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'S ist wahr, es glich nicht völlig dem Apoll;
So reich der Schaß in seines Busens Grund,
So karg war oft des Manns verschwieg’ner
Mund;

Die Nachtigall im deutschen Dichterwald,
Sie hatte weder Schöne, noch Gestalt;
Der Minnejänger, der so stark und füß
Die alte Ritterharfe schallen ließ,
Die Saiten Walters von der Vogelweid'—
Er ging so schlicht im bürgerlichen Kleid;'
Der Mann des Volks, der seines Königs Zorn
Furchtlos bestanden wie Bertran de Born,
Nichts ließ er seh'n von Volkstribunenart,
Das Kinn umquoll kein Demokratenbart,
Und wie er einfach sauber ging und stand,
Am nächsten schien er der Kanzlei verwandt.

Drum dort am Neckar aus dem Dichterhaus Trat je und je ein Gast verblüfft heraus, So einer, der auf große Männer reis't, Fürs Tag'buch gern erschnappt ein Wort von Geist

Und giebt's hernach um schönes Geld in Druck, Dem großen Mann zur Ehr', sich selbst zum Schmud.

Wie lustig fand er's jüngst an Kerners Ernst und Humor

Tisch, welch' zauberhaft Gemisch, Wie schön der Mann im dunkeln Hauptgelock, Wie dichterisch der Eremitenrock! Wie ging bei Gustav Schwab das Herz ihm auf,

Wie lenkte der gewandt der Rede Lauf, Wie bligt sein Aug', wie blißt der Zähne Bracht,

Wenn im Gespräch er jovialisch lacht! -- Doch diesem Uhland, dem verschwieg’nen Mann,

Wer sollt' ihm's anseh'n, was er ist und kann! Und ob in Fragen sich an ihm erschöpft Ein Sokrates: er bliebe zugeknöpft.

Nun tagt einmal gelehrter Männer Zahl Zu Tübingen im schönen Neckarthal, Man ehrt sie hoch im ganzen deutschen Land, Erforscher der Natur sind sie genannt, Und als sie manch' gelehrt' Gespräch geführt, Drei Tage diskutiert und disputiert, Da fuhren sie, der Himmel war so blau, Das Thal hinauf ins schöne Niedernau, Allwo den Fremdlingen die Musenstadt Ein lustig Ehrenmahl bereitet hat,

Und wo in all' der Gäste bunter Schar Auch unser Uhland mit versammelt war.

Da wurde brav getafelt und gezecht, Und der Natur ward allerseits ihr Recht; Der Vogel, der sich durch die Lüfte schwingt, Der Fisch, der in den Wellen schwimmt und springt,

Das Wild, das durch der Wälder Dickicht streift,

Die Frucht, die in des Baumes Wipfel reift,
Undwas derLandmann vonGemüs’undKraut
In Thal und Berg, in Sonn' und Schatten
baut,

Und was Natur im edlen Rebensaft
Am Rhein und Neckar Köstliches erschafft,
Das alles ward mit Ernst und Fleiß er-
forscht,
Geschlürft, gekaut, zerbissen und zermorscht,
Und mancher heit're Trinkspruch würzt das
Mahl,

Und lauter stets und bunter wird's im
Saal.

-

Da saß ein Gast aus Norden, stammverwandt,

Der fühlt vom Geist sich plöglich übermannt: Dieweil er längst nicht mehr am ersten Glas, So dacht' er billig auch an dies und das, Was klingt und singt, was rauschet und was braus't;

Jezt hebt er hoch den Kelch in starker Faust Und ruft: „Ihr Herrn, erlaubt mir Eines noch:

Der Sangesmeister Uhland lebe hoch!"
Doch rasch dawider unten aus dem Ec
Erhebt sich eine Stimme falt und keck:
„Dagegen thu' ich feierlich Protest,
Den Forschern, nicht den Dichtern gilt das
Fest!"

