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Arabiens freie Söhne,

Auf die der Mond der Wüste scheint ; Da wirst er sich zur Erd' — und weint.

Ahasver, der ewige Jude.

Ein Wäldchen rauscht auf weiter grüner
Heide;

Hier lebt die Erde still und arm und trübe;
Das Wäldchen ist ihr einziges Geschmeide,
Daran ihr Herz noch hangen mag in Liebe,
Wie eine Witwe, eine einsam arme,
Den Brautschmuck aufbewahrt, daß sie die
Blicke,

Die thränenvollen, spät daran erquide,
Wird sie zu bang erfaßt von ihrem Harme.
Rings um das Wäldchen alles öd' und ein-
sam;

Nicht Baum und Strauch, nur Wiesengrund zu seh'n;

Bis an die Grenze, wo die Wolken geh'n, Wo Heid' und Himmel zweifelnd wird gemeinsam.

Strohhütten steh'n umher zerstreut im Haine;
Hier hat ein traulich stilles Los gefunden
Von Hirten eine friedliche Gemeine;
Doch ist kein Menschenleben ohne Wunden.
Die Linde säuselt blütenreich und hoch,
Die Sonne geht im Westen still verloren,
Und auf den Blüten, die sie jüngst geboren,
Verweilen ihre warmen Blicke noch;
Auch strahlen sie zum leytenmal auf einen,
Um dessen Leiche dort die Hirten weinen.
Sie stellten seine Bahre an die Linde,
Als sollt' ihn einmal noch der Lenz be-
grüßen,

Der schon als Jüngling hat hinsterben müssen.
Die bleiche Mutter kniet an ihrem Kinde;
Mit Rosenkränzen schmücken ihn Jungfrauen,
Und aller Blicke haften schmerzumflossen
Auf ihrem lieben, freundlichen Genossen,
Sein Bild sich recht ins treue Herz zuschauen.
Der Vater hält des Toten Flöt' und Stab,
Beneßend sie mit mancher heißen Zähre;
Dem Jüngling sollen folgen in sein Grab
Die schlichten Zeichen seiner Hirtenehre.
Im Ohr des Alten summen noch die Lieder,
Die dieser Flöte einst so froh entquollen
Und die auf immer nun ihm schweigensollen;
Das beugt ihm tiefer noch die Seele nieder. —

Wer aber kommt die Heide hergezogen, Gejagt, so scheint's, von drängender Gewalt,

Das Haupt von greisen Locken wild umflogen,
Das tiefgefurchte Antlig fahl und kalt?
Es ragt ins Leben ernst und schroff herein
Wie altes, längst verwittertes Gestein;
Vom Antlig fließt herab der Bart so hell,
Wie düsterm Fels entstürzt der Silberquell :
Aus dunkler Höhle glüht des Auges Stern,
Als säh's auf dieser Erde nichts mehr gern.
Das Auge scheint mit seiner Glut zu sagen,
„Müßt' ich nicht leuchten dem unstäten Fuß,
Ich hätte längst mit eklem Ueberdruß
Vor dieser Welt die Thüre zugeschlagen ;“
Der Wandrer ist der Jude Ahasver,
Der fluchtgetrieben, rastlos irrt umher.
Zur Bahre tritt er feierlich und leise
Und spricht im bang erschrock'nen Hirten-
freise:

„So! betet still, daß ihr ihn nicht erweckt!
Hemmt eurer Thränen undankbare Flut!
Sein Schlaf ist gut, o dieser Schlaf ist gut!
Wenn er auch Thoren eures gleichen schreckt.
O süßer Schlaf! o süßer Todesschlaf !
Könnt’ich mich rastend in die Grube schmiegen!
Könnt' ich, wie der, in deinen Armen liegen!
Den schon so früh dein milder Segen traf;
Den Staub nicht schütteln mehr vom müden
Fuße!

Wie tiefbehaglich ist die Todesmuße !

Das Auge festverschlossen, ohne Thränen; Die Brust so still, so flach und ohne Sehnen, Die Lippen bleich, versunken, ohne Klage, Verschwunden von der Stirn die bange Frage. Wohl ihm! er starb in seinen Jugendtagen, Er hat gar leicht, vom Schicksal liebgewonnen, Die große Schuld des Schmerzes abgetragen, Das Leben ihm umsonst Verrat gesponnen. Sein Herz ist still; das meine, ohne Rast, Pocht Tag und Nacht in ungeduld'ger Hast, Auf daß es einmal endlich fertig werde Und seinen Sabbath find' in kühler Erde. Es schläft der Mensch in seiner Mutter Hüften Dann eine Weile noch, mit Augen offen, Jrrt er, Schlafwandler, in den Morgenlüften Und träumt ein buntes, himmlisch frohes Hoffen,

