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Wolf, Hermann u. d. g. der Philologie zu Theil geworden; aber von der Cultur einzelner Disciplinen als der Metrik und Pädagogik oder Geographie weiss ich fast so viel wie nichts. Ich wünschte aber von Dir zu hören, worin eigentlich die Veststellung und der Abschluss derselben bestehe; besonders welches das System des ungehobelten Grafen ist (den Du so nennst das Unbekannte als bekannt voraussetzend). Ich habe mich durch Kh. gewöhnt mit den Alten, wie sie sind, mich begnügen; aber vielleicht bin ich hierin zu weit gegangen, und auch in dieser Hinsicht wäre es mir viel werth mit Dir zu sein. Lass uns doch wenigstens das wenn auch ärmliche Surrogat der Briefe nicht verwerfen. Ich möchte mich über den Stand der Dinge genau orientiren. Für jetzt lese ich (so weit es meine von Amtssachen zerschnittene Zeit und Indolenz zulässt) den Pindar von Thiersch. Die Einleitung, so weit sie nicht musicalisch und metrisch, erfreute mich ungemein. Dann habe ich die attischen Redner vor. Wie planlos! freilich.

Sidonien bedaure ich sehr, hoffe aber, dass sie es gleich ihren älteren Geschwistern überwinden werde; jedenfalls lass mich von ihr hören; Theil zu nehmen kann ich nie aufhören. Zu meinem Verdruss sah ich gerade als ich den Eilwagen nach W. bestieg, Deinen Bruder Ferdinand 2) das erste Mal und erfuhr von ihm, dass auch Raymund in Linz war, den ich so gerne gesehen hätte. Schreibe mir doch gegen Ende des Schuljahres seine Adresse, damit ich ihn präveniren kann. Nun leb recht wohl! Bei Deinen unwillkommenen Ferien hoffe ich auf Briefe von Dir.

Dein treuer Frd Enk.

5.

Mein Freund!

Cap. 10. Novbr. 1835.

Von der Cholera werden wir nichts zu befürchten haben; bis jetzt wenigstens bestätigte sich nicht, dass sie in Venedig ausge

zum Gebrauch für Schulen, 1815; Griechische Grammatik, vorzugsweise des homerischen Dialekts, 1818; Ueber neugriechische Poesie, 1818; Pindar's Werke, 1820; De l'état actuel de la Grèce, 1833; Ueber gelehrte Schulen, 1826-1830.

1) Wolf Friedrich August, 1759-1824. Platon's Gastmahl, 1782; Theogonia Hesiodea, 1783; Homeri Carmina, 1783-1785; Luciani scripta, 1786; Prolegomena ad Homerum, 1795; Ilias, 1806 ff. u. a.

2) Ferdinand Heinzel, 1810-1879. Postbeamter.

brochen. Das Wasser erkenne ich als das Beste; es hat mir gewiss schon sehr genützt. Um die Schriften, die Du mir empfiehlst, werde ich bei bessern Umständen mich umsehen. Dass Du recht gesund und stark bist, entnehme ich mit Vergnügen aus Deinem Briefe; mehr noch vergnügte ich mich an den Zeichen männlicher Heiterkeit. Wollte Gott, dass wir beyde uns mit Grund des Annahens einer schöneren Zeit für die Wissenschaften freuten! Jüngst standen die Sachen nicht so gut; die Jesuiten und ihre hohen Gönner schienen der Herrschaft gewiss. Auch der Piaristen-Orden sollte den Jesuiten genähert werden.

Dich hat Khüeny mit einer Abneigung gegen das trockne Gelehrtenwesen des Nordens erfüllt. Da hat er nicht recht gethan; denn er verschloss Dir damit viel Gutes. Ich sollte auch eifern über den Ausdruck selbst, insoferne er Vorliebe zu einem lächerlichen Gegensatze verräth. Ey, seyd ihr so gelehrt in Sachen des Südens, so gebt den Beweis, dass dort redlicher, tiefer und breiter in der Wissenschaft gearbeitet worden, als im Norden. Spröde ist der Anfang ächter Kunst. Scheuen wir auch solchen Anfang, so achten wir ihn doch. Und wären die Deutschen bestimmt zum Steine-brechen, wie Ihr's nennen könntet, so achten wir sie dennoch. Aber ich glaube, sie sind ohne Götterbilder, ganz ihr Eigenthum, bereits nicht mehr. Wollte Gott, jener tiefe Ernst dauerte noch lange fort und durchdränge alle Schichten der Wissenschaft! Möchte wahr werden, was ein gelehrter Ausländer ahnt, dass es bald keine Wissenschaft geben werde, die nicht in Deutschland in die Schule gegangen. Ich habe Dir die Geographie unserer Tage gerühmt. Sie lag wohl wüste bis nun. Ritter1) brach (ich bediene mich der Worte des geistreichen Geographen Hoffmann) die Bahn zu einer neuen und erst wissenschaftlichen Behandlung der Erdkunde, nach welcher in der Gestalt der Erdrinde, in der Vertheilung der Stoffe auf derselben, in dem Wesen ihrer Erzeugnisse und Bewohner der Typus oder das Grundgesetz angeschaut werden soll, nach welchem die Natur wirkt. Ebenso lebendig fasste J. Grimm 2) die Sprache und die Grammatik richtete sich auf. Kein Münster steht

1) Ritter, Carl, 1779-1859. Erdkunde, 1817.

