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Meiningen am 11. September 1829 berichtet über Goethe ausführlicher: »Als ich von Leipzig nach Weimar reiste, führte mich ein gutes Schicksal mit dem berliner Professor Hecker zusammen auf einen Wagen. Wir näherten uns bald recht herzlich, und da wir gleiche Neigungen haben, machten wir einander die Reise wechselseitig angenehm. Jede Stadt, die wir seither passirten, durchliefen wir zusammen. . In Weimar besuchten wir Schillers Grab; besahen die Bibliothek, welche die Busten von Deutschlands größten Geistern enthält; das großherzogliche Lustschloß Belvedere, das prächtig ist; besahen uns die Häuser von Schiller, Herder, Wieland; besuchten Göthe, der uns recht freundlich aufnahm, und bei dem wir eine halbe Stunde zubrachten. Er dankte mir für die Zusendung meines Handbuches. Göthe hat den 28.ten Aug. sein 80.tes Jahr zurückgelegt, sieht aber um 10 Jahre jünger aus. Er ist außerordentlich vornehm, aber durchaus nicht steif, sondern recht anziehend.< LEO VERÖ.

21. Goethe und Madame Valentin.

In Börnes »Briefen aus Paris« (Originalausgabe I, 37. Gesammelte Schriften 1862, VIII, 39) findet sich unter dem Datum des 19. September 1830 folgende Stelle: »Den Abend brachte ich bei *** zu. Es sind sehr liebenswürdige Leute und die es verstehen, wenn nur immer möglich, auch ihre Gäste liebenswürdig zu machen. Das ist das Seltenste und Schwerste. Es war da ein Gemisch von Deutschen und Franzosen, wie es mir behagt« u. s. w. Um welche Familie es sich hier handelt, lehrt das Original-Manuskript der von Börne an seine Freundin, Jeanette Wohl, gerichteten Briefe, dessen Durchforschung die zeitige Eigentümerin desselben, Frau Dr. Schnapper-Arndt in Frankfurt am Main, mir gütig ermöglicht hat. Hier findet sich ein Beweis für viele, wie stark, besonders in den ersten Briefen, der Druck vom Urtext abweicht unter dem Datum des 20. September 1830: »Gestern Mittag besuchte ich die Valentin. Ich wurde von ihr und den übrigen Mitgliedern der Familie ganz unbeschreiblich artig und freundlich aufgenommen. Sie lud mich auf jeden Abend und besonders auf den Sonntag ein. Man war entzückt, mich kennen zu lernen, man überschüttete mich mit Schmeicheleien über meine Schriften, die Madame Valentin in London, wo sie diesen Sommer gewesen, gelesen hatte. . . Gestern Abend ging ich wieder hin und fand dort fast lauter Deutsche, Herren und Damen, unter anderen Gans, Dr. Koreff, den Dichter Michel Beer etc... Es gefiel mir da sehr gut« u. s. w.

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Diese Familie Valentin (mitunter geschrieben »Vallentin «) an die Börne durch einen Herrn von Welling in Frankfurt empfohlen war, wird noch oft in seinen Briefen erwähnt. Er gedenkt namentlich der Frau, die er einmal »sehr häßlich und geschminkt«<, aber »die beste Frau von der Welt« nennt. Auch erwähnt er eine Schwester derselben, »Madame Leo«. Gelegentlich, am 21. März 1831, schreibt er: »Den Valentins erging es wie es vielen hier ergeht. Sie kamen von Hannover nach Paris um 14 Tage hier zu bleiben, und jetzt sind sie schon 10 Jahre hier.« Nun ist diese Familie Valentin auch aus Heines Briefwechsel und Biographie bekannt. Heine schreibt an Varnhagen (Werke, herausgegeben von Karpeles IX, 104) am 21. Juni 1831: »Haben Sie mir mal was zu sagen, so lassen Sie mir's wissen unter Madame Valentins oder M. Schlesingers Adresse.« Strodtmann berichtet in Heines Leben II, 238: >>Heine belebte . . . gelegentlich mit geistreichem Geplauder den Thee der Madame Valentin«. Nähere Angaben aber fehlen. Und doch wäre es namentlich von Interesse, über die Herkunft, den Mädchennamen, die früheren Beziehungen der Madame Valentin unterrichtet zu sein, wäre es auch nur deshalb, weil Goethe sie einer Sendung gewürdigt hat.

