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nach Iglau gegangen? Die dort mögen Dich freylich auf einige Zeit verstimmt haben. Sieh! es liegt mir viel, sehr viel an der Erhaltung jener Freundschaft, die Dein letzter, liebevoller Brief aussprach.

Es freut mich sehr, wenn Du nun wirklich in Iglau bist. Es soll ein gar hübscher Ort seyn. Dort magst Du ganz anders wirken, als es Dir hier möglich geworden wäre. Die für Dich bestimmte Lehrkanzel an diesem Gymn. erhielt aber jener Mann, von dessen erbärmlichen Elaborate ich Dir zuletzt geschrieben. Bereits stehen auch die Schüler sammt dem Professor am Berge. Zum Glücke noch ist der Mann ein guter Kerl, der's gerne hat, wenn man ihn selbst immer zieht, und so werden wir wohl über den Berg kommen, es sey wie immer. Wohl wär's mit Dir anders gegangen!

Jene Concursfrage war: Canis leporem insequitur, eorumque distantia est passuum a; velocitas autem canis ad velocitatem leporis est ut m ad n: quaeritur, ad quot passus canis leporem adsequetur. Fiat etiam calculus in numeris substituendo numeros in terminis generalibus. Ich kann nichts dafür, wenn Dir die Worte missfallen, noch mehr missfiel mir, dass die Nichtlösung dieser Proportion die Stellen befriedigte. Die meisten Concurrenten, höre ich, behandelten die Aufgabe als eine Gleichung mit 2 Unbekannten, ohne zum Resultate zu gelangen; unser Mann, weiss ich, versank ganz und gar in Unsinn, nur Ein Ansatz, so viel ich mich erinnere, war richtig. Es scheint, die Stellen haben auf das Gutachten der untersten Stelle so hinaufgebaut. Diese aber schlug unsern guten geistlichen Herrn vor, um den dreymal geschickteren Supplenten als Adjuncten nicht zu verlieren. Gott gebe, dass ich einmal die Functionen eines St. Dir. zu übernehmen habe: da wird dieses Gymnasium, so lange ich lebe, nicht über derley Verfügungen seufzen.

Neulich besuchte mich Bruder Raymund, ') nun ein Mann im vollen Sinne des Wortes. Von Mutzel 2) (nun Subrector der lateinischen Schule in Landshut) las ich neulich in den N. Jahrb. f. Philol.: „ein in den alten und romanischen Sprachen gleich bewanderter Lehrer“. Du wirst mir bald antworten? Ich grüsse Dich herzlich.

28. Juni 1834.

1) Raimund Heinzel, 1801-1871, Bruder Wenzeslaus Heinzel's, Geistlicher.
2) Mutzel W. J. Karl, 1807-1862, Blumenlese aus spanischen Dichtern, 1830.

IV.

Iglau den 25. Mai 1835.

Mein Freund!

Du würdest gewiss dem so lange Schweigenden nicht zürnen, wenn Du Dir seinen Zustand vergegenwärtigen könntest. Dein Brief 1) und die französischen Worte darin brachten mich völlig wieder in jene schreckliche Zeit, ich empfand ganz jenen alten Schmerz, und das noch mit einem Zusatz von Bitterkeit. Es ist keine Strafe grausamer, als die innere Billigung des Urtheils; und doch hab ich kein Recht von meinem Schmerz zu sprechen gegenüber dem verursachten. Es sei nun genug der fruchtlosen Erinnerung; Dir aber danke ich für die männliche Wahrheit. Inzwischen hielt mich die Hoffnung aufrecht, meine edle Schwester nach so langer Zeit wieder zu sehen, freilich in Gram um den unersetzlichen Verlust, und dann in L. selbst ihre Gegenwart und die Bemühung, sie wenigstens in etwas zu erheitern. Ja ich kann sagen, ich war so lange glücklich, als ich ganz für sie und in ihr lebte; auch lernt' ich jetzt erst ihre reine, hohe Seele recht bewundern und lieben. Wie bald löscht aber die Zeit und die Abwesenheit und das tägliche Treiben jenes höhere Gemüthsleben aus; le presenti cose con lor falso piacer m' hanno a se fratte, tosto che'l bel viso si nascose. 2) Du erinnerst Dich wohl noch an das Hüpfen der langbeinigen Cicaden. Ich bin jetzt gerade wieder über dem Grase; und ich bitte es als einen nicht geringen Beweis meiner Freundschaft anzusehen, dass ich mich jetzt erst Dir wieder nahe. Dies die Rechtfertigung des langen Schweigens. Die gegenwärtige Periode datirt sich von den Osterferien her, in denen ich mich an Jean Paul erquickte und aufrichtete; mit Beschämung sehe ich jetzt, wie lange ich den Herrlichen verkannt und wie wenig verstanden habe. Wie schade dass zugleich mit der Lebenserfahrung nicht auch die Hoffnung und das Vertrauen zunimmt. Mancherlei Klänge rufen mich in die Höhen

1) Dieser Brief hat sich nicht mehr vorgefunden.