2) Grimm Jacob, 1785-1863. Ueber den altdeutschen Meistergesang, 1811; Deutsche Grammatik, I 1818-1821, I2 1822, II 1826, III 1831; Rechtsalterthümer, 1828; Tacitus Germania, 1835; Deutsche Mythologie, 1835; Brüder Grimm, Kinder- und Hausmärchen, 1812/13.

in Deutschland und auf der weiten Erde so bewundernswerth wie seine deutsche Grammatik. Die Sprache wird als Sprache, nicht als Mittel, behandelt in ihrer geschichtlichen Entwickelung: es erscheint zuerst das Sanskrit mit dem Lateinischen, Griechischen und Slavischen, hier steht das Gothische, hier das Deutsche. Dieser Indisch-Germanische Sprachstamm wurde bis jetzt am meisten gepflegt; eine Menge Räthsel der Lateinischen und Griechischen Sprache und Grammatik lösten sich von selbst auf diesem Wege der Natur, in der Betrachtung des Ganzen. Am Heile anderer Sprachstämme scheint W. Humboldt 1) gearbeitet zu haben. Sein Verehrer, K. F. Becker, nicht weniger gelehrt als Grimm und noch geistvoller, stellte nun meines Wissens der erste die wissenschaftliche (nicht bloss historische) Ansicht der Sprache her. Sein Werk: Organismus der Sprache, ist so ganz, so eins, so vollendet, dass ich in der ganzen neuern Litteratur, so weit ich sie kenne, nichts darüber stelle. In seinem „Wort" unternahm er die Riesenarbeit, den Wortvorrath zu ordnen wie Pflanzen und Thiere nach Klassen, Ordnungen und Arten. Die Etymologie gewinnt immer festern Grund, mit ihr die Synonymik. Wie ekelhaft oder lächerlich wird das Bemühen so mancher Lehrer, die da im Lateinischen oder Griechischen ihren etymologischen Unfug treiben, ohne etwas mehr zu kennen als diese Sprachen, ohne auch im Bezug auf das Deutsche das bekannte Gesetz der Consonantenverschiebung zu ahnen.

An der Wurzel ferner fasste Graser, der uns Salzburgern nicht unbekannt seyn sollte, die Pädagogik und Didaktik. Der Mensch ist selbstständig, und soll unterrichtet, d. i. durch Unterstellung gehoben werden. So erweitert er sich beständig durch sich, organisch, Vorstellung aus Vorstellung erzeugend: der ganze Mensch kömmt in Bewegung aus innerlichem Drange. Da giebt es nur ein Richten und Leiten des Stroms; aller Ärger, dass nichts hinein wolle, nichts Eingekautes verdaut werde, nichts hängen bleibe, verschwindet; dass mit ihm nur auch alle Folgen verschwänden! Die Art und Weise der Befreyung in den ersten Schuljahren giebt seine Elementarschule". Ich schäme mich, in's Lesen und Schreiben mit den Kindern ohne die nothwendige Vorbereitung durch eine Menge der natürlichsten und nöthigsten Kenntnisse aus Gewohnheit gegangen zu seyn. Was nicht

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1) Humboldt Wilhelm von, 1767-1835. Ueber den Dualis, 1828; Verwandtschaft der Ortsadverbia mit den Pronomen, 1830.

