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Ein Friedensspruch.

Dargestellt von

Dr. M. A. N. Rovers (in Holland).

In seiner interessanten Abhandlung: Die interkonfessionellen Friedensideale des Johann Amos Comenius (Monatshefte der C.-G. 1892, Heft 2) benützt Karl Mämpel die berühmte Schrift des Comenius Unum necessarium".

Im achten Kapitel derselben heifst es: „Summa concordiae Christianorum lex est trina: servare in omnibus necessariis unitatem, in minus necessariis libertatem, in omnibus erga omnes caritatem."

Woher dieser Wahlspruch? Lange hat man vergebens nach seinem Urheber gesucht.

Im Jahre 1847 hielt der berühmte holländische Professor der Remonstranten, des Amorie van der Hoeven, einen Vortrag, der grofsen Beifall erregte. Aus demselben citiere ich folgende Zeilen: „Einheit im Notwendigen, Freiheit im Zweifelhaften, das sind die beiden Säulen, die am Eingange des Gottesgebäudes stehen, dessen Grundstein Christus ist: das Gesims, welches beide Pfeiler verbindet, ist die Liebe. In Allem die Liebe. Ein Spruch, so inhaltsschwer, so ausdrucksvoll, der in wenig Worten die Auflösung des grofsen Fragestückes giebt, wie der Friede in der Kirche, die Vereinigung der geteilten Christenheit zu stande kommen soll? - ein Spruch, wert in Marmor gemeifselt, oder besser, in alle Christenherzen graviert zu werden, würde der bei uns nicht die Sehnsucht erregen, den klaren Kopf und das edele Herz desjenigen kennen zu lernen, aus welchen er hervorgegangen ist?"

Freilich, der Redner selbst war zu der traurigen Folgerung

gekommen, dafs der Spruch ein Findling sei und bleibe. Trotzdem aber äusserte er den Wunsch, ein wissenschaftlicher Verein möge einen Preis ausschreiben für denjenigen, dem es gelingen würde, den rechten Vater zu entdecken.

Lange meinten die Gelehrten, den Autor des hochgepriesenen Wahlspruches müsse man im christlichen Altertum suchen. Ziemlich allgemein erkannte man den Kirchenvater Augustinus als den Urheber desselben an. Allein in dessen zahlreichen Schriften suchte man vergebens danach 1). Auch wurde Augustinus' jüngerer Zeitgenosse und Bekämpfer, Vincentius von Lerimum, von dem der bekannte Spruch herrührt: wir müssen festhalten an dem, was überall, immer und von allen geglaubt worden ist", genannt 2). Aber auch diese Behauptung stellte sich als unrichtig heraus 3), gleichwie die Meinung derer, welche dem Episcopius, dem ersten Professor am Seminar der Remonstranten in Amsterdam, die Vaterschaft des Spruches zuschrieben, der die geliebte Losung vieler Remonstranten geworden ist1).

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Dem Dr. Friedrich Lücke, dem bekannten Theologen in Deutschland, gebührt die Ehre, den Autor des Wahlspruches, nach dem man so lange vergebens gesucht, entdeckt zu haben 5). Nach ihm soll es Rupertus Meldenius sein, der sich um das Jahr 1625 in seiner „Mahnung zum Kirchenfrieden" an seine Mitbekenner der Augsburger Konfession richtete ). Es wird uns

1) Vergl. Prof. Kist in Kerkelijk Archief", X, S. 358.

2) U. a. von Dr. H. Thiersch in „Vorlesungen über Katholicismus und Protestantismus", 1846, I, S. 176.

3) Vincentius' Commonitorium wurde von van der Hoeven wiederholt gelesen, aber nirgendwo hatte er den Spruch „In necessariis unitas“ gefunden (a. a. O. S. 4 ff.).

4) Vergl. Joannes Tidemann in „De Remonstranten en het Remonstrantisme". Auch wurde Georg Calixtus genannt. Dafs der Spruch in einem der Werke des irenischen Theologen Hermann Witsius, der zuerst Professor in Franeker, nachher in Utrecht und Leiden war, vorkommen sollte, ist allerdings nicht unmöglich.

