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Pädagogisches Lesebuch

für Lehrerseminare

von

Dr. W. Ostermann

Geh. Regierungsrat und Provinzialschulrat in Berlin.

Fünfte Auflage.

STANFORD LIBRARY

Oldenburg und Leipzig, 1915.
Schulzesche Hof-Buchdruckerei und Verlagsbuchhandlung.

Rudolf Schwarh.

Alle Rechte vorbehalten.

275117
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Vorwort zur ersten Auflage.

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Es hat sich in neuerer Zeit mehr und mehr die Erkenntnis geltend gemacht, daß
der pädagogische Unterricht an Lehrerseminarien, was das Historische desselben betrifft,
es weniger auf die Vollständigkeit eines alle Zeiten und Völker umfassenden Wissens,
als vielmehr auf möglichste Vertiefung in einzelne für die Gegenwart hervorragend
bedeutsame Erscheinungen abzusehen habe. Daraus hat sich dann von selbst die weitere
Forderung ergeben, daß das Historische dieses Faches durch eine möglichst eingehende
Lektüre wertvoller pädagogischer Schriften zu ergänzen sei, wodurch eben die ver-
langte Vertiefung" zugleich auch eine wünschenswerte Belebung und in gewissem
Sinne auch Veranschaulichung des historischen Unterrichts am wirksamsten sich ers
zielen läßt. Zweifellos steht hiermit die Tatsache in Zusammenhang, daß in neuester
Zeit die pädagogische Literatur durch zahlreiche neue Ausgaben wertvoller pädagogischer
Schriften früherer Zeit bereichert worden ist. So erfreulich diese Erscheinung an sich
ist, so ist doch nicht zu leugnen, daß dem beregten Bedürfnisse des Seminarunter-
richts damit nur teilweise abgeholfen ist. Denn wenn auch die Anschaffung einzelner
solcher Ausgaben, z. B. der billigen Volksausgaben von Pestalozzis Lienhard und
Gertrud, Salzmanns Ameisenbüchlein 2c., den Schülern unbedenklich wird zugemutet
werden dürfen, so würde doch die Forderung, daß sie sich den gesamten Lesestoff, den
der pädagogische Unterricht zu verarbeiten pflegt, auf diesem Wege beschaffen sollten,
ihre finanzielle Leistungsfähigkeit übersteigen. Und auch abgesehen davon würde jene
Forderung auf Schwierigkeiten stoßen bzw. Weitläufigkeiten und Umständlichkeiten be-
dingen, die zu sehr auf der Hand liegen, als daß sie hier besonders ausgeführt zu
werden brauchten.

Aus diesen Gründen ist bereits von verschiedenen Seiten der Versuch gemacht
worden, den Schülern das nötige Lese-Material auf anderem Wege zugänglich zu
machen. So zunächst in einigen Lehrbüchern der Pädagogik (von Kahle,
Schumann u. a.), in deren historischen Abschnitten den biographischen Mitteilungen
„Quellenauszüge“ aus den Schriften der betr. Pädagogen beigegeben sind. Ferner
sind bereits sogen. „Chrestomatien“, „Sammlungen_pädagogischer Lesestücke“ zc. er-
schienen von Bürgel, Reineke, Schumann, Sperber -: mehr oder minder
umfangreiche Werke, die ausschließlich pädagogischen Lesestoff bieten und also be=
reits als eigentliche „pädagogische Lesebücher" angesehen werden können, wenn sie sich
auch nicht so nennen. Indessen keines dieser Bücher, wenn auch jedes in seiner Art
große Vorzüge haben mag, dürfte durchaus den Anforderungen entsprechen, welche an
ein pädagogisches Lesebuch für Seminarien gestellt werden müssen. Abgesehen von der
Schumannschen Chrestomatie und den Sperberschen Lesestücken, die beide sehr umfassend
angelegt, aber unvollendet geblieben sind, ist der Lesestoff der betr. Bücher fast durch-
weg zu dürftig und bruchstückartig. Auszüge in dem winzigen Umfange von
1-5 Druckseiten aus so bedeutsamen und umfangreichen Schriften wie des A. Comenius
"großer Unterrichtslehre" (cf. Kahle „Grundzüge der ev. Volksschulerziehung“), Pesta=
lozzis „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt" (cf. Schumann Lehrbuch d. Päd.), Diesterwegs
Wegweiser (ebendort), Herbarts Schriften (cf. Bürgel, pädag. Chrestomatie) 2c.
noch dazu, wenn die einzelnen Abschnitte und Säße solcher Schriften ohne überleitende
Verknüpfungen zusammenhangslos aneinander gereiht sind geben fein treues Bild
von der Sache und sind einer „Vertiefung“ des Unterrichts eher hinderlich als förderlich.

