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einen ansehnlichen Eindruck macht. Es ist die Niederlassung des Deutschen Ritterordens, die gegen Ende des 13. Jahrhunderts von der Ordensballei Hessen begründet und der Kommende Schiffenberg bei Gießen zugeteilt wurde.

Das große Eingangstor war noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts geschmückt mit dem Wappen der Deutschherren, dem schwarzen Ordenskreuze in weißem Felde. Das alte Hauptgebäude, das den Hintergrund einnahm, stand mehrere Jahrhunderte, bis im 17. Jahrhundert ein stattlicher massiver Neubau an seine Stelle trat. Dieses Hauptgebäude war zu Goethes Zeit vermietet an den Reichskammergerichtsprokurator und Hofrat Brandt; gegenwärtig dient es als Heimstätte für arme Waisenkinder.

Die beiden Seiten des Hofes nehmen Wirtschaftsgebäude ein. Unmittelbar an das Hauptgebäude stößt ein hoher Bau, dessen Räume als Ställe und Speicher dienten. Hieran schließt sich ein niedriger, bescheidener Fachwerkbau mit einem sich deutlich abhebenden Anbau. Das ist das Wohnhaus des Amtmannes Heinrich Adam Buff, der von 1740 an als Ökonomieverwalter und von 1755 bis 1795 als Amtmann des Deutschen Ordens tätig war. Der ältere Teil des Hauses scheint gegen Ende des 17. Jahrhunderts erbaut worden zu sein. Den Anbau, der die Ecke gegen das Hoftor hin einnimmt, hat höchstwahrscheinlich der Amtmann Buff selbst errichtet, als seine anwachsende Familie in dem ursprünglichen Wohnhause nicht mehr Raum genug hatte.

Das ganze Haus besteht aus zwei niedrigen Stockwerken; die Längsseite nach dem Hofe hin mißt 20 Meter und enthält zwei Reihen von acht kleinen Fenstern und in dem älteren Teile die Haustür mit drei Treppenstufen. Die Breitseite nach dem Hoftore hin mißt nur fünf Meter; hier befinden sich im ersten Stock zwei Fenster. Die Rückwand, die zum Teil von der hohen Hofmauer gebildet wird, stößt an die oben genannte Pfaffengasse.

Das Haus wurde bewohnt von dem alten Amtmann Buff bis zum Jahre 1795, dann von seinem Sohne Georg, der sein Nachfolger als Amtmann war, bis zum Jahre 1822 und von dessen Witwe noch bis zum Jahre 1848. Dann war es noch einige Jahre vermietet, bis die städtische Armenverwaltung es für die Zwecke des Kinderheims verwertete.

Das Innere hat im großen und ganzen seinen ursprünglichen Zustand behalten. Die Treppe vor der Haustür wurde vor längerer Zeit ausgebessert und der Flur mit einem neuen Steinbelag ausgestattet. Rechts liegt die Küche und daran anstoßend kleine Wohnräume der Schwestern des Kinderheims. Der Raum links vom Eingange, der jetzt für Schulzwecke eingerichtet ist, war das Kinderzimmer der Familie Buff. Hier

fiel Goethe > das reizendste Schauspiel in die Augen, das er je gesehen hatte«, hier erblickte er Lotte zum erstenmale, umringt von ihren Geschwistern, denen sie Brot austeilte.

Eine enge Treppe führt hinauf zu dem ersten Stock mit einem schmalen Gange, zu dessen beiden Seiten mehrere kleine Zimmer liegen, die gleichfalls von den Schwestern des Kinderheims als Wohnung benutzt werden. Nach der anderen Seite, in dem Anbau, liegen die Räume, von denen der größte das Gesellschafts- und Prunkzimmer der Familie Buff war. Mit leisem Schauer tritt wohl mancher Besucher in diesen Raum, umweht von dem Hauche jener Tage, da Goethe hier einund ausging, da sich die ersten Fäden spannen zu dem Roman, der eine so gewaltige Wirkung auf die Gemüter ausgeübt hat wie kein anderer der Weltliteratur. Da ist noch dieselbe Wandbekleidung wie zu Lottes Zeit: große Figuren in grüngehaltenen Feldern mit blauer Umrahmung; da stehen noch die alten Möbel, kunstvoll gearbeitet, der runde Tisch vor dem Sopha, der kleine Spieltisch, die Kommode und das Spinett. Zwischen den kleinen Fenstern der einen Wand schimmert der prächtige Rokkokkospiegel mit der Konsole und zu beiden Seiten die Leuchter; über dem Sopha hängen die beiden kleinen Ölbilder, die den alten Amtmann in Jagdkleidung und Lotte als junges Mädchen darstellen, und in der Ecke neben dem altmodischen Ofen die buntbemalte Wanduhr mit ihren großen Gewichten.'