5) Über das Zeitalter, den Verfasser und die wahre Bedeutung des kirchlichen Friedensspruches: „In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas“, 1851. Seine Gründe waren für Viele nicht überzeugend, u. a. nicht für Friedrich Böhringer, der noch im Jahre 1878 den Spruch dem Augustinus zuschrieb. (Vergl. Aurelius Augustinus, S. 420.) Oder hat er etwa die Schrift Lückes nicht gekannt?

6) Paraenesis votiva pro pace ecclesiae ad Theologos Augustanae Confessionis.

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in diesem Büchlein eine nichts weniger als erquickliche Skizze gegeben von den Lutheranern und ihren Theologen. Sie werden aufgefordert, nach Liebe" zu streben, verbunden mit frommer Vorsicht und ungeheuchelter Demut". Wenn wir so lautet Meldenius' Ansicht im Notwendigen die Einheit, im Nichtnotwendigen die Freiheit, in Allem die Liebe behaupteten, wie viel besser würde es sich dann mit den Christen verhalten! Jetzt wird sogar der wegen seiner Frömmigkeit bekannte Johannes Arnd, der Autor der Vier Bücher vom wahren Christentum", verketzert! Anstatt der Spur Christi folgen die Ketzerjäger dem Wege Bileams! Lafst uns lieber die Zahl der für alle verbinlichen Glaubensartikel einschränken als auf die Differenzen in den Kirchen zu achten! Nur im Notwendigen ist die Einheit eine Forderung.

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Aber was gehörte dazu? Nicht ohne Verwunderung lesen wir, dafs unser friedlicher Theologe von jedermann fordert als etwas Unentbehrliches für die Seligkeit: a) dasjenige, was mit Sicherheit aus deutlichen Zeugnissen der heiligen Schrift gefolgert werden kann; b) diejenigen Dogmen, welche auf kirchlichen Concilien festgesetzt und in symbolische Bücher aufgenommen sind; c) die Lehrsätze, welche einstimmig von allen rechtgläubigen Theologen anerkannt werden.

Unter das Nicht notwendige oder Zweifelhafte zählt Meldenius: a) dasjenige, was in der Schrift nicht deutlich gelehrt wird; b) Dogmen, über welche ältere Theologen keine bestimmte Überzeugung ausgesprochen haben; c) das, was zur Beförderung der Liebe, der Frömmigkeit und der Erbauung nicht dienlich sein kann.

Ein jeder wird der Meinung sein, dafs die Klarheit in diesen Sätzen zu wünschen übrig läfst. Wem z. B. ist es einleuchtend, was in der Schrift deutlich und was darin undeutlich gelehrt wird? Derjenige, welchem nach diesem der Ehrenname eines orthodoxen Theologen gebührte, würde von jenem bisweilen verketzert werden. Über alles, was zur Erbauung und Beförderung der Frömmigkeit gehört, hat laut der Geschichte schon öfter Meinungsverschiedenheit bestanden. Und diejenigen, die keine Fremden in der Kirchengeschichte sind, werden sich erinnern, dafs die eine Kirchenversammlung nicht selten abgebrochen, was die andere aufgebaut hatte; dafs die Einstimmigkeit der

symbolischen Bücher oft zu wünschen übrig liefs. Und welche sind am Ende diese ältern Theologen, deren Aussprüche als Autoritäten anerkannt werden müssen? Gehören sie zu den drei, vier oder fünf ersten Jahrhunderten? Oder können z. B. diejenigen aus dem achten Jahrhundert auch etwa mitgezählt werden?

