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wieder aufzuheben. Um aber doch nicht gar zu sehr ins Unrecht gesetzt zu sein, beschloß sie, »an den hochlöblichen Senat der freien Stadt Hamburg Requisition zum Behufe der Rectification der Ausgeber des Circulars wegen dessen um so unschicklicherer Abfassung, je mehr sie durch ihre unbestimmte und undeutliche Ankündigung Anlaß zum Verbot gegeben hätten«<, abgehen zu lassen. Nachdem jedoch der erste Zorn verraucht war, unterblieb die Absendung. G. WUSTMANN.

12. Eine Stileigentümlichkeit Goethes.

Bei Forschungen über Goethes Sprache fiel mir eine eigentümliche Liebhaberei auf. An zahllosen Stellen schirrt Goethe die persönlichen Fürwörter der 1. und 2. (auch 3.) Person zusammen, namentlich in den Versdramen, so besonders den italienischen Schaffensfrüchten. So groß ist seine Vorliebe für derartige Figuren, daß er, irr ich nicht, sogar manchmal dadurch ein wenig unklar wird, daß ferner das eine der beiden Fürwörter gelegentlich überflüßig erscheint. Sein >>Dir und mir«, »>Dich und mich« würden wir oft in einem >>Uns« zusammenfassen. >>Dir und mir« ist eindrucksvoller, weil individualisierender, als uns beide«. Gewiß kommen ähnliche Figuren auch bei andern Dichtern vor, aber die seltsame Häufung deutet hier auf individuelle Vorliebe; auch werden wir sehen, in welch eigenartigen Nuancierungen die Erscheinung bei Goethe auftritt. Wir dürfen vielleicht sagen, es verrate sich ein stark sympathetischer Zug in dieser magnetischen Anziehungskraft, welche die persönlichen Fürwörter bei ihm bewähren. Überhaupt gehört ein solches év σoì yàp èσμév (Sophokles) zu Goethes Lieblingsvorstellungen: eine Person erkennt in der andern ihr »animæ dimidium meæ«. Ich bin mir selbst entwandt, sie ist es mir! ruft Tasso, und Hatem, der sich verlöre, wenn »sie sich weggewendet« hätte,' rühmt sich seiner Metempsychosen: »Fühlst du nicht an meinen Liedern, daß ich eins und doppelt bin?<< »Ich verkörpre mich behende In den Holden, den sie kost« (vgl. Bd. VI, 163). - Doch kehren wir zum rein Syntaktischen zurück und führen eine Reihe von Beispielen an.2

Dir und mir: J. 2046: beginne Die neue Sitte denn von dir und mir. Erwin 665: Noch bleibt die Hoffnung mir und

' In der Marienbader Elegie klagt der von der Geliebten Getrennte: »Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren«. In seinem großen Freunde »verliert er die Hälfte seines Daseins.<<

=

2 Abkürzungen: I. Iphigenie, E. = Egmont, T.= = Die Natürliche Tochter.

Tasso, N. T.

dir. N. T. 2220: So schnell versagst du dir und mir die Hoffnung? 2305: So brichst du grausam dir und mir den Stab. Faust 4509: War es nicht dir und mir geschenkt?

uns.

Dich und mich: T. 866: Da hofft' ich viel für dich und mich; 1540: daß ich fast dich und mich und diesen . . Ort nicht kenne. N. T. 476: Du wirst. ., mit mir ins Netz verstrickt, . . dich und mich betrauern. Bd. VI, 154: Schon seh' ich wieder mich und dich. Vgl. E. 288: und quälte sich und mich. Faust 3792: Und ängstet dich und sich. Dich und uns: T. 425: Und ehrst bescheiden dich und uns zugleich; 3213: Und finde keinen Trost für dich und J. 1583. Vgl. T. 1484: Wenn dieses Herz. . Dir fehlt und sich. E. 191, 27: ihm und euch. Verwandt ist N. T. 1843: Sie fürchtet's und ich fürcht' es (statt: wir; vgl. dazu I. 59). - Das eine der beiden Zwillingsglieder wird wiederholt: T. 1345: [sie ziemt] Nicht dir zu mir noch dir an diesem Orte; 1430: Die ihn ergriff und mich und ihn verletzte (wo das »>mich« etwas unklar ist!). Manchmal schlüpft das Ich gleichsam ganz in das Du hinein; T. 1734: Es ist so schwer im Freunde sich verdammen. Leonore: Und dennoch rettest du den Freund in dir (was etwas unklar ist). E. 289,5: Du tötest uns in dir. Verwandt N. T. 2596: Bedaure mich, indem du dich bejammerst (vgl. I. 1845).

