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behandelt. Hoffentlich gehe man jetzt in Staat und Recht auf Kant zurück, so dass sein Todestag ein Tag der Auferstehung für ihn werde.

Der Verein für Kunst, Wissenschaft und Litteratur veranstaltete eine Feier zum Gedächtnis Kants, bei welcher Privatdozent Dr. Schrader den Festvortrag hielt.

11. In Löbau in Sachsen veranstaltete der Humboldt-Verein eine Kantfeier. An zwei Abenden sprach Pastor primarius Dr. Katzer, welcher auch früher schon in Löbau vielbesuchte Kantvorträge gehalten hat, über Kant und die moderne Weltanschauung. Am ersten Abend entwickelte der Redner Kants theoretische Weltanschauung, am zweiten Abend Kants praktische Philosophie. Detaillierte Berichte liegen nicht vor; einen kurzen Bericht schliesst eine dortige Zeitung mit den charakteristischen Worten: „So erscheinen die Vorträge des Herrn Dr. Katzer über Kant geradezu als eine sittliche That. Die Geschichte unserer Tage wird bemerken, wie mit dem Auftreten des Herrn Primarius Dr. Katzer in der Lausitz die religiösen Vorstellungen daselbst eine glückliche Läuterung erfahren haben und zwar in dem Geiste Kants. Mit Kant wird es gelingen, die materialistischen Anschauungen der Sozialdemokraten und Spiritisten ebenso zu überwinden wie die Dogmen der Buddhisten."

In Löbau i. S. veranstaltete ferner die Lehrerschaft des Löbauer Schulaufsichts-Bezirks eine Feier, bei welcher Pastor prim. Dr. Katzer über Kant und seine Bedeutung für die Pädagogik sprach. Die Rede ist nicht gedruckt; wir berichten über sie nach der Oberlausitzer Dorfzeitung No. 6. Der Redner entwickelte zunächst, was Kant geleistet habe in Beziehung auf die Erziehung der Menschheit durch seine Kr. d. r. V. und die Kr. d. prakt. V. „Hat sich der Mensch der Welt denkend bemächtigt, so muss er danach trachten, sich durch sein Handeln siegreich über sie emporzuheben." Zu diesem Zweck empfiehlt Kant 3 Stufen der Erziehung: 1. dem Zögling ein Urteil darüber beizubringen, was gut und böse ist; 2. der Zögling lerne die allgemeine Gesetzmässigkeit kennen, unter der die ganze Menschheit steht; 3. der Zögling lerne das moralische Gesetz in seiner Brust verstehen, die Pflicht. Man rede freilich heute viel zu viel von einem Kampf ums Recht, aber zu wenig von der Pflicht. "So lange der Mensch eine Pflicht erfüllt, so lange ist er stark genug, alle Misshelligkeiten zu überwinden."

12. In Plauen i. V. veranstaltete der Zweigverein des Evangelischen Bundes eine Feier im Freundschaftssaal, bei der Pastor prim. Dr. Katzer aus Löbau i. S. den Festvortrag hielt, über den wir nach dem ,,Vogtländischen Anzeiger" No. 25 kurz berichten. Der Redner sprach über die beiden Geisteshelden Luther und Kant; er zeigte zunächst im ersten Teile manche Ähnlichkeiten des Lebens und Charakters beider in kleinen Zügen und Episoden; andererseits die wesentlichen Unterschiede in Leben und Charakter. Beide waren „Kampfnaturen in des Wortes schönster Bedeutung". Im zweiten Teile schilderte der Redner die innere Verwandtschaft der beiden Geistesheroen. „Beide Männer waren einzig in den Grundideen ihrer Geistesrichtung, in der Anschauung über die menschliche Vernunft und der Betonung des Willens. Luther und Kant haben uns grosse Aufgaben hinterlassen, an deren Erfüllung wir arbeiten müssen."

13. In Pirna veranstaltete die Ephoralversammlung der Geistlichen der Umgebung eine Feier, bei welcher Pastor prim. Dr. Katzer aus Löbau i. S., der auch Mitglied der „Kantgesellschaft" ist, über die Philosophie Kants gesprochen hat. Ein Bericht liegt nicht vor.

14. In Bonn veranstaltete die Universität eine Feier, welcher auch der Prinz Eitel Friedrich anwohnte. Die Festrede hielt Professor Dr. Benno Erdmann. Sie ist gedruckt erschienen im Verlag von F. Cohen in Bonn; die KSt. haben über dieselbe berichtet IX, 523. Wir heben daraus den Gedanken hervor: entgegen der auf Grund der heutigen materialistischen wirtschaftlichen Geschichtsauffassung entstandenen Anschauung, der zufolge die Geistesarbeit selbst der hervorragendsten Denker nichts weiter sei als der Ausdruck der geistigen, sozialen, schliesslich sogar wirtschaftlichen Bewegung der breiten Volksmasse, haben wir gerade in Kant den überragenden Geist zu verehren, der wie kaum ein zweiter aus originaler Gedankenarbeit heraus auf das Kulturleben der Menschheit ge wirkt habe.

