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THIRD PART

82. Der Sänger

Was hör' ich draußen vor dem Thor,

Was auf der Brücke schallen?

Laß den Gesang vor unserm Ohr
Im Saale wiederhallen !"

Der König sprach's, der Page lief;
Der Knabe kam, der König rief:
Laßt mir herein den Alten!"

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Gegrüßet seid mir, edle Herrn,

Gegrüßt ihr, schöne Damen!

Welch reicher Himmel! Stern bei Stern!
Wer kennet ihre Namen?

Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit
Schließt, Augen, euch; hier ist nicht Zeit,
Sich staunend zu ergößen.“

Der Sänger drückt' die Augen ein
Und schlug in vollen Tönen;
Die Ritter schauten mutig drein
Und in den Schoß die Schönen.
Der König, dem das Lied gefiel,
Ließ, ihn zu ehren für sein Spiel,
Eine goldne Kette holen.

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ΙΟ

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„Die goldne Kette gieb mir nicht,
Die Kette gieb den Rittern,
Vor deren tühnem Angesicht
Der Feinde Lanzen splittern;
Gieb sie dem Kanzler, den du hast,
Und laß ihn noch die goldne Last
Zu andern Lasten tragen.

Ich singe, wie der Vogel singt,
Der in den Zweigen wohnet;
Das Lied, das aus der Kehle dringt,
Ist Lohn, der reichlich lohnet.
Doch darf ich bitten, bitt' ich eins:
Laß mir den besten Becher Weins
In purem Golde reichen."

Er sezt' ihn an, er trank ihn aus:
„O Trank voll süßer Labe!
O wohl dem hochbeglückten Haus,
Wo das ist kleine Gabe!

Ergeht's euch wohl, so denkt an mich,
Und danket Gott so warm, als ich
Für diesen Trunk euch danke."

Goethe.

83. Des Sängers Fluch

Es stand in alten Zeiten ein Schloß, so hoch und hehr, Weit glänzt' es über die Lande bis an das blaue Meer, Und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz, Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.

Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich, 5
Er faß auf seinem Throne so finster und so bleich;
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist

Wut,

und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.

Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,
Der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar; 10
Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß,
Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß.

Der Alte sprach zum Jungen: „Nun sei bereit, mein Sohn!

Denk' unsrer tiefsten Lieder, stimm' an den vollsten Ton! Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den 15 Schmerz!

Es gilt uns heut, zu rühren des Königs steinern Herz.“

Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal,
Und auf dem Throne sizen der König und sein Gemahl;
Der König furchtbar prächtig, wie blut'ger Nordlichtschein,
Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein. 20

Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll, Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll; Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor, Des Alten Sang dazwischen, wie dumpfer Geisterchor.

Sie singen von Lenz und Liebe, von sel❜ger goldner Zeit, 25 Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit;

Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,

Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.

Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott, 30 Des Königs troß'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott; Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust, Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.

„Ihr habt mein Volk verführet; verlockt ihr nun mein Weib ?"

Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib; 35 Er wirft sein Schwert, das blizend des Jünglings Brust

durchdringt,

Draus, statt der goldnen Lieder, ein Blutstrahl hochauf

springt.

Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer

Schwarm.

Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm; Der schlägt um ihn den Mantel und seht ihn auf das

RoB,

40 Er bind't ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß.

Doch vor dem hohen Thore, da hält der Sängergreis,
Da faßt er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis,
An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt;
Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten

"

gellt:

45 Weh euch, ihr stolzen Hallen! nie töne süßer Klang Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang,

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