Zu Anfang des Jahres 1906 wurden an dem Hause einige notwendige Wiederherstellungsarbeiten vorgenommen. Der Raum vor dem alten Lottezimmer wurde als kleines Museum der Wertherzeit eingerichtet. Hier fand der Stamm der alten Linde, die an dem Goethebrunnen gestanden hatte, bis im Jahre 1890 ein Sturm sie fällte, eine bleibende Stätte. Der schon vorhandene Bilderschmuck der Wände wurde durch

Die alten Möbel wurden im Jahre 1848 nach dem Tode der Witwe des Amtmannes Georg Buff versteigert; die meisten wurden von einem Herrn Georg Drullmann angekauft und später der Stadt für die Wiedereinrichtung des Lottezimmers zur Verfügung gestellt. Das noch vorhandene Rechnungsbuch des Herrn Drullmann enthält einen Vermerk über diese Versteigerung. Es geht daraus hervor, daß sich unter den Möbeln auch das Spinett befand, das nicht, wie Düntzer in den >>Abhandlungen zu Goethes Leben und Werken« 1885, I, S. 72 annimmt, in den Besitz des Freien Deutschen Hochstiftes in Frankfurt a. M. gekommen ist. Düntzer stützte sich auf die Berichte des Freien Deutschen Hochstiftes, Ostermonat 1881, S. 4, wo mitgeteilt wird, daß die Frau Witwe Eggers, geb. Kestner, das Spinett der Lotte dem Goethehause überwiesen habe. Dieses Spinett aber hat Charlotte Kestner erst in Hannover erworben; es ist, wie die im Innern angebrachte Aufschrift angiebt, von dem Hof-Orgelbauer Bachmann in Hannover 1799 angefertigt worden. Das Spinett des Lottehauses trägt auf einer Innenleiste den Namen Jacob Marguth, Orgel- und Instrumenten-Macher in Butzbach bey Frankfurt am Mayn.

einige alte Illustrationen zu Werthers Leiden vermehrt. Die Reiseapotheke der Lotte, die aus dem Nachlasse eines ihrer Urgroßonkel von einem freundlichen Gönner dem Lottehause überwiesen wurde, erhielt hier ein würdiges Plätzchen. Sechs Glaspulte wurden aufgestellt und darin zunächst die kleineren Erinnerungsgegenstände aus dem Besitze der Lotte untergebracht: ein Zeichenheft mit ihrer eigenhändigen Namensaufschrift und Musterzeichnungen für Stickereien, mehrere Handarbeiten, ein Täschchen mit ihrem Namenszuge und eine hübsche Stickerei mit den von Rosen und Vergiẞmeinnicht umrahmten Versen:

Geh hin zu Deines Vaters Lust,
Die Zeit wohl zu vertreiben
Der Mädchen kennest Du genug
Die Dir gewogen bleiben

die wohl jeder Leser unwillkürlich auf Goethe bezieht; ferner ein Ohrgehänge und mehrere Kleinigkeiten. Als gleich_kostbarer Besitz gesellten sich hinzu drei Originalbriefe der Lotte, eine von ihr ausgestellte Quittung, ein Brief ihres Vaters, ihres Bruders Hans, ihres Gatten und ihres Sohnes August; daneben ein Brief von Carl Wilhelm Jerusalem (Werther) und von dessen Vater. In den anderen Pulten wurden ausgelegt eine ganze Reihe von Original-Silhouetten der Geschwister der Lotte und ihres Gatten, mehrere Portraits des jungen Goethe und der Personen, die während der Zeit seines Wetzlarer Aufenthaltes mit ihm in Berührung kamen, wie Gotter und Höpfner.

Ferner wurden in übersichtlicher Zusammenstellung die ersten Originalausgaben der Leiden des jungen Werther untergebracht, deutsche und französische Drucke mit den schönen Kupfern von Chodowiecki, Meil, Ramberg und Johannot, sowie eine Anzahl seltener Exemplare der Wertherliteratur. Desgleichen wurde eine Sammlung aller Schriften begonnen, die sich auf den jungen Goethe, seinen Aufenthalt in Wetzlar und auf seinen Roman beziehen; auch solche Werke, die eine Einwirkung auf den jungen Goethe hinsichtlich der Abfassung seines Romanes ausgeübt haben, wurden in diesen Kreis gezogen und in den entsprechend frühen Ausgaben beschafft, so die erste Homerausgabe von Ernesti, die Lieder des Ossian von Denis, Klopstocks Messias,.die Schriften Geßners, Rousseau's Nouvelle Héloise, Goldsmith's Deserted village u. a. m.

