über Alles. Was mich betrifft, so bin ich wohl, und nicht ganz unthätig: ich habe meinen Ausführlichen Auszug aus Thukydides mit Übersetzung aller conciones, vom IV. bis zum VIII. 15. fortgesetzt und denke ihn heuer zu beendigen. So eben las ich mit schmerzlicher Wehmuth Johannes Müllers 2) Briefe;

1) Kopp Joseph K., 1788-1842. Damascii philosophi Platonici quaestiones, 1826; Recensionen in den Münchener gelehrten Anzeigen. Döderlein, Reden und Aufsätze, 1, 214 ff.

2) Müller Johannes von. 1752--1809. Bellum cimbricum, 1772; deutsch 1810; Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft, 1786; Sämmtliche Werke, 1810-1819; Neue Folge, 1831-1835,

ich fand mich dazu bewogen, weil mich die ungerechten Angriffe des ihm wie ungleichen Menzel ') auf seinen Charakter sehr unangenehm beunruhigt und ich für billig hielt, den andern Theil auch zu hören. Und sie sind ganz herrlich diese Briefe, und entfalten eine ergreifende Tragoedie; wenn es ihr Ziel ist die Nichtigkeit des menschlichen Strebens ergreifend darzustellen; so ungeheure Anstrengungen, so wunderbare Gaben, so unermessliche Vorarbeiten, und doch nichts vollendet weder seine Schweizergeschichte noch die Universale! Und sein rührendes Ende, mit gebrochenem Herzen an jämmerlicher Verlegenheit; die beiden goldnen Schaumünzen, Geschenk des alten Bern, im Pfandhause um 450 Francs! Nun liebe und verehre ich ihn mehr als je. Mein Freund, leb wohl!

K. E.

Mein Freund!

14.2)

Es ist für mich ein grosses Vergnügen, den Niebuhr auszuziehen; er ist mir so, da ich ihn chronologisch in Ordnung bringe, viel verständlicher. Ich stellte mir die mässige Aufgabe, täglich 3 Jahre nach Niebuhr zu beschreiben und stehe nun im 3. Theile am J. 433 (438). Was ist doch das, dass Kreyssig in seiner Ausgabe des Livius das Jahr 424 übergeht? Der Knoten scheint mir aber vor dem Jahre 423 zu sein, da Niebuhr von diesem Jahre schon schreibt, was nach Kreyssig 3) oder Andern ins Jahr 422 eingereiht ist. Fehlt ein Consulpaar, oder war bis um diese Zeit die Summe der Interregnen einem Jahre gleich geworden? Erquickender als chronologische Forschungen war die Gerechtigkeit, die lange Verkannten widerfuhr, z. B. Sp. Cassius, M. Manlius, C. Pontius, so manchem Volkstribun, ganzen Völkern

1) Menzel Wolfgang, 1798–1874. Geschichte der Deutschen, 1824-1825, 18342, 18363; Die deutsche Literatur, 1827, 18362; Taschenbuch der neuesten Geschichte, 1830 bis 1839. Ausfälle gegen Johann von Müller stehen in der deutschen Literatur, 22, 108 ff. 125. 2) Nach dem Schlusse dieses Briefes scheint ein Brief Enk's und somit wohl auch Heinzel's dem gegenwärtigen vorhergegangen zu sein, obwohl nach dem Anfang des Briefes Enk's vom 28. Juli 1837 Heinzel lange geschwiegen hatte.

3) Kreyssig Johann Gottlob, 1779-1854. Livii fragmenta 1807; Caesar, 1826; Livius, 1823-1828; Silvulae Afranae, 1832; Vellejus Paterculus, 1836; Livius, 1837-1839; Violaria Afrana, 1837.

