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Antheil habe. Ohne weitere Vertheidigung meines Charakters, hoffe ich noch so viel Glauben zu verdienen, und ohne weitere Klage über die Unbilligkeit, womit man mich hier wieder eines ganz unwahrscheinlichen Vergehens beschuldigen mögen, wünsch ich nur denen rechtschaffenen, würdigen Personen die sich dadurch gekränkt und beleidigt halten konnten, hiermit genug gethan zu haben. Und o! vermöcht ich schlieslich Freunden und Feinden recht lebendig ans Herz zu legen, wie grausam der Mensch durch zweckloses Anekdotentragen, und liebloses, an sich oft unbedeutendes Nachreden, seines Bruders Ruhe vergiften, ja dessen bürgerliches Verhältniß untergraben kann. Zürich den 1. Sept. 1774. J. C. Lavater.

Dieser Schlußwendung liegt der Satz in Lavaters handschriftlicher Erklärung zu Grunde: »Wer die Mühe nehmen mag, sich nur Einen Augenblick in meine vatterländische Lage zuversezen, und nur so viel von mir weiß, oder nur so viel mir zutraut, daß ich kein eingefleischter Satan bin, wird es unmöglich finden, daß ich der Unmenschlichkeit fähig sey, die rechtschaffnen und in mancher Absicht respektablen Verwandten des unglücklichen, auf die sich diese fehlervolle Schrift bezieht, zumal da diese niemals die mindeste Feindseligkeit gegen mich geäusert haben, welches ihnen doch leicht zu vergeben gewesen wäre durch Publizirung derselben aufs neue, ohne alle menschliche Absicht, tödlich zu verwunden.<<

Die Jahrgänge 1772-75 des »Journal in Frankfurt am Mayn enthalten noch einige weitere kleine Kundgebungen aus dem Goethekreise. Lavater warnt (1775 Nr. 34) vor einer Proselytin namens Reichhard, die sich zu schwindelhaften Zwecken auf ihn zu berufen pflegt; ein andermal (1775, Nr. 139) verbittet er sich in einer weitschweifigen Erklärung unfrankierte Briefe und Inanspruchnahme für auswärtige Arme. Doktor J. W. Hoffmann zeigt an (1775, Nr. 101), daß demnächst der Augenarzt Jung von Elberfeld zum Staaroperieren eintreffen werde und erbietet sich, Anmeldungen dazu entgegenzunehmen. Goethesche Schriften werden von den Eichenbergischen Erben öfter zum Verkauf angezeigt, z. B. der »Brief des Pastors« für 12 Kreuzer. Die Buchhandlung bietet aber auch den Himburgschen Nachdruck an. Endlich findet sich hier noch ein kleiner Zug zur Erläuterung von »Hanswursts Hochzeit«<. Unter den vielen merkwürdigen Mitspielern in diesem mikrokosmischen Drama erscheint auch ein »Carl Behagel, Parfumeur und handelt mit Brustthee«. Dieser Carl Behagel unterscheidet sich nun von den übrigen Hochzeitgästen dadurch, daß sein Name ganz unschuldig ist und keinen bösartigen Hinweis auf sein Wesen enthält. Die Inserate des »Journal« geben die einfache Erklärung dafür. »Carl Behaghel, Handelsmann auf dem Römerberg in Frankfurt« war damals ein stadtbekannter

GOETHE-JAHRBUCH XXVIII.

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Droguist und Arzneihändler. Er ist der größte Inserent des >> Journal<< und preist darin unermüdlich seine Universalmedicinen an. Durch diese Marktschreierei war er allen Frankfurtern eine vertraute typische Figur und als eine solche hat ihn Goethe unter die dramatis personae von >>Hanswursts Hochzeit«< aufgenommen. MAX MORRIS.

2. Zu Goethes Brief an Frau v. Stein vom 7. Sept. 1779. Darin heißt es: »Es kommt mir wunderbar vor, daß ich, so wie im Traum mit dem 30. Jahre die höchste Ehrenstufe, die ein Bürger in Deutschland erreichen kann, betrete. On ne va jamais plus loin que quand on ne sait, où l'on va, sagte ein großer Kletterer dieser Erde.<< Fielitz in der Anmerkung dazu möchte glauben, daß das Wort der Beschreibung einer Alpenbesteigung entnommen sei. Sicherlich jedoch gehört es einem politischen Kletterer an. Allerdings nicht Robespierre, auf den es Ch. Nodier in den Souvenirs etc. pour servir à l'histoire de la révolution zurück führt. Denn wie hätte Goethe es schon 1779 zitieren können? Oliver Cromwell ist es, dem bekanntlich der Ausspruch zugeschrieben wird, der komme am weitesten, der nicht wisse, wohin er gehe. So schreibt Fr. v. Raumer in das Stammbuch eines Frankfurter Parlamentariers (Deutsche Revue, Bd. 27, S. 361): »Wessen Laufbahn außerhalb aller gewöhnlichen bürgerlichen Ordnung liegt, steigt (wie Cromwell sagte) am höchsten, wenn er nicht weiß, wohin es geht, zum Thron oder Galgen.<< (Die letzten Worte wohl Zusatz des Historikers.) Ähnlich übrigens schon Shakespeare in >>Was ihr wollt« II. 4: »Always makes a good voyage of nothing<<, in der Schlegelschen Übersetzung: »Wenn man nicht weiß, wo man hin will, so kommt man am weitesten.<< Woher nun aber die französische Fassung stammt, in der Goethe das Cromwellsche Wort anführt, weiß ich allerdings nicht zu sagen; etwa aus einer der historischen Schriften Voltaires?

