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nimmt seine Begleitung an und schweigend schlüpfen sie durch die schwach erleuchteten engen Gassen. Als die beiden Mädchen sich vor seiner (!) Wohnung verabschieden wollen, erfolgt bei einem Lichtschimmer die Erkennung.

Brünstig erst umarmt, dann ausgescholten
Stand ich lachend vor ihr usw.

Nicht bloß wegen des gleichen Versmaßes wird uns das Vorbild für dieses dürftig erfundene Opus lebendig werden. Es ist Goethes, durch das Verhältnis mit Christiane entstandene Gedicht »Der Besuch«, das er zum Teil mit freier Nachbildung des Properz gedichtet hatte.' In Schillers Almanach für 1796 war es zuerst erschienen. Die Dichtung hatte sogleich allgemeinen Beifall gefunden. Selbst die Dyksche Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften in Leipzig äußerte: »Man kann in der That weder feiner und zarter fühlen, noch das Gefühlte glücklicher wiedergeben.<< 2 Verglichen mit der graziösen Zartheit, der Wahrheit des Erlebten, der tiefen Empfindung Goethes, mit der Bestimmtheit und treffenden Sicherheit jedes Ausdrucks mutet uns die Nüchternheit Bürdes erkältend an und ebenso die Hausbackenheit, die sich sinnlich zu sein bestrebt. Auch sein Gedicht endigt übrigens wie Goethes mit einer dreizeiligen Strophe:

Goethe: Seh ich diese Nacht den Engel wieder,
O, wie freut sie sich, vergilt mir doppelt
Dieses Opfer meiner zarten Liebe.

Bürde: Welch ein Abend! Am gedeckten Tischchen
Welch ein trautes Gegenüber! Endlich

Im geteilten Bett welch süßer Schlummer!

Die mephistophelische Seite in Goethes Natur mußte beim Lesen dieses Gedichtes erwachen; es mußte ihn freuen, daß die Herren Conz und Bürde ein wenig liederlich werden und sich an verbotenen Liebschaften ergötzen. An- und Nachklänge, von denen Goethe in dem Briefe redet, finden wir genug, aber wie weit steht hinter der Dichtung des Meisters die des Lehrlings zurück, der sich Wort und Werke merkte und den Brauch und es dem alten Hexenmeister nachtun will! DANIEL JACOBY.

1 Properz I, 3. Meine ihm mündlich mitgeteilte Vermutung hat Wilhelm Scherer gebilligt, s. G.-J. IV (1883) S. 63. Nach Scherer hat die Elegie des Properz wohl auch auf die »Morgenklagen« gewirkt. Vgl. auch G.-J. V, 329.

2 G. v. Loeper, Goethes Gedichte, Berlin 1883, II, 343.

4. Zu den Briefen (W. A. 28, 251).

Zu den vielen jungen Leuten, die sich mit ihren Poesien vertrauensvoll an den Altmeister wandten oder auch mit Hinweis auf das, was sie geschrieben hatten, einen Brief an ihn richteten, um Rat und Hilfe von ihm zu erbitten, gehört auch C. Kalisky. Am 14. September 1817 hatte er Poesien eingesendet, sich als »Handlungsbeflissener in Magdeburga bezeichnend. Schon am 16. erhielt er eine freundliche Antwort des Inhalts, er möge sich mit dem Herausgeber einer Tagesschrift in Verbindung setzen und auf diese Weise versuchen, günstige Aufnahme beim Publikum zu erlangen. Nun habe ich in einer Beurteilung des 28. Briefbandes einzelnes über diesen Briefschreiber zusammengetragen; da er im Register (Bd. 30) noch mit der falschen Schreibung: Calliski und als Handlungsgehilfe in Magdeburg weiter vegetiert, so versuche ich hier einzelnes festzustellen. Kalisky wandte sich, entweder infolge von Goethes Rat oder, was wahrscheinlicher ist, schon vorher an die Herausgeberin des Morgenblattes, Therese Huber. Diese Frau, den Lesern des Goethe-Jahrbuchs keine Fremde, die als Mensch ebenso trefflich war wie als Redakteurin, nahm sich seiner an, so daß er, wie so viele jüngere und ältere Schriftsteller, Mitarbeiter des Morgenblattes und solche, die es werden wollten, mit ihr in ein vertrauliches Verhältnis kam, ihr seine Sorgen anvertraute und von ihr Rat und Hilfe erhielt. Eine Anzahl Briefe von ihm, die sich in dem Huberschen Nachlaß befinden, geben über die Kämpfe des jungen Mannes ausführliche Kunde und enthalten auch einzelnes über seine dichterischen Beiträge, die von nicht übermäßigem Interesse sind. Wichtiger als die Redensarten des hilfesuchenden und dankbaren jungen Dichters ist folgende Mitteilung der Therese an ihren Sohn, Viktor Aimé Huber, 17. August 1824, aus der hervorgeht, daß der »Handlungsbeflissene ordentlich studierte, seine Examina absolvierte und es wahrscheinlich in der Beamten-Hierarchie auch weiter brachte. Die Stelle lautet: »Eins ist fortgeschritten, eine Bemühung um einen guten Menschen, den ich seit 7 bis 8 Jahren mit Zuspruch, Cotta mit Unterstützung aufrecht hielt. Ein Preuße Kalisky, den ich nie gesehen, der mir vor 7 bis 8 Jahren Gedichte, ein Trauerspiel schickte, und dadurch seine Armut beim Studieren erleichtern wollte. Er war nicht zum Poeten geboren, und wenn man Jura studiert, kann man keine Trauerspiele dichten; und der Dichter kann wohl mit Wasser und Brot fertig werden, dichtet er aber, um Fleisch und Butter dazu zu verdienen, so geht es lätsch. Kurzum, ich legte ihn Cotta ans Herz und der gab ihm jährlich 400 Fl. bis jetzt, und der Mensch unterstützte seine alte Mutter, advocierte, arbeitete als Diurnist, damals Praktikant bei der Regierung in Magdeburg, bekam Kommissionen, Diäten, half sich jämmerlich durch, mit

