Volksvertretung, mit welcher das Erfordernis eines höheren Quorums verbunden zu sein pflegt 1, liegt das Bedürfnis des Schutzes der Minoritäten mit zu Grunde. Dagegen soll das retardierende Moment der wiederholten Beratung und Beschlussfassung die Gelegenheit bieten, Aenderungen in der Anschauung über die Frage der Verfassungsrevision zur Geltung zu verhelfen 2. Von grosser politischer Tragweite ist die Bestimmung der vorherigen Erneuerung der zur Verfassungsrevision berufenen Kammern. Hier wird die Frage der Verfassungsänderung mittelbar der Wählerschaft gestellt, welche sich durch die Neuwahl für oder gegen dieselbe aussprechen kann. Mit der Verfassungsänderung ist hier eine eigene, ad hoc gewählte Kammer betraut 3. Mit dieser Massregel steht in innerem Zusammenhange und ist mit derselben auch häufig verbunden die Bildung eigener Vertretungskörper zum Zwecke der Verfassungsrevision, sei es durch Verstärkung der gesetzgebenden Körperschaft, sei es durch Vereinigung der beiden Kammern derselben 4. Dadurch wird neben dem gesetzgebenden ein besonderer konstituierender Organismus im Staate geschaffen, welcher in der Frage der Verfassungsrevision sich von anderen Motiven leiten lassen kann als 1 Oesterreich § 15 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, R.G.Bl. Nr. 141 (Zweidrittelmehrheit, Hälfte der Mitglieder des Abgeordnetenhauses); die Kremsierer Verfassung, Art. 158, schrieb ein Quorum von drei Vierteilen der Mitglieder und die Zweidrittelmehrheit vor, ein Verhältnis, welches gegenwärtig für die Aenderung der Landesordnungen gilt; die Verfassung vom 4. März 1849 setzte dasselbe Stimmenverhältnis fest mit Ausnahme des ersten Reichstages, auf dem Verfassungsänderungen im gewöhnlichen Wege der Gesetzgebung beantragt werden konnten. Hierher gehören ferner die meisten deutschen Staaten; dann Norwegen Art. 112; Belgien Art. 131; Rumänien Art. 129; Serbien Art. 103; Griechenland Art. 107 etc.; dann das Deutsche Reich Art. 78, insoferne jede Verfassungsänderung durch 14 Stimmen im Bundesrate abgelehnt werden kann. 2 So schon die französische Verfassung vom Jahre 1791; Preussen Art. 107; Königreich Sachsen § 152; Oldenburg Art. 212; Bremen Art. 67; Hamburg Art. 101; Schweden Art. 81; Rumänien Art. 129; Griechenland Art. 107. Portugal Art. 143; Schweden, Reichstagsordnung Art. 64; Norwegen Art. 112; Dänemark Art. 95; Island Art. 61; Niederlande Art. 197; Luxemburg Art. 114; Belgien Art. 131; Rumänien Art. 129; Griechenland Art. 107; (ferner der Kremsierer Verfassungsentwurf § 158). Ersteres in Griechenland Art. 107; dann in der Verfassung der zweiten französischen Republik vom 4. November 1848, Art. 22; letzteres im heutigen Frankreich, Art. 8 des Gesetzes vom 25. Februar 1875. jener und insbesondere auch die durch die Gesetzgebung geforderte Revision vereiteln kann. Bei der Vereinigung beider Kammern zu einer Revisionskammer wird die der Zahl nach stärkere in der Regel den Ausschlag geben. Der Majorisierung einer Kammer durch die andere wird demnach am besten durch das Mittel des vorausgehenden Revisionsbeschlusses jeder der beiden Kammern vorgebeugt werden können. In noch erhöhtem Masse erscheint das Revisionswerk dem normalen Gange der Gesetzgebung dort entzogen, wo die endgültige Schlussfassung über die Revision der Gesamtheit der Bürgerschaft anheimgegeben ist. Der Einfluss der Agitation pflegt hier eine grosse Rolle zu spielen; bekanntlich sind die Verfassungsänderungen radikalster Natur, namentlich auch Aenderungen der Staatsform, vielfach im Wege der Volksabstimmung herbeigeführt worden 1. Es darf übrigens nicht aus dem Auge gelassen werden, dass die hier angeführten Kautelen gegen überstürzte Verfassungsänderung meistens miteinander kombiniert sind und erst in dieser Kombination eine Gewähr für die Erhaltung der Verfassung überhaupt und damit auch der bestehenden Staatsform bieten werden. Für diese speziell kommen sie nur nebenher, neben den ausdrücklichen Garantiebestimmungen und namentlich neben den in der Organisation der Gewalten im Staate selbst liegenden Garantien als weiteres Schutzmittel in Betracht 2. Sie können als solche auch entbehrt werden, wie das Verfassungsrecht derjenigen Staaten beweist, in welchen die Aenderung der Verfassung an keine strengeren Bedingungen geknüpft ist als die Aenderung der übrigen Gesetze 3. 