Page images
PDF
EPUB

rismen. Endlich ein drittes Verhältnis wird sich dann bilden, wenn die psychologische Beziehung des Vorstellens zum Denken im Poeten und Philosophen ein Wechselverhältnis bleibt, so dass der Philosoph sich im Denken immer an der Dichtung, der Poet im Dichten am Gedanken orientiert. Hier bedarf jeder der Vermittlung des andern. Unter den Philosophen werden hier diejenigen zu nennen sein, die im edleren Sinne des Wortes Popularphilosophen sind, wie Baco; unter den Dichtern die, welche sich ihres Stoffes durch einen reflektierenden Prozess bemächtigen. Ein solcher war Schiller. Seine Philosophie aber war die Kantische. Rosenkranz nennt ihn darum, weil er mit einer hohen Energie des philosophischen Denkens eine so grosse poetische Schöpferkraft vereinigte, einen bewunderungswürdigen Menschen", den Schiller'schen Styl in seinen Abhandlungen „eine ganz ausserordentliche Durchdringung eines begriffsklaren Verstandes mit einer malerischen Phantasie." Von diesen Schillerschen Abhandlungen aber sagt er ferner: „Man wird wohl nicht irren, wenn man annimmt, dass dieselben auf Hegel's Philosophie und Styl den grössten Einfluss gehabt haben."

Rosenkranz' geistreiche Abhandlung über das „Lied an die Freude" gedichtet 1785, schliesst mit der Ansicht, dass der Reiz dieses Liedes vor. züglich in der enthusiastischen Verherrlichung der Idee der Humanität liege. „Diese Idee ist so ewig, wie die Menschheit in Gott selber." Darum sei unser Lied auch kein fröhliches Lied. „Es ist kein Lied der Freude, sondern ein Lied, in welchem die höchsten Ideale unserm Gemüt vorgeführt und unser Streben zu ihrer Verwirklichung aufgefordert wird." Es sei eher ein Lehrgedicht, zu dem die ganze Menschheit den Chor bilden solle; ein ein Bundeslied, aber eines Bundes der Menschheit; Trinklied, in welchem die Brüder, die wir nicht ohne Schwestern denken können, den Pokal kreisen lassen.

[ocr errors]

-

„Die gährende Fülle, die pomphafte Sprache, die zwischen Lied und Hymne schwankende Form, die zuweilen dithyrambischen Sprünge, die Kühnheit der praktischen Postulate, all' dieser Sturm und Drang ist es, der den Deutschen dies Lied so zusagend macht; aber die Idee der Humanität ist das gemeinsame Siegel, welches jedem Worte des etwas chaotischen Liedes aufgedrückt ist. Der Ernst in seiner gedankenvollen Bestimmtheit ist klar und die Freude folgt seinem Wirken. Wer sich freuen, sich wahrhaft menschlich freuen will, muss handeln, muss human handeln, muss mit dem Ernst handeln, der dem Gehorsam gegen die Idee angehört."

Schillers letztes Bildnis.

Am späten Nachmittag des neunten Mai, in der sechsten Stunde, erlosch in Schiller das Leben, auf dessen nochmalige Rettung und Erhaltung kaum eine Stunde zuvor die Angehörigen aufatmend gehofft hatten. Der sanfte Schlummer nach den schweren Krampfanfällen des Vormittags war nicht der Genesungsschlummer, den Lotte und Karoline meinten.

Als dann der Diener unerwartet und plötzlich die Frauen an das Sterbebett rief, war wohl der erste Schreck und nachher der Schmerz und die Betäubung ihres Gemütes und ihrer Willenskräfte so schwer und masslos, dass die Zeit zerrann, ehe Wort und Verrichtung den ersten, dringenden und traurigen Anforderungen der Wirklichkeit zu gehorchen dachten.

So wurde es Nacht, bis die Nachricht von Schillers Tod zu den nächsten Freunden des Hauses drang. Das allgemeine Weimar erfuhr die Trauerkunde erst in der Frühe und im Verlaufe des Freitags, des 10. Mai.

Im Laufe dieses Tages fand sich auch der junge Ferdinand Jagemann, der später von Goethe als Maler geschätzte Bruder der Schauspielerin Karoline Jagemann, im Sterbehaus ein, und erbat und erhielt die Erlaubnis, das Antlitz des Toten mit dem Zeichenstifs festzuhalten. Seine Zeichnung blieb, neben der Totenmaske aus Gips, das letzte authentische Denkmal von der Form und dem wirklichen Ausdruck des Dichterhauptes.

[ocr errors]

Den zeitgenössischen Bericht, dass die vollkommenste Ruhe das Antlitz verklärt" habe, und dass „Schillers Züge die eines sanft Schlafenden" gewesen seien, bestätigt Jagemanns Zeichnung mit der zuverlässigsten Glaubwürdigkeit.

