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haltung des Erdbodens anvertraut ist, besitzt Fähigkeiten, er be sitzt auch Lust, sie kennen zu lernen, und preiset den Schöpfer durch seine Einsichten. Selbst die fürchterlichen Werkzeuge der Heimsuchung des menschlichen Geschlechts, die Erschütterungen der Länder. . . fordern den Menschen zur Betrachtung auf, und sind nicht weniger von Gott als eine richtige Folge aus beständigen Gesetzen in die Natur, gepflanzt, als andere schon gewohnte Ursachen der Ungemächlichkeit" etc. Also auch hier, wie überall in der Naturgeschichte, wird das unmittelbare Eingreifen Gottes zurückgewiesen.1) Auch solche schreckliche Zufälle sind nur Folgen des Mechanismus der Natur. Die Naturgesetze muss man kennen lernen, die Gesammtbeschaffenheit, hinter welcher Gott, wie wir ihn schon kennen, in voller Schöpferkraft, eben darum auch ohne weiteres Eingreifen steht. Um dies nachzuweisen und zugleich um den Mechanismus der Gesammtnatur auch hier kennen zu lernen, geht Kant auf alle Einzelnheiten ein, von veraltet herübergenommenen Grundanschauungen mit neuen Gedanken und richtiger Methodik trotz falscher Prämissen das ganze erklärend. Auch die Stellung der Menschheit zwischen Natur und Gott wird ebenso aufgefasst wie in der Naturgeschichte. „Die Betrachtung") solcher schrecklichen Zufälle ist lehrreich. Sie demütigt den Menschen dadurch, dass sie ihn sehen lässt, er habe kein Recht, oder zum wenigsten er habe es verloren, von den Naturgesetzen, die Gott angeordnet, lauter bequemliche Folgen zu erwarten und er lernt vielleicht auf diese Weise einsehen, dass dieser Tummelplatz seiner Begierden billig nicht das Ziel aller seiner Absichten enthalten sollte." „Der Mensch3) ist nicht geboren, um auf dieser Schaubühne der Eitelkeit ewige Hütten zu erbauen, weil sein ganzes Leben ein weit edleres Ziel hat." Aber er ist auch nicht „einem unwandelbaren Schicksal') der Naturgesetze, ohne Rücksicht auf seine besonderen Vortheile überlassen. Eben dieselbe höchste Weisheit, von welcher der Lauf der Natur diejenige Richtigkeit entlehnt, die keiner Ausbesserung bedarf, hat die niederen Zwecke den höheren untergeordnet und in eben den Absichten, in welchen jene oft die wichtigsten Ausnahmen von den allgemeinen Regeln der Natur gemacht hat, um die unendlich höheren Zwecke

1) Vgl. auch Hart. 443. Akad.-Ausg. 459.

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zu erreichen, die weit über alle Naturmittel erhaben sind, wird auch die Führung des menschlichen Geschlechts in dem Regiment ler Welt selbst dem Laufe der Naturdinge Gesetze vorschreiben". Hätte Kant nur die Erscheinungen des Erdbebens rein physikaisch darlegen wollen, so waren diese moralischen Betrachtungen, die Besprechungen der Stellung des Menschen in der Welt ganz iberflüssig; wie sie denn beim ersten Durchlesen der Abhandlungen für den modernen Leser etwas störendes, befremdendes haben. Wir kommen erst zu ihrem richtigen Verständnis, wenn wir auch hier die philosophische Gesammtanschauung, die Kant darlegen will, berücksichtigen. In diesem Sinne hat K. Fischer Recht zu sagen 1) „die Betrachtungen unseres Philosophen sind ihrer Absicht gemäss nicht erbaulich". Ihr Zusammenhang mit der philosophischen Gesammtauffassung Kant's und mit der Naturgeschichte des Himmels hebt sie über das bloss Erbauliche hinaus, wie überhaupt erst dieser Zusammenhang den drei Abhandlungen ihren vollen Wert gibt.