1 Ueber die einschlägigen Bestimmungen der amerikanischen Union und der Schweiz, dann über das Plebiszit in Frankreich vgl. BORGEAUD a. a. O. S. 157 ff. Siehe auch unten Kapitel 4. 2 Daraus ist es zu erklären, dass die Verfassungsänderung in den Republiken und den auf demokratischer Grundlage beruhenden Monarchien in der Regel an schwerere Bedingungen geknüpft ist als in den altmonarchischen Staaten, wie z. B. der Vergleich der überaus komplizierten Bestimmungen der Staatenverfassungen der amerikanischen Union mit den Verfassungsbestimmungen der meisten europäischen Monarchien darthut. 3 England, Ungarn, Italien, Spanien, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Anhalt, Reuss j. L. Drittes Kapitel. Wesen und Arten der Staatsformen, I. Aus dem Vorstehenden ist zu ersehen, dass es die Republiken und einige auf demokratischer Grundlage ruhende Monarchien sind, deren Verfassungen eine besondere Gewährleistung der bestehenden Staatsform enthalten, während die Mehrzahl der monarchischen Staaten einer derartigen besonderen Garantie entbehrt. Diese Erscheinung ist offenbar keine zufällige, sie ist im Wesen der staatlichen Organisation selbst tief begründet. Gewisse Staatentypen tragen schon in sich die Garantie ihres Bestandes, andere dagegen nicht, und diese glauben, den inneren Mangel an Stabilität der Staatsform durch besondere Verfassungsbestimmungen ersetzen zu können. Um aber diese Erscheinung richtig würdigen. zu können, muss das Wesen der Staatsform selbst näher betrachtet werden. II. Der Erkenntnis desselben stellen sich zunächst zwei Momente hindernd entgegen. Erstens pflegen Elemente aus der materiellen Thätigkeit des Staates, aus dem Inhalte derselben in den Begriff der Staatsform einbezogen zu werden, während es sich bei diesem ausschliesslich der Rechtsordnung des Staates angehörenden Begriffe nur um die formale Seite staatlicher Thätigkeit handelt, unbekümmert um die Ziele dieser Thätigkeit selbst. Daher ist die von der griechischen Staatsphilosophie aufgestellte Unterscheidung der Staatsformen nach den ethischen und sozialen Eigenschaften der herrschenden Personen in richtige, dem Gemeinwohle dienende und in entartete, dem Wohle bloss der herrschenden Personen dienende 1 für die rechtliche Erkenntnis wenig brauchbar. Die rationalistische Methode der naturrechtlichen Staatslehre hat hier dagegen durch die Unterscheidung zwischen dem status rei publicae als der nach aussen hervortretenden Organisation der Gewalten im Staate und der ratio imperandi als der Art und Weise der Anwendung der staatlichen Thätigkeit selbst die richtige Erkenntnis angebahnt. 2 2 1 ARISTOTELES, Polit. III, 3, 4, 5 (ed. Susemihl). Vgl. BODINUS, De republica libri sex, Frankfurt 1609, II, Kap. 2, S. 295: „Illud enim admonendi sumus, Reipublicae statum ab imperandi ratione distare plurimum: quod antea nemo, quantum intelligere potuimus, animadvertit. Nam Reipublicae status Regalis esse potest, gubernatio tamen popularis futura est, si Rex omnia imperia, sacerdotia, curationes poenas item ac praemia omni Jedes Staatswesen als konkrete Erscheinung ist das Produkt einer Reihe von äusseren Verhältnissen, als der geographischen Lage, der Bodenbeschaffenheit und der materiellen Hilfsquellen des Landes, der Begabung und Neigung der Bevölkerung, der historischen Vergangenheit derselben. Doch diese thatsächlichen Momente werden ebenso wenig die rechtliche Ordnung im Staate unmittelbar bestimmen, als sie durch dieselbe umgekehrt hervorgebracht worden sind; die rechtliche Ordnung kann keineswegs diejenigen Güter schaffen, welchen der Staat nachstrebt, sie kann nur durch entsprechende Regelung der staatlichen Thätigkeit die Vorbedingungen für die Erlangung dieser Ziele herbeiführen. Daher bilden für den Juristen nicht die politischen oder ethischen Zwecke den Einteilungsgrund der Staaten, sondern nur die formale Gliederung der staatlichen Organe. Andererseits sind aber die im Staate herrschenden ethischen und politischen Interessen geeignet, eine rechtliche Umgestaltung des Staates vorzubereiten. Sie treten jedoch, namentlich in ihrem Anfange, nicht immer mit einer derartigen