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tes, „der pädagogische Genius" seiner Zeit, und der als Beispiel echt philosophischer Lebensführung gelten dürfe. Seine Lehre sei nicht vollständig zu verstehen ohne Berücksichtigung seines Todes, der ihre höchste Bestätigung bilde. Das von Riehl mit Eindruck und lebhafter Teilnahme dargestellte Hinscheiden des Philosophen widerspreche, meint er, der Auffassung der Ethik Sokrates, als Nützlichkeitsmoral. S. 188, 189. Nachdem gezeigt worden, dass Sokratische und Platonische Gedanken wieder in der Kantischen Ethik hervortreten, bemerkt Riehl, dass die Postulate der praktischen Vernunft weder selbst Realitäten sein können, noch können Realitäten durch sie begründet werden. „Der Wille geht nicht von der Freiheit (der Grundlage der Ethik Kants aus) als von einem ursprünglichen Besitze aus, er führt zur Freiheit hin, er befindet sich zu ihr, mathematisch geredet, in asymptotischer Annäherung". Der vielfach missverstandene kategorische Imperativ, der leider zuweilen als etwas Befehlshaberisches aufgestellt wird, das sich auf Gründe nicht einlässt, sondern schweigenden Gehorsam erheischt, so ungefähr wie das Kommando eines Unteroffiziers" sei nur die Formel, nicht das Prinzip der Kantischen Ethik, und eine Notwendigkeit, sie allgemein anzuwenden, lässt sich nicht begründen“. S. 195. Das Prinzip dieser Ethik, die Antonomie des Willens bleibe dagegen als das alleinige Prinzip aller moralische Gesetze. Gegen Nietzsche wird daher später sehr glücklich eingewendet; „dass die wahre Herrenmoral des autonomen Willens schon gefunden war, als er sie noch suchte, ist ihm entgangen". S. 225. Diese Selbstgesetzgebung ist nicht nur mit dem Determinus vereinbar, sondern notwendig mit ihm verbunden“. „Das Sittengesetz ist das Naturgesetz des vernünftigen Wesens als solcher". S. 197.

Die Frage nach dem Werte des Daseins führt zur Untersuchung des Pessimismus, der den Wert des Lebens verneint: weshalb die Mitleidsmoral für Schopenhauer die Moral bildet, diese das Leben verflachende Krankenhausmoral, welche Nietzsche auch als die alleinige Moral kannte. (Vortrag VII.) Die Frage, ob der Wert des Daseins überhaupt geschätzt werden könne, wird ausdrücklich abgelehnt; sondern es wird vom Verfasser einfach bemerkt, dass, falls das Leben als Ganzes geschätzt und die Summe seines Wertes bestimmt werde, das Ganze des Lebens gegeben und unveränderlich sei". So musste denn Schopenhauer, um den Pessimismus bejahen zu können, die Geschichte verneinen". S. 200, 201. Dieser Pessimismus erfährt nun eine scharfsinnige, logische und psychologische Widerlegung (S. 202-219), falls überhaupt von einer Widerlegung dessen gesprochen werden kann, das als Folge eines angeborenen düsteren Temperamentes und persönlicher Erfahrungen anzusehen ist, und sich durch keine Logik beseitigen lässt. Wie wenig der Metaphysiker des Willens den wirklichen Willen verstanden hat, zeigt sich nach Riehls treffender Bemerkung darin, dass nach ihm die Basis alles Wollens immer Bedürftigkeit sei. S. 219. Der Schluss des siebenten Vortrages wird einer kritischen unparteiischen Beurteilung Nietzsches ethischer Lehre gewidmet. Riehl vermag nicht in Nietzsche den grossen Propheten oder philosophischen Führer der Zukunft zu erblicken. Auf einen solchen müssen wir noch warten. Denn man kann sich den nicht zum Führer wählen, der stets ein anderer ward, sich selber fremd und sich selbst entsprungen ist“. „Er ist der beständig Suchende, der grosse Fragende" dessen Entwickelung ohne Abschluss bleibt. S. 251, 252. „Dass das Produktive mit dem Historischen verbunden werden müsse, um wirklich produktiv zu sein, wie Goethe es forderte, beachtete er nicht“. „Alle seine Anschauungen, fügt Riehl hinzu, verraten ein Grundgebrechen: den Mangel an historischem Sinne“. S. 253.