einer unseligen Hypochondrie, die er sich beim Bucherhocken mit Hunger und elender Nahrung zugezogen. Endlich kam er bis zum letzten Examen, ich empfahl ihn Goldbeck und genug, Goldbeck griff sich an, er ward dem Minister Klewitz von ihm so kräftig empfohlen, daß dieser ihn zu seinem Kommissionssekretär nahm, ward Regierungsassessor und steht im Bügel zum Regierungsrat. Er glaubt, er danke es mir — 8 Jahre Trost und endliches Gelingen. Nun mag es sein wie es wolle, ich tat nie mehr als was nicht zu tun elendig wäre und mir von jeher alle Hoffnung für Dein Fortkommen benommen hätte. Aber recht erfreulich war mir das Gelingen, das er mir eben meldete«. LUDWIG GEIGER.

5. Zur Disputationsscene.

Von der Disputation, die zwischen dem »Studirzimmer<< und »Auerbachs Keller« Platz finden sollte und (nach Erich Schmidt) im Vers 1712: »Ich werde heute gleich, bei'm Doctorschmaus«, wohl angedeutet wird, sind außer dem Schema (Paralipomenon 11. W. A. Seite 290) nur 13 Verse erhalten (Paralipomenon 12. W. A. Seite 291):

Auditorium

Disputation

Schüler von innen

Laßt uns hinaus! wir haben nicht gegessen.

Wer sprechen darf wird Speis und Trank vergessen
Wer hören soll wird endlich matt.

Schüler von außen

Laßt uns hinein wir kommen schon vom Kauen;

Denn uns hat das Convickt gespeist.

Laßt uns hinein wir wollen hier verdauen

Uns fehlt der Wein, und hier ist Geist.

Fahrender Scholasticus

Hinaus! Hinein! Und keiner von der Stelle !

Was drängt ihr euch auf dieser Schwelle!
Hier außen Platz und laßt die innern fort,

Besetzt dann den verlassnen Ort.

Schüler

Der ist vom fahrenden Geschlecht

Er renomirt, doch er hat recht.

Diese Darstellung der sich begegnenden und drängenden Studenten beim Verlassen des Hörsaales erinnert an eine Stelle aus einem Briefe des jenaischen Anatomieprofessors Loder an Knebel vom 8. November 1789, in dem es heißt:

Jetzt lese ich wieder meine Stunden con amore [er war krank gewesen], weil meine Collegia gedrückt voll sind. In der Anthropologie habe ich an 120, und in der Anatomie etwa 80. Es sieht artig aus, wenn die eine Stunde aus ist und die andere angeht, wie sich die Kommenden und Gehenden auf dem engen Mauer-Gang, der zur Anatomie führt, drängen«. [Gaedertz, bei Goethe zu Gaste S. 204.]

Jedenfalls zeigte Knebel diesen Brief Goethen; denn es war ein »ostensibler« Brief, der dem Wunsche Knebels, Universitätslehrer zu werden, Nachdruck verleihen sollte. Heißt es doch weiter in diesem Briefe: »Verzeihen Sie mir's, daß ich Sie mit solchen Universitäts-Kleinigkeiten unterhalte, ich sehe Sie als einen halben Academiker an und hoffe, daß Sie es bald ganz werden sollen und wollen.«. Allerdings ging Knebel's Wunsch nicht in Erfüllung.

Daß Goethe Knebeln mancherlei Anregung verdankte, bezeugt er unter anderem in einem Briefe an Schiller vom 19. Januar 1802: »In Jena, in Knebels alter Stube, bin ich immer ein glücklicher Mensch, weil ich keinem Raum auf dieser Erde soviel productive Momente verdanke. Es ist lustig, daß ich an einem weißen Fensterpfosten alles aufgeschrieben habe, was ich seit dem 21. November 1798 in diesem Zimmer von einiger Bedeutung arbeitete. Hätte ich diese Registratur früher angefangen, so stünde gar manches darauf, was unser Verhältniß aus mir herauslockte.<< selbe gilt auch von Loder.

