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O du Kindermund, o du Kindermund,
Unbewußter Weisheit froh,

Vogelsprachekund, vogelsprachekund,

Wie Salomo!

O du Heimatflur, o du Heimatflur,

Laß zu deinem heil'gen Raum

Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur
Entfliehn im Traum!

Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,

War die Welt mir voll so sehr;

Als ich wieder kam, als ich wieder kam,

War alles leer.

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Wohl die Schwalbe kehrt, wohl die Schwalbe kehrt, 25 Und der leere Kasten schwoll;

Ist das Herz geleert, ist das Herz geleert,

Wird's nie mehr voll.

Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt

Dir zurück, wonach du weinst;

Doch die Schwalbe singt, doch die Schwalbe singt
Im Dorf wie einst:

„Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und Kasten schwer;

Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer.“

Rückert.

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23. Schwalbenlied

Aus fernem Land,
Vom Meeresstrand,

Auf hohen, luftigen Wegen

Fliegst, Schwalbe, du
Ohne Raft und Ruh'

Der lieben Heimat entgegen.

O sprich, woher

ilber Land und Meer

Hast du die Kunde vernommen,

Daß im Heimatland

Der Winter schwand,

Und der Frühling, der Frühling gekommen?

Dein Liedchen spricht:

Weiß selber nicht,

Woher mir gekommen die Mahnung;

Doch fort und fort

Von Ort zu Ort

Lockt mich die Frühlingsahnung.

So ohne Rast,

In freudiger Hast,

Auf hohen, luftigen Wegen

Flieg' ich unverwandt

Dem Heimatland,

Dem lenzgeschmückten, entgegen."

Sturm.

24. Wanderschaft

Das Wandern ist des Müllers Lust,
Das Wandern!

Das muß ein schlechter Müller sein,

Dem niemals fiel das Wandern ein,
Das Wandern.

Vom Wasser haben wir's gelernt,
Vom Wasser!

Das hat nicht Rast bei Tag und Nacht,
Ist stets auf Wanderschaft bedacht,
Das Wasser.

Das sehn wir auch den Rädern ab,
Den Rädern!

Die gar nicht gerne stille stehn,

Die sich mein Tag nicht müde drehn,
Die Räder.

Die Steine selbst, so schwer sie sind,
Die Steine!

Sie tanzen mit den muntern Reihn
Und wollen gar noch schneller sein,
Die Steine.

Wandern, Wandern, meine Lust,
Wandern!

Herr Meister und Frau Meisterin,

Laßt mich in Frieden weiter ziehn

Und wandern.

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Wilhelm Müller.

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25. Ich weiß nicht, was foll es bedeuten

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;

Ein Märchen aus alten Zeiten,

Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt,

Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt

Im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau fizet
Dort oben wunderbar,

Ihr goldnes Geschmeide blizet,
Sie tämmt ihr goldenes Haar.

Sie kämmt es mit goldenem Kamme
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh'.

Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lorelei gethan.

Heine.

26. Der Flug der Liebe
Wenn ich ein Vöglein wär',
Und auch zwei Flüglein hätt',
Flög' ich zu dir;

Weil es aber nicht kann sein,
Bleib' ich allhier.

Bin ich gleich weit von dir,

Bin ich doch im Schlaf bei dir,
Und red' mit dir;

Wenn ich erwachen thu',

Bin ich allein.

Es vergeht keine Stund' in der Nacht,

Da mein Herze nicht erwacht,

Und an dich gedenkt,

Daß du mir viel tausendmal

Dein Herz geschenkt.

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Dolkslied.

27. Du bist wie eine Blume

Du bist wie eine Blume

So hold und schön und rein;
Ich schau' dich an, und Wehmut
Schleicht mir ins Herz hinein.

Mir ist, als ob ich die Hände
Aufs Haupt dir legen sollt,
Betend, daß Gott dich erhalte
So rein und schön und hold.

Heine.

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