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aus dem Briefe' an den Verleger Cotta (9. April 1808): >>Daß die Redacteure Ihres Morgenblattes, die doch sonst verständige Männer zu seyn scheinen, auch es in manchen Punkten ganz läßlich nehmen, in anderen, wie z. B. gegen das Sonett, eine so komische Aversion beweisen, ist mir unbegreiflich. Als wenn dem Genie und dem Talent nicht jede Form zu beleben freystünde. Ich habe ein halb Dutzend Sonette von verschiedenen Freunden, die mir sehr wohl gefallen, in andere Blätter gegeben, da ich sehe, daß auch in diesem Jahre jene wunderliche ausschließende Aversion bei ihnen fortdauert«<.

Kräftiger äußert sich Goethe' dann gegen Zelter (22. Juni 1808): »>Wenn Ihnen das Vossische Sonett zuwider ist, so stimmen wir auch in diesem Punkte völlig überein. Wir haben schon in Deutschland mehrmals den Fall gehabt, daß sehr schöne Talente sich zuletzt in Pedantismus verloren. Und diesem geht's nun auch so. Für lauter Prosodie ist ihm die Poesie ganz entschwunden. Und was soll es nun gar heißen eine einzelne rhythmische Form, das Sonett z. B., mit Haß und Wuth zu verfolgen, da sie ja nur ein Gefäß ist, in das jeder von Gehalt hineinlegen kann, was er vermag. Wie lächerlich ist's, mein Sonett, in dem ich einigermaßen zu Ungunsten der Sonette gesprochen, immer widerkäuen, aus einer aesthetischen Sache eine Parteysache zu machen und mich auch als Parteygesellen heranzuziehen, ohne zu bedenken, daß man recht gut über eine Sache spassen und spotten kann, ohne sie deswegen zu verachten und zu verwerfen«<.

Allerdings hatte Goethe dieses sein erstes Sonett »Sich in erneutem Kunstgebrauch zu üben«) erst nach den beiden anderen veröffentlicht und so sah es aus, als ob er sich selbst widerspräche. Goethe wartete aber ab, bis sich der Lärm - auch von Baggesen noch 1810 im >>Karfunkel- oder Klingelklingel Almanach« fortgesetzt einigermaßen gelegt hatte und nahm erst 1815 die ersten fünfzehn Sonette in die Gedichte auf, während er die beiden letzten auch dann noch nicht mitteilte.

1 W. A. IV. 20. p. 45. N. 5519.

2 Von Zach. Werner, Riemer, wohl auch Gries.
3 W. A. IV. 20. p. 85. N. 5548.

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er Antikensaal zu Mannheim, der dem jungen >>Doktor Goethe« auf der Heimreise von Straß

burg nach Frankfurt im Sommer 1771 für sein ganzes Leben und Denken so bedeutsame künstlerische und ethische Anregungen gegeben hat, ist eine Schöpfung des für die Kunst begeisterten letzten pfälzischen Kurfürsten Karl Theodor und seines tatkräftigen Akademiedirektors P. A. Verschaffelt. In einem Zeitraum von fünfzehn Jahren war in Mannheim der »>Wald von Statuen<< zusammen gekommen, der Sinne und Herzen des ganzen klassischen Deutschland erquickt und erhoben hat. Allerdings hat nicht die warmherzige Kunstliebe Karl Theodors allein »die edelsten Denkmäler griechischer und römischer Bildhauerkunst in einem kurzen geschmackvollen Auszug versammelt«<; seine Vorfahren in der Regierung sind ihm vielmehr mit leuchtendem Beispiel vorangegangen.

Der Neugründer Mannheims nach den Verwüstungen des pfälzisch-orleanischen Erbfolgestreites, Johann Wilhelm (1690-1716), der in zweiter Ehe mit Maria Anna Aloisia von Medici vermählt war, hatte in seiner Düsseldorfer Residenz eine außerordentlich bedeutende Gemäldegalerie geschaffen und den Grund zu einem mit der Akademie verbundenen

Antikenkabinett mit Gipsabgüssen (eigentlich scagliola) nach antiken Statuen und Büsten gelegt. Im Sinne der Zeit hatte deshalb der damalige Düsseldorfer Galeriedirektor J. G. Karsch auf einem Gemälde im Treppenhaus der Galerie den Rhein und den Arno am Fuße des Parnaß sich vereinigen und den Fluß Poesie bilden lassen.