15. In Kiel veranstaltete die Christiana-Albertina eine Gedächtnisfeier, bei welcher Professor Dr. Götz Martius (Mitglied der Kantge sellschaft") die Rede hielt. Sie ist gedruckt erschienen (bei Lipsius & Tischer in Kiel); die KSt. berichten über sie IX, 529 f. Kant habe mit Recht gesagt, dass er hundert Jahre zu früh aufgetreten sei. Selten habe sich ein Wort so bestätigt wie diese Behauptung. Das Dauernde in Kants Ideenwelt komme erst jetzt voll zur Geltung. Kant sei Vollender und zugleich Zerstörer des Rationalismus. Nach Kants Auffassung ist das Sittengesetz nicht von Gott stammend, aber zu Gott hinführend. Alle Schöpfungsgeschichte ist Mythe; aber der Schöpfungsgedanke sei notwendig. Kant trifft hierin mit dem Geist des Protestantismus zusammen. Die Kantische Philosophie sei eine Philosophie des Friedens, in der Wissen und Glauben sich vereinigen. Wenn man sich frage, wie sich Kant zu den modernen sozialen Problemen gestellt haben würde, so ist gewiss, er würde jede Bevorzugung eines Standes nachdrücklich verurteilt haben. Aber ebenso sicher hätte er die positiv sozialistischen Ideen abgewiesen.

16. In Erlangen veranstaltete die Universität eine Feier, bei welcher Professor Dr. Richard Falckenberg (Mitglied der „Kantgesellschaft“) die Rede hielt (gedruckt von Jung & Sohn in Erlangen). Einen ausführlichen Bericht brachten die KSt. IX, 531 f. Falckenberg schildert bes. eingehend die Vielseitigkeit der Impulse, die für unser ganzes gegenwärtiges Geistesleben von Kant ausgegangen sind, und berührte auch dessen Beziehungen zur Erlanger Universität.

17. In Jena versammelte sich die Universität in der Kollegienkirche, um den Festvortrag von Professor Dr. Otto Liebmann (Mitglied der „Kantgesellschaft") zu hören. (Der Vortrag ist erschienen in Strassburg bei Trübner; die KSt. berichten über ihn IX, 525 f.) Der Redner sprach zunächst von der Bedeutung Jenas als der eigentlichen Kantischen Universität und ihrem hervorragenden Anteil an der Ausbreitung und Weiterfortbildung der Kantischen Philosophie. Er führte in die Gedankenwelt Kants ein an der Hand seiner Hauptwerke. Einen stimmungsvollen

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Schluss gab der Redner seinem Vortrag durch eine poetische Huldigung für den grossen Toten, indem er das in dem Festheft der KSt. zum Eingang abgedruckte Festgedicht auf den 12. Februar 1904 wirkungsvoll vortrug.

18. Die Heidelberger Carolo-Ruperta hielt eine Festfeier am 12. Februar, Abends 7 Uhr. Die Festfeier wurde eingeleitet durch Bachs Passacaglia. Die Festrede hielt Professor Dr. Windelband. Sie ist erschienen in Heidelberg bei C. Winter; die KSt. berichten über sie IX, 520 f. In der Erkenntnistheorie habe Kant nach mancherlei Umkippungen Stellung gefunden zu dem fundamentalen Gegensatz der sinnlichen und der übersinnlichen Welt. In der Ethik kehre ein ähnlicher Gegensatz wieder zwischen Neigung und Pflicht. Mit der Aufstellung des kategorischen Imperativs wird Kant der siegreiche Gegner jener billigen Moral, die gern und willig ihren Tugenddienst verrichtet, dabei aber die Hand ausstreckt, ob dabei vielleicht noch etwas von Glück abfällt. Niemand hat vorher höher von der Würde der Persönlichkeit gedacht, und niemals ist das Leben der Persönlichkeit strenger unter ein unpersönliches Gesetz gebeugt worden. Kant versteht alles wirkliche Menschenleben als die Arbeit des sittlichen Willens, sich in dem widerstrebenden Reiche der Sinnenwelt zu verwirklichen. Für ihn bleibt das Menschenlos ein nie endendes Ringen, kein freudloses Thun oder seufzendes Tragen, sondern die vom Errungenen zu neuem Erringen rastlos fortschreitende Selbstbethätigung. Das Endziel ist die Gestaltung der Sinnenwelt nach den Zwecken der Vernunft oder, wie Kant sich ausdrückt, die Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden.

