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Doch ich schwatze ein langes und breites, und vergesse, wem ich gegenüber stehe. Doch nein; ich vergesse es nicht: ich weiß er hat Nachsicht und Liebe für mich und kennt das Sprüchwort: Auch eine blinde Taube findet bisweilen ein Körnchen.

Vale et fave tuo

Catel.

30. Dec. (18) 10.«

HERMANN GILOW.

7. Zu »Gott, Gemüth und Welt« V. 67-74 (W. A. 2, S. 218).

>>Wirst du deines Gleichen kennen lernen,
>>So wirst du dich gleich wieder entfernen.
>>Warum tanzen Bübchen und Mädchen so gern?
>> Ungleich dem Gleichen bleibt nicht fern.
>>Dagegen die Bauern in der Schenke

>> Prügeln sich gleich mit den Beinen der Bänke.
>>Der Amtmann schnell das Übel stillt,

>>Weil er nicht für ihres Gleichen gilt.<<

In der 2. Cottaschen Gesamtausgabe von Goethes Werken 1815 und infolgedessen in allen weiteren Ausgaben fehlt nach V. 70 der Reimspruch

>>Sind Könige je zusammengekommen,

>>So hat man immer nur Unheil vernommen<<

der sich in der Wiener nach derselben Druckvorlage hergestellten Ausgabe von 1816 findet und nun in der Jubiläumsausgabe der Schriften Goethes von seinem Entdecker E. von der Hellen wieder aufgenommen ist, weil dadurch erst die Anknüpfung des folgenden Reimpaares durch »dagegen« verständlich wurde.

Der Gedankengang nun aber in den bisher gebotenen Versen ist folgender. Gleich, das sich zu Gleich gefunden, entfernt sich sofort wieder, so bald es dasselbe kennen gelernt hat. Gleich und Ungleich jedoch gesellt sich gern. Das beweisen die Mädchen und Bübchen auf dem Tanzplatz, wogegen die Bauern, wenn sie in der Schenke unter sich beisammen sind, augenblicklich handgemein werden, bis der Amtmann erscheint und dem Übel alsbald steuert, weil er nicht für ihres Gleichen gilt. Sollte das nicht folgerecht und verständlich sein? Während durch den neu aufgefundenen Spruch in dem Vergleich der Könige und Bauern der Zusammenhang der Erörterung von Gleich und Ungleich unterbrochen wird und die Prädikate, daß die Zusammenkünfte der Monarchen immer nur auf Unheil deuten, die Bauern dagegen, wenn sie in der

Schenke sich zusammenfinden, sich schleunigst prügeln, keinen entsprechenden Gegensatz bilden.

Meines Erachtens also ist nach gewonnener Erkenntnis dieses Mißverhältnisses jener Spruch etwa bei der Korrektur (und von Goethe selbst?) mit Recht zurückgezogen worden. H. HENKEL.

8. Zu Nr. 251 der Xenien des Musenalmanachs für 1797.

Der Musiker (»>Spielmann«) und Journalist Reichardt wird mit seinen immer neuen, jede Nummer seines Journals >>Deutschland<< eröffnenden Mottos in zwei Xenien verspottet, nicht nur in X. 224: »Setze nur immer Mottos auf deine Journale<< usw., das handschriftlich als Goethisch beglaubigt ist, sondern auch in X. 251 mit der Überschrift »Das Journal Deutschland« :

>>Alles beginnt der Deutsche mit Feierlichkeit, und so zieht auch Diesem deutschen Journal blasend ein Spielmann voran.«< einem Xenion, dessen Beziehung auf eben diese Mottos durch eine Parallelstelle in Schillers Werken (Göd. 2, 384) erwiesen, und dessen Autorschaft damit für diesen entschieden wird. Sie lautet: »Sonst trompetet er sich mit einem ziemlich brutalen Motto voraus.< H. HENKEL.

9. Zum Rätsel, W. A. II, S. 156.
>> Viel Männer sind hochzuverehren,
Wohlthätige durch Werk und Lehren;
Doch wer uns zu erstatten wagt,
Was die Natur uns ganz versagt,

Den darf ich wohl den größten nennen:
Ich denke doch, ihr mußt ihn kennen?<<<

Es steht unter den Gedichten an Personen, zwischen »Jubiläum«<, Neujahr 1815, und Den Drillingsfreunden von Cöln, Weihnachten 1814, und durfte wegen dieser Stellung in das Jahr 1814 zu setzen sein, wofür sich vielleicht auch die Übereinstimmung des letzten Verses mit dem Verse: »Ich dächte doch, du mußt ihn kennen« in dem dem gleichen Jahre angehörigen Epimenides B. 16, 354 anführen ließe.