,,Mit der Wissenschaft ändert sich auch die Philosophie", sagt der Verfasser im letzten Vortrag (S. 238), der eine Betrachtung über Gegenwart und Zukunft der Philosophie enthält und die Ergebnisse der Schrift zusammenfasst. Eben deshalb dürfe die Philosophie niemals bei irgend einem philosophischen Systeme stehen bleiben. Wenn daher heute in

Deutschland vom Zurückgehen auf Kant noch immer die Rede ist, so bedeute dies einfach die Wiederanknüpfung der Verbindung zwischen Wissenschaft und Philosophie, welche durch die auf Kant folgenden idealistischen Systeme gestört wurde. Diese spekulativ-metaphysische Richtung der deutschen Philosophie interessiert Riehl sehr wenig, jedoch erkennt er die Bedeutung der Hegel'schen Geschichtsauffassung für die moderne Geschichtswissenschaft an. S. 240, 241.

Riehl ist der Meinung (und dies wird vielleicht einige Metaphysiker überraschen), dass es nie ein philosophischeres Zeitalter in der Wissenschaft gegeben habe als das gegenwärtige, aber diese Philosophie sei mehr in den Werken der grossen Naturforscher niedergelegt wie z. B Helmholtz, Mayer, Hertz um nur Deutsche zu nennen als in den Arbeiten der Fachphilosophen. Abgesehen von der neuen Bearbeitung der Grundsätze der Beharrlichkeit und Kausalität, hat es auch die physikalische Chemie und physiologische Psychologie geschaffen. „Die Zukunft der wissenschaftlichen Philosophie ist die Erhebung der Wissenschaft zur Philosophie. Wie die Wissenschaften aus der Philosophie, ihrer anfänglichen Einheit, durch Auseinanderlegung derselben hervorgegangen sind, so sehen wir sie auch in der Spirale alles geschichtlichen Werdens auf einer höheren Stufe ihrer Entwicklung zur Einheit zurücklenken". S. 248. Wir brauchen deshalb nicht zu glauben, dass jemals ein Weltbild das definitive sein werde.

Es ist erfreulich, dass die Schrift Riehls vor allem den wissenschaftlichen Charakter der Philosophie hervorhebt. Wenn es eine Metaphysik giebt, so ist ihre Aufgabe lediglich eine negative, die Anmassungen einer alles erklärenwollenden Metaphysik einzuschränken. Durch die Einschränkung des Feldes der theoretischen Philosophie werden ihre Ergebnisse sicherer gemacht, und es bleibt weniger Spielraum für blosses „Meinen" übrig. Einige werden vielleicht finden, dass die Bedeutung von Lockes Essay überschätzt sei; während gewisse Idealisten die vom Verfasser mit guten Gründen noch beibehaltenen Dinge-an-sich als Zeichen eines unkritischen Realismus ansehen werden. Gerade aber die Unentbehrlichkeit des Substanzbegriffes für die Wissenschaftslehre beweist, dass der Gedanke der Unabhängigkeit der Dinge von ihrem Wahrgenommen werden notwendig ist; es kann daher nur die Frage sein, was die Natur dieser Dinge-an-sich sei. Nun haben die Idealisten unserer Ansicht nach noch nicht bewiesen, dass diese Dinge geistige Wesen sein müssen. Bemerkenswert ist es, dass Leibniz nur vorübergehend erwähnt wird; ebenso geschieht es mit Berkeley, wie wir glauben mit Recht. Im Vergleich mit Locke, bedeutet die Philosophie Berkeleys (abgesehen von seiner Theorie der Raumwahrnehmung) einen Rückgang; die Entwickelung der Philosophie wäre wahrscheinlich dieselbe gewesen, wenn Berkeley überhaupt nie gelebt hätte.

Das meisterhaft geschriebene Buch Riehls darf nicht mit anderen wohlbekannten und verdienstlichen „Einleitungen" verglichen werden, da es einen ganz andern Zweck verfolgt und schon in der äusseren Form der Darstellung von solchen Werken abweicht Es ist interessant zu bemerken, dass Riehl den persönlichen Faktor und die praktische Aufgabe der Philosophie stärker betont, als in seinem Kritizismus' geschehen ist. Es scheint uns auch, dass er hier eine mehr zurückhaltende Stellung der mechanischen Hypothese gegenüber einnimmt. Der Genuss der Lektüre wird durch die Leichtigkeit der Sprache wesentlich erhöht. Schliesslich sei auf eine belehrende Parallele zwischen Heraclit und Helmholtz aufmerksam gemacht. S. 13.

Montreal.

J. W. A. Hickson.

Katzer Ernst. Dr. phil. Past. prim. in Löbau in Sachsen, „Das Problem der Lehrfreiheit und seine Lösung nach Kant". Tübingen und Leipzig, I. C. L. Mohr, 1903. (VH+53 S.)