Namentlich im Schlußakt des Egmont häuft sich derartiges. Die »attrativa« des Helden, das allgemeine Mitgefühl für ihn malt sich darin. (Und hier bilden sich nicht selten auch stilistisch seltsam verschlungene und verästelte Figuren.) Bd. 8, S. 299: Du überstehst; du überwindest dich selbst and uns. . ich überlebe dich und mich selbst (vgl. 295: Ich stehe und sehe dich an, und sehe dich nicht und fühle mich nicht). 298; Ich fühle mich mit dir und mit uns allen gefesselt (vgl. 284: auch der kleine Teil von deinem Wesen, dein Clärchen ist wie du gefangen (und 279,24). 300: Ich lebe dir, und habe mir genug gelebt; 191: Ihr schadet nur ihm und euch (s. o.); 289: Du tötest uns in dir (s. o.); 289: lebe du für uns, wie wir für dich; 286: täusche mich nicht, dich nicht. Vgl. 287: daß niemand erwache! daß wir uns selbst nicht wecken. Im übrigen vgl. noch 276,16; T. 3217 (auch 3237 ff. und N. T. 1793).

Besonders gern bildet Goethe in solchen Zusammenhängen reziproke Figuren: I. 1328: willst du mir durch ihn Und ihm durch mich die sel'ge Rettung geben. T. 1278: Sie will mich zu dir führen, dich zu mir. E. 289,4: O lebe Du für uns, wie wir für Dich allein (s. o.). Bd. 13, 161, 22: Ihr nehmet Teil an uns, wie wir an euch. T. 2400: Ihr seid von mir geschieden werd' auch mir, Von euch zu scheiden, Kraft und Mut verliehen! T. 2049: Der Dienst, mit dem

du deinem Fürsten dich, Mit dem du deine Freunde dir verbindest; 2933: Und willst Du einem solchen Ruh' und Glück, Willst du von ihm wohl Freude dir versprechen? Vgl. 1063: schafft Euch selbst ein glücklich Leben, mir durch euch. T. 3336: wir selbst betrügen uns. . Und ehren die Verworfnen, die uns ehren (verwandt I. 627: Wie oft verlangt' ich ihn zu sehn . . Mich wünscht' ich bald nach Troja, ihn bald her). DR. ALBERT FRIES.

13. Von Goetheschen Reimen.

Goethe, der zu der Zeit, wo man unter Klopstocks Vorgang den alten herkömmlichen Reim in den einzelnen poetischen Gattungen aufzugeben begann, auf Hans Sachsische Dichtart zurückgreifend sich für ihn entschieden hatte (Dicht. u. W. Buch 18 zu Anfang), über öde Reimereien jedoch, wie die des >>Dechanten und Patriarchen der deutschen Reimkunst«<, Vater Gleims unbarmherzig den Stab brach (Hemp. A. Bd. 29 S. 405, Invect. Weim. A. 5, S. 163), nahm für sich eine große, mit dem Alter zunehmende Freiheit in der Behandlung des Reimes in Anspruch.

>>>Ein reiner Reim wird wohl begehrt;

>>Doch den Gedanken rein zu haben,
>>Die edelste von allen Gaben,

>>Das ist mir alle Reime wert<<

bekennt er, Z. Xen. 5, V. 1453 fg.. Mit welchen Lizenzen er demgemäß den Reim behandelt, auch wohl ein oder das andere Mal mißhandelt hat, soll versucht werden durch folgenden Nachweis darzutun.

Zunächst begegnet in seinen Dichtungen, wenn auch seltener, dasselbe Wort als Reimwort wiederholt, während der Reim Verschiedenheit der Worte voraussetzt, »Und hat ein Wort dem Ohre sich gesellt, Ein andres kommt dem ersten liebzukosen«<, heißt es in Faust 2 V. 9369 fg. So »aus

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aus«<,

P. Brey V. 325/7; nicht nicht«, Epimen. V. 127/9; »sich sich«<, Maskenz. 1818, V. 365/7; hochherzig - barmherzig, Z. X. 2, V. 440/2; »hochmüthig - demüthig« Z. X, 4, 1004/6.

