Page images
PDF
EPUB

unserer heimischen Erde ruht, was einst sein Entzücken gewesen und seine Sehnsucht.

Er kehrte nach Böhmen nicht mehr zurück. In seinen Träumen lebte das Land als das Zauber- und Märchenland in hellem Glanz. Und er bewahrte ihm auch den Anteil, den er ihm zugewendet hatte. Durch reichen Briefwechsel wurde er über alle Vorgänge des geistigen Lebens und der sozialen Kultur auf dem Laufenden erhalten. Nicht bloß auf die Gegenden Böhmens, die er einst besucht hatte, bezog sich dieser Anteil: er erstreckte sich auf das ganze Land bis auf die Hauptstadt. Sternbergs bedeutendste Schöpfung, das böhmische Museum, verfolgte er in seiner aufsteigenden Entwicklung; die Zeitschrift, durch welche man die Welt über die Fortschritte des Landes unterrichten wollte, las er mit Eifer, ließ Auszüge daraus anfertigen und entwarf eine umfangreiche Besprechung, die — wenn auch von fremder Hand zu Ende geführt dennoch mit seinem Namen gezeichnet, in einem angesehenen Berliner kritischen Organ erschien und Böhmen erst in Deutschland wieder bekannt machte. Auch die Anfänge der deutschen romantischen Dichtung im Lande, die an den Namen Karl Egon Eberts und anderer anknüpfen, beurteilte er mit Liebe und Nachsicht; er gehört zu den Wiedererweckern unserer geistigen Kultur.

Und darum ist dieses Denkmal nicht bloß eine Huldigung für den Dichter des Faust und der schönsten deutschen Lieder, auch nicht bloß ein Erinnerungszeichen daran, daß ein guter Mensch diese Stätte betreten und für alle Zeiten eingeweiht hat; als ein flammendes Wahrzeichen hebt es sich empor, zu zeugen für das eingeborne deutsche Volkstum dieses Landes und die unerschöpfte Kraft unsres Stammes. Im Süden der Monarchie, am stillen Marktplatz zu Bozen erhebt sich ein Denkmal Walters von der Vogelweide, auch eine Quelle deutschen Volkstums wie unser Goethebrunnen, auch ein Symbol uralter Zugehörigkeit zum deutschen Stamm. So halten unsere deutschen Rolande treue Wacht an den Grenzen dieses Ostreiches, unsre kostbarsten Güter schützend und schirmend, unsere Sprache, unsere Dichtung, unsere Kunst. Und so sei das neue Denkmal unserer Stadt und unserem Land eine immer erneute Mahnung, auch im erbittertsten Kampfe des Tages niemals zu vergessen der heilbringenden Botschaft der deutschen Kunst, unsere Volkskraft immer von neuem zu verjüngen in der alten heiligen Königsquelle der echten Dichtung, wie unser Künstler sie hier versinnbildlicht hat, von der Schönheit behütet und von der Wahrheit.

[graphic][merged small][merged small][merged small][merged small]

1. Lessings und Goethes Faust.

rich Schmidt hat im 2. Goethe-Jahrbuch und knapper in seiner Lessing-Biographie die Überreste und die verschiedenartigen, nicht widerspruchsfreien Nachrichten über Lessings Faustdichtung, besser seine Faustdichtungen zusammengefaßt und die viel verschlungenen Fäden mit eindringender literarhistorischer Analyse entwirrt, Kuno Fischer und andere Kommentatoren des Goethischen Faust mehr oder weniger schlagend auf die gleiche Tendenz in den Faustdichtungen des älteren und des jüngeren Dichters hingewiesen. Minder häufig wird die Frage aufgeworfen, ob und gegebenenfalls in welchem Grade Goethe seinem großen Vorgänger für einzelne Anregungen verpflichtet sei.

Lessing selbst hatte bei Lebzeiten nur eine einzige Szene seines Faust bekannt gemacht: Der 17. Literaturbrief brachte zur Bekräftigung seiner berühmt gewordenen Absage an Gottsched und die französierende Kunstkritik überhaupt das Gespräch zwischen Faust und den sieben Höllengeistern als angebliche Probe eines ältern, deutschen Schauspiels. Faust befragt die Teufel nach ihrer Schnelligkeit, wobei Lessing die alte Überlieferung mit ihren Geschwindigkeitsgraden dadurch ergänzt, daß er den Trumpf »so schnell wie der Gedanke des Menschen« noch übertrumpft mit zwei weiteren Stufen: »so schnell als die Rache des Rächers«<, der sich schon rächt, indem er den Sünder