Im Jahre 1835 hat Christian Hermann Weisse zuerst die Frage aufgeworfen: Inwiefern hat unsere Zeit sich wieder an Kant zu orientieren?wir sahen es als selbstverständlich an, dass wir bei allen Fragen, die Kant erörtert hat, ihn vor allem hören. Katzers Thema erscheint uns in Folge davon umsomehr berechtigt, weil das Problem der Lehrfreiheit ein eminent sittliches Problem ist, die Ansicht unseres grössten Ethikers in dieser Frage eben deshalb für uns von der grössten Bedeutung sein muss. Dazu kommt, dass Kant das Problem der Lehrfreiheit nicht nur als Theoretiker, sondern bekanntlich auch auf Grund der ernstesten Erfahrung behandelt hat. Kants Genialität zeigt sich in unserem Falle sogleich darin, dass er unser Problem von einem weiteren Gesichtskreise aus behandelt, als es meist geschieht. Er fordert Lehrfreiheit nicht bloss für die Lehrer in Kirche und Schule, sondern für alle, die den inneren und den äusseren Beruf haben, an dem Fortschritte im Leben des Volkes zu arbeiten. Diese Arbeit darf auf keinen Fall gehindert werden Geschieht es doch, so ist es eine Sünde wider den heiligen Geist. Die menschliche Natur ist so beschaffen, dass nur im Austausche und im Kampfe der Meinungen die Erkenntnis der Wahrheit ihr aufgeht. Wird das gehindert, so wird das Leben getötet, das nur bei ungehemmtem Wachstum bestehen kann. Oder es entstehen Revolutionen, die eben so grossen Verlust wie Gewinn bringen, jedenfalls schwierige Korrekturen notwendig machen. Kant war bekanntlich der mächtigste Apostel der Freiheit und zugleich streng conservativ.

Es entspricht seinem sittlichen Ernste, dass er nur dem das Recht der Lehrfreiheit zugesteht, der selbst wahrhaft, d. h. sittlich frei ist, nicht beherrscht von Leidenschaften, namentlich nicht von Eitelkeit und Lust am Zerstören. Der sittliche Fortschritt ist nach Kant der sittliche Zweck und damit die Aufgabe der Geschichte. Nur wer selbstlos in den Dienst dieser Aufgabe sich stellt, hat das Recht frei und offen seine Überzeugung auszusprechen und selbst das Bestehende zu bekämpfen. Das Gebiet der eigentlichen Wissenschaft ist nach Kant ein beschränktes, im Grunde nur die Erkenntnis der Natur. In diesem Gebiete kann unumschränkte Freiheit herrschen, aber nur unter der Bedingung, dass es streng von dem anderen Gebiete, von dem des Glaubens, d. h. von dem sittlichen und dem religiösen, geschieden wird. Der vulgäre Materialismus des letzten halben Jahrhunderts, der frivol diese Grenzlinie überschritt, würde daher die gebührende Ablehnung von seiten unseres grössten Denkers gefunden haben. Im sittlich-religiösen Gebiete aber giebt es nach Kant unerschütterliche, ewige Erkenntnisse, daher einen untrüglichen Massstab für die Beurteilung aller Lehren. Was das sittliche Leben fördert, das ist zu gestatten. Wodurch es geschädigt wird, das ist zu verwerfen. Aber nicht nur der Inhalt, sondern auch die Darstellung neuer Gedanken ist an dem sittlichen Massstabe zu messen. Das Neue darf nur mit Schonung gegen das Vorhandene als die notwendige Frucht des Alten vertreten werden. Ist darüber zu entscheiden, ob ein Vertreter des Fortschrittes sein Recht missbraucht hat, so sind nur Richter zulässig, die wissenschaftlich vollkommen die erörterten Fragen beherrschen und zugleich selbst volle sittliche Freiheit besitzen. Unfehlbare Richter wird es freilich niemals geben; aber wer das Martyrium für die Wahrheit mit reinem, gutem Gewissen trägt, dem verleiht es die höchste Würde. Mit besonderer Schärfe bekämpft Kant die Manie, Lehrstreite und Lehrgerichte zu Glaubensstreiten und Glaubensgerichten zu machen. Kein Mensch kennt den Glauben eines anderen; nur seine Meinungen kann er beurteilen.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass Kant die notwendigsten und wertvollsten Gesichtspunkte für die Lösung des Problems geltend ge macht hat. Wären sie immer beachtet worden, hätte man auf beiden Seiten die sittliche Qualität des Gegners an erster Stelle geprüft, bezw. anerkannt unsere politische und kirchliche Entwicklung wäre eine friedlichere und erfolgreichere gewesen. Es erweckt schmerzliche Gefühle, Kants Gedankenkreis und in seine Zeit sich zu versetzen. Die Bildung