Eigentümlich ist unserm Dichter die häufige Verwendung altertumlicher und mundartlicher Worte und Wortformen für den Reim, wie »>Bruck - Nepomuck«<, an S. v. Zieges. W. A. 4, S. 236 V. 5/6; »Laute-braune Baute«, Faust 2 V. 11155/7; >>häufte Jahresläufte, Gesäufte«, Faust 2 V. 14822/4; »Haken -Schnaken«<, Faust 2 V. 16582/3; »Saulen - verfaulen«, Z. X. 5 V. 1245/7. »Drunter-jetzunder, P. Brey V. 29/30; >>jetzunder - Wunder«<, Z. X. 5 V. 1386/8; »sunsten

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Gunsten«<, Z. X. 7 V. 258/60; >>Selbander

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innerung V. 5/7 (Hemp. A. 3, S. 202, W. A. 4, S. 176). >>gahn an«<, P. Brey V. 295 6; »Lection stohn«, Z. X. 9 V. 957/8. Violin syn«, Z. X. 5 V. 1416/7; »eräugnen - leugnen«, Z. X. 3 V. 794/,6 Faust 2 V. 5917/8, - »geschiftet gelüftet«<, Invect. W. A. 5, S. 183, V. 2/4; »geloffen betroffen«, Spruchw. V. 410/1; »geschicht - Gerichte, Z. X. 9 V. 656/7; »Jungen -sungen, Z. X. 7 V. 93/4. Neu gebildet sind von ihm des Reimes wegen >>Säule Fräule«, Sprichw. V. 131/2; »verneinen beschleunen«<, Faust 2 V. 6683/4; sogar nach dem englischen to whelm überdecken Divan S. 165, V. 30/1: »Augenlider, die den Stern bewhelmen Schelmen «<. Ja er erlaubt sich auch wohl gelegentlich, um sich einen Reim zu schaffen, eine sprachliche Gewaltsamkeit wie »unordentleich gleich«, P. Brey V. 47/8 (später mit Aufgabe des Reims durch »unordentlich« ersetzt); auf »hast« den Plural »willkommne Gast«, Faust 2, V. 10774/5; >> versöhnlich im ererbten Sinne wöhnlich«, nicht zum Wohnen geeignet, wie bei Goethe sonst, sondern aus gewöhnlich gebildet, wie es scheint = gewöhnt. Eine bloße Assonanz endlich bietet Z. X. 2 V. 513/5: »begreifen - weichen << und Jahrm. z. Plund. V. 230/1: >>Schad ist Tag ist«.

Was nun die vom Reim in erster Linie geforderte Lautgleichheit der Reimworte betrifft, so wird sie bei Goethe (wie allerdings mehr oder weniger auch bei der Mehrzahl unserer Dichter, wenigstens auf vokalischem Gebiete) überaus häufig durch nähere oder entferntere Lautähnlichkeit ersetzt. So entsprechen bei ihm von Vokalen und Diphthongen in Reime häufig: ǎ ā, z. B. »Laken Zacken«<, Totent. V. 44/6; e ä ö, z. B. »gesehn schön«, H. Sachsens poet. Send. V. 37/8, «größer Gewässer«, Epimen. V. 643/5; ei au eu, z. B. »Eiche Gesträuche«, Will. u. Absch. V. 5/7; >>Freude Seite«, ebend. V. 17/19; i ie ü, z. B. »kühn hina, Mit goldn. Halsk. V. 6/8; »Künste Dienste«, Gott u. Bajad. V. 34/36; Ŏ ō, z. B. »Hohn davon, Am Flusse V. 6/8; hold«, Z. X. 8, V. 462/3.