Da wars', als flög' ins Pulverfaß ein Blih, Ein zweiter Fremder fährt empört vom Sih: „Was will der Kerl?" so ruft er grimmig

aus,

„Werft den Philister doch zur Thür' hinaus, Der unserm Uhland seinen Ruhm verkürzt, Und nochmals Uhl“ — da stottert er bestürzt, War's denn ein Schwabenstreich, den er gemacht,

Daß alles deutet, flüstert, kichert, lacht? „Das war ja Uhland, welcher protestiert!" So wird er jetzt vom Nachbar überführt. „So so, ei ei, ich kannt' ihn wirklich nicht,“

Er spricht's und wischt den Schweiß sich vom Gesicht;

Und Uhland schüttet sich vor Lachen aus Und kommt vom Schwank beseligter nach Haus,

Als hätten tausend Stimmen ihm mit Macht Aus voller Brust ein donnernd Hoch gebracht.

Bei Straßburg auf der Schanze.

1871.

Bei Straßburg auf der Schanze
Da ging mein Trauern an,
Ich sah im Abendglanze
Des Münsters Hochaltan,
Sah durch die grünen Auen
Des Rheines Silberband,
Sah die Vogesen blauen
Am duft'gen Himmelsrand.

Doch plöglich seh ich's blizen
Dort drüben auf dem Wall,
Ich höre von Geschüßen
Den dumpfen Donnerknall,
Und auf der Schanze hüben
Kracht scharf der Gegengruß,
Und hüben bligt's und drüben,
Und donnert Schuß um Schuß.

Und rasender gewittert
Der Mordgeschüße Schlund,
Das weite Elsaß zittert,

Der Schwarzwald bebt im Grund;
Die Sonne muß erblassen,
Umflort von Rauch und Dunst,
Und drüben in den Gassen
Loht auf die Feuersbrunst.

Wie schaut das hehre Münster
In purpurroter Tracht
So traurig und so finster
Herüber durch die Nacht,
Es starrt hinab wie klagend
In wilder Flammen Lauf,

Und drohend hebt's und fragend
Den Riesenfinger auf.

„O Brüder, liebe Brüder,
So lautet der Empfang?
So findet ihr euch wieder
Und war't getrennt so lang'?
Kinder, drin und draußen,
Wie tobt ihr sinnberaubt,
Und eure Kugeln sausen
Um mein geheiligt Haupt!"

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Zwei Berge Schwabens.*)

1871.

Zur Wendenacht des Jahres
Beim stillen Sternenlicht
Ward mir ein wunderbares
Erhab'nes Nachtgesicht.

Nachts um die zwölfte Stunde
Stand ich am Bergesrand,
Sah dämmern in die Runde
Mein schwäbisch Heimatland.

Vom Zollern bis zum Staufen
Sah ich die Schwabenalp
Am Horizont verlaufen,
Der Mond beschien sie falb.

Aus Nachtgewölken ragte
Des Staufen kahles Haupt,
Das edle, vielbeklagte,
Des Diadems beraubt.

Doch wie die Wolken wallten,
Wuchs langjam draus empor
Von riesigen Gestalten
Ein geisterhafter Chor.

Die alten Schwabenkaiser,

Das edle Staufenblut,
Die starken Eichenreiser,
Die tapf're Löwenbrut.

Sie reckten ihre Glieder,
Sie standen hoch und stark,
Als fühlte jeder wieder
Das alte Heldenmark.

Voran dem stolzen Trosse
Erhob sich feierlich
Der alte Barbarosse,
Der Kaiser Friederich.

Er trug die Kaiserkrone,
Den Mantel und das Schwert,
Womit er einst vom Throne
Des Reiches Macht gemehrt.

Dann drängten sich die Söhne, Die Enkel her um ihn, Zuleht der bleiche, schöne, Der Knabe Konradin.

Ein jeder mit den Waffen, Den Kronen, die er trug, Auch sah ich Wunden klassen Bei manchem Mann im Zug.