H. HENKEL.

3. Zu einer Briefstelle Goethes an Schiller 29. August 1798. Daß Goethe oft genug unter dem Unverstand und dem kleinlichen Geist seiner Zeitgenossen zu leiden hatte, ist bekannt, und daß er dabei nicht immer geduldig blieb, sondern sich mit kräftigen Worten gegen die Beschränktheit und Überhebung Luft machte, ist ebenso erklärlich wie genußreich für seine Verehrer. Wer vom rein Stofflichen nicht abkommen kann, wird immer über seine Dichtung einseitig und schief urteilen. Goethe selbst wußte das wohl. Er spricht sittliche Forderungen nie aus: sie ergeben sich aus seiner

Darstellung menschlicher Lebensschicksale. »Die Poesie«<, so schreibt er an Schiller, 25. November 1797, »ist doch eigentlich auf die Darstellung des empirisch - pathologischen Zustandes des Menschen gegründet, und wer gesteht denn das jetzt unter unseren fürtrefflichen Kennern und sogenannten Poeten ?<«< Noch im Jahre 1821 schreibt der 72jährige Dichter in einem Briefe' die wenig bekannten, so bedeutsamen Worte: »das Publikum lernt niemals begreifen, daß der wahre Poet eigentlich doch nur als verkappter Bußprediger das Verderbliche der Tat, das Gefährliche der Gesinnung an den Folgen nachzuweisen trachtet. Doch dieses zu gewahren, wird eine höhere Kultur erfordert als sie gewöhnlich zu erwarten steht. Wer nicht seinen eigenen Beichtvater macht, kann diese Art Bußpredigt nicht vernehmen«. Eine Verkennung der Eigenart Goethes einst und heute ist daher nicht wunderbar. Nach dem Erscheinen der Xenien blieben darum pöbelhafte Angriffe gegen ihn wie gegen Schiller nicht aus. Ihn aber ärgerten nur die »grob materiellen Urteile« einer »bornierten Deutschheit<< so drückt er sich gegen Schiller 1797 aus über seine neuesten Schöpfungen. Ende November desselben Jahres hatte ihm Schiller Briefe Garves gesendet, in welchen dieser die angebliche Unsittlichkeit beklagt, »die in vielen Goethischen Epigrammen und in einer Menge seiner neuesten Gedichte herrscht«. Gleim warf ihm Sittenhaß vor; die Künste sollen sich nach seiner Forderung dem Sittengesetz unterordnen. Gleim war nur das Sprachrohr Herders, der sich leider auch zu den »prosaischen Naturen« gesellte, die über Goethes rein empfundene, mit antiker Unbefangenheit und anschauender Darstellungskraft verfaßte Balladen mit dem fanatischen Eifer eines Zionswächters herfielen. Von der »Braut von Korinth<< und der Ballade »der Gott und die Bajadere« wußte Herder nichts anderes zu sagen, als daß Priapus eine große Rolle in ihnen spiele. Und der den Xenien grollende Wieland klagte im Februarheft des Merkur 1797, die poetischen Titanen hätten sich in Augenblicken einer wilden bakchischen Geistestrunkenheit, ihrer eigenen Würde vergessen, alles erlaubt.

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In Briefen an Schiller spiegelt sich Goethes Grimm klar wieder; aber mit überlegenem Humor und heiterer Ironie fertigte er in seinem Gedichte >>Deutscher Parnaß«<, das in Schillers Musenalmanach für 1797 unter dem von Schiller gewählten Titel »Sängerwürde« erschien, Gleim und seinen ganzen Anhang ab. Die gereizte Stimmung Goethes gegen

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diese allgemeine Nichtigkeit, diese Parteisucht fürs äußerst Mittelmäßige, diese Augendienerei, diese Leerheit und Lahmheit, in der die wenigen guten Produkte sich verlieren, spricht sich in dem Briefe aus, in dem er Schiller für den Titel seines satirischen Gedichtes dankt. Mit Schiller allein fühlt er sich eins. »Auf alle Fälle sind wir genötigt unser Jahrhundert zu vergessen, wenn wir nach unserer Überzeugung arbeiten wollen« (1797). »Wie freut es mich, daß wir beide gewiß so fest an der Sache als an einander halten werden << (1798). Die Beiträge für Schillers Almanach, für den er selbst außer der »>Sängerwürde« und der »Euphrosyne« noch elf Gedichte beisteuerte, verfolgte er mit reger Teilnahme.

