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daß hier jeder wider den andern sei und also das ganze Unternehmen ergebnislos auslaufe.

Dem gegenüber wünschen die hier gebotenen geschichtlichen Andeutungen die Überzeugung zu erwecken, daß die so viele Jahrhunderte alte Arbeit des philosophischen Nachdenkens nicht vergeblich gewesen ist, vielmehr zu einer in den großen Grundzügen einstimmigen Weltansicht führt, deren Bild sich immer schärfer herausarbeitet. Die Geschichte der Philosophie ist ebenso gut als die Geschichte jeder andern Wissenschaft der Weg zur Wahrheit. Freilich fehlt es auch hier nicht an Abwegen und Umwegen.

Sollten Kenner sich herbeilassen, dies Buch zu lesen und dann urteilen, daß sie dabei ihre Rechnung nicht gefunden hätten, so wird mich das nicht allzu sehr schmerzen; ich bin in meinem Leben noch niemand begegnet, der Kennern etwas recht gemacht hätte, zumal in Deutschland, das an Kennern auf allen Gebieten des Wissens so reich ist. Mich aber wollen sie nicht anklagen, daß ich sie getäuscht habe: eine Einleitung wird ja nicht für Kenner geschrieben.

Wenn das Buch alten Zuhörern in die Hände kommt, so bitte ich sie, es als einen Gruß des Verfassers und eine Erinnerung an einst gemeinsam verlebte Stunden zu betrachten. Gern gebe ich mich auch der Hoffnung hin, daß dem einen und andern Leser meiner Ethik die hier vorgelegten Betrachtungen eine nicht unerwünschte Ergänzung mancher dort nur angedeuteten Gedankenreihen bieten.

Stegliz bei Berlin, 6. August 1892.

Vorwort zur dritten Auflage.

Die dritte Auflage ist ein unveränderter Abdruck der zweiten, die auch nur ganz geringfügige Änderungen gegen die erste aufwies.

Am Eingang der neuen Auflage kann ich nur wiederholen, was das Vorwort zur zweiten sagte: Es freut mich, daß in einer so aufgeregten und nach Aufregung, besonders nach aufregender Lektüre, verlangenden Zeit ein so wenig aufregendes Buch wie das vorliegende so viele Leser und Freunde gewonnen hat. Es scheint demnach unserer Zeit an Liebhabern des alten Wahren doch nicht so sehr zu fehlen, als jemand annehmen könnte, der nur nach dem Eindruck urteilte, den die Schaufenster unserer Buchhandlungen mit ihren kreuz und quer beschriebenen und in allen Farben schreienden Umschlägen machen.

Freilich ist nun auch die Zahl derer gewachsen, die sich als Kenner über das Buch zu Gericht gesezt und es verworfen haben. Ich kann es nicht für meine Pflicht ansehen, den Leser hier mit den einzelnen bekannt zu machen. Im ganzen treten unter ihnen deutlich erkennbar zwei Gruppen hervor: auf der einen Seite die Anhänger