116 'S ist wahr, es glich nicht völlig dem Apoll; Die Nachtigall im deutschen Dichterwald, Drum dort am Neckar aus dem Dichterhaus Trat je und je ein Gast verblüfft heraus, So einer, der auf große Männer reis't, Fürs Tag'buch gern erschnappt ein Wort von Geist Und giebt's hernach um schönes Geld in Druck, Dem großen Mann zur Ehr', sich selbst zum Schmud. Wie lustig fand er's jüngst an Kerners Ernst und Humor Tisch, welch' zauberhaft Gemisch, Wie schön der Mann im dunkeln Hauptgelock, Wie dichterisch der Eremitenrock! Wie ging bei Gustav Schwab das Herz ihm auf, Wie lenkte der gewandt der Rede Lauf, Wie bligt sein Aug', wie blißt der Zähne Bracht, Wenn im Gespräch er jovialisch lacht! -- Doch diesem Uhland, dem verschwieg’nen Mann, Wer sollt' ihm's anseh'n, was er ist und kann! Und ob in Fragen sich an ihm erschöpft Ein Sokrates: er bliebe zugeknöpft. Nun tagt einmal gelehrter Männer Zahl Zu Tübingen im schönen Neckarthal, Man ehrt sie hoch im ganzen deutschen Land, Erforscher der Natur sind sie genannt, Und als sie manch' gelehrt' Gespräch geführt, Drei Tage diskutiert und disputiert, Da fuhren sie, der Himmel war so blau, Das Thal hinauf ins schöne Niedernau, Allwo den Fremdlingen die Musenstadt Ein lustig Ehrenmahl bereitet hat, Und wo in all' der Gäste bunter Schar Auch unser Uhland mit versammelt war. Da wurde brav getafelt und gezecht, Und der Natur ward allerseits ihr Recht; Der Vogel, der sich durch die Lüfte schwingt, Der Fisch, der in den Wellen schwimmt und springt, Das Wild, das durch der Wälder Dickicht streift, Die Frucht, die in des Baumes Wipfel reift, Und was Natur im edlen Rebensaft Und lauter stets und bunter wird's im - Da saß ein Gast aus Norden, stammverwandt, Der fühlt vom Geist sich plöglich übermannt: Dieweil er längst nicht mehr am ersten Glas, So dacht' er billig auch an dies und das, Was klingt und singt, was rauschet und was braus't; Jezt hebt er hoch den Kelch in starker Faust Und ruft: „Ihr Herrn, erlaubt mir Eines noch: Der Sangesmeister Uhland lebe hoch!" Da wars', als flög' ins Pulverfaß ein Blih, Ein zweiter Fremder fährt empört vom Sih: „Was will der Kerl?" so ruft er grimmig aus, „Werft den Philister doch zur Thür' hinaus, Der unserm Uhland seinen Ruhm verkürzt, Und nochmals Uhl“ — da stottert er bestürzt, War's denn ein Schwabenstreich, den er gemacht, Daß alles deutet, flüstert, kichert, lacht? „Das war ja Uhland, welcher protestiert!" So wird er jetzt vom Nachbar überführt. „So so, ei ei, ich kannt' ihn wirklich nicht,“ Er spricht's und wischt den Schweiß sich vom Gesicht; Und Uhland schüttet sich vor Lachen aus Und kommt vom Schwank beseligter nach Haus, Als hätten tausend Stimmen ihm mit Macht Aus voller Brust ein donnernd Hoch gebracht. Bei Straßburg auf der Schanze. 1871. Bei Straßburg auf der Schanze Doch plöglich seh ich's blizen Und rasender gewittert Der Schwarzwald bebt im Grund; Wie schaut das hehre Münster Und drohend hebt's und fragend „O Brüder, liebe Brüder, Zwei Berge Schwabens.*) 1871. Zur Wendenacht des Jahres Nachts um die zwölfte Stunde Vom Zollern bis zum Staufen Aus Nachtgewölken ragte Doch wie die Wolken wallten, Die alten Schwabenkaiser, Das edle Staufenblut, Sie reckten ihre Glieder, Voran dem stolzen Trosse Er trug die Kaiserkrone, Dann drängten sich die Söhne, Die Enkel her um ihn, Zuleht der bleiche, schöne, Der Knabe Konradin. Ein jeder mit den Waffen, Den Kronen, die er trug, Auch sah ich Wunden klassen Bei manchem Mann im Zug. *) Gude, Erläuterungen IV, 385. Und ohne Steg und Brücken Die Nebelmäntel schleiften Und wo zur lezten Strecke Da schien der Zug zu halten, Mir war's, die Fürsten legen Und wie ich stand und lauschte, Auf stieg das junge Jahr. Und allgemach im vollern, Den Kaiserpurpur legte Und bis hinab zum Staufen Ein Adler thät sich wiegen, Und rings im Land erklangen Die Glocken all' zugleich, Den Segen zu empfangen Fürs Deutsche Kaiserreich. 119 Des deutschen Knaben Das war einmal ein Jubeltag! Doch jedenfalls die Wacht am Rhein Ward angestimmt von Groß und Klein, Denn auch durch der Unmünd’gen Mund Wird Gottes Lob von Alters fund. Und einer von den kleinsten Jungen, Der hat am laut'sten mitgesungen: Die bunte Müße auf dem Ohr, Die Höslein flott im Stiefelrohr, Marschiert er wacker mit dem Chor, Beteiligt sich den Morgen lang An jedem Schrei und jedem Sang; über die Höllenfahrt Jesu Chrifti. 1765. Welch' ungewöhnliches Getümmel! Ein Jauchzen tönet durch die Himmel, Ein großes Heer zieht herrlich fort. Gefolgt von tausend Millionen, Steigt Gottes Sohn von seinen Thronen Und eilt an jenen finstern Ort. Ich seh' ihn auf dem Siegeswagen, *) Heinrich Biehoff, Goethes Gedichte erläutert, 3. Aufl. 1876. 2 Teile. Heinrich Dünger. Goethes lyrische Gedichte erklärt, 2 Bde. 1858. J. W. Schäfer, Goethes ausgewählte Gedichte (Schulausgabe), mit Anmerkungen. Andere Erläuterungsschriften siehe unter den einzelnen Gedichten. |