19. In Halle feierte die Universität den Tag durch eine Festrede von Professor Dr. Alois Riehl (Mitglied der „Kantgesellschaft") (erschienen bei Max Niemeyer in Halle a. S.). Einen Auszug der Rede brachten die KSt. IX, 526 f. Kant habe noch in seinen letzten Lebenstagen, als ihm sein Gedächtnis geschwunden sei, neue Werke geplant, und „tantalisch" war sein Schmerz, nicht mehr die Kraft zu ihrer Ausführung zu besitzen. Aber durch das, was er uns hinterlassen, ist er ein unsterblicher Lehrer der Menschheit geworden. Was er selbst einst prophetischen Geistes vorausgesehen hat: jetzt, nach 100 Jahren, wird er erst recht verstanden. Der Ruf „Zurück zu Kant!" begann auf die Anregung eines Helmholtz, der versuchte, die Fortschritte des Naturerkennens mit der Lehre Kants zu verbinden. Diese Rückkehr war ein Fortschritt, kein Rückschritt. So wurde der Faden geknüpft, der Naturerkenntnis und Philosophie wieder verbinden sollte. Kant habe selbst als Naturforscher eine Fülle neuer Gedanken entwickelt. Er wagte den zweiten Versuch einer physischen Kosmogonie nach Descartes. Er hat die Welt, wie sie sich den Sinnen darstellt, zuerst geschaut, ehe er die Form der Anschauung entdeckte. In seiner Kr. d. r. V. kämpft er gegen zwei Fronten, gegen reine Empirie und gegen Metaphysik. Durch die Form seiner Fragestellung ist er im Stande, nach beiden Seiten zu siegen. Kant hat das rechte Verhältnis der Philosophie zur Wissenschaft gezeigt: die Philosophie ergänzt die wissenschaftliche Forschung, aber sie ersetzt sie nicht, In der Autonomie des mit der Vernunft identischen Willens findet er die

Selbstgesetzgebung. Diese Freiheit der Vernunft bedeutet nicht Indeterminismus, sondern Abhängigkeit von objektiven Gründen. Im geistigen Reiche der Sittlichkeit waltet das Moralgesetz unabhängig, da es sich selbst Zwecke schafft. Hier kann der Mensch sich über die Sinnenwelt erheben; er zwingt sie zu seinen Füssen durch die sittliche Persönlichkeit, die ihm allein durch die Vernunft zukommt. Diese Persönlichkeit ist der wahre Wille zur Macht. Die Moralphilosophie eines Nietzsche, die wie ein Gewitter sich über veraltete Anschauungen entlade, lenke die Blicke zurück zur Erforschung des sittlichen Bewusstseins, zurück zu Kant.

Die Philosophische Gesellschaft zu Halle a. S. (Akad. Verein) veranstaltete an demselben Abend eine Feier, bei welcher Privatdozent Dr. Bruno Bauch (Mitglied der „Kantgesellschaft") den Festvortrag hielt über die Persönlichkeit Kants. Der Vortrag ist gedruckt erschienen in der Festschrift der KSt. IX, 196-210.

Eine Nachfeier veranstaltete die Lateinische Hauptschule der Franckeschen Stiftungen, indem bei der Feier zur Entlassung der Abiturienten am 27. Februar Direktor Dr. Rausch (Mitglied der „Kantgesellschaft") eine Rede hielt, in welcher er den scheidenden Jünglingen die Lebensbilder der grossen Philosophen „Sokrates und Kant" vorführte. Die Rede ist gedruckt in den „Deutsch-evangelischen Blättern", Mai 1904 und auch separat erschienen im Verlag von E. Strien in Halle a. S. In knappen Zügen wies Rausch auf den Parallelismus in Leben und Lehre dieser Männer hin. Er verglich die Perikleische Zeit, in welcher Sokrates erstand, mit der Fridericianischen, welcher Kant entstammte. Er verglich den Prozess gegen den 70jährigen Sokrates mit dem Zensurkonflikt Kants und dem Einschreiten des Ministers Wöllner und des Königs Friedrich Wilhelm II. gegen Kant und wies auch darauf hin, wie beide im Einklang mit ihrer Lehre, ohne sich etwas zu vergeben, sich willig der Autorität des Staates fügten, führte weiter aus, wie beide mit den scharfen Waffen der Kritik das Schein- und Halbwissen ihrer Zeit bekämpften. In beiden zeigt sich endlich der Gegensatz von Wissenschaft und Religion versöhnt, so dass sie auch der heutigen Jugend treue Führer durchs Leben sein können.