Es besteht der Plan, durch Erweiterung der Sammlung des Lotte-Hauses die Wertherzeit in weiterem Umfange zur anschaulichen, reizvollen Darstellung zu bringen. Freudig und dankbar würden wir es begrüßen, wenn uns aus der großen Gemeinde der Goethefreunde eine Förderung unseres schönen Planes zuteil werden würde. LUDWIG SEHER.

NACHTRAG

ZU DEN NEUEN MITTEILUNGEN.

Briefe Goethes.

ZU GOETHE UND FROMMANN.

14 BRIEFE GOETHES.

Herausgegeben von R. HEROLD, bearbeitet von Ludwig Geiger.

Die unten folgenden Briefe stammen aus dem Nachlaß des Königlichen Hofbuchhändlers Sigmund Soldan in Nürnberg. Sie sind mir am 22. April 1907 von Herrn Pfarrvikar Dr. R. Herold in Fürth in Bayern, der das Recht der Herausgabe besitzt, im Original mitgeteilt worden. Da Herr Dr. Herold selbst durch amtliche und wissenschaftliche Arbeiten gehindert war, ihre sofortige Bearbeitung zu übernehmen, die Briefe aber nicht länger der Goethe-Forschung entziehen wollte, so übernahm ich die Arbeit der Herausgabe, um die Briefe noch in diesem Band unterbringen zu können. Dies konnte, wenn auch nicht an richtiger Stelle, geschehen, weil wenige Tage vorher der Festredner der Mitgliederversammlung, Herr Hofrat Minor erklärt hatte, seinen Vortrag in abgekürzter Form im GoetheJahrbuch nicht drucken lassen zu können. Ich hatte im Einverständnis mit dem Vorsitzenden der Goethe-Gesellschaft es zu meinem lebhaften Bedauern ablehnen müssen, den gesamten Vortrag mit den Anmerkungen im Jahrbuch zu bringen, da er in unserem Druck und Format mindestens vier Druckbogen eingenommen haben würde.

Zu der Soldanschen Sammlung gehören außer den im folgenden abgedruckten Briefen noch eine Reihe merkwürdiger Stücke. Zunächst ein Kupferstich Goethes mit der Umschrift:

»Nach Jagemann und C Müller« und der Unterschrift »Johann Wolfgang von Göthe (!), Großherzoglich Weimarischer Minister; geboren den 28. August 1749 zu Frankfurt a. M.« Darunter das Facsimile von Goethes Hand » Weimar den 5. Jan. 1802. Goethe«. Ferner befinden sich darunter zwei Briefe, die hier keine Aufnahme finden konnten, weil sie bereits gedruckt waren: der eine vom 17. April 1821 gedruckt W. A. Band 34. S. 193 (allerdings nach dem Konzept veröffentlicht), sodann auf einem Folioblatt der ganz eigenhändige Brief vom 24. Januar 1822, der bereits G. J. VIII, 279 steht, dort irrtümlich als an Reichel bezeichnet, vorher gedruckt bei Könnecke zum 28. August 1886. (Über die sonstigen der Goethe-Sammlung angehörenden Episteln, die nicht von dem Altmeister selbst geschrieben sind, vergl. unten in den Anmerkungen.) Die zunächst mitgeteilten Briefe Goethes sind sämtlich an Frommanns gerichtet, teils an die Buchhandlung bezw. Druckerei, teils an den alten und jungen Frommann, von denen am Anfang der Anmerkungen ein Wort gesagt werden muß. Sie sind auf Quartblätter oder Quartbogen, nur Nr. 8 und 13 auf einem Oktavbogen, der letztere mit Trauerrand von Schreiberhand geschrieben. Das eigenhändig von Goethe Hinzugefügte ist bei jeder Nummer einzeln angegeben. Adressen sind niemals hinzugefügt; auf der Rückseite der Briefe ist meist mit kaufmännischer Hand das Datum des Empfangs und der Name des Briefschreibers angezeigt.

I.

Ew. Wohlgeb.

gegenwärtig zu begrüßen, sehe mich dadurch veranlaßt, daß ich zu erfahren wünschte: ob Herr von Cotta jenen Vorschlag angenommen und wir unsere Hefte künftig zu sechs Bogen ausgeben können. Da Kunst und Alterthum sich rasch vorwärts bewegt, so wünschte deshalb meine Einrichtung zu treffen und dem sechsten Bogen einen schicklichen Abschluß zu bereiten. Haben Sie die Gefälligkeit mich hierüber bald zu vergewissern und bleiben von meiner unveränderlichen Theilnahme überzeugt; wie ich dann hoffen darf, daß beyfolgendes Manuscript Ihnen Freude machen werde

Weimar d. 2 Octbr. 1822

ergebenst '

I

Eigenhändig.

JWvGoethe

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