Johann Wilhelms Bruder und Nachfolger in der Kurwürde, Karl Philipp (1716-1742), der die pfälzische Residenz von Heidelberg nach Mannheim verlegte, hat bereits die Verbringung einzelner Antiken von Düsseldorf nach Mannheim angeordnet, um allda sein neugebautes gewaltiges Schloß damit zu schmücken.

Zehn Jahre nach seinem Regierungsantritt aber berief Karl Theodor (1742-1799) den ehemaligen Bildhauer am päpstlichen Hofe P. A. Verschaffelt nach Mannheim (1752). Damit tritt der entscheidende Wendepunkt im Kunstleben Mannheims ein. Eines der würdigsten und fruchtbringendsten Glieder in den zahlreichen künstlerischen und sozialökonomischen Maßnahmen dieses Fürsten ist die Errichtung einer »>öffentlichen Zeichnungsakademie«, an deren Spitze (1769) Verschaffelt gestellt wird. Bereits 1753 und 1754 wurden auf Karl Theodors Befehl die im »Schloß und in der Galerie zu Düsseldorf sich befindlichen Statuen und Formen von Gyps« nach Mannheim verbracht und im »Saal der Opernmaler« aufgestellt, wo sie als Vorbilder für die Malereien zu den Schäferspielen gebraucht wurden. In dieser Sammlung befanden sich u. a. die trunkene Alte, Herkules und Flora Farnese, Kastor und Pollux, Caunius und Byblis (Amor und Psyche), die Ringer und ein Kopf. 1766 wurden die im »Saal der Opernmaler stehenden Statuen und Formen nebst jenen, die in der Stadt befindlich sind«<, in den drei über der Hofküche des linken Schloßflügels befindlichen Zimmern gesammelt und den jungen Künstlern der »>kleinen Akademie zu Studienzwecken zugänglich gemacht und der Aufsicht Verschaffelts unterstellt. 1767 begann Verschaffelt den Bau des (heute noch in F 6 No. 1 als Zigarrenfabrik bestehenden) Akademiegebäudes mit Werkstätte und Antikensaal. Hier werden 1769 die teils nach florentinischen, meist nach römischen Originalen hergestellten Abgüsse und Formen untergebracht.

Der im Hofe des Akademiegebäudes gelegene Antikensaal hatte von oben einfallendes Nordlicht. Die »herrlichen Gebilde konnten durch Auf- und Zuziehen der Vorhänge in das vorteilhafteste Licht gestellt werden; überdies waren sie auf ihren Postamenten beweglich und nach Belieben zu wenden und zu drehen«. - Verschaffelt hatte die Drehgestelle gegen den Widerstand der Hofkammer durchgesetzt

und nach eigenen Angaben nach dem Muster von Modellierstühlen anfertigen lassen. Er hat mit der vortrefflichen Aufstellung allen Besuchern des weltbekannt gewordenen Antikenkabinetts dankbare Bewunderung und Anerkennung abgerungen. Lessing, der (1777) den Antikensaal besuchte, behauptete, daß »ein Aufenthalt in diesem Antikensaal dem studierenden Künstler mehrere Vorteile gewährte, als eine Wallfahrt zu ihren Originalen nach Rom, welche größtenteils zu finster, oder zu hoch, oder auch unter den schlechtern zu versteckt ständen, als daß sie der Kenner, der sie umgehen, befühlen und aus mehrern Augenpunkten beobachten will, gehörig benutzen könnte«<.

Die Sammlung der Abgüsse und Formen kam durch Verschaffelts Schüler und Nachfolger P. Lamine 1803 nach München.

*

2. Die Antiken.

Als Goethe im August 1771 den Antikensaal zu Mannheim betrat, waren seine Anschauungs- und Seelenkräfte in lebhafter Erregung. Er kam von Straßburg. Dort hatte die Größe und Schönheit des gewaltigen Münsters sein Inneres mit den würdigsten Eindrücken erfüllt. Das »tiefste Gefühl von Wahrheit und Schönheit der Verhältnisse, wirkend aus starker, rauher, deutscher Seele« war in ihm lebendig geworden. Erwins »charakteristische Kunst« ist ihm jetzt noch die einzig wahre. »Wenn sie aus inniger, einiger, eigener, selbständiger Empfindung sich wirkt, unbekümmert, ja unwissend alles Fremden, da mag sie aus rauher Wildheit oder aus gebildeter Empfindsamkeit geboren werden, sie ist ganz und lebendig«.