Klarheit hervor, um zur Rechtsbildung zu führen, d. h. um bei der Regelung der Stellung und Kompetenz der Staatsorgane durch die Verfassung entsprechend zum Ausdrucke zu kommen, geschweige denn, um zu einem allgemeinen rechtlichen Typus zu werden. Dadurch wird aber in die Erkenntnis der Staatsform eine Unbestimmtheit eingeführt, indem neben staatlichen Formen, welche bereits allgemein in den Verfassungen zur rechtlichen Bestimmung gelangt sind, auch noch nicht ausgereifte Erscheinungen der Staatsentwicklung, die noch nicht zur begrifflichen Fixierung geeignet sind, als besondere Staatsformen angeführt werden. Als Beispiel mögen die Varianten gelten, welche sich innerhalb der beschränkten Monarchie durch die verschiedenen Beziehungen zwischen den beiden unmittelbaren Organen, Monarch und Volksvertretung, ergeben können, indem bald das eine, bald das andere die Vorherrschaft erlangt, bald wiederum das Gleichgewicht beider vorliegt. Insbesondere bus ex aequo distribuat: si vero Princeps imperia, honores, magistratus, patritiis vel divitibus, vel fortibus, vel studiosis tantum impertiat, regia potestas erit, et quidem simplex ac pura; sed Aristocratica ratione temperata. Ita quoque optimates pauci Rempublicam populari modo regere possunt, si cives omnes omnium magistratuum participes fecerint: aut Aristocratice, si paucis quibusdam, qui aut virtute, aut censu, aut nobilitate caeteris praestent: quae diversitas eos in errorem impulit, qui Respublicas plures tribus, erroris opinione, sibi finxerunt. Aehnlich HOBBES, De cive, Kap. VII, 2, 3; vgl. auch WOLFF, Jus nat. VIII, § 152. für die Machtverschiebung zu Gunsten des Parlamentes, welche sich u. A. in dem thatsächlichen Entfallen des monarchischen Gesetzesveto und in der Oktroyierung der Minister aus der herrschenden Parlamentsmajorität äussert, für die sogenannte parlamentarische Monarchie, ist noch kein allgemein angenommener rechtlicher Typus ausgebildet, und es ist fraglich, ob es zu einer derartigen rechtlichen Fixierung je kommen werde. Denn wenn für die parlamentarische Monarchie auch durch gewisse Verfassungsbestimmungen, wie die vollständige jährliche Budget- und Rekrutenbewilligung, die Teilnahme der Minister an den parlamentarischen Verhandlungen etc. die Voraussetzungen geschaffen werden können 1, so liegt doch das wesentliche Element dieser Erscheinungsform in politischen, von der Rechtsordnung nicht unmittelbar ergreifbaren Verhältnissen, als in der geschichtlichen Vergangenheit des Staates, der Grösse, Gruppierung und politischen Fähigkeiten der parlamentarischen Parteien, wofür die Verschiedenheit der Entwickelung in Staaten mit wesentlich übereinstimmenden Verfassungsbestimmungen den besten Beweis bietet 2. Noch mehr aber erschwert ein zweites Moment die rechtliche Feststellung der Staatsform. Es ist dies der verschiedenartige Werdegang der Staaten, namentlich derjenigen, welche eine kontinuierliche, durch gewaltsame Umwälzungen nicht unterbrochene Entwickelung darstellen. Wie bei manchem altertümlichen Baudenkmale, welches an seinen verschiedenen Stylarten den Charakter der Kunstepochen erkennen lässt, die auf dasselbe eingewirkt haben, ragen auch hier Einrichtungen längst überwundener Epochen des Staatslebens in die Gegenwart herein, die Einheitlichkeit des Bildes störend. Durch seine geschichtliche Entwickelung wird jeder Staat zur Individualität. Da die Entwickelung der politischen Machtverhältnisse zur Bildung des Verfassungsrechtes führt, diese Entwickelung aber 1 Die letzt angeführte Einrichtung sollte in Norwegen zur Einführung des parlamentarischen Regimentes dienen; dieselbe wurde bekanntlich erst nach Beilegung des Verfassungskonfliktes im Jahre 1884 in den Art. 74 der Verfassung aufgenommen. Vgl. SEIGNOBOS, Histoire politique de l'Europe contemporaine, S. 534 ff. 2 So hat sich z. B. trotz den im wesentlichen übereinstimmenden Bestimmungen der österreichischen und der belgischen Verfassung hinsichtlich der jährlichen Steuer- und Rekrutenbewilligung, der Teilnahme der Minister an den Verhandlungen des Parlamentes etc. das parlamentarische Regime in Oesterreich im Gegensatze zu Belgien bisher nicht durchzusetzen vermocht. Vgl. hierzu JELLINEK, Staatslehre, 1900, S. 644 ff. |