Fern grüßt ein Berg, ein Kirchlein krönt den Gipfel, Und überm Strombett bebt der schwanke Steg, Die Linden heben die beschneiten Wipfel, Und scheinlos zieht der Mond den Wolkenweg.
Musik ertönt, welch hastig buntes Regen! Die glatte Fläche schimmert kalt und weiß, Bekannte Augen winken mir entgegen,
Und unterm blanken Stahlschuh knirscht das Eis.
Vorbei! Vorbei! Ich kann die Hand nicht fassen, Ein Nebelschleier schiebt sich wallend vor, Ein dunkler Steg, ein Kreuzweg öd, verlassen, Und einsam steh' ich vor dem Friedhofthor.
Ich muß die Stirn ans Eisengitter lehnen, Die Kniee sinken auf den kalten Stein, Und übermächtig quellen meine Thränen- Da weckte mich italischer Sonnenschein.
Kennst du das Land, wo die Citronen blühn, Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn, Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, Kennst du es wohl?
Möcht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.
Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach, Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach, Und Marmorbilder stehn und sehn mich an: ,,Was hat man dir, du armes Kind, gethan?" Kennst du es wohl?
Möcht' ich mit dir, o mein Beschüßer, ziehn.
Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg? Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg; In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut; Es stürzt der Fels und über ihn die Flut, Kennst du ihn wohl?
Geht unser Weg! o Vater, laß uns ziehn!
109. In der Sistina
In der Sistine dämmerhohem Raum, Das Bibelbuch in seiner nerv'gen Hand, Sigt Michelangelo in wachem Traum, Umhellt von einer kleinen Ampel Brand.
Laut spricht hinein er in die Mitternacht, Als lauscht' ein Gast ihm gegenüber hier, Bald wie mit einer allgewalt'gen Macht, Bald wieder wie mit seinesgleichen schier:
„Umfaßt, umgrenzt hab' ich dich, ewig Sein, Mit meinen großen Linien fünfmal dort!
Ich hüllte dich in lichte Mäntel ein Und gab dir Leib, wie dieses Bibelwort.
Mit wehnden Haaren stürmst du feurigwild Von Sonnen immer neuen Sonnen zu, Für deinen Menschen bist in meinem Bild Entgegenschwebend und barmherzig du!
So schuf ich dich mit meiner nicht'gen Kraft: Damit ich nicht der größre Künstler sei, Schaff mich — ich bin ein Knecht der Leidenschaft - Nach deinem Bilde schaff mich rein und frei!
Den ersten Menschen formtest du aus Thon, Ich werde schon von härterm Stoffe sein, Da, Meister, brauchst du deinen Hammer schon, Bildhauer Gott, schlag zu! Ich bin der Stein.“
110. O du, vor dem die Stürme schweigen
Odu, vor dem die Stürme schweigen, Vor dem das Meer versinkt in Ruh', Dies wilde Herz nimm hin zu eigen Und führ' es deinem Frieden zu: Dies Herz, das ewig umgetrieben Entlodert, allzurasch entfacht, Und, ach, mit seinem irren Lieben Sich selbst und andre elend macht.
Entreiß es, Herr, dem Sturm der Sinne, Der Wünsche treulos schwankem Spiel; Dem dunkeln Drange seiner Minne, Gieb ihm ein unvergänglich Ziel; Auf daß es, los vom Augenblicke, Von Zweifel, Angst und Reue frei, Sich einmal ganz und voll erquicke, Und endlich, endlich stille sei.
111. 1. Wandrers Nachtlied
Der du von dem Himmel bist, Alles Leid und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest, Ach, ich bin des Treibens müde! Was soll all der Schmerz und Luft? Süßer Friede,
Komm, ach, komm in meine Brust!
über allen Gipfeln
Jst Ruh',
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.
112. Harfenspieler
Wer nie sein Brot mit Thränen aß, Wer nie die kummervollen Nächte Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.
Jhr führt ins Leben uns hinein, Ihr laßt den Armen schuldig werden, Dann überlaßt ihr ihn der Pein: Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.
113. Siehst du das Meer ?
Siehst du das Meer? Es glänzt auf seiner Flut
Der Sonne Pracht;
Doch in der Tiefe, wo die Perle ruht,
Das Meer bin ich. In stolzen Wogen rollt Mein wilder Sinn,
Und meine Lieder ziehn wie Sonnengold
Sie flimmern oft von zauberhafter Luft, Von Lieb' und Scherz;
Doch schweigend blutet in verborgner Brust Mein dunkles Herz.
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