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Es versteht sich, daß nicht alle für den pädagogischen Unterricht in Frage kommen-
den Schriften auf dem Seminar unverkürzt gelesen werden können, daß man sich in
vielen Fällen mit einem Auszuge wird begnügen müssen. Aber solche Auszüge,
wenn sie von dem Inhalt der betr. Schrift ein einigermaßen treues Bild geben sollen,
müssen dann doch wenigstens das Hauptsächlichste derselben enthalten, und zwar in
geordneter Übersicht und mit verknüpfenden Überleitungen; oder wenn es mehr nur
auf eine Charakteristik der Eigenart des betr. Schriftstellers durch einen oder einzelne
aus dem Zusammenhang des Ganzen herausgelöste Abschnitte abgesehen ist, dann
müssen dies wenigstens größere, abgerundete, ganze Abschnitte sein, da in der
Regel doch nur aus einem größeren, reicheren Zusammenhange des Autors Art

zu denken und zu schreiben sich treu erkennen läßt. Nur bei solchen Schriften, die
selbst einen aphoristischen Charakter tragen (etwa Jean Pauls Levana), oder bei solchen,
die sich aus einer Vielheit kleiner gleichartiger Lehrstücke zusammenseßen (z. B. Rochows
Kinderfreund), oder da, wo es sich um wertvolle pädagogische Einzelheiten handelt,
die in einem für die Zwecke des pädagogischen Unterrichts belanglosen Zusammenhange
vorkommen (z. B. manche pädagogische Kernsprüche Luthers), und in ähnlichen Fällen
wird es gestattet sein, von jenen Regeln eine Ausnahme zu machen.

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Man könnte einwenden, daß Schriften der genannten Art auf dem Seminar

allerdings ganz zu lesen seien, daß es darum aber doch nicht erforderlich erscheine,
sie in ein pädagogisches Lesebuch" aufzunehmen, da sie auch in Sonderausgaben für
den Schüler zu haben seien. Wir sind in diesem Punkte anderer Ansicht. Wir meinen,
daß der Schüler das gesamte pädagogische Lesemcterial, welches während der
Seminarzeit sei es im Unterricht, sei es als Privatlektüre zu verarbeiten ist,
in dem pädagogischen Lesebuche beisammen haben müsse, und haben dementsprechend
das vorliegende Buch eingerichtet. Für den Schüler entsteht daraus der Vorteil,
daß er billiger fährt, daß er seine Lektüre stets geordnet beisammen hat und sie auch
zeitlebens sicherer beisammen behalten wird, als wenn sie sich aus losen Einzelheften
zusammensett; der Unterricht aber wird auf diese Weise vor mancherlei Weit-
läufigkeiten und Unzuträglichkeiten bewahrt, die im anderen Falle, wie Verfasser aus
eigener Erfahrung weiß, gar nicht zu vermeiden sind.

Wir haben unser Lesebuch, wie bereits bemerkt, zum Gebrauch für Lehrer-

seminare bestimmt ohne damit natürlich eine anderweite Benußung (von

Lehrern, Studierenden 2c.) ausgeschlossen wissen zu wollen. Ob wir in der Auswahl

des Lesestoffes durchweg das Richtige getroffen und den Umfang desselben im Ver-

hältnis zu dem Bedürfnis und der Leistungsfähigkeit der Seminarzöglinge richtig ab-

gegrenzt haben, darüber wagen wir selbst natürlich nicht zu entscheiden. Wesentlich

bestimmend war für uns in dieser Beziehung ein Zweifaches: einmal nämlich die

eigene Erfahrung eines 16jährigen Unterrichts, die darüber entscheiden mußte, was

für die Seminarzöglinge verdaulich und nüßlich sei und wie viel sie bewältigen können,

und sodann der oben bereits ausgesprochene Grundsaß, daß es besser sei, aus wenigen

Schriften viel, als aus vielen Schriften wenig zu lesen. Gerade nach dieser Seite

hin unterscheidet sich unser Lesebuch wesentlich von andern Büchern dieser Art.