Eine weitere Nachfeier des 100jährigen Todestages Kants fand in Halle statt am 22. April, dem Geburtstage Kants. An diesem Tage wurde die konstituierende Versammlung der Kantgesellschaft abgehalten, zu welcher im Festheft der KSt. IX, 12, S. 344 ff. ein Aufruf „An die Freunde der Kantischen Philosophie" ergangen war. Die Festfeier begann mit einer Begrüssungsrede von Professor Vaihinger, in welcher derselbe auf die nahen Beziehungen zwischen Kant einerseits und Halle andererseits hinwies. Er erinnerte zunächst an die rein äusserlichen Zufälle, dass Kant zweimal durch den Minister von Zedlitz nach Halle berufen wurde, ohne diesem Rufe zu folgen, sowie daran, dass die Kr. d. r. V. in Halle in der Gebauer-Schwetschkeschen Buchdruckerei gedruckt worden ist. In Halle erstand der Kantischen Philosophie zunächst ihr heftigster Gegner, der Vertreter des Leibnizschen Dogmatismus, Eberhard. Aber nach kurzem Kampfe siegte auch in Halle wie anderwärts die Kantische Philosophie und fand in Jakob, Maass, Beck, Niemeyer und Anderen energische und einflussreiche Vertreter, und jetzt ist in Halle, nachdem schon

Haym immer auf Kant hingewiesen hatte, die Kantische Philosophie mehrfach vertreten. Nach dem Vortrag der Sonate op. 1 von J. Fr. Herbart, dem Nachfolger auf Kants Lehrstuhl in Königsberg, wurde der bis dahin gesammelte Fonds der Kantstiftung in der Höhe von 15000 M. an den Kurator der Universität Halle, Geh. Reg.-Rat G. Meyer übergeben. Es folgte darauf der Festvortrag von Privatdozeut Dr. B. Bauch „Kant und die deutschen Dichterfürsten". Über die darauf erfolgte Konstitution der Kantgesellschaft haben die KSt. IX, 3/4, S. 568 ff. berichtet. Mit der Feier war eine Kantausstellung verbunden: Kantautographen, Kantbilder, Kantbüsten, erste Drucke, Festschriften u. s. w. (vgl. den Bericht über dieselbe in der Saale-Zeitung vom 25. April 1904, No. 192).

Noch eine dritte Nachfeier fand schliesslich am Ende des Jubiläumsjahres in Halle statt, indem der Vortragsclub „Vespertina“ sich am 9. Dezember durch Professor Dr. Uphues entwickeln liess,,,Was wir von Kant lernen können". Die Rede erscheint im Druck.

20. In Würzburg veranstaltete die Alma Julia-Universität einen Festaktus, bei welchem zunächst der Prorektor Professor Dr. Kunkel eine einleitende Ansprache hielt. Die Festrede war Professor Dr. Külpe übertragen. Beide Reden liegen gedruckt vor (Würzburg, H. Stürtz); s. den Bericht der KSt. IX, 529. Es wurde bei der Gelegenheit daran erinnert, dass an der Würzburger Universität zuerst die Kantische Erkenntnislehre zum Gegenstand einer eigenen Disziplin gemacht wurde. Der Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal, ein begeisterter Anhänger der Kantischen Philosophie, entsandte im Jahre 1792 eigens den Prof. Matern Reuss (vom Orden der Franziskanerminoriten) nach Königsberg, um die Kantische Lehre an der Quelle zu studieren und später in Würzburg vorzutragen. Später wirkte in Würzburg im Sinne des Kantischen Rationalismus der Philosoph Paulus.

21. Die Universität Marburg, an welcher seit Jahrzehnten das Kantstudium durch den Einfluss Friedrich Albert Langes, Cohens und Natorps ja besonders blüht, veranstaltete eine Feier, bei welcher Professor Cohen, eilig von der Königsberger Feier zurückkehrend, die Festrede hielt. Dieselbe ist gedruckt (Marburg, Elwert), einen Auszug brachten die KSt. IX, 527.

22. Die Universität Breslau veranstaltete eine Feier, bei welcher die Festrede dem Professor Dr. Freudenthal übertragen war. Die Festrede liegt gedruckt vor (Breslau, Marcus); die KSt. haben über sie berichtet IX, 524.

23. Die Universität München feierte den Tag durch eine Rede von Professor Dr. Lipps, welche in der Monatsschrift „Deutschland" II, 673 ff. gedruckt vorliegt. Vgl. den Bericht der KSt. IX, 522 f.

24. In Posen veranstaltete die Akademie eine Feier, bei welcher der Rektor, Professor Dr. Eugen Kühnemann (Mitglied der „Kantgesellschaft“), den Vortrag hielt. Derselbe ist abgedruckt im „Kunstwart“ XVII, Heft 11, S. 618-627. Vgl. den Bericht in den KSt. IX, 522. Die Feier begann mit dem Trauermarsch aus der Eroica und schloss mit dem Largo von Händel.

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