noch sündigen läßt und »so schnell als der Übergang vom Guten zum Bösen«. Man beachte dabei, daß für Lessing eine wirkliche Steigerung vorliegt. Mit dem »>Gedanken des Menschen« wird ein einzelnes Erlebnis im Gebiete der Vorstellung, also eine in der Zeit sich vollziehende Veränderung bezeichnet, während die Rache des Rächers, wie sie Lessing meint, eine Begleiterscheinung eines andern, nämlich der menschlichen Sünde ist. Gott selbst verschmäht es, wie sich Lessing als Sohn des optimistischen Zeitalters und im Sinne von Leibnizens Theodicee sagen muß, in den gesetzlichen Zusammenhang der Dinge mit Lohn und Strafe einzugreifen und dadurch sein eigenes Schöpfungswerk, in das der Mensch eben als freies, sich selbst be-. stimmendes Wesen hineingehört, zu zerstören; er kann sich also bei den Irrtümern des Sünders nur zuwartend verhalten; eine andere Rache kennt er nicht; nehmen wir hinzu, daß für Lessing, den gründlichen Bibelkenner und Spröfling eines gutgläubigen Pfarrhauses noch alttestamentliche Vorstellungen mitwirken, wonach Jahve die Heiden. in ihren Sünden dahingehen und sich darein verbohren läßt, während er seine Auserlesenen durch Strafe an sein Gesetz erinnert und an seine Brust zieht, so haben wir die Quellen für die metaphysische Vorstellung und für die Stimmung, in der sie vorgetragen wird, beisammen. Von dem »>Übergang vom Guten zum Bösen« aber kann man in Lessings Sinne noch weniger sagen, daß er sich nur innerhalb der Gedanken des Menschen vollzöge, also mit einem früheren Schnelligkeitsgrade zusammenfiele. Es handelt sich hier nicht einmal mehr, wie bei den vorigen Stufen, um zwei metaphysisch miteinander verbundene, gleichzeitige Tatsachen, sondern, fast möchte man sagen, um zwei Betrachtungsweisen einer und derselben Tatsache. Was in einem Sinne gut ist, kann im andern böse sein; der Forschungstrieb eines Faust kann bereits der Keim zu seinem Höllenbunde sein, wie er denn selber sagt: »>Ha! Du bist mein Teufel! So schnell als der Übergang vom Guten zum Bösen! Ja, der ist schnell; schneller ist nichts als der! Ich habe es erfahren, wie schnell er ist! Ich habe es erfahren !« Das ist also keineswegs bloß eine preziöse Deklamation, sondern schlägt das tragische Grundmotiv des Trauerspiels an, das Lessing schreiben wollte.

Die Szene war 1759 bekannt geworden und wurde mit den Literaturbriefen noch mehrmals neu gedruckt. Daß Goethe sie frühzeitig kennen gelernt hat, ist selbstverständlich; ob sie ihm bei der Abfassung des »Urfaust« vorschwebte, ist fraglich; wahrscheinlich aber, daß er sie mit den Augen eines Lessing gelesen hatte und aus den Puppen

spielen so gut wie sein Vorgänger die Seelenqualen des titanischen Menschen heraushörte, die den großen >>Kerl«< im Sinne des Sturmes und Dranges auch da foltern, wo er seine kühnsten Wünsche verwirklicht zu sehen glaubt. Für ihn war ein Weislingen ein elender Schwächling, der weder zum Guten noch zum Bösen einige Kraft hatte, und selbst auf diesen fiel noch ein Strahl dichterischen Erbarmens; mit unverhohlener Liebe aber weiß der Dichter sowohl den allzeit hilfsbereiten Selbsthelfer Götz, wie die dämonische Adelheid zu zeichnen und verständlich zu machen und nimmt uns durch seine feinen Seelenanalysen die schülerhafte Frage: »>Guter oder böser Charakter?<«< von den Lippen. Dieser Relativismus kam bei Lessing auf seine Rechnung, wenngleich ein Goethe seinem Faust ganz anders einzuheizen wußte, als Lessing, für den der alte Sagenheld eben nur der Vertreter gelehrten Strebens und Irrens sein sollte. Von der Würde aber, mit der Faust den Abgesandten der Hölle gegenübertritt und die von der Erbärmlichkeit des Nekromanten in der alten Überlieferung, seinem ohnmächtigen Aufbäumen und feigen Kuschen so wohltuend absticht, von dem Hochgefühl des Menschen gegenüber Ausgeburten der Hölle ist doch schon der ganze Urfaust erfüllt. Wie der sechste Geist bei Lessing zittert, wenn er von der Rache des Rächers redet, so kann der Mephistopheles des Urfaust nicht vor dem Kreuz vorbeigehen, ohne die Augen niederzuschlagen. Das alles sind Neuerungen, die Goethe mit Lessing teilt und die, so wenig wir die Übereinstimmung auspressen und unmittelbare Beeinflussung während der Niederschrift behaupten wollen, doch zeigen, daß Goethe die Fabel mit Lessings Augen angeschaut hat.