Auch darüber giebt das Original-Manuskript von Börnes Briefen Aufschluß. Am 24. November 1830 berichtet er seiner Freundin nach Frankfurt: »Diese Madame Valentin mahlt gar nicht übel, aber sie kopirt blos und hat keine eigene Gedanken. Und so hat sie auch kein eigenes Urtheil und spricht blos nach, was andere sagen. Ich erzählte ihr was mir der Wiener Gelehrte in dem Briefe, den Sie mir geschickt, über Goethe geschrieben [Vgl. Pariser Briefe, Ges. Schriften VIII, 104 ff.] und sagte, das wäre auch meine Meinung. Und das war darauf ein Jammern und die Hände über den Kopf schlagen, und mich flehentlich bitten, ich möchte nichts gegen Goethe schreiben. Und warum nicht? Sie habe ihn gern. Und warum gern? (Ich weiß Mad. Valentin ist nicht einmal im Stande das Gute in Goethe zu würdigen.) Da kam es heraus, weil er ihr einmal ein Paar Medaillen geschickt mit einem Gedichte dabei. Und so sehen Sie, wie es Goethe immer mit dem Pöbel hält und wie es ihm gelingt, sich dadurch Anhänger zu verschaffen.<<

Meine Bemühungen, über Madame Valentin und über Goethes an sie gerichtete Sendung Näheres in Erfahrung zu bringen, sind vergeblich gewesen. Vielleicht verhilft diese Mitteilung anderen besser Unterrichteten auf die Spur.

ALFRED STERN.

22. Ein Urteil Guizots über Goethe.

Bei der Fortsetzung von Forschungen für meine »>Geschichte Europas 1815-1871« im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien ist mir eine Bemerkung Guizots aufgefallen, die Graf Apponyi, der östreichische Botschafter in Paris, am 5. November 1845 dem Fürsten Metternich berichtete. Der Minister Guizot äußerte sich im Gespräch mit Apponyi über die von Metternich beklagte zeitgenössische geistige Bewegung in Deutschland. Er bezeichnete den »Rationalismus« als »le plus funeste égarement<< und interpretierte ihn nach Apponyis Worten folgendermaßen:

>>>C'est l'incrédulité la plus profonde, la dissolution de toute règle, de tout principe, c'est l'Epicuréisme spirituel le plus prononcé, ne rien faire que pour le plaisir, pour la jouissance, tout scruter, tout juger d'après ses convenances« etc. Monsieur Guizot compare Voltaire le fondateur du rationalisme en France à Goethe qui selon lui en est le créateur en Allemagne. >>Vous connaissez les Wahlverwandtschaften, m'a-t-il dit, eh bien c'est le pendant du Candide de Voltaire, ce sont les mêmes principes, les mêmes tendances, comme de raison sous des formes très différentes et d'après la différence des nationalités«.

Wie viel Schiefes dies Urteil enthält, bedarf keiner Auseinandersetzung. Eher sollte man es für nötig halten, zu untersuchen, wieso Guizot sich erkühnen mochte, es zu äußern. Man darf vielleicht daran erinnern, daß für ihn, der einst dem Kreise Madame de Staëls angehört hatte, ohne Zweifel deren Werk »De l'Allemagne« eine Hauptquelle der Kenntnis und Schätzung deutscher Literatur bildete. Hier findet sich u. a. im 28. Kapitel des zweiten Teiles ein Hinweis auf die »skeptische Weltanschauung, die Goethes Roman bekunde. Zwar erklärt Madame de Staël: »>On aurait tort. . de se figurer que ce scepticisme soit inspiré par la tendance matérialiste du dix-huitième siècle; les opinions de Goethe ont bien plus de profondeur«. Allein sie fügt hinzu: »Mais elles ne donnent pas plus de consolation à l'âme. On aperçoit dans ses écrits une philosophie dédaigneuse, qui dit au bien comme au mal: Cela doit être, puisque cela est . . . enfin ce qui manque à ce roman, c'est un sentiment religieux ferme et positif, les principaux personnages sont plus accessibles à la superstition qu'à la croyance, et l'on sent que dans leur coeur, la religion, comme l'amour n'est que l'effet des circonstances et pourrait varier avec elles<«<.

Seitdem Guizot diese Worte gelesen haben mochte, hatte er selbst eine Entwicklung durchgemacht, die es ihm gestattete, ihren Sinn teils zu verschärfen, teils zu entstellen. Wie er als Politiker vom Doktrinär zum unnachgiebigen Konservativen geworden war, so gewann gewiss seine starre Orthodoxie

immer mehr Einfluß auf seine ästhetischen Werturteile. Goethe hatte es freilich um Guizot nicht verdient, mit so harten Worten von ihm bedacht zu werden. Er schätzte ihn, wie man aus den Gesprächen mit Eckermann ersieht, sehr hoch. Daß Guizot von Goethes Urteil über ihn jemals Kenntnis genommen habe, wird man billig in Zweifel ziehen dürfen. ALFRED STERN.

23. Eine Goethe-Büste in München.

Im Mai dieses Jahres wurde in München bei Helbing eine Goethebüste versteigert, die die Aufmerksamkeit der Goethekennner und -Liebhaber verdient. Sie stammt aus dem Nachlaß des Augsburger Antiquitätenhändlers Heilbronner. Genaueres über ihre Provenienz konnte leider nicht mehr in Erfahrung gebracht werden; in der Auktion ging sie in Münchener Privatbesitz über.

Die Buste, gut lebensgross, aus Terrakotta, scheint ein. ausgezeichnetes Exemplar jener Naturstudie Alexander Trippels zu sein, von der unseres Wissens nur ein einziger Tonausdruck im Goethenationalmuseum in Weimar bewahrt wird.

