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I.

REDE ZUR ENTHÜLLUNG

DES

GOETHE-DENKMALS IN FRANZENSBAD

AM 9. SEPTEMBER 1906.

VON

A. SAUER.

enn Goethe unserer Literatur fehlte, dann fehlte ihr die Sonne am Himmel.« In diese knappe schlichte Formel faßte Jakob Grimm, der große Kenner des deutschen Volkstums, Goethes Bedeutung für unsere Literatur zusammen. Ohne Goethe gäbe es keinen Kosmos deutschen Schrifttums, kein Ganzes deutscher Dichtung; nur einzelne Trümmer, nur Werke deutschschreibender Autoren, ein wüstes Chaos ohne höheren Sinn und ohne organischen Zusammenhang. Er leistete für Deutschland als Einziger, was viele Generationen vor ihm versäumt hatten. In ihm holte Deutschland seine verlorenen Jahrhunderte nach. In ihm verkörpert sich das Höchste, was Deutschlands Volkskraft hervorgebracht hat. An ihm, dem größten Dichter neuerer Zeiten, messen wir alle andern, die ältern und die jüngern. Unerreicht steht sein Künstlergenie da.

Ihm verdankt unsere Dichtung ihre hohe Stelle in der Weltliteratur. Er ist den fremden Völkern der Repräsentant deutschen Wesens und Charakters, das er nach seinem Beispiel umgewandelt, den er nach seinem Vorbild umgeschaffen hat.

Einem ganzen Jahrhundert deutschen Geistes hat er sein Gepräg aufgedrückt. Sein Einfluß ist noch nicht erschöpft, seine Nachwirkung noch lange nicht abgeschlossen. Lebendige Ströme fließen noch immer von seinem Geist aus. Noch immer ist er für unsere Nation der unversiegliche Feuerquell, das geistige Zentrum, die Sonne unserer Literatur.

Diesem Dichter ersteht heute ein neues Denkmal in deutschen Landen, ein neuer Opferaltar dankbarer und demütiger Verehrung, ein neues 'Siegeszeichen seines unermeßlichen Ruhmes. In einsamer Höhe ragt das olympische Haupt des Dichterfürsten riesengroß empor. Des ewigen Lebens voll, fließt die alte heilige Königsquelle der Dichtung, behütet von den Symbolen der Schönheit und der Wahrheit, ein reines Abbild des begeisterten Dichters, der in der tauigen Frühe des Morgens der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit empfangen. Die unabsehbare Masse seiner geistigen Schöpfungen, verdichtet zu Sinnbildern des Schaffens, durch die Dichtungsgattungen vertreten, in denen er das Höchste geleistet. Abgestreift ist alles Irdische von ihm, versunken des Lebens Glück und Leid, verschwunden alle Einzelheiten seines Daseins. In hehrer Erhabenheit herrscht der mächtige Genius. Die echte und rechte Verkörperung deutscher Kunst.

Und dennoch! Unserer heutigen Betrachtung Pflicht muß es sein, sich ins Engere zu ziehen, des nächsten Anlasses zu gedenken, der gerade in diesem Lande, in dieser Gegend, an diesem Orte das Denkmal erstehen ließ. Denn der Genius wandelte einst auf Erden und es ist unser Stolz, daß er unter uns gewandelt. Wir Deutschen in Böhmen haben zwar Goethe nicht aus unserer Mitte hervorgebracht, was man uns von gewisser Seite höhnisch zum Vorwurf machen möchte. Die Bedingungen für einen solchen Aufschwung waren bei uns nicht vorhanden. Allzuweit zurückgeblieben war die Entwicklung dieses Landes, als daß die Erneuerung der deutschen Kultur von dieser Stelle hätte ausgehen können. Die Natur kennt keine Sprünge, auch in der Entwicklung des geistigen Lebens nicht. Aber an dem Höchsten, was eine Nation hervorbringt, haben alle ihre einzelnen Volksstämme, auch die entlegensten, ihren Anteil, und so dürften wir Goethe auch selbst dann den unsern nennen, wenn er niemals den Boden unserer engeren Heimat betreten hätte.

Das deutsche Böhmen aber war glücklicher als manche andre deutsche Landschaft, die den Genius nie beherbergte. Hier lebte er, hier wandelte, hier ruhte und dichtete er. Die heilsamen Quellen dieses »irdischen Paradieses«<, die

schon so viel Segen über unser Vaterland gebracht haben, sie haben uns auch Goethes Gegenwart und Liebe als eines unsrer kostbarsten Besitztümer beschert. Was unser Land ihm bieten konnte, was er unserm Lande geworden: die Erinnerung daran zieht heut durch unser Gemüt. Von dem Dichter Goethe wenden wir uns zu dem Menschen Goethe. Denn untrennbar ist der eine von dem andern und teuer ist uns alles, was uns erhalten geblieben ist von den verwehten Spuren seines Daseins.