in

von Parteien, die wie zum Teil unsere Sozialdemokraten und unsere Ultramontanen von allen sittlichen Verpflichtungen sich losgemacht haben, konnte man damals sich offenbar gar nicht denken. Da wird recht deutlich, was wir verloren haben, indem unsere Reaktion uns dahin brachte, den Mann zu vergessen, der zuerst die Ethik unerschütterlich für uns begründet hat. Nur dadurch ist es dahin gekommen, dass um ein Bild Shakespeares anzuwenden unser Leben einem Gefäss mit siedendem Wasser gleicht, dass sich immer mehr entleert, während es sich zu füllen scheint.

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Katzer ist ein guter Kenner Kants. Er hat mit Sorgfalt und Liebe die Gedanken Kants über unser Problem gesammelt und dargestellt. Er hat sich dadurch für unsere Zeit, in der namentlich die konfessionellen Kämpfe heftiger als je entbrannt sind, ein grossen Verdienst erworben. Möge seine Schrift die verdiente Beachtung finden und auch durch sie Kants tiefer Ernst unter uns wirksamer werden.

Dresden.

Sulze.

Dessoir-Menzer. Philosophisches Lesebuch, herausgeg. von Max Dessoir, aord. Professor und Paul Menzer, Privatdozenten der Philosophie an der Universität zu Berlin. Stuttgart, Ferdinand Enke 1903. (VIII und 258 S ) 8o.

Im historischen Aufbau, der den systematischen Gesichtspunkt erst an zweiter Stelle berücksichtigt, bringt vorliegendes Buch Abschnitte aus den Werken von 17 führenden Geistern im Gebiete der Philosophie von Plato bis Schopenhauer und am Schluss ein zuverlässiges Namenverzeichnis und Sachregister. Auch unter der Voraussetzung historischer Gliederung kann die Auswahl im Einzelnen noch durch andere Grundsätze geregelt werden: Sie kann es darauf absehen, besonders wichtige Fragen aus der Erkenntnislehre, der Logik, aus Ethik oder Metaphysik durch die Geschichte der Philosophie zu verfolgen; sie kann ferner jeden eingeführten Schriftsteller vor allem für sich betrachten und das für seine Lehre Charakteristische in den Vordergrund rücken wollen. Die Verfasser haben dieses an sich wohl zu billigende Verfahren gewählt. Die üble Folge, welche dieser Plan mit sich bringt, dass er nämlich durch das Überspringen von metaphysischen Problemen zu logischen und ethischen leicht den Eindruck des Unruhigen und Unfertigen hervorruft, haben sie durch die sehr eingehenden Erläuterungen" zu jedem einzelnen Philosophen zum grossen Teil wieder gut gemacht.

Diese Erläuterungen bringen nicht bloss Angaben über Leben und Werke des soeben im Buche vorgestellten Schriftstellers, sowie über empfehlenswerte, auf ihn bezügliche Litteratur, sondern sie suchen auch die innere Verbindung zwischen den abgedruckten Lesestücken des einzelnen Verfassers wie zwischen den Anschauungen der verschiedenen Denker herzustellen. So spinnen sie beispielsweise die verknüpfenden Fäden von Kant in die Vergangenheit zu Locke und Hume wie zu Berkeley und Leibniz, in die Zukunft zu Fichte und Schopenhauer. Überraschend wirkt besonders die Parallele der ethischen Grundansichten zwischen Kant und dem Meister Eckhart aus dem 13. Jahrhundert. Durch solche steten inneren Beziehungen der Ansichten und durch die wiederholte Beleuchtung der wichtigeren Fragen von verschiedenen Seiten lernt der Leser die Hauptprobleme der Philosophie leicht kennen und auch verstehen.

Es sei noch hervorgehoben, dass die Verfasser in dem Verfolgen der Begriffsentwicklung, wie z. B. der Bedeutung der Kausalität bei Hume, nicht vor den neuesten Ansichten der Naturforschung Halt machen. Dabei ist allerdings dem Erläutern von Kant auf S. 188 in der Anm. zu 171 f entgangen, dass die mechanistische auf Darwin zurückgehende Naturerklärung zum grössten Teil bereits wieder überwunden ist. An ihre Stelle setzt die vitalistische Biologie eines Reinke u. v. a., die zielstrebige, klarlogische Betrachtungsweise. Wie weit diese Richtung von den gleich

artigen Anschauungen Kants beeinflusst worden ist, wäre vielleicht weiterer Untersuchung nicht unwert.