Das

Selbst wenn Goethe die angezogene Stelle aus dem Loderschen Briefe für die ausgeführten Verse der Disputation benutzt haben sollte, läßt sich aus der Datierung des Briefes kein Anhaltspunkt für die Entstehungszeit der 13 Verse finden. Man nimmt an, daß diese Verse um die Jahrhundertwende entstanden sind; doch steht nichts der Annahme im Wege, daß sie schon bald nach dem Loderschen Briefe vom 8. November 1789 gedichtet sind. Denn in dem 1790 erschienenen Faustfragment veröffentlichte Goethe durchaus nicht alles, was er bis dahin am Faust geschrieben hatte. Sonst hätte er nicht am 2. Dezember 1794 an Schiller schreiben können: »Von ,Faust' kann ich jetzt nichts mittheilen, ich wage nicht das Packet aufzuschnüren, das ihn gefangen hält«. Allerdings scheint es, daß er seit Anfang November 1789 nicht mehr am Faust arbeitete. Denn er schreibt am 2. November an Reichardt: >>hinter Fausten ist ein Strich gemacht.<< und am 5. November an den Herzog: »Faust ist fragmentirt, das heißt, in seiner Art für dießmal abgethan«. Erst im Sommer 1796 nahm Goethe nach seiner eigenen Angabe in den Tag- und Jahresheften den Faust wieder vor. M. BIRNBAUM.

6. Zur ersten Aufführung von Goethes Mahomet in Berlin 1810. Am 29. Dezember 1810 erlebte der Voltaire - Goethesche Mahomet seine erste Aufführung am Kgl. Nationaltheater in Berlin. Die Spenersche Zeitung brachte nur eine kurze Besprechung. Ausführlicher war die Beurteilung, die ihr S. H. Catel, der frühere Jugendlehrer H. v. Kleists, in der Vossischen Zeitung zuteil werden ließ und die den Gegenstand der folgenden Mitteilungen bildet. Für die weitere Charakteristik Catels, geb. 1758 † 1838, sei auf die Studie verwiesen, die ich ihm im »>Euphorion« 1907 gewidmet habe.

J. W. Braun (Goethe im Urteile seiner Zeitgenossen III, 294) hat von seinen langjährigen Theaterreferaten nur eine Besprechung über Romeo und Julia aufgenommen. Michael Bernays, der in seinen bedeutenden Ausführungen über den französischen und deutschen Mahomet' alles konzentriert hat, was jemals zu diesem Thema Bedeutendes von der Kritik beigetragen worden war, hat der Catelschen Besprechung, die in der Vossischen Zeitung vom 1., 8. und 26. Januar 1810 versteckt ist, keine Erwähnung getan, obgleich er andere Arbeiten Catels kennt und schätzt. Nicht nur Kleists Abendblätter (17. Oktober 1810), fragten, weshalb die Goetheschen Dichtungen so selten auf das Königliche Nationaltheater in Berlin kämen, sondern auch die von Catel seit 1806 redigierte Vossische Zeitung hatte schon im April desselben Jahres einem längeren »Eingesandt«< Raum gegeben, das die gleiche Klage aussprach. Immerhin hatte Iffland' im Laufe des Jahres 1810 nacheinander von Goethe gebracht: Götz, Egmont, Iphigenie, Tasso, Tancred, Clavigo, Die Geschwister und nun zum Jahresschluß am 29. Dezember auch den Mahomet.

Von der im ganzen 257 Zeilen langen Catelschen Besprechung dieser Mahomet-Aufführung (Voss. Ztg. 1811. 1. Jan. ff.) heben wir die folgenden Absätze hervor.

1 Schriften zur Kritik u. Litteraturgesch. I, 1895, 3-18, 97-361. Bernays weist nach, wie durch den Übersetzer Goethe bei dem Übergewicht seines nie versiegenden künstlerischen Vermögens der Ausdruck und die Empfindung Voltaires eine dichterische Veredlung erfahren haben. - Zu dem Thema: Goethe und Iff land-Berlin vergl. vor allem L. Geiger im Archiv f. Theatergesch. I, 1904 u. im Goethe-Jahrb. 1905, S. 51-92, und die dort genannten Werke; zu der Frage: Voltaire und Goethe vergl. G. Carels: Voltaire u. Goethe als Dramatiker, Berlin, 4 Progrr. 1889-1900. Ebenda S. 255: »>Catel verfährt (in seinem Aufsatze: Kritische Vergleichung der Schillerschen Übersetzung von Hippolyts Tode in der Phädra mit dem Original) als Kenner, als Sprachkundiger. Er lobt und tadelt aus gewissenhaft dargelegten Gründen.<<

3 Iff land selbst in der zuerst von W. Altmann veröffentlichten Rechtfertigung seiner Theaterverwaltung vom Jahre 1813 (Archiv für Theatergesch. 1904, I) sagt: »Daß Goethes Werke nicht die Mehrheit (des Publikums) für sich haben . . . . ist nicht Schuld des Direktors.<<

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