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Den 25. April 1756 wurde in Königsberg ausgegeben: „M. Imman. Kant's neue Anmerkungen zur Erläuterung der Theorie der Winde, wodurch er zugleich zu seinen Vorlesungen einladet." 2) Kant gibt nach einer kurzen „Vorinnerung" fünf „Anmerkungen") nebst beigefügter „Bestätigung aus der Erfahrung“, welche lauten: 1) ein grösser Grad der Hitze, der auf eine Luftgegend mehr als auf eine andere wirkt, macht einen Wind nach dieser erhitzten Luftgegend hin, der so lange anhält, als die vorzügliche Wärme der Gegend fortdauert. 2) Eine Luftgegend, die sich mehr als eine andere verkühlt, bringt in der benachbarten einen Wind zuwege, der in den Platz der Verkühlung hineinweht. 3) Ein Wind, der vom Aequator nach dem Pole hinweht, wird immer je länger desto mehr westlich, und der von dem Pol zum Aequator hinzieht, verändert seine Richtung in eine Collateralbewegung aus Osten. 4) Der allgemeine Ostwind, welcher den ganzen Ocean zwischen den Wendezirkeln beherrscht, ist keiner anderen Ursache als der, welche aus der ersten mit der dritten verbundenen Anmerkung erhellt, zuzuschreiben. 5) Die Moussons oder periodischen Winde, die den Arabischen, Persischen und In

1) 1, 179.

2) Hart. 1, 473-87. Akad.-Ausg. 1, 489-503.
3) Die 5 Anmerkungen im Original gesperrt.

dischen Ocean beherrschen, werden ganz natürlich aus dem in de dritten Anmerkung erwiesenen Gesetz erklärt.

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Diese Arbeit Kant's ist eine überaus merkwürdige und muss deshalb besonders eingehend besprochen werden. In der neueren Zeit hat sie grosses Lob erhalten. So behauptet K. Fischer:" „es war nichts geringeres, als das Drehungsgesetz der Winde, das in diesen Blättern zum ersten Male entdeckt und erklärt wurde." Und Rahts) sagt, Kant habe in der vorliegenden Schrift nicht allein eine Theorie der Passate und der Moussons gegeben, sondern auch das später als Dove'sches bezeichnete Drehungsgesetz der Winde fast mit denselben Worten erläutert“, wie es Dove erläuterte. Aber dies Lob gebührt Kant nicht, denn jene Abhandlung enthält nicht einen neuen Gedanken; und die Behandlung der Winde gehört zu den unklarsten und verworrensten, was Kant je geschrieben. Irrig ist auch die Behauptung Günther's,3) Kant's Theorie der Winde habe nachhaltig gewirkt. Im Gegenteil, wie dies auch Rahts betont: sie blieb, bei einer kurzen Einladungsschrift zu den semestralen Vorlesungen begreiflich genug, sehr unbekannt und ist zu Kant's Lebzeiten ein Neudruck von ihr nicht erschienen.4) Die kleinen Bruchstücke, die sich auf lose Blätter geschrieben in Kant's Nachlass vorfanden,5) „ein Gesetz der Passatwinde aus der Umdrehung der Erde"; „das Gesetz der Moussons aus ebenderselben Ursache“; „einige zerstreute Bemerkungen über die Winde", deren erstes Günther) einen „geistvollen Essay" Kant's nennt, sind das gerade Gegenteil dieser Bezeichnung, Kollektaneen oder unfertige, ungeschickte Paraphrasen der in der Einladungsschrift gegebenen Hauptpunkte, ohne diese irgend weiter zu führen. Die in dem letzten Bruchstück gegebenen Notizen über den Einfluss des Mondes sind unklar und widersprechen den Ansichten, die Kant 1794 in einer gleich zu besprechenden Abhandlung aussprach.

Jene fünf „Anmerkungen" sind mit Ausnahme der zweiten inhaltlich alle in George Hadley's Abhandlung Concerning the

1) 1, 180.

2) Akad.-Ausg. 1, 582.

3) Handb. der Geophysik 2, 2, 179.

4) Akad.-Ausg. 1, 582.

5) Abgedruckt bei Hartenstein 8, 446–452.

6) Handb. der Geophysik 2, 2, 199.

Cause of the General Tradewinds 1) enthalten; nur dass Hadley viel kürzer und präciser ist, als Kant. Zunächst ist der Gang, die Reihenfolge der Darstellung beider Schriftsteller übereinstimmend, ebenso aber auch die einzelnen Punkte: so die Widerlegung der älteren Ansicht, dass allein die Wärme der Sonne die Passate verursache; so ferner der negative Beweis gegen diese Annahme; die Berechnung der Beschleunigung der Passate, die bei reibungsloser Bewegung sehr gross sein müsse; die Begründung der thatsächlichen Verlangsamung der Winde durch die Uebertragung der ostwärts gerichteten Erdbewegung auf sie, also durch die Reibung der äquatorwärts vordringenden Luft an der Erdoberfläche (bei Kant recht unbeholfen, bei Hadley kurz und klar), die Erwähnung und Erklärung der von den Wendekreisen polwärts wehenden Westwinde. Die Besprechung der Monsune bildet bei beiden den Schluss; Hadley thut sie kurz ab mit Hinweisung auf das Gesagte, Kant bespricht sie ausführlich.