Noch zitterten auch in Goethes Seele die Schmerzen der Trennung vom Elsaß und von Friederike nach. Er suchte das Gleichgewicht seiner Seelenkräfte. Er fand den Weg dazu vor der klaren Schönheit und Harmonie der Antiken im Mannheimer Saal, »von dem man viel Rühmens machte«. Nur in kärglicher Weise war ihm bisher die hohe Gesetzlichkeit, Würde und Großheit der Antike entgegengetreten. In Frankfurt war er nichts Plastisches gewahr geworden. In Leipzig hatte nur der die Cymbeln schlagende Faun und Laokoon, der Vater, einen nachwirkenden Eindruck auf ihn gemacht, und »was Oeser bei Gelegenheit dieser Bildnisse zu sagen beliebte, war freilich rätselhaft genug.<< Nach einer langen Pause wurde er »auf einmal in das volle Meer gestürzt, als er sich von der Mannheimer Sammlung plötzlich umgeben sah:

Auch diese Sammlung hatte in ihren ursprünglichen Teilen nur den Charakter eines Liebhaberkabinettes, wie alle Sammlungen jener Zeit. Man ging von vornherein nicht auf systematische Vollständigkeit oder entwicklungsgeschichtlich bedeutungsvolle Werke aus. Zumal in den Anfängen des Mannheimer Kabinetts; denn die Düsseldorfer Stücke waren zu einer Zeit zusammen gekommen, in der der Begriff Kunstgeschichte noch nicht existierte.

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Aber zwei künstlerisch hochgebildete und feinfühlige Fürsten hatten, wenn zeitlich auch weit auseinanderliegend, an dem Zustandekommen des Mannheimer Kabinettes Anteil. Der Düsseldorfer Grundstock enthielt außer einem einzigen Kopf nur verhältnismäßig wenige Rundfiguren und einige Gruppen. Zur Zeit Karl Theodors kamen in Mannheim außer den vielen großen Einzelfiguren die Gruppen und eine größere Anzahl von Köpfen hinzu, die dann im Schwetzinger Schloßgarten in Nachbildungen Verwendung fanden. Mit dem Augenblick, da die Antiken aus den zerstreuten Aufstellungsplätzen im Antikensaal zusammengestellt waren, wurde aus der ehemaligen fürstlichen Liebhaberei eine dem Zug der Aufklärungszeit entsprechende Bildungsabsicht.

Wir dürfen in den Ergänzungen der Sammlung vorzugsweise den Einfluß und das Bedürfnis des in Rom gebildeten Künstlers Verschaffelt erkennen. Auch dem Zeitgeschmack war neben den höfischen Rücksichten Rechnung getragen. So sehr Karl Theodors Hofhaltung nach dem Muster von Versailles eingerichtet war, so sehr französisches Wesen im Hofleben und im Theaterrepertoire sich geltend machte: in der bildenden Kunst galt nur die Kunst des Südens als Vorbild. Verschaffelt selbst war zu Paris mit viel Nutzen durch die Schule des Bouchardon hindurchgegangen. Er hatte sich aber in Rom zur Renaissancekunst und über diese zurück zur Antike bekehrt, so sehr, das er (1760) sogar seinen nach dem Leben modellierten Voltaire in der Art eines römischen Triumphators, mit dem Lorbeerkranz ums Haupt, bildete. Höfischen Rücksichten entsprach die Aufstellung von Cäsaren, wie Caligula, Nero und auch Alexander, deren unbedingte Machtentfaltung das Princip des Absolutismus anschaulich machte. In der Aufstellung der Büsten von. Sokrates, Seneca und Cicero machten sich örtliche und zeitliche Verhältnisse geltend. Die Aufklärung, die in ihrer Weise nach Wahrheit suchte, hatte in der Gründung der »Akademie der Wissenschaften« mit ihren rhetorischen und publizistischen Leistungen einen Mittelpunkt erhalten. Auch insofern war dem Zeitgeschmack Rechnung getragen, daß nicht die herben und strengen Frühwerke der griechischen

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