Demgegenüber kann die sachliche Unrichtigkeit der Unterschrift: „Am Tage seines Todes gezeichnet" vernachlässigt werden. Unter dem Eindruck des feierlichen Ernstes und der grossen Wahrheit des Todes war der Künstler absolut ehrlich in jedem Strich seines Stiftes, und die Erhabenheit, die von seinem Gegenstand ausging, führte seine Hand und machte sie sicher und fromm. So ward das letzte Bildnis Schillers eines der gelobtesten Werke des Malers, eine der besten Arbeiten seines ganzen Lebens.

Das Blatt ist aufbewahrt in der grossherzoglichen Bibliothek zu Weimar. Es misst 40 cm in der Höhe, 32 cm in der Breite. Seine packende Schönheit veranlasste, möglicherweise noch im Laufe des Spätjahres 1805, den Kupferstecher Johann Christian Müller zu einer graphischen Wiedergabe des Bildes. J. C. Müller war der Sohn des berühmten schwäbischen Kupferstechers Johann Gotthard von Müller, des selben, der Schillers

[graphic][merged small][merged small][merged small]

THE NEW YORK PUBLIC LIBRARY

Portrait aus dem Jahre 1786, gemalt von Graff, gestochen hat (1793): ein Blatt von glänzender Technik und geistreicher Behandlung, das bei ziemlicher Seltenheit noch heute von Liebhabern sehr gesucht ist. J. C. Müller, der Sohn, war Lehrer an der Weimarer Zeichenakademie. Er hat weder die Bedeutung noch den Ruhm seines Vaters zu erreichen vermocht; doch war er ein durchaus wohl begabter und geschickter Kupferstecher und Zeichner und viel von der Treue und Andacht, mit der Ferdinand Jagemann das letzte Zeugnis von Schillers körperlichen Zügen ablegte, ging auf den nachschaffenden Künstler über, sodass ein Werk der graphischen Kunst entstand, das in seiner leicht realistischen Tönung dem Original kaum in etwas nachgiebt, an monumentaler Wirkung dieses sogar vielleicht in mancher Hinsicht übertrifft. Die genaue Zeit der Herstellung dieses Stichs ist mir unbekannt geblieben, trotz mehrfacher Nachforschung in dieser Richtung. Die graphische Technik, in der das Blatt ausgeführt wurde, ist ein ziemlich kompliziertes, und nicht häufig angewandtes Kupferätzverfahren auf weichem Grund, bei dem die Kupferplatte so behandelt wird, dass die Abdrücke davon, nach der Art ihres malerischen Reizes dem Punktierstich verwandt, sich technisch und zeichnerisch gleichzeitig in hohem Grade den Wirkungen der Lithographie annähern. Es haben von diesem Blatt mehrfache Nachdrücke stattgefunden, deren künstlerischer und Liebhaberwert erheblichen Schwankungen unterliegt.

Alle mir bekannt gewordenen Abdrücke zeigen aber als Unterschrift den Namen des Dichters und die erste Strophe von Goethes Epilog.

Das Bild selbst, 47 cm zu 35 cm im Lichten, zeigt das Haupt des toten Dichters in natürlicher Grösse, bleich, aber markig und machtvoll in die Kissen gedrückt. Die Züge verraten kaum eine Spur von der Arbeit des Todes. Das Gesicht ist eher weich gerundet, als mager, oder gar abgezehrt zu nennen und jedenfalls weit entfernt von jener übertriebenen Hagerkeit, die Schillers Gesicht wohl in seiner jugendlichen Sturm- und Drangzeit gekennzeichnet haben mag, die aber allmählich einem Ausgleich der Züge gewichen war, der sogar die Adlernase in eine gefällige Proportion zur Gesamterscheinung des Gesichtes setzte. Das dünne, rötliche und an den Schläfen schon leicht gebleichte Haar erhöht den Eindruck der ergreifenden Unmittelbarkeit. Der charakteristische Ansatz eines Doppelkinns deutet am wahrsten an, in welcher Richtung Schillers körperlicher Habitus sich zu entwickeln wenigstens im Begriff war: Eine nicht eben gesunde, trügerisch zunehmende Fülle der äusseren Körperformen ist bekanntlich im Verlauf des Krankheitsprozesses bei Schwindsüchtigen nicht selten. Die rasch wiederholten Anfälle seines Leidens, die Schiller im Winter von 1804 auf 1805 durchzumachen gehabt hatte, mochten indessen jene etwas gedunsene Fülle soweit zurückgezehrt haben, dass gerade in Schillers letzten Tagen die machtvolle, fast gemeiselte Energie der Linien hervortrat, die nun, von keiner Muskelverfettung verwischt, durch keine abstossend krankhafte Abmagerung entstellt, Schillers Antlitz im Tode mit dem Glanz einer erhabenen Würde und mit der ausgeglichenen, wahren Schönheit des grossen Menschen umgiebt. Die versöhnende, ruhige Hoheit des Todes hat mit der trotzigen Kraft einer von feurigem Geiste beseelten Natur auf diesem Antlitz den majestätischen Bund des Friedens geschlossen. Je länger der Beschauer sich dem Eindruck des Bildes hin

Kantstudien X.

26

« PreviousContinue »