Während z. B. die „pädagogische Chrestomatie" von Bürgel auf 285 Druckseiten

91 Nummern bietet, bringt unser Lesebuch auf 640 Seiten nur 24 Nummern: gewiß

ein Manco unseres Buches in den Augen desjenigen, der das Hauptgewicht auf die

Mannigfaltigkeit der Auswahl legt, nach dem Urteil desjenigen aber vielleicht ein

Vorzug, der mit uns dem Grundsage huldigt: nun multa, sed multum! Durch

diese Einschränkung, insonderheit auch durch Weglassung der gesamten vorchristlichen

pädagogischen Literatur, wurde es uns möglich, einige besonders wichtige und für

Schüler verständliche Schriften, z. B. Luthers Sendschreiben, Rochows Geschichte

meiner Schulen, Salzmanns Ameisenbüchlein, Pestalozzis Lienhard und Gertrud u. a.

unverkürzt wiederzugeben, aus solchen Schriften aber, die nicht ganz aufgenommen

werden konnten, wenigstens reichere und abgerundetere Auszüge zu bieten, als es

seither zu geschehen pflegte.

Auf biographische Mitteilungen über die Autoren haben wir verzichtet, da wir

von der Vorausseßung ausgehen durften, daß jeder Seminarist (auch jeder Lehrer)
ein Lehrbuch der Pädagogik zur Hand hat, welches darüber die erforderliche Auskunft
gibt. Auf die bezüglichen Paragraphen unseres eigenen Lehrbuchs der Pädagogik
haben wir, um das Nachschlagen zu erleichtern, überall ausdrücklich hingewiesen. Die
den einzelnen Lesestücken vorausgeschickten, Vorbemerkungen" enthalten teils ge-
schichtliche Mitteilungen über die Entstehung 2c. der betr. Schriften, teils und haupt-

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sächlich wollen sie über deren Inhalt orientieren. Die beigegebenen Anmerkungen
historische Notizen über die in den betr. Schriften berührten Personen und Tat-
sachen, sowie sprachliche und sachliche Erläuterungen sollen sowohl dem Lehrer als
dem Schüler die Arbeit erleichtern; jenem sollen sie mühseliges Nachschlagen, diesem
das leidige Nachschreiben ersparen.

Oldenburg, im September 1892.

Dr. Oftermann.

Vorwort zur zweiten Auflage.

Das Lesebuch ist in der vorliegenden zweiten Auflage um 5 neue Lesestücke be-

reichert worden: 1) Einiges von und über Ratke, 2) eine Schulprüfung Friedrich

Wilhelms I. (nach HiltÏ), 3) Abschnitte aus Fichtes Reden an die deutsche Nation,

4) zwei Auffäße von Harnisch (a. über den Unterricht in der Weltkunde, b. über

Fr. Friesen als Erzieher und Lehrer) und 5) ein Auszug aus Michael Sailers
Schrift über Erziehung für Erzieher". Wir haben diese Lesestücke teils nach eigener
Wahl und Schäßung, teils zufolge ausdrücklicher Wünsche der Herren Rezensenten auf-
genommen. Um ein zu starkes Anschwellen und eine Verteuerung des Buches zu
vermeiden, sind dagegen die der ersten Auflage als Anhang beigegebenen Auszüge aus
den Preußischen allgemeinen Bestimmungen" die jedem preußischen Seminaristen
und Lehrer auch anderweit zur Verfügung stehen und aus den „Oldenburg. Grund-
linien 2c.“ fortgelassen. Die erläuternden Anmerkungen, die in der ersten Auflage an
den Schluß des Buches gestellt waren, sind — auf mehrseitig geäußerten Wunsch
nunmehr dem Texte beigegeben worden. Zu weiteren Änderungen hat weder die Kritik
herausgefordert, noch auch Verfasser selbst sich veranlaßt gefunden. Im übrigen darf
auf das Vorwort der ersten Auflage verwiesen werden.

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Breslau, im Februar 1901.

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Dr. Oftermann.

Vorwort zur vierten Auflage.

Um den Wünschen der Herren Rezensenten und den Bedürfnissen des pädago-
gischen Unterrichts an den Lehrerseminaren nach Möglichkeit Rechnung zu tragen,
hat Verfasser auch in der neuen Auflage wieder einiges für minder wertvoll Befundene
fortgelassen oder gekürzt, dagegen die hervorragend wichtigen Autoren zum Teil noch
in weiterem Umfange, als seither, zu Wort gelassen. So sind die Auszüge aus
Comenius großer Unterrichtslehre und Rousseaus Emil wesentlich vervollständigt und
abgerundet, und besonders ist Pestalozzi reicher bedacht, von dem u. a. auch die

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