Diese Vorstudie in Ton, die Geiger und Ruland im VIII. Jahrbuch der Goethegesellschaft zuerst publizierten, hat in ihrer schlichten Naturwahrheit als authentisches Bildnis sich gewiß größerer Wertschätzung zu erfreuen, als die stark idealisierte pomphafte Marmorausführung. Ihre Vorzüge hat

besonders Fritz Stahl in seinem schönen Büchlein >>Wie sah Goethe aus?« warm und treffend hervorgehoben. Leider hat diese Vorstudie einen technischen Nachteil, der den Gesamteindruck des Gesichtes besonders von vorn zu verfälschen geeignet ist. Sie ist in zwei Teilen geformt, und die Naht, die sich über Stirn, Nase, Lippen und Kinn zieht, ist nachlässig und ungeschickt zusammengefügt. Das Gesicht erscheint auffällig dreieckig, an der Stirn breit, nach dem Kinn zu sehr spitz zulaufend. Auch sind durch Ueberstreichen vielerlei Feinheiten besonders in den Haarpartien verloren gegangen.

Dem gegenüber ist die neu aufgefundene Terrakottabuste vollkommen intakt. Alle Nähte sind sorgfältig beseitigt und auch sonst, besonders in den Locken, zeigen sich Spuren aufmerksamer Nacharbeitung. Stirn, Wangen und Mundpartie sind durch ausdrucksvolle Hervorhebung aller Muskeln aufs feinste belebt. Sie ist um ein geringes größer und zeigt im

Von Maßen des Münchener Kopfes seien folgende angeführt (in der Klammer bedeuten V. dieselben Maße an der »Vorstudie«<, M. die Maße amı Marmororiginal in Weimar):

1. Ganze Höhe: 52 cm (54 V. mit höherem Sockel),

2. Entfernung der äußeren Augenwinkel von einander: 93 mm (84 V.; 94 M.),

GOETHE-JAHRBUCH XXVIII.

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ganzen einen imponierenderen Ausdruck, eine größere Strenge, Festigkeit und tieferen Ernst gegenüber dem schwärmerischen und etwas weichlichen Ausdruck des Weimaraner Tonkopfes. Der Münchener Kopf giebt auch, wie das um dieselbe Zeit entstandene Ölportrait von Tischbein in vollem Maße den gewissen »schmerzensvollen«, ja vergrämten Zug wieder, den Stahl am Tischbeinschen Bilde betont, der sich an der Weimarer Vorstudie aber bezeichnender Weise gemildert findet.

Als Beweis, daß Goethe zu der Vorstudie in Weimar wirklich Modell gesessen habe, ist stets die an ihr bemerkte Asymmetrie der Gesichtshälften, die Goethe selber in hohem Alter von sich bezeugt hat, hervorgehoben worden. Die rechte Seite des Stirnbeins sei etwas eingedrückt und das rechte Auge stehe tiefer als das linke. Auch die Münchener Büste zeigt dieses Merkmal, aber in nur geringem Maße; der rechte Jochbogen steht etwas tiefer als der linke. Auffälliger ist aber die größere Schmalheit der ganzen rechten Gesichtshälfte überhaupt gegenüber der linken. Auch auf dem Weimarer Tonkopf ist diese Schiefheit bemerklich. Wie weit sie freilich an beiden Exemplaren auf Rechnung der künstlerischen Absicht oder der Unzulänglichkeit des Abgusses zu setzen ist, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, doch spricht für erstere Annahme die technisch sorgfältige Ausführung des Münchener Kopfes.

So haben wir in dieser neu aufgefundenen Buste ein zweites, besser erhaltenes Exemplar jener Weimarischen Vorstudie vor uns, vielleicht aber auch einen weiteren Versuch Trippels, seiner ersten Studie in leiser Umänderung einen würdevolleren und heroischeren Ausdruck zu verleihen, ehe er sich entschloß durch gründliche Umarbeitung, besonders durch Verkleinerung des Mundes, dem Kopfe auf Kosten der Naturwahrheit jenes ideale Gepräge zu geben, das wir an der Marmorbüste wahrnehmen. Möglicherweise befinden sich noch weitere Exemplare dieser Büste in Privatbesitz verborgen, um deren Bekanntgabe der Unterzeichnete im Interesse einer von Herrn Geh. Hofrat Ruland in Weimar geführten Statistik den Besitzern sehr dankbar wäre. DR. JOHANNES JACOBS.

24. Das Lotte-Haus in Wetzlar.

Von dem Domplatze in Wetzlar führt die enge, ansteigende Pfaffengasse zu dem umfangreichen, von einer hohen Mauer umgebenen Deutsch-Ordenshofe, der mit seinem Hauptgebäude und mehreren Wohn- und Wirthschaftsgebäuden noch jetzt

3. Entfernung der äußeren Augenwinkel von den Mundwinkeln, rechts und links je 70 mm (64 V.; 78 M.),

4. Länge der Unterlippe, resp. Mundbreite 46 mm (44 V.; 46M.).

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