*) Gude, Erläuterungen IV, 385.

Und ohne Steg und Brücken
Ging wolkenleis ihr Gang
Den vielgezahnten Rücken
Der Schwabenalp entlang.

Die Nebelmäntel schleiften
Lang hin am Bergesjaum,
Die Wolkenschuhe streiften
Der Wälder Wipfel kaum.

Und wo zur lezten Strecke
Sich das Gebirg verzweigt,
Als Hüter an der Ece
Die Zollernburg aufsteigt,

Da schien der Zug zu halten,
Im lezten Mondenschein
Zerflossen die Gestalten
Zu grauen Wolkenreih'n.

Mir war's, die Fürsten legen
Am Berg die Kronen hin,
Mir schien's, die Geister flögen
Wie segnend rings um ihn.

Und wie ich stand und lauschte,
Kühl streifte mir's das Haar,
Ein Morgenwehen rauschte,

Auf stieg das junge Jahr.

Und allgemach im vollern,
Im klaren Tageslicht,
Erhob der Hohenzollern
Erwachend sein Gesicht.

Den Kaiserpurpur legte
Das Morgenrot ihm an,
Zu krönen ihn bewegte
Die Sonne sich heran.

Und bis hinab zum Staufen
Mit hellem Rosenschein
Begann's zu überlaufen
Der Berge grau Gestein.

Ein Adler thät sich wiegen,
Die Schwingen ausgespannt,
Mit stolzen Wendeflügen
Hoch ob dem deutschen Land.

Und rings im Land erklangen Die Glocken all' zugleich, Den Segen zu empfangen Fürs Deutsche Kaiserreich.

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Des deutschen Knaben
Tischgebet.

Das war einmal ein Jubeltag!
Bei Sedan fiel der große Schlag:
Mac Mahon war ins Garn gegangen,
Der Kaiser und sein Heer gefangen,
Und blizschnell flog die Siegespost
Am Draht nach Süd und Nord und Ost.
Da gab's ein Jubeln ohne Maßen,
Von Flaggen wogten alle Straßen,
Vieltausendstimmig scholl Hurrah,
Und waren noch Kanonen da,
So schoß man auch Viktoria.

Doch jedenfalls die Wacht am Rhein Ward angestimmt von Groß und Klein, Denn auch durch der Unmünd’gen Mund Wird Gottes Lob von Alters fund.

Und einer von den kleinsten Jungen, Der hat am laut'sten mitgesungen: Die bunte Müße auf dem Ohr, Die Höslein flott im Stiefelrohr, Marschiert er wacker mit dem Chor, Beteiligt sich den Morgen lang An jedem Schrei und jedem Sang;

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Johann Wolfgang von Goethe.*)

(Geschichte der deutschen National-Litteratur § 51-54.)

Poetische Gedanken

über die

Höllenfahrt Jesu Chrifti.

1765.

Welch' ungewöhnliches Getümmel! Ein Jauchzen tönet durch die Himmel, Ein großes Heer zieht herrlich fort. Gefolgt von tausend Millionen,

Steigt Gottes Sohn von seinen Thronen

Und eilt an jenen finstern Ort.
Er eilt, umgeben von Gewittern,
Als Richter kommt er und als Held;
Er geht, und alle Sterne zittern,
Die Sonne bebt, es bebt die Welt.

Ich seh' ihn auf dem Siegeswagen,
Von Feuerrädern fortgetragen,
Den, der für uns am Kreuze itarb.
Er zeigt den Sieg auch jenen Fernen,

*) Heinrich Biehoff, Goethes Gedichte erläutert, 3. Aufl. 1876. 2 Teile. Heinrich Dünger. Goethes lyrische Gedichte erklärt, 2 Bde. 1858. J. W. Schäfer, Goethes ausgewählte Gedichte (Schulausgabe), mit Anmerkungen. Andere Erläuterungsschriften siehe unter den einzelnen Gedichten.

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