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Dabei schreibt er am 29. August 1798 mit wahrhaft mephistophelischem Humor über den Breslauer Samuel Gottlieb Burde, der elf Jahre vorher geistliche Poesien veröffentlicht hatte, und über Schillers Jugendgenossen Karl Philipp Conz, damals Diakonus in Ludwigsburg: »Es freut mich, daß die Herren Conz und Bürde ein wenig liederlich werden und sich an verbotenen Liebschaften ergötzen; wenn ich es noch von Matthisson erleben könnte, würde es mir noch größeren Spaß machen. Es ist kurios, wie sich die Leute vor gewissen An- und Nachklängen nicht retten können. So tönt der alte Hexenmeister in der alten Wundergerte doch einigermaßen nach,<< Diese Briefstelle genauer zu betrachten, lohnt der Mühe. Denn sie stellt nicht bloß die Stimmung Goethes in dieser Zeit lebendiger vor Augen, als es ein Biograph vermag, sie zeigt auch, daß sogar die Goethe entgegengesetzten Naturen von seiner dichterischen Größe unwillkürlich beeinflußt wurden. Das Gedicht von Conz »Liebeszuruf«, das Goethe meint, findet sich im Almanach S. 24:

Der freche Tag ist hingegangen,
Verschämt der Abend niedersinkt,
Wo, stille Küsse zu empfangen,

Mir die verschämte Liebe winkt.

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Gemach! Bald webt die Dämmrung dichter
Sich über Flur und Straße hin

Daß nicht die gaffenden Gesichter
In ihrer Neugier Netz uns ziehn!
Wie viel der Himmel gutes spendet;
Das schönste doch ist, was in Nacht
Verhüllet, seine Huld uns sendet,
Wenn uns beglückte Liebe lacht.

1 Breslau 1787.

2 Zwei Briefe von Conz aus Ludwigsburg an Schiller vom 14. Juni 1798 und 18. Mai 1799 mit der Unterschrift »Jhr Verehrer und Freund Conz« im »Marbacher Schillerbuch« 1905 S. 317-318.

Zur duftenden Holunderstätte

Im Gärtchen winkt die kleine Thür',
Und meine liebe blonde Nette

Huscht schon hervor und späht nach mir.

Mein Abendstern ist angebrochen:
Was kümmert der dort oben mich?

Wohlauf mein Herz mit frohem Pochen!

Die Liebe selber leitet dich.

In der Ausgabe seiner Gedichte (Zürich 1806 S. 196) hat Conz nur den dritten Vers der vorletzten Strophe geändert: >>Und o willkomm! die blonde Nette<< usw. Schillers Antwort auf Goethes Worte, zwei Tage darauf, ist bezeichnend genug: »Sie haben recht, daß gewisse Stimmungen, die Sie erregt haben, bei diesen Herren Conz, Matthisson u. a. nachhallen. Diese moralischen Gemüter treffen aber die Mitte selten, und wenn sie menschlich werden, so wird gleich etwas Plattes daraus.« Das Gedicht von Conz wird aber manchem nicht nur wie ein Nachhall erotischer Gedichte Goethes klingen, es wird ihn auch an Schillers Gedicht »Das Geheimnis<< erinnern. Schiller hat in der Tat das Vorbild für Conz sofort erkannt, aber er übertreibt, wenn er an Goethe weiter schreibt: >> Dieser Herr Conz hat in dem kleinen Gedicht, das Sie gedruckt gefunden haben, eigentlich mein Geheimnis kopiert usw.

Das längere Gedicht aber von Burde »Die Überraschung << erfordert noch eine besondere Betrachtung. Es steht im Almanach S. 28-31:

Auf dem Lande, bei der trauten Freundin
War, ach eine ewig lange Woche
Schon mein Liebchen usw.

...

Geschäfte wehren dem Liebenden zu ihr zu eilen. »>Heute konnt' ich mit der Abenddämmerung Meine Lieblingsaussicht erst besuchen.« Phantasie und Liebe tragen ihn fort, er sieht im Geiste das Landhaus: »offen stand der Gartenmauer Pförtchen, Offen auch die Hintertür des Hauses« . . . Aus seinem glücklichen Traume weckt ihn ein Baum, an den er streift.' Da kommt durch die dunkle Abendlandschaft ein Wagen, er eilt nach dem Stadttor, um ihn dort zu erwarten. Ein Rad zerbricht, die Zofe der Gebieterin ruft um Hilfe. Er aber will die Geliebte nicht gleich begrüßen, um des Wiedersehens Freude »noch durch Überraschung zu erhöhen«<. Es gelingt ihm durch Verstellung der Stimme unerkannt zu bleiben; sie

Diese und andere Stellen hat Bürde später geändert. Das Gedicht findet sich in seinen »poetischen Schriften« Breslau und Leipzig 1803. I, 55 f.

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