2) Dante, Divina commedia, Purgatorio 31, 34 ff. Le presenti cose
Col falso lor piacer volser miei passi,

Tosto che il vostro viso si nascose.

Das Citat ist wohl aus dem Gedächtniss.

und Fernen; aber die Erde zieht den einsamen Zugvogel herab. Wahrhaftig ich kann mit Göthe sagen:

Ach, ich bin des Treibens müde,

Was soll all der Schmerz und Lust?

Wäre die gute Schwester 1) nicht, ich könnte mich jeden Tag so gelassen ins Grab legen wie ins Bette. Es ist vergebens, dass ich mich selbst undankbar schelte gegen den hohen Geist, der mich mit soviel Wundern der Natur und Kunst umgab; es fehlt der Sinn, das schöne Leben zu geniessen; das Herz der Pflanze ist ausgeschnitten; das Will ist weg, nichts blieb mir als das Soll, dem ich nun so gut ich kann, mit ermatteten Kräften nachringe.

Was meine Verhältnisse als Lehrer betrifft, so brauche ich dir kaum zu sagen, dass ich darin wenig Ersatz für das innere Leben finde; bei der gegenwärtigen Schulverfassung und Erziehung, wie wenig kann der Lehrer zu Stande bringen; mich wundert es fast, dass sich doch immer noch 2 oder 3 in einer Classe erträglich entwickeln, und diesen suche ich privatim nachzuhelfen und anzuregen; ich bin aber weit entfernt, mir die Erfolge zuzuschreiben, die in der glücklichern Organisation der Jünglinge liegen. Die übrigen führe ich, wohin ich muss; und suche nur, was ich nicht ändern kann, so gut zu machen als ich kann; und überhaupt wenigstens nicht zu verderben. Mein Unstern wollte überdies, dass ich gerade die Classe meines Freundes Wolf, 2) mit dem ich in Ansichten und Literärischen am meisten übereinstimme, nicht bekomme. Dieser ist nebst einem jungen Dr. der Rechte, einem unverdorbnen deutschen Jüngling, mein einziger Umgang; er vereinigt grosse Talente in Musik, Poësie und alten Sprachen mit seltenem Fleisse und Gründlichkeit; wir musiciren miteinander (denn ich stümpere noch immer auf der Flöte), und sind überhaupt viel zusammen; aber unsre andern Verhältnisse und Berührungen sind zu ungleich; es will sich das rechte Vertrauen, die rechte Theilnahme nicht finden, die der schöne Vorzug der Jugendfreundschaft ist. Darum fühl' ich mich auch immer so einsam, und darum würde mich nichts so sehr erfreuen als ein Brief von Dir, worin ich den alten H. wieder fände. Darf ich darauf rechnen? Dich

1) Therese Enk, an Baudirector Hagenauer in Linz verheiratet.

2) Wolf Anton, Professor der Grammaticalclassen am Gymnasium zu Iglau. Heinzel.

Briefwechsel.

2

wenigstens hält gewiss keine innere Ebbe und Flut ab. Und schreib mir auch von Deinen Kindern; mitfühlen wenigstens kann ich noch Familienbande, wenn auch nicht selbst knüpfen.

Dein

Enk.

Mein Freund!

2.