Auf die mangelhaft verbürgte Anekdote, wonach Lessing gedroht haben soll, seinen Faust hole der Teufel, denjenigen aber, den Goethe zu schreiben vorhabe, wolle er selbst holen, brauchen wir hier nicht einzugehen, schon weil sie gar nicht zu seinen eigenen Faustplänen stimmt. (Vgl. E. Schmidt a. a. O.)

Von diesen aber erfuhr ein weiteres Leserpublikum erst später Näheres. 1784 erschien in Archenholz' Zeitschrift: »Literatur und Völkerkunde« Band V ein Brief des Hauptmanns von Blankenburg über ein angeblich vollendetes, aber auf einer Reise von Wolfenbüttel nach Dresden verloren gegangenes Faustdrama Lessings, das mit einer höllischen Konferenz begann, dem Helden gerade seine leidenschaftliche Neigung zur Wahrheit zum Fallstrick werden, seine Seele aber schließlich durch ein Engelwort begnadigen ließ: »Ihr habt nicht über Menschheit und Wissenschaft gesiegt; die Gottheit hat dem Menschen nicht

den edelsten der Triebe gegeben, um ihn ewig unglücklich zu machen; was ihr seht und jetzt zu besitzen glaubt, war nichts als ein Phantom.« Ob Goethe diese Veröffentlichung kannte, ist mehr als fraglich, so verlockend die Beziehung zwischen diesem Engelruf und dem Geistergesange »>Gerettet ist das edle Glied« an sich wäre; 1786 aber brachte der zweite Band von Lessings »theatralischem Nachlaß« weitere Bruchstücke; ein Brief von Engel gab genauere Kunde über die Eingangsszene, berichtete zum Schluß wieder über die nach Sauers ansprechender Vermutung wohl auf spanische Einflüsse zurückzuführenden Phantom-Motive, wonach der erwachende Faust der Vorsehung für die Warnung dankt, »>die sie durch einen so lehrreichen Traum ihm hat geben wollen<«<. Das ist ein Zug, der Goethes Gerechtigkeitssinne schwer entgegangen wäre und man darf Fausts Träume, vor allem den lösenden und heilenden Schlummer im Anfang des zweiten Teils ja nicht mit diesem willkürlichen und gegen den Geist des früheren Plans verstoßenden Eingriff der Gottheit in ursächlichen Zusammenhang bringen wollen.

Wichtiger und bedeutsamer ist, was wir aus diesem Brief und vor allem aus einer ebenda mitgeteilten Skizzierung des Vorspiels und der vier Anfangsszenen des ersten Akts über den Gang der Handlung im einzelnen erfahren. Natürlich haben wir nun die nach 1786, das heißt während und nach der italienischen Reise in Angriff genommenen und ausgeführten Teile der Goethischen Faustdichtung heranzuziehen und es ist sehr wohl möglich, daß Goethe die Lessingschen Fragmente, falls er sie überhaupt vornahm, erst während der dritten, auf Schillers Drängen erfolgten Beschäftigung mit dem Faust (1797-1806) wieder durchlas. Freilich beginnt der erste Teil seiner Tragödie, der 1806 vollendet wurde, nicht mit einer diabolischen Konferenz, sondern mit dem »Prolog im Himmel«<, immerhin mit einer, von höherem Standpunkt aus orientierenden, das Schlußurteil für den verständigen Hörer vorweg nehmenden Szene übermenschlicher Wesen. Der Schüler Spinozas war von der Relativität des Bösen, auch des Erzbösewichts, von der Notwendigkeit des zerstörenden Elements in der Natur viel zu sehr überzeugt, um ein von den guten Geistern und von den Menschen durch unübersteigbare Mauern geschiedenes Teufelreich zu schildern und vom Zuschauer Glauben daran zu verlangen, was für den Pfarrerssohn Lessing, der in so ganz andern Gedankenkreisen aufgewachsen war und sich dem Gefühlseindruck überkommener Vorstellungen nicht so ohne weiteres entwinden konnte, sicherlich viel leichter möglich war. Treten ja

« PreviousContinue »