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0, z. B. »Schuld

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Von verwandten Konsonanten, die sich bei Goethe in Reimworten statt der gleichen finden, seien hervorgehoben die labialen bf v, z. B. in Fuchs u. Kran. V. 2/4: »>Tafel Fabel«<; an Bergr. Lenz W. A. 4 S. 263 V. 3/4: »Laven haben«; in Z. X. 2 V. 416/8: »vertrieben Schiven<< ; die dentalen d t z, z. B. in Z. X. 2 V. 452/5: »>absurd ist kurz ist«<; Invect. W. A. 5, S. 180, V. 1/2: »enthalten s' Gesalzen's«. Sehr oft korrespondieren bei Goethe die liquiden Konsonanten m und n sowohl am Schluß, wie inmitten von Reimworten. So »>ihm hin«, Fischer V. 29/31; >>daheim sein«, Mailied V. 7/9; »Scham - gethane, Wirk.

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i. d. Ferne V. 13/14; »vergehn - Polyphem, Kronos als Kunstr. V. 5/7; »hangen langem<< Divan W. A. Bd. 6 S. 153 V. 13/15; »diesem genießen«<, Divan S. 282 V. 11/13;

>> schleunig heimlich«<, Im Vorüberg. W. A. 3, S. 49 V. 10/12; >>wendest entfremdest«<, Nationalvers. V. 5/7; »>brennt kömmt«<, Divan S. 44 V. 22/25; »Antichambern Koriandern«<, Divan S. 97, V. 10/12; »begrimmen gewinnen«<, Z. X. 6 V. 1690/2; »vernehmen dröhnen«, Faust 2 V, 10577/80.

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Es finden sich ferner auch in Goethes Poesien Reime, die bis auf einen fehlenden Konsonanten in den Lautverhältnissen übereinstimmen. So >>Bänder Bändern«<, Die Spröde V. 11/13; »Orten Worte«<, Divan S. 266 V. 37/9; »befangen erlange«, Z. X. 8 V. 374/6, »Markt - Quark«<, Künstlers Erdew. V. 51/52; »Zeug deucht«<, Auf den Kauf, V. 17/9; »kräftig beschäftigt«, Faust 2 V. 10577/80; >> zuletzt fest«<, Weisen u. Leute V. 64/5; »allerletzten besten«<, Z. X. 9, V. 850/1; »zeugtest leuchtet«<, Divan S. 28 V. 6/8; >>teutschet heischet«<, Divan 110 V. 2/4.

In den Dichtungen besonders seiner Früh- und Spätzeit endlich trägt Goethe kein Bedenken im Reim auf hochbetonte Silben tieftonige und umgekehrt zu reimen, wie »Fräulein — sei'n«, Jahrm. z. Pl. V. 406/7; »Gesu'ndheit Zei't«<, ebenda V. 406/7; »Voʻrfahren wa'ren«<, ebenda V. 419/20; »Geru'ch Gebe'tbuch«, Faust 1 V. 2817/8; »Ba'dei'ntrat«, Parab. I V. 5/7; »a'btragen - Schra'gen«, Valet V. 5/7; »schö'n Aufgehna, Z. X. V. 33/5; »ni'cht Vo'rsicht«, Z. X. 4, V. 891/3; »Geschäftigkei't Verrü'cktheit«, Z. X. 4, V. 907/9; >>zu'geht versteh't«<, Z. X. 7, V. 41/2; »Kra'ft Ma'nnschaft«<, Faust 2 V. 8184/5. u. a. m.

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Man sieht, wie frei und um Härten oder Mißklänge unbekümmert sich der Dichter auf dem Gebiete der angeführten Beispiele bewegt hat; immerhin jedoch ist die Zahl der mangelhaften Reime gering gegenüber der ungezählten Fülle reiner und wohllautender, mit denen er dem Ohr zu schmeicheln gewußt hat. H. HENKEL.

14. Wo wohnte Goethe in Konstanz?

Die eingehende Darlegung der Beziehungen Goethes zu der seit 100 Jahren badischen Stadt Konstanz in einer kleinen Schrift, die als erweiterte Ausführung zu dieser kurzen Notiz gelten mag, gab mir Gelegenheit, auch diese Frage zu untersuchen und festzustellen, daß Goethes Absteigequartier in Konstanz, wo er im Dezember 1779 mit Herzog Karl August, im Juni 1788, auf der Rückreise von Italien, mit Bäbe Schultheiß und Kayser weilte, noch heute an der alten Stelle steht.

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