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ΙΟ

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76. Auf der Überfahrt

über diesen Strom, vor Jahren,
Bin ich einmal schon gefahren;
Hier die Burg im Abendschimmer,
Drüben rauscht das Wehr, wie immer.

Und von diesem Kahn umschlossen
Waren mit mir zween Genossen:
Ach! ein Freund, ein vatergleicher,
Und ein junger, hoffnungsreicher.

Jener wirkte still hienieden,
Und so ist er auch geschieden;
Dieser, brausend vor uns allen,
Ist in Kampf und Sturm gefallen.

So, wenn ich vergangner Tage,
Glücklicher, zu denken wage,
Muß ich stets Genossen missen,
Teure, die der Tod entrissen.

Doch, was alle Freundschaft bindet,
Ist, wenn Geist zu Geist sich findet;
Geistig waren jene Stunden,

Geistern bin ich noch verbunden. —

Nimm nur, Fährmann, nimm die Miete,
Die ich gerne dreifach biete!

Zween, die mit mir überfuhren,
Waren geistige Naturen.

Uhland.

77. Die Stadt

Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;

Der Nebel drückt die Dächer schwer

Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohn' Unterlaß;

Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras.

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;

Der Jugend Zauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.

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Storm.

78. Un meine Mutter B. Heine

1.

Ich bin's gewohnt, den Kopf recht hoch zu tragen,
Mein Sinn ist auch ein bißchen starr und zähe;
Wenn selbst der König mir ins Antlig sähe,
Ich würde nicht die Augen niederschlagen.

Doch, liebe Mutter, offen will ich's sagen:
Wie mächtig auch mein stolzer Mut sich blähe,
In deiner selig süßen, trauten Nähe
Ergreift mich oft ein demutvolles Zagen.

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Ist es dein Geist, der heimlich mich bezwinget,
Dein hoher Geist, der alles kühn durchdringet,
Und blizend sich zum Himmelslichte schwinget ?

Quält mich Erinnerung, daß ich verübet
So manche That, die dir das Herz betrübet,
Das schöne Herz, das mich so sehr geliebet?

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2.

Im tollen Wahn hatt' ich dich einst verlassen,
Ich wollte gehn die ganze Welt zu Ende,
Und wollte sehn, ob ich die Liebe fände,
Um liebevoll die Liebe zu umfassen.

Die Liebe suchte ich auf allen Gassen,
Vor jeder Thüre streckt' ich aus die Hände,
Und bettelte um gringe Liebespende, -

Doch lachend gab man mir nur kaltes Hassen.

Und immer irrte ich nach Liebe, immer
Nach Liebe, doch die Liebe fand ich nimmer,
Und kehrte um nach Hause, krank und trübe.

Doch da bist du entgegen mir gekommen,
Und ach! was da in deinem Aug' geschwommen,
Das war die süße, langgesuchte Liebe.

79. Für meine Söhne

Hehle nimmer mit der Wahrheit!

Bringt sie Leid, nicht bringt sie Reue;
Doch, weil Wahrheit eine Perle,
Wirf sie auch nicht vor die Säue.

Blüte edelsten Gemütes

Ist die Rücksicht; doch zuzeiten
Sind erfrischend wie Gewitter
Goldne Rücksichtslosigkeiten.

Wackrer heimatlicher Grobheit
Seße deine Stirn entgegen;
Artigen Leutseligkeiten

Gehe schweigend aus den Wegen.

Wo zum Weib du nicht die Tochter
Wagen würdest zu begehren,
Halte dich zu wert, um gastlich
In dem Hause zu verkehren.

Was du immer kannst, zu werden,
Arbeit scheue nicht und Wachen;

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Aber hüte deine Seele

Vor dem Carriere-Machen.

Wenn der Pöbel aller Sorte
Tanzet um die goldnen Kälber,
Halte fest: du hast vom Leben

Doch am Ende nur dich selber.

Storm.

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80. Meiner Tochter

Ich möchte kleiden dich in lauter Seide,
Ins Haar dir flechten bligendes Geschmeide,
Mit Spangen schmücken deinen schlanken Arm;
Doch, liebes Kind, vergieb, ich bin zu arm.

Wie gern fredenzt' ich dir zu deinem Mahle
Den schönsten Wein aus silbernem Pokale,
Hüllt dich zu Nachtzeit ein in Purpur warm;
Doch, liebes Kind, vergieb, ich bin zu arm.

Ich hab' dir nichts als meine Lieb' zu geben,
Draus will ich dir ein warmes Tüchlein weben,
Mit Glück und Segenswünschen tausendfach,
Daß Gott dich schüg' vor Leid und Ungemach;

Daß er dich schirme vor des Schmerzes Losen,
Die Brust dir schmücke mit der Liebe Rosen,
Dich speis' und tränk mit seinem Gnadenlicht;
Das ist mein Wunsch, mein Kind, mehr hab' ich nicht.

Johanna Ambrosius.

81. Sprüche und Sinngedichte

1. Lebensregel

Halt' dich rein,

Acht' dich klein,

Sei gern allein,

Mach' dich nicht gmein,

So wird dir allzeit wohl sein.

Aus dem 16. Jahrhundert.

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