Dein Schweigen war mir freylich nicht so erträglich, wiewohl sich die richtige Erklärung desselben von selbst gab. Oft wollte ich Dir schreiben; aber ein Misstrauen in die Richtigkeit jener Erklärung, sofort auch eine Art von Beschämung hielt mich zurück; da wandelte mich's auch an, Du seyst für mich verloren, und Du bist mir diessmal nur zuvorgekommen, da nur eben gehäufter Amtsverdruss mich zur Ausführung des festen Entschlusses, Dir wieder zu schreiben, nicht gelangen liess. Ich freue mich Deiner Treue. Ach, wo findet man Treue als in einem deutschen Herzen? Doch weg mit dem! ich habe genug geseufzt. Du sollst mir aber nicht so klagen. Freuen sollst Du Dich der Rettung aus dem Sturme: geläutert wirst Du reifen zu einem viel höhern Menschen, wie ich fest vertraue; auch Andre hast Du nicht unglücklich gemacht: denn sieh! Emilie, die Du immer Deine Beatrice nennen mögest, ist seit einem halben Jahre an einen sehr edlen Mann verheirathet und lebt mit ihm (in Marburg, im Hause ihrer Eltern) so wahrhaft glücklich, dass sie keine Ursache mehr hat, ihre Schwester Adelheid zu beneiden. Er heisst Oprawill, 1) ist ein geborner Mährer und als Cameral - Commissär in Marburg angestellt. Man denkt Deiner gewiss ohne allen Gram, und blickt verwundert und dankbar auf die Fügung, durch die aus jenem Schmerz diese Freude sich entwickelt: denn ganz besonders durch E.-s Missgeschick war dem Alten Wien verleidet. Du musst Dich also leichter fühlen: hier ist Alles heil, was Du beschädigt zu haben glauben konntest. Was bleibt also noch als Dein - Ich? Doch darüber erhebst Du Dich allmählich, ein strenger und freundlicher Gott führt Dich. Ist es nicht

1) Jacob Oprawil, gestorben als Finanzrath zu Graz 1872.

schön zuweilen, sich, gerade sich im Verluste zu sehen? Lächeln also magst Du über Dein Unglück. Aber eine ernste Forderung geht nun von der Menschheit an Dich, ihr ganz zu seyn; und achtest Du diese Forderung als eine von aussen her, nur wie Zwang, sie ist wohl auch eine innre zugleich. Doch eben das Sollen, das fühlst Du selbst. Widerstrebe nur nicht eigensinnig Deinem eigenen Leben, lass wieder walten in Dir den hohen Geist, der mit soviel Wundern der Natur und Kunst Dich umgab, und das Wollen ist da. Mein Bruder Raymund ist doch weit unglücklicher als Du: den bedaure! Dich aber fühle Du frey, endlich wieder frey und neugeboren; frey, wie der Vogel in der Luft, singe nur Freyheit, und hängend mit Innigkeit an der Kunst, die schon Dein Beruf mit Dir verbindet, werde selbst ein Kunstwerk. Sind wir einmal aus der schönen Einheit mit der Natur herausgetreten, so leben wir nicht ruhig, nicht würdig, bis wir nicht, wie ächte Künstler, uns von ihr, der äusserlich und fremde gewordenen „entfernen, um in der letzten Vollendung zu ihr zurückzukehren", bis wir nicht aus ihren Banden zu göttlicher Freyheit uns erschwingen". 1) Daher sagt auch der edle Solger: 2) „Der Mensch muss philosophiren, er mag wollen oder nicht, und wenn er sich nicht nicht selbst entschliesst, es auf die ächte wissenschaftliche Art zu thun, so rächt sich die Philosophie an ihm durch die grundlosesten und verderblichsten Sophistereien." Die Dichter führen uns zu dieser höheren Einheit mit der Natur nicht, aber wohl die Kunstwerke. Desshalb mag auch Platon, er der sich selbst nur im Kunstwerke gefiel, so sehr gegen die Dichter geeifert haben: denn von einseitiger Betrachtung der Dichter bewahren sich selbst nicht immer die Gebildeten regeren Gefühls, sie vergessen da so leicht über der Persönlichkeit und dem eben zustimmenden Wortgehalte die Kunst, die doch Höheres will, als Wahrheit. Wo läge z. B. der Name Dante, hätte man nur diess und jenes in ihm gefunden, und nicht Kunst? Welchen Befangenen ärgern nicht

1) Die angeführten Worte klingen Schillerisch: Aesthetische Erziehung, Ende des sechsten und siebenten Briefes; Naive und sentimentalische Dichtung in der Anmerkung: ,Für den wissenschaftlich prüfenden Leser.'

2) Solger Carl Wilhelm Ferdinand, 1780-1819; Sophokles' Tragödien übersetzt 1808; Erwin, Vier Gespräche über das Schöne und die Kunst, 1815; Philosophische Gespräche, 1817; Nachgelassene Schriften und Briefwechsel, herausgeg. von L. Tieck und Fr. v. Raumer, 1826; Vorlesungen über die Aesthetik. herausgeg. von K. W. L. Heyse, 1829. - Das Citat ist aus den Nachgelassenen Schriften und Briefwechsel, 2, 42.

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