Eine entsprechende Lösung hat das Rätsel bisher nicht gefunden. Der Arzt Hufeland, der Philosoph Fichte, oder ganz allgemein der Dichter, auf die man geraten hat, sind durch alle Interpretationskunste mit V. 3 und 4 nicht in Einklang zu bringen; eher noch, obwohl zu weit abliegend, der Fabrikant Montgolfier, der den Mangel des ersehnten körperGOETHE-JAHRBUCH XXVIII.

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lichen Flügels (Faust I, 1090) durch die Erfindung des Luftballons zu erstatten unternahm. Es wird sich hier schließlich doch wohl nur um einen Scherz des Dichters handeln, um die schalkhafte Beziehung auf eine wohlbekannte Weimarische Persönlichkeit, einen Haarkünstler (dessen Name uns gleichgültig sein kann), der Bedürftigen für den ihnen von der Natur versagten Haarwuchs durch Perücken Ersatz bot.

H. HENKEL.

10. Zu Goethes » Mignon«.

Auf die Ähnlichkeit der Schilderung der Mignon in >> Wilhelm Meister<< und der Stelle in der Italienischen Reise 7. September 1786 ist schon mehrfach hingewiesen. Aber Goethe selber zwingt uns, hierbei nicht stehen zu bleiben. Er tut nämlich an zwei weiteren Stellen in der »>Italienischen Reise« seiner Mignon Erwähnung, und daraus folgt, daß die Figur Mignons schon der älteren, uns unbekannten Fassung des Romans, die Goethe nach Italien mitnahm, angehört und nicht etwa erst aus Anlaß jener Begegnung geschaffen worden ist. (Vgl. St. Agata, d. 24. Febr. 87.: »Mignon hatte wohl recht, sich dahin zu sehnen.<< Und Bericht Okt. 87: ».... ein lebhaftes Streben dahin, wie es nur Mignon ausdrücken konnte.«<)

Wir dürfen also annehmen, daß Goethe der Harfnertochter einige Züge für seine Mignon entlehnt hat, was er bei der Umarbeitung des Romans leicht tun konnte, müssen aber den Ursprung des Mignongedankens in eine frühere Zeit verweisen. Es liegt nun auf der Hand, daß die Art, wie Mignon in die Handlung verwebt wird, daß vor allem ihr Verhältnis zu Wilhelm nicht erst ein Produkt jener Umarbeitung sind.

So werden wir auf eine Stelle in »Dichtung und Wahrheit<< geführt, die uns schildert, wie Goethe als junger Mann zu einem Harfenspielerknaben in ein ganz entsprechendes Verhältnis geriet. Sie steht am Anfange des zwölften Buches: »In Mainz hatte mir ein harfespielender Knabe so wohl gefallen, daß ich ihn, weil die Messe gerade vor der Türe war, nach Frankfurt einlud, ihm Wohnung zu geben und zu befördern versprach. In diesem Ereignis trat wieder einmal diejenige Eigenheit hervor, die mich in meinem Leben so viel gekostet hat, daß ich nämlich gern sehe, wenn sich jungere Wesen um mich versammeln und an mich anknüpfen, wodurch ich dann freilich zuletzt mit ihrem Schicksal belastet werde. Eine unangenehme Erfahrung nach der andern konnte mich von dem angeborenen Trieb nicht zurückbringen, der noch gegenwärtig bei der deutlichsten Überzeugung von Zeit zu Zeit mich irre zu führen droht. Meine Mutter, klarer als ich, sah voraus, wie sonderbar es meinem Vater vorkommen mußte, wenn ein musikalischer Mess

läufer von einem so ansehnlichen Hause her zu Gasthöfen

und Schenken ginge, sein Brot zu verdienen. Daher sorgte sie in der Nachbarschaft für eine Herberge und Kost desselben, ich empfahl ihn meinen Freunden und so befand sich das Kind nicht übel. Nach mehreren Jahren sah ich ihn wieder, wo er größer und tölpischer geworden war, ohne in seiner Kunst viel zugenommen zu haben.<<

Hier kam Goethe in einen ähnlichen Fall, wie Wilhelm der Mignon gegenüber. Leichten Herzens übernimmt er eine Verpflichtung, die ihm bei dem Gedanken an das Elternhaus drückend wird. Wie Wilhelm, ist auch er es schließlich zufrieden, seinen Schützling in der Hand guter Freunde zu wissen. Wie leicht ist es möglich, daß dieses Ereignis, welches Goethe einer so eingehenden Schilderung nicht für unwert hielt, in ihm fortgewirkt und endlich im »Wilhelm Meister« einen poetischen Ausdruck gefunden hat. An der Umwandlung des Knaben in ein Mädchen wird hierbei niemand, der poetisch empfindet, Anstoß nehmen, sondern diese vielmehr sehr gerechtfertigt finden.