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vorbereitet ist durch Bekanntes und Verwandtes, wozu nicht der Drang entzündet worden, hat nicht zur Sprache zu kommen: es ist todt, es drückt selbst den Bessern nur als Fremdartiges, lässt ihn grösstentheils passiv, spannt nicht seine ganze Kraft: so erschlaffen wohl gar viele in den Schulen, wo eifrige Lehrer alle Weisheit auftischen oder einstopfen. Übrigens ist Grasers System keineswegs vollendet. In seinem Hauptwerke Divinität" (ein unnöthiger Barbarismus) reitet er, nicht zufrieden mit einer Dreyheit, auf einer Vierheit. Da figurieren allenthalben die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die Liebe und die Schönheit, die 4 Evangelien der Paedagogik, wie sie Jean Paul') nannte, was der Verfasser selbstgefällig bemerkt. 2) Ungeachtet einer Menge von Mängeln aber ist Graser's Grundansicht der grössten Aufmerksamkeit würdig: eine vollendete Entwicklung derselben zerstäubt unser sämmtliches Unterrichtswesen zum Heile der Menschheit. Er scheint das selbst nicht vorherzusehen, da er beym Mangel tieferer Kenntnisse der einzelnen Disciplinen und befangen in seinen vier Evangelien die Gymnasien eben nicht viel glücklicher macht als sie jetzt sind. Aber man wird nicht immer seine Freude daran haben, dass schon Kinder Lateinisch und Griechisch klingeln. Erst wenn sie zur Festigkeit eigener Bildung gelangt sind, werden sie die Griechische Weihe erhalten. Erstarkt in natürlicher Entwickelung wird der Jüngling das Höchste, das bis jetzt der menschliche Geist aufgestellt, die Kunst des Alterthums, mit religiöser Begeisterung erringen, schnell, sicher, für immer. Nun schleppen sie sechs Jahre dahin, zu welchem Ende?

Thiersch scheint auch mir in seinem Werke „Die gelehrten Schulen die Sache einseitig behandelt zu haben. Der Mann ist sehr gelehrt, wir werden in unserm Leben diese Gelehrsamkeit nicht erreichen; aber ich sehe in ihm wenig mehr als dieses. Auch seine Sprache ärgert wie die von Allen, die gar sehr deutsch thun und Alles in die mir gewiss ehrwürdige Vorzeit zurückschrauben möchten. Seine Verse (im Pindar) sind mir ganz unausstehlich. Kann ich doch selbst den grössern Sprachmeister Voss 3) nicht mehr hinüber bringen, als

1) Jean Paul (Friedrich Richter), 1763–1825. Levana oder Erziehungslehre, 1807. 2) S. Graser's Divinität, 1830; Anmerkung zu S. 83 f.

3) Voss, Johann Heinrich, 1751-1826. Homer's Odyssee, 1781; Virgil's Landbau, 1789; Homer's Werke, 1793; Virgil's vierte Ekloge, 1795, Des P. Virgilius Maro

Übersetzer. Unsere Quantität (im Sinne der Alten) ist untergegangen: das lehrt eine gründliche, unbefangene Sprachforschung bald. Verkennen wir nicht unsere Betonung, um die wir beneidenswerth sind allen Völkern, so viel ich kenne; erwägen wir den grossen Werth des Reimes, wie er jetzt besteht, entwickelt aus dem Stab- und Vocalreime: er verbindet so ganz im Geiste unserer Zeit Versreihen zu einem innigen Ganzen, wie der Accent einzelne Worte. Die Schönheit der Verbindung des Accentes und der Quantität in den Alten (Griechen, nicht Römern) können wir nur in ihnen geniessen, nicht in unserer Sprache darstellen; es ist so ein Beginnen ein Verrathen, ein Zertrümmern jener Schönheit.

Willst Du etwas Classisches der neuern Zeit lesen? Lies Storia d'Italia dal 1789 al 1814 di Carlo Botta.')

Ich fürchte, Dich mit meinem Geschreibsel geärgert zu haben. Ich endige, wiewohl mir noch eine Menge auf der Zunge wäre, aus Furcht, Du mögest mir vor Verdauung des vielen Ärgers, also lange nicht mehr schreiben. Wir sind gesund und grüssen Dich herzlich. Nur Eins noch! Deine Briefe sind mir Sonnenblicke.

H.

Mein Freund!

VIII.

Iglau den 29. Nov. 1835.

Wenn ich, wie man soll, dem ersten Impulse gefolgt hätte, so würde ich Dir Deinen reichhaltigen Brief auf der Stelle beantwortet und dadurch am besten gezeigt haben, dass er mich nicht geärgert, sondern erfreut habe. Allein die kleinen Geschäfte und Verdriesslichkeiten verstimmten mich bis jetzt zu sehr, und so erfolgt die Antwort viel später, als ich selbst dachte. Bei den beunruhigenden Nachrichten von den Fortschritten der Cholera in Italien, die ich aus der allg. Z.

ländliche Gedichte, 1797-1800; Verwandlungen nach P. Ovidius Naso, 1798; Des Q. Flaccus Horatius' Werke, 1806; Hesiod's Werke und Orpheus der Argonaut, 1806; Theokritos, Bion und Moschos, 1808; Albius Tibullus und Lygdamus, 1810; Aristophanes' Werke, 1821; Hymne an die Demeter, 1826; Sextus Aurelius Propertius' Werke, 1830. 1) Botta Carlo Giuseppe, 1766-1837. Historia d'Italia, 1798-1814; erschienen 1824, deutsch 1827.

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