Nicht weniger als sechzehnmal zog Goethe in das bergumschlossene Böhmen. Auf fast vierzig Jahre, von 1785 bis 1823, verteilen sich diese Reisen; in drei getrennte Gruppen zerfallen sie. Das Jahrzehnt von 1785 bis 1795 bildet das Vorspiel. Dreimal weilt er in Karlsbad zur Verhütung mehr als zur Behebung beginnender Leiden. und einmal berührt er das östliche Böhmen bei einem Besuch der Schneekoppe. Von Karlsbad aus tritt er am 3. September 1786 die Reise nach Italien an, die in seinem Leben Epoche machte. Aber Land und Leute blieben ihm im wesentlichen noch fremd. Etwas mitleidig und spöttisch blickt er auf die geistig zurückgebliebene Gegend herab, von falschen Gewährsmännern beraten, liebevoller Beobachtung noch nicht hingegeben.

Die Jahre 1806 bis 1813 bilden den zweiten Abschnitt. Alljährlich, mit Ausnahme von 1809, bringt er viele Wochen und Monate in Karlsbad, später auch in Teplitz zu. In den aufblühenden Weltkurorten lernt er die Blüte des europäischen Geburts- und Geistesadels kennen: Monarchen, Staatsmänner, Feldherrn; Künstler und Kunstkenner; Gelehrte. Die schönsten Frauen umschwärmen den weltberühmten Dichter, der sich, frei von den Geschäften, der Hofetikette und dem kleinstädtischen Zwang Weimars, in heiterster Laune der reichen und bunten Geselligkeit hingiebt. Immer von neuem macht er hier eine geistige und körperliche Wiedergeburt durch. Das fremde Land, in das die Ärzte ihn gesandt, wird ihm auf diese Weise lieb und vertraut, unentbehrlich und teuer. Den Naturforscher zieht die eigentümliche geologische Beschaffenheit Böhmens an, die er immer eingehender studiert; einzelne geologische Merkwürdigkeiten, wie der Kammerbühl, beschäftigen ihn leidenschaftlich sein Leben lang. Den Naturfreund fesselt die landschaftliche Schönheit, den Kunstkenner die Kunstschätze des Landes, den Staatsmann die fremdartigen politischen und sozialen, landwirtschaftlichen und industriellen Ver

GOETHE-JAHRBUCH XXVIII.

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hältnisse, den gebornen Protestanten die fremde Welt des Katholizismus in der frommen Bevölkerung, in den Festen und Prozessionen, in den Wallfahrtsorten und Stiftern des Landes, von denen er damals Ossegg näher kennen lernt, den Dichter die Sagen unserer Landschaft. Jedes Vorurteils bar, verkehrt er ungezwungen mit Jedermann. Schon damals fesselt die dämonische Gestalt des Egerer Scharfrichters Karl Huß, eines vom Glück begünstigten Kuriositätenund Münzensammlers, seine Aufmerksamkeit. Er verkehrt in den Familien und auf den Schlössern des böhmischen Hochadels, der Lobkowitz, Bouquoi, Liechtenstein u. a., er verfolgt deren gemeinnützige Bestrebungen und spricht öffentlich sein Lob darüber aus; treffliche Gelehrte wie der Philosoph Bolzano, verdiente Techniker wie der Begründer der Prager technischen Hochschule Gerstner, Ärzte und Naturforscher wie Reuß in Bilin oder Stolz in Außig, Schulmänner wie der Ossegger Geistliche und Komotauer Professor Dittrich flößen ihm Achtung ein vor dem geistigen Streben des Landes, trotz der großen Abgeschlossenheit und dem harten Druck der Zensur. Er bemerkt den tüchtigen Kern, der im deutsch-böhmischen Volksstamme steckt. Und seine Teilnahme, sein Zuspruch, sein Rat weckt die schlummernden Kräfte, feuert zu größerer Tatkraft, zu weiterer Umschau an.

In diesem Zeitraum verweilte er auch längere Zeit hier in Franzensbad.

Goethe hat unsern Ort auf seinen Reisen oft berührt, meist nur für wenige Stunden; aber er verfolgte die Entwicklung des Badeortes von seinen dürftigen Anfängen bis in die Zeit seiner Blüte mit billigender Zustimmung und freudigem Staunen. Teuer war ihm der Ort bei längerem Aufenthalt im Jahre 1808 geworden: für Franzensbad das eigentliche Goethejahr. Eine liebliche Idylle spielte sich hier ab, von Karlsbad für wenige Wochen hierher verpflanzt; heitere, vergnügte Tage verlebte er hier, die belebend und verjüngend auf ihn einwirkten. Der schöne Mittelpunkt dieser Episode, die anmutige Sylvie von Ziegesar, ist im Kreis der Goethischen Frauengestalten nicht so berühmt wie Minna Herzlieb oder Ulrike von Levetzow; auch schwebt uns ihre hoch aufgeschossene, überschlanke, Gestalt mit dem länglichen Antlitz, mit dunklem Haar und Aug bisher nur schattenhaft vor und ihr Charakterbild auszugestalten bleibt der Forschung der Zukunft vorbehalten. Goethe kannte das altenburgische Ministertöchterlein von Kind an, ihre Familie war ihm seit Generationen in allen Verzweigungen wohlvertraut, auf ihrem elterlichen Gute Drakendorf bei Jena war er wie zu

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