Aus diesen beiden Quellen, die wir in Goethes eigenen Schriften aufzeigen konnten, scheint die Figur der Mignon geflossen zu sein. Freilich, was dieses geheimnisvolle Kind erst zu unserem Lieblinge macht, dieser wunderbare Schmelz hat seinen Ursprung nicht in der Wirklichkeit, sondern in der Seele des Dichters. ERNST PILCH.

11. Ein angeblicher Nachdruck von Goethes Schriften.
Aus den Akten der Leipziger Bücherkommission.

Am 18. September 1830 erschien der Leipziger Banquier Heinrich Küstner in seiner Eigenschaft als »Großherzoglich Sachsen - Weimarischer Generalkonsul für das Königreich Sachsen<< auf dem Leipziger Rathause und stellte im Namen und Auftrage » des Großherzoglich Sachsen - Weimarischen Staatsministers von Goethe, Excellenz« den Antrag, die von der Buchhandlung von Schuberth und Niemeyer in Hamburg und Itzehoe angekündigte Ausgabe von Goethes sämtlichen Schriften als Nachdruck mit Beschlag zu belegen, falls sich bereits Exemplare davon in Leipzig vorfinden sollten, oder wenn das nicht der Fall sei, Verfügungen zu treffen zur Verhütung ihres Vertriebs. Der Rat erbat sich von der Ankündigung, die in einem Beiblatt zum »Hamburger Korrespondenten« gestanden hatte, Abschrift und erhielt sie auch. Die Ankündigung lautete:

Einladung zur Subscription auf eine schöne und wohlfeile Ausgabe von Goethes sämtlichen Schriften.

Des Hochgefeierten Werke, die früher unvollständig 80 Mk. kosteten, erscheinen jetzt, um sie auch Minderbegüterten zu

gänglich zu machen, vollständig in einer eleganten Taschenausgabe.

Der Band von 300 Seiten, sauber geheftet, zu nur 1 Mk. (MB).

Vom 15. Septbr. an wöchentlich eine Lieferung, ohngefähr in 16 Monaten vollendet. Probe-Exemplare bei

Schuberth u. Niemeyer
Hamburg u. Itzehoe.

Die hohe »>Bücherkommission« schickte sich sofort an, bei den Leipziger Buchhändlern das übliche Verbot zu erlassen. Noch ehe es aber dazu kam, meldete sich der Leipziger Kommissionär der Hamburger Handlung, Taubert, und teilte mit, es liege ein Irrtum vor. Die angekündigte Ausgabe sei keine andre als die Cottaische. Er selbst habe vor ungefähr drei Vierteljahren »>14 Centner Goethische Schriften << an Schuberth und Niemeyer abgesandt, und diese sollten nun bändchenweise, aber gewiß nicht wohlfeiler als von der Cottaischen Handlung, abgesetzt werden. Obwohl aber die Bücherkommission diese Mitteilung an Küstner weiter gab, bestand dieser doch am 25. September darauf, das bisher noch zurückgehaltne Verbot nun in Umlauf zu setzen, »>weil bei näherer Untersuchung sich gefunden habe, daß diese Ausgabe wohl ein Nachdruck sei«.

Darauf versandte die Hamburger Handlung unter dem 30. September ein gedrucktes Zirkular, in dem sie den Tatbestand ausführlich darlegte. Es habe »einigen Vorwitzigen << gefallen, die von ihr angekündigte Cottaische Ausgabe als einen Nachdruck zu verdächtigen. Obwohl nun Preis, Format und Seitenzahl mit der Cottaischen Ausgabe genau übereinstimmten, ihr Kommissionär Taubert auch nachgewiesen habe, daß er vor mehreren Monaten »circa 16 Centner Goethes Werke « von dem Cottaischen Kommissionär Kummer empfangen und nach Hamburg abgesandt habe, sei doch die Bücherkommission »unvorsichtig genug«, einen Umlauf gegen sie ergehen zu lassen. Um diesem zu begegnen, erkläre sie folgendes: Sie habe von Cotta »>im Ganzen 123 Exemplare Goethes Werke in den verschiedenen Ausgaben bezogen« und diese größtentheils praenumerando bezahlt. Die letzten 50 im August 1829 pränumerierten Exemplare habe sie erst, da sie »durch den frühzeitigen Winter auf der Elbe eingefroren« seien, am 2. April 1830 erhalten, sie habe also noch hinlänglich Vorrat. Sie berechne den Band »mit 1 Mark, also 40 Teile mit 40 Mark oder 16 Thlr«, wie sie im Ladenpreise von der Verlagshandlung verrechnet würden. Übrigens führe sie grundsätzlich keinen Nachdruck.

Darauf sah sich nun allerdings die Bücherkommission genötigt, durch einen zweiten Umlauf vom 6. Oktober ihr Verbot

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