Es ist klar: unter denjenigen, die früher oder später, sogar noch in unserer Zeit, den Wahlspruch mit Freude begrüfsten, haben die meisten nicht gewufst, was Meldenius unter den necessaria verstand. Würde sonst der obengenannte Professor der Remonstranten geschrieben haben: „Die in unserm Spruch empfohlene Toleranz ist eine Frucht eines höheren Geistes. Sie wird durch die christliche Liebe gezogen, welche das ganze Leben des Christen, sein Denken, Sprechen, Fühlen, Handeln beseelen und veredeln soll. Der Spruch verurteilt nicht blofs allen Formelzwang, sondern überzeugt auch von der Überflüssigkeit und Schädlichkeit aller Formeln oder festgesetzten Lehrsätze. Aus der römischen Petruskirche und der protestantischen Pauluskirche wird sich die Evangelisch-katholische Johanniskirche entwickeln. Sie wird mit der Überschrift geschmückt sein:

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Seit dem 16. Jahrhundert bis auf unsere Zeit hat es nicht an Versuchen gefehlt, Katholiken und Protestanten, Lutheraner und Reformierte in einer Kirche zusammen zu bringen und zu vereinigen. Es werden sich viele solcher friedfertigen Vorschläge erinnern, wenn sie die Namen Cassander, Calixtus, Leibniz, Bossuet, König Friedrich Wilhelm III. von Preufsen nennen hören. Die Wahlsprüche aber, deren man sich bediente, waren gerade so schwebend und unbestimmt, wie das Notwendige und das Nicht- Notwendige. Ein paar Beispiele mögen genügen. Vor allem hiefs es, man müfste Abfall und Abweichung von der ursprünglichen Lehre wohl unterscheiden, letztere würde keine Veranlassung zur Trennung sein! Fundamentale und nichtfundamentale Glaubensartikel dürften ja nicht miteinander verwechselt werden. Wenn nur das Wesent

1) a. a. O. S. 23, 32, 40.

liche bewahrt bliebe, könne das Gleichgültige, das keinen Einfluss aufs Leben ausübte, aufgegeben werden. Zwischen den Beschlüssen den allgemeinen Kirchenversammlungen der fünf ersten und jenen der folgenden Jahrhunderte liege eine grofse Kluft: erstere seien bindend, während man den letzteren keine Autorität zuerkannte.

Aber genug hierüber. Diese und ähnliche Versuche, um zu vereinigen, was getrennt war, wie gut die Absicht auch sein mochte, mufsten wegen ihrer Halbheit scheitern. Doch kann man die Urheber, die zur Versöhnung mahnten, mit Recht die Wegbereiter einer besseren Zeit nennen, die das Wesen der Religion in etwas Besserem erkannten als in irgend einem Bekenntnis einer gemeinschaftlichen Lehre.

Einen Augenblick müssen wir die Aufmerksamkeit auf eine Schrift richten, deren Verfasser J. v. Döllinger, der grofse Theologe der katholischen Kirche, ist1). Wenn auch nach Döllinger eine Verbindung zwischen der seit so vielen Jahrhunderten getrennten Kirche des Ostens und des Westens infolge der Unfehlbarkeitserklärung des Papstes eine Unmöglichkeit ist, so brauchen wir deshalb die Hoffnung auf eine Union zwischen Katholiken und einem Teile der Protestanten nicht aufzugeben. Einzelne Zeichen der Zeit geben nach Döllinger das Recht zu dieser Erwartung. Der Unterschied in den Dogmen ist nicht so grofs, wie man sich das so gewöhnlich denkt. Denn die Mutterkirche erkennt alle diejenigen als ihre Mitglieder an, die das Sakrament der Taufe empfangen haben, und wenn sie sich auch durch Unwissenheit oder Irrtum von ihrer sichtbaren Gemeinschaft entfernt haben. Von beiden Seiten ist Annäherung unverkennbar. Schon sind viele Protestanten, wo es sich um die Lehre der Rechtfertigung blofs aus dem Glauben handelt, uns näher getreten. Einige Theologen unter ihnen können sich mit der Lehre der Läuterung nach dem Tode einverstanden erklären und empfehlen das Gebet für die Toten auch mit Rücksicht auf die Lebenden. In der anglikanischen Kirche wird der Wert der Beichte immer mehr anerkannt. Die protestantischen Diakonissinnen sind den barmherzigen Schwestern der katholischen Kirche ziemlich ähnlich; bei letzterer sind die Orden, welche die

1888.

1) Über die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen,

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