wie den Samniten. Werde nicht unwirsch wenn ich die Geschichte in solchen Einzelnheiten fasse: die grössern Ansichten sind mir gerade zuerst, da ich schreibe. Aber das kann ich nicht unterdrücken, dass der Gang der Dinge, wie ihn Niebuhr darstellt, mir so gegenwärtig geworden ist, dass ich ihn überall wieder sehe, besonders in unserm lieben Vaterlande. Der Felsenmann achtet und liebt den Livius mehr als Alle, die ich kenne, weil er ihn auch besser versteht. Er steht oft gegen seine Ansichten und Verfahrungsweise und ruft dann den Entsetzten zu: „Solche Kritiken schmälern seinen unvergänglichen Ruhm nicht: eben sobald der Anspruch entfernt ist, dem zu genügen Livius' geringste Sorge war, stört nichts dem Unbefangenen die Freude seiner Darstellung; sollte es eine verkehrte Natur geben, der sie verleidet. wäre, weil ihre historische Unhaltbarkeit dargelegt ist, so müsste man eine solche bedauern, schonen liesse sie sich nicht." Die Lesung dieses Werkes darf ich vor Dir, dem Wasserfreunde, wohl mit den kalten Bädern und Waschungen vergleichen: wie diese beleidigt er äusserlich, um das innere faule Leben aufzurütteln. Darum ist er auch gemieden wie das kalte Wasser, und so habe ich ihn vergebens hier empfohlen und in die Hände der Verwöhnten gegeben. Man spricht ach! von Hypothesen, von harter Sprache. Die Sprache ist wirklich hart und Niebuhr hat vollkommen Recht, den Livius um seine Sprache zu beneiden; aber Englisch ist sie nicht, ausser in einzelnen, wenigen Ausdrücken, z. B. beides = both; sie scheint mir vielmehr Product einer ganz eignen, strengen Natur; er ist weit weniger Grieche als Römer und doch ganz Deutscher. Nach dem, was Du mir von J. Müller schreibst, bereue ich, so wenig mich um ihn bis jetzt bekümmert zu haben. Ich werde nun ihn bald für unsre Bibliothek schaffen, und zwar vorerst seine Schweizer-Geschichte. Eine gute Universalgeschichte scheint mir bis jetzt noch eine Unmöglichkeit. Dass nur jedes Volk wenigstens so eine Geschichte hätte wie die Israeliten! Ich stehe mit meinen zwei ältern Knaben gerade vor dem Tempel: [leider verstehe ich seinen Bau nicht recht, und es wäre doch so gut, den Kindern in solchen Dingen auch einen Begriff von jener Zeit zu ertheilen; auch wäre es nebenher gut, mechanische und künstlerische Kenntnisse vorzubereiten. Ich verstehe den Bau der Galerien nicht (Buch d. Könige, 3, 6), oder was war es, was um die Wand des Heiligen oder Allerheiligsten herumlief in zunehmender Breite? War dieses Bauwerk innerhalb des Tempels, so war

doch das ein Tempelchen1)]. Ich komme zu Jesus mit dem Anfange des nächsten Schuljahres. Weist Du mehr von dem Strauss 2) (ni fallor) als die Allgemeine gab? Er soll die Evangelien, die ich den Kindern bald als das Heiligste vorzulegen habe, mit philosophischen Waffen gestürmt haben, und es soll ihre Aechtheit nach seinem Dafürhalten unerweislich sein. Dass ich nur das Griechische Leben, wie es war nach der Zeit, die Homer schildert, doch so verstünde, wie das Römische und Hebräische! Wie gut wäre es, wenn jene schönen Mährchen, die ich möchte sagen fast zu gut sind für die Geschichte, von dieser bereits so geschieden wären wie in Roms Geschichte! Wer leuchtet hier den Faulen und Dummen? oder doch den Zeitarmen? Willst Du mir indessen eine Ansicht des Griechischen Staatslebens zur Zeit des Thucydides geben?

Lotte ist hergestellt durch eine Wirkung aus der Ferne, durch ein Gebet des weit abwesenden F. Hohenlohe. 3) Das hat mir ihr Arzt, Doctor Jansekowich, selbst geschrieben. Er bemerkte seit einiger Zeit, dass sie mit ganzem Glauben an solcher Heilung klebe, und er versuchte es nun mit der Psyche und zog den Fürsten in sein Dispensatorium; dieser bestimmte brieflich den Tag und die Stunde des Gebetes: sie betete und genas auf der Stelle gänzlich, nachdem die schlimmsten Entwickelungen ihrer Krankheit bereits dem mineralischen Magnetismus gewichen waren. Ihr Grossvater wird toll sein, wir denken weiter an nichts als das Glück der wiedergewonnenen Gesundheit. Dr. Mayerhofer leidet nach der Meinung des Heinz an der Abzehrung. Hier ist er im ganzen Lande bekannt als glücklicher Homöopath.

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Die abscheuliche Reise nach Klagenfurt hat mich gestärkt. Jetzt leide ich an einem hartnäckigen Katarrh, der sich auf den Kehlkopf gesetzt hat. Wasser? Ja Wasser! Schick es mir! Es war nie so ungeniessbar als heuer. Cisternenwasser, da das Quellwasser, das soeben gepriesene, in zu geringer Menge vorhanden ist, gebrauche ich zu Waschungen, denn baden kann ich mich nicht, weil ich nicht Geld genug habe, mir eine Badewanne zu schaffen. Der nächste brauchbare

1) Der Bemerkung über den Tempel ist ein grosses EYPIKA übergeschrieben.
2) Strauss David Friedrich, 1808-1874. Leben Jesu, 1835.

3) Hohenlohe Alexander Leopold, Fürst zu H.-Waldenburg-Schillingfürst, 1794 bis 1849.

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