Also Uebereinstimmung im Gang der Darstellung sowohl wie in den Einzelheiten. Und doch beginnt Kant seine Erläuterung der dritten Anmerkung, dass polwärts wehende Winde eine westliche, die zum Aequator hinziehenden eine östliche „Collateralbewegung“ 2) erhalten, mit den Worten: „diese Regel, welche, soviel mir wissend ist, noch niemals angemerkt3) worden, kann als ein Schlüssel zur allgemeinen Theorie der Winde angesehen werden". Und ebenso in der Erläuterung der vierten Anmerkung: „diejenige Meinung, welche den allgemeinen Ostwind dem Nachbleiben des Luftkreises3) bei der Drehung der Erde von Abend gegen Morgen beimisst, ist mit gutem Grund von den Naturkundigen verworfen. . . Ich habe diesen Gedanken aber auf eine vorteilhaftere und richtigere Art angebracht, indem ich beweise, dass er gilt, wenn die Luft aus den entlegenen Parallelzirkeln zu dem Aequator tritt".

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1) Philos. Transactions Bd. 38, 1735, April. Philos. Trans. abridged Bd. VIII, 1747, S. 500-502. Die kurze Abhandlung Hadley's ist unverkürzt wiedergegeben. G. Hadley, Concerning the Cause etc., Facsimiledruck mit einer Einleitung. Neudruck von Schriften und Karten über Meteorol. und Erdmagnetismus, herausgegeben von Dr. G. Hellmann, No. 6, Berlin 1896.

2) Der Ausdruck stammt wohl aus Musschenbroek.

3) Sperrung nicht im Original.

So nimmt denn Zöllner an,1) Kant habe ganz unabhängig von Hadley die vollkommen richtige „Theorie der Passate und des Winddrehungsgesetzes" gegeben und ohne Zweifel sei ihm die Originalabhandlung Hadley's unbekannt geblieben. Wie mir Herr Bibliotheksdirektor Boysen zu Königsberg sehr gefällig mitteilte wofür ich hier den lebhafte sten Dank sage wurden die Philos. Transactions erst 1787 für die Königsberger Bibliothek angekauft; Kant wird sie also vorher kaum benutzt haben. Die wunderliche Ansicht Lister's, dass die Passatwinde durch die Aushauchungen der Sargassotange entstünden, welche Kant in den Fortgesetzte Betrachtungen 2) über Erderschütterungen" erwähnt, brauchte er nicht im Original (im Band XII der Philos. Transact.) gelesen zu haben; er fand das Citat z. B. auch in Büffon hist. natur. 1, 465 f. Hadley blieb überhaupt sehr unbekannt bis zum Jahr 1793, wo John Dalton auf ihn hinwies.3) Mir ist aus den Werken, die Kant benutzte, nur eine Stelle bekannt, in der die Abhandlung Hadley's, mit Angabe des Orts, wo sie zu finden, citiert ist: Lulof's Einleitung zur Kenntnis der Erdkugel § 613, aber auch nur citiert wird Hadley dort, neben Halley, Dampier, Musschenbroek, nicht weiter besprochen. Inhaltlich konnte also Kant aus Lulof nichts entnehmen. Wenn nun Rahts sagt:4) „dass Kant von dieser Schrift Hadley's keine Kenntnis gehabt hat, folgt mit Gewissheit aus einigen nachgelassenen Blättern von Kant (Suppl. IV zu Kant's Vorlesungen über Physische Geographie, herausgegeben von Th. Rink), in welchen Kant alle früheren Erklärungen der Passatwinde angibt, ohne die mit der seinigen übereinstimmende Hadley'sche zu erwähnen": so können nur die Fragmente gemeint sein, die F. W. Schubert „als Supplemente zur physischen Geographie aus dem handschriftlichen Nachlass Kant's" veröffentlicht hat und zwar als Suppl. IV, V und VI die schon genannten Mitteilungen von den Winden". Allein erstlich gehören diese Bruchstücke keineswegs zu der von Rink herausgegebenen physischen Geographie, was Schubert auch nicht sagt: nach ihm sind diese um 1780 geschriebenen Blätter erst nach Kant's Tod zum Vorschein gekommen (Ros. u. Schub. VI, 579) und ferner, Kant gibt in diesen Fragmenten durchaus nicht alle, sondern nur zwei

1) Über die Natur der Kometen. 1872. S. 476.

2) Hart. 1, 450.

3) Hellmann, Neudrucke etc. No. 6, 5.

4) Akad.-Ausg. 1, 583. Anm. zu S. 498.

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