Dem von den Verfassern hauptsächlich ins Auge gefassten Zweck ihres Buches, erläuterndes Anschauungsmaterial zu den Vorlesungen über Geschichte der Philosophie zu liefern und diese zu erzeugen, vermag es recht wohl zu dienen. Erst mit Hilfe solcher Unterstützung werden die Worte des vortragenden Dozenten Inhalt und Leben erhalten und dem Studenten, der so mit den leitenden Gedanken und den führenden Geistern etwas vertrauter geworden ist, wird es nicht mehr ergehen wie dem Schüler im Faust. Wenn das Buch somit als ein Fortschritt im Gebiet der Hochschulpädagogik bezeichnet werden kann, gilt dieser Schluss jedoch nicht für die höheren Lehranstalten. Von den vielen möglichen Einwendungen vom Standpunkte dieser Schulen aus seien hier nur zwei erwähnt: Der Stoff ist mehrfach zu hoch und zu schwierig und berücksichtigt ferner den erziehlichen Zweck der Schule nicht genügend. Die Philosophie darf für den Schüler, der vielleicht nie wieder zu ihr zurückkehrt, nicht mit der Verneinung des Willens zum Leben, mit einem Nichts abschliessen. Bad Ems. A. Gille.

Dietzgen, Joseph. Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit. Eine abermalige Kritik der reinen und der praktischen Vernunft. Mit einer Einleitung von Anton Ponnekrek. Stuttgart (Dietz) 1903.

Als dies Büchlein des sozialistischen Philosophen 1869 zum erstenmal herauskam, ward es im Grunde wenig beachtet, sowohl in wie ausserhalb der sog. Partei. Sie stand noch in den Anfängen und beschäftigte sich mit anderen Fragen. Der übrigen Philosophie aber war es kaum zur Kenntnis gekommen. Und doch enthält das Werk des scharfsinnigen Gerbermeisters, der seinen Kant und manch anderes besser studiert hatte, als er in seiner Einleitung bescheiden sagt, gar manche Gedanken, die der Beachtung wert sind. Wenn er auch nicht, wie er glaubt, weder hier noch in den späteren Schriften (Über das Acquisat der Philosophie und Briefe über Logik. Stuttgart 1895) eine ausreichende Begründung für die Beziehung zwischen uns und den Dingen geliefert hat, und wenn seine Ausdrucksweise in manchem zu Beanstandungen und Missverständnissen Anlass giebt, so hat er doch die Grundlinien einer Gedankenrichtung klar gezeichnet, die man im Gegensatze zu Idealismus und Materialismus vielleicht passend Korrelativismus nennen könnte, und die im Wesen, wenn auch nicht in der Begründung und in allem Einzelnen auf das Richtige hinauslaufen dürfte.

„Gegenüber der idealistischen Vorstellung, dass hinter der Erscheinung ein Wesen versteckt sei, was erscheine, gilt für Dietzgen die Erkenntnis, dass dies versteckte Wesen nicht in der Aussenwelt, sondern innen im Kopfe des Menschen apart wohnt . . . Es gilt nicht allein von physischen, es gilt auch von geistigen, es gilt metaphysisch von allen Dingen, dass sie das, was sie sind, nicht an sich, nicht im Wesen, sondern nur im Kontakt mit anderem, in der Erscheinung sind.“ (S. 74) „Das Denkvermögen“. das noch S. 74 ein wesentliches, reales Vermögen ist ,,im Kontakt mit den Erscheinungen produziert das Wesen der Dinge." (S. 75 u) „Der Satz: Die Dinge sind nicht, sondern erscheinen", bedürfen den Satz zu seiner Ergänzung: „Was erscheint das ist jedoch und soweit als es erscheint. „Die Wärme vermögen wir nicht wahrzunehmen," sagt die Physik des Professor Koppe, wir schliessen nur aus den Wirkungen derselben auf das Vorhandensein dieses Agens in der Natur." Dietzgen sagt dagegen: „Die Summe ihrer verschiedenen Wirkungen, das ist die Wärme selbst." (S. 74 f.) Die Sinnlichkeit ist qualitativ, das Denkvermögen begreift alles als Quantität. Das Allgemeine ist das wahre Sein, das Wesen. Dies steht aber nicht hinter" der Erscheinung, sondern ist nur mittelst derselben, in Relation mit dem Erkenntnisvermögen, nur für die Vernunft da oder wirklich, und umgekehrt gewinnt

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