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Schnell den Lauf zurückgewendet! Über Hellas graut es

schon;

Neros goldnes Haus erglänzet bald als goldner Sonnen- 60

thron.

Und die Sonne, die jezt Freuden ausgießt über allen Landen,

Trifft die Christen laut und jubelnd, den Apostel doch in Banden.

Lauter weinend sah sie jene, als sie wieder sank zu Thal, Doch ein selig-sterbend Antlig traf am Kreuz ihr letter Strahl.

Kinkel.

46. Taillefer

Normannenherzog Wilhelm sprach einmal:

„Wer finget in meinem Hof und in meinem Saal?
Wer singet vom Morgen bis in die späte Nacht
So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht ?"

„Das ist der Taillefer, der so gerne singt Im Hofe, wann er das Rad am Bronnen schwingt, Im Saale, wann er das Feuer schüret und facht, Wann er abends sich legt, und wann er morgens er= wacht."

Der Herzog sprach: „Ich hab' einen guten Knecht,
Den Taillefer; der dienet mir fromm und recht,
Er treibt mein Rad und schüret mein Feuer gut
Und singet so hell; das höhet mir den Mut."

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IO

Da sprach der Taillefer: „Und wär' ich frei, Viel besser wollt' ich dienen und singen dabei. 15 Wie wollt' ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd! Wie wollt' ich singen und klingen mit Schild und mit Schwert!"

Nicht lange, so ritt der Taillefer ins Gefild

Auf einem hohen Pferde, mit Schwert und mit Schild. Des Herzogs Schwester schaute vom Turm ins Feld; 20 Sie sprach: „Dort reitet, bei Gott! ein stattlicher Held.“

Und als er ritt vorüber an Fräuleins Turm,

Da sang er bald wie ein Lüftlein, bald wie ein Sturm.
Sie sprach: „Der singet, das ist eine herrliche Lust!
Es zittert der Turm und es zittert mein Herz in der
Brust."

25 Der Herzog Wilhelm fuhr wohl über das Meer,
Er fuhr nach Engelland mit gewaltigem Heer.
Er sprang vom Schiffe, da fiel er auf die Hand:
„Hei!“ rief er, „ich fass' und ergreife dich, Engelland !"

Als nun das Normannenheer zum Sturme schritt, 30 Der edle Taillefer vor den Herzog ritt:

„Manch Jährlein hab' ich gesungen und Feuer geschürt, Manch Jährlein gesungen und Schwert und Lanze ge= rührt.

Und hab' ich Euch gedient und gesungen zu Dank, Zuerst als ein Knecht und dann als ein Ritter frank, 35 So laßt mich das entgelten am heutigen Tag: Vergönnet mir auf die Feinde den ersten Schlag!“

Der Taillefer ritt vor allem Normannenheer

Auf einem hohen Pferde mit Schwert und mit Speer ;
Er sang so herrlich, das klang über Hastingsfeld,
Von Roland sang er und manchem frommen Held.

Und als das Rolandslied wie ein Sturm erscholl,
Da wallete manch Panier, manch Herze schwoll,
Da brannten Ritter und Mannen von hohem Mut;
Der Taillefer fang und schürte das Feuer gut.

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Dann sprengt er hinein und führte den ersten Stoß, 45 Davon ein englischer Ritter zur Erde schoß;

Dann schwang er das Schwert und führte den ersten Schlag,

Davon ein englischer Ritter am Boden lag.

Normannen sahen's, die harrten nicht allzulang,

Sie brachen herein mit Geschrei und mit Schilderklang. 50 Hei! sausende Pfeile, klirrender Schwerterschlag !

Bis Harald fiel und sein troßiges Heer erlag.

Herr Wilhelm steckte sein Banner aufs blutige Feld;
Inmitten der Toten spannt' er sein Gezelt;

Da saß er am Mahle, den goldnen Pokal in der Hand, 55
Auf dem Haupte die Königskrone von Engelland:

„Mein tapfrer Taillefer, komm, trink mir Bescheid!
Du hast mir viel gesungen in Lieb' und in Leid;
Doch heut im Hastingsfelde dein Sang und dein Klang,
Der tönet mir in den Ohren mein Leben lang."

Uhland.

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47. Des Deutschritters Ave

„Herr Ott vom Bühl, nun drängt die Not:
Nun zeigt, wie treu Jhr's meint!

Das Feld ist rot und die Brüder sind tot
Und hinter uns rasselt der Feind.

5 Wohl klag' ich manch gebrochnen Speer,
Manch Wappenschild zerspalten;

Doch schmerzt's um den heiligen Kelch mich noch mehr
In meines Mantels Falten.

Im Schlachtfeld tranken wir alle daraus,

IO Zu fühnen uns mit Gott;

Soll nun beim wüsten Siegesschmaus

Der Heid' ihn schwingen zum Spott?

Herr Ott und fühlt Ihr Euch stark und jung,
Noch einmal wendet das Roß,

15 Versucht mit scharfem Schwertesschwung
Noch einmal zu hemmen den Troß.

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Und haltet Ihr nur so lang ihn auf,
Als Jhr ein Ave sagt,

So rettet meines Hengstes Lauf
Den Kelch, um den Ihr's wagt."

Herrn Otts Besinnen war nicht groß,
Sprach: Ja," und weiter nichts;
Des Meisters Roß von dannen schoß
Im Strahl des Mondenlichts.

Und als das Kreuz auf dem Mantel weiß

Nicht mehr zu kennen war,

Da fauste schon auf Gäulen heiß

Heran der Litauer Schar;

Und als der Mantel fern im Schwung

Nur schien wie ein fliegender Schwan,
Da fielen sie den Ritter jung

Mit grimmigen Streichen an.

Die krummen Schwerter blinkten frei,
Es rasselten dumpf die Keulen,
Dazwischen ging ihr Kampfgeschrei
Wie hungriger Wölfe Heulen.

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Herr Ott vom Bühl sprach: „Ave Marie“
Und führt einen Hieb, der traf:

Der Hauptmann flog vom Sattel aufs Knie
Mit durchgespaltnem Schlaf.

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Das zweite Wort der Held dann sprach
Und hieb noch kräftiger schier;

Der Bannerträger zusammenbrach,

Und über ihn fiel das Panier.

Und Wort um Wort, und Streich um Streich,
Das war ein tapfer Gebet:

Bei jedem Spruch lag alsogleich

Ein Heide dahingemäht.

Und es klaffte dem Ritter das Stahlhemd weit
Und es färbten die Ringe sich rot,

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