Bis plöglich ihm ans Herz das Leben greift, Den schönen Traum von trunk'ner Stirne streift,

Und ihn mit kalter Hand ins Wachen schüttelt, Wie meine Hand hier Blüten niederrüttelt, Den hat die falte Faust noch nicht erfaßt, Er ist, unaufgeschreckt vom Traum, erblaßt; Ich seh's an seinen ruhig schönen Zügen,

Die, selig lächelnd, fast den Tod verhehlen
Und immer noch das Märchen still erzählen,
Die Erde noch zum Paradiese lügen!“
Er rüttelt wieder Blüten von den Zweigen,
Die niederflattern, ihren Todesreigen :
,,Noch immer, Erde, den uralten Tand
Von Blütentreiben und Zerstören, immer?
Verdrießt, Natur, das öde Spiel dich nimmer?
Ergreift nicht Schläfrigkeit die müde Hand?
Du gleichest mit dem wüsten Zeitvertreib
Im Dorfe drüben dem Zigeunerweib,
Die Karten schlägt, mit ihren bunten Bildern
Vergang'nes wie Zukünftiges zu schildern,
Und, blöd begafft, belauscht, neugierigen
Leuten,

Was sie gedacht, was sie geträumt, zu deuten.

Die Blätter werden aufgemengt und frisch Gelegt in neuer Ordnung auf den Tisch, Den Glauben äffend mit prophet'schen Spu

ren;

Doch immer sind's die nämlichen Figuren! Ich schaute zu seit achtzehnhundert Jahren, Die machtlos über mich dahingefahren. Laß dich umarmen, Tod, in dieser Leiche! Mein Auge laben an der Wangen Bleiche! Balsamisch rieselt ihre frische Kühle

Durch mein Gebein, durch meines Hirnes Schwüle."

Derweil die Hirten jezt den Sarg verschließen, Starrt Ahasver aufs Kruzifix der Decke, Als ob er plöglich, tiefgemahnt, erschrece, Aus seinem finstern Auge Thränen fließen: „Hier ist sein Bildnis an den Sarg geheftet, Der einst gekommen, schmachtend und entkräftet,

Der einst vor meiner Thür zusammenbrach,
Gebeugt vom Druck des Kreuzes und der
Schmach,

Der mich um kurze Rast so bang beschwor;
Ich aber stieß ihn fort, verfluchter Thor!
Nun bin auch ich vom Fluche fortgestoßen,
Und alle Gräber sind vor mir verschlossen,
Ich stand, ein Bettler, weinend vor der Thüre
Der Elemente, flehte um den Tod;
Doch, ob ich auch den Hals mit Stricken
schnüre,

Mein fester Leib erträgt des Odems Not.
Das Feuer und die Flut, die todesreichen,
Versagten das ersehnte Todesglück;
Ich sah die scheue Flamme rückwärts weichen,
Mit Etel spie die Welle mich zurück.
War ich geklettert auf die Felsenmauer,

Wo nichts gedeiht, als füßer Todesschauer, Und rief ich weinend, wütend abgrundwärts:

„Mutter Erde, dein verlorner Sohn! Reiß mich zerschmetternd an dein steinern Herz!"

Der Zug der Erdentiese sprach mir Hohn, Sanft senkten mich die fluchgestärkten Lüfte Und lebend, rasend, irrt' ich durch die Klüfte. „Tod!" rief ich, „Tod!" mich in die Erde frallend,

„Tod!" höhnte Klipp' an Klippe widerhallend,

Zu Bette stieg ich lüstern mit der Pest;

Ich habe sie umsonst an's Herz gepreßt.
Der Tod, der in des Tigers Rachen glüht,
Der zierlich in der gift'gen Pflanze blüht,
Der schlängelnd auf dem Waldespfade kriecht,
Den Wandrer lauernd in die Ferse sticht,
Mich nahm er nicht!"

Da wandte sich der Jude von den Hirten,
Und weiter zog der Wandrer ohne Ruh',
Dem lezten Strahl der Abendsonne zu;
Ob seinem Haupt die Heidevögel schwirrten,
Und wie er fortschritt auf den öden Matten,
Zog weithingreifend sich sein Schattenstrich
Bis zu den Hirten; die bekreuzten sich,
Die Weiber schauderten an seinem Schatten.

Magnus Gottfried Lichtwer.

(Geschichte der deutschen National-Litteratur. § 44.)

Die seltsamen Menschen. *)

Ein Mann, der in der Welt sich trefflich umgeseh'n,
Kam endlich heim von seiner Reise,

Die Freunde liefen scharenweise

Und grüßten ihren Freund; so pflegt es zu gescheh’n.
Da hieß es allemal: Uns freut von ganzer Seele

Dich hier zu seh'n und nun: erzähle!

Was ward da nicht erzählt? Hört, sprach er einst, ihr wißt,
Wie weit von uns'rer Stadt zu den Huronen ist,

Elfhundert Meilen hinter ihnen

Sind Menschen, die mir seltsam schienen,
Sie sizen oft bis in die Nacht

Beisammen fest auf einer Stelle,

Und denken nicht an Gott, noch Hölle.

Da wird kein Tisch gedeckt, kein Mund wird naß gemacht,

Es könnten um sie her die Donnerkeile blißen,

Zwei Heer' im Kampfe steh'n; sollt' auch der Himmel schon

Mit Krachen seinen Einfall droh'n,

Sie blieben ungestöret sigen.

Denn sie sind taub und stumm; doch läßt sich dann und wann

Ein halbgebroch'ner Laut aus ihrem Munde hören,

Der nicht zusammenhängt und wenig sagen kann,

Ob sie die Augen schon darüber oft verkehren.

*) Lüben und Nade 1, 405.

Man sah mich oft erstaunt zu ihrer Seite stehen,
Denn wenn dergleichen Ding geschieht,
So pflegt man öfters hinzugehen,

Daß man die Leute sizen sieht.

Glaubt, Brüder! daß mir nie die gräßlichen Geberden
Aus dem Gemüte kommen werden,

Die ich an ihnen sah; Verzweiflung, Raserei,
Boshafte Freud' und Angst dabei,

Die wechselten in den Gesichtern.

Sie schienen mir, das schwör' ich euch,

An Wut den Furien, an Ernst den Höllenrichtern,
An Angst den Missethätern gleich.

Allein, was ist ihr Zweck? so fragten hier die Freunde,
Vielleicht besorgen sie die Wohlfahrt der Gemeinde?
Ach nein! So suchen sie der Weisen Stein? Jhr irrt!
So wollen sie vielleicht des Zirkels Viereck finden ?
Nein! So bereu'n sie alte Sünden?

Das ist es alles nicht. So sind sie gar verwirrt ;
Wenn sie nicht reden, hören, fühlen,

Noch seh'n, was thun sie denn? Sie spielen.

Der kleine Töffel. *)

In einem großen Dorfe, das an die Mulde stieß,

Starb Grolms, ein Bauersmann. Die Witwe freite wieder
Und kam mit einem Knaben nieder,

Den man den kleinen Töffel hieß.

Sechs Sommer sind vorbei, als es im Dorfe brannte,

Der Knabe war damals gerade sechzehn Jahr,

Da man, wiewohl er schon ein großer Junge war,

Ihn noch den kleinen Töffel nannte.

Nunmehr drasch Töffel auch mit in der Scheune Korn,
Fuhr selber in das Holz; da trat er einen Dorn
Sich in den linken Fuß; man hörte von den Bauren
Den kleinen Töffel sehr bedauren.

Zulegt verdroß es ihn, und als zur Kirmeßzeit
Des Schulzen Hadrian, ein Zimmermannsgeselle,
Jhn kleiner Töffel hieß, hatt' er die Dreistigkeit,
Und gab ihm eine derbe Schelle.

Die Rache kam ihm zwar ein neues Schock zu steh'n;
Denn Schulzens Hadrian ging klagen,

Und durch das ganze Dorf hört man die Rede geh'n,
Der kleine Töffel hat den Hadrian geschlagen.

O, das that Töffeln weh, und er beschloß bei sich,

Sich in die Fremde zu begeben.

Was, sprach er, kann ich nicht ein Jahr wo anders leben?
Inmittelst ändert sich's, und man verkennet mich.

* Leimbach III, 227.

Gleich ging er hin, und ward ein Reiter.
Das höret Nachbars Hans, die Sage gehet weiter,
Und man erzählt von Haus zu Haus,

Der kleine Töffel geht nach Böhmen mit hinaus.
Der Töffel will vor Wut ersticken.

Indessen kriegt der Sachsen Heer

Befehl, in Böhmen einzurücken.

Nunmehr ist Töffel fort, man spricht von ihm nicht mehr,
Die Sachsen dringen ein, geh'n bis nach Mähren hinter,
Und Töffel gehet mit. Es geht ein ganzer Winter,
Ein halber Sommer hin, man senkt den Weinstock ein,
Als man den Ruf vernimmt: Es sollte Friede sein.
Da meint nun unser Held, daß man die Kinderpossen,
Die ihn vordem so oft verdrossen,

Vorlängst schon ausgeschwißt. Er wirkt sich Urlaub au
Und suchet seines Vaters Haus.

Er hörte schon den Klang der nahen Bauerkühe;
Ein altes Mütterchen, das an den Zäunen kroch,
Ersah ihn ungefähr und schrie:

Je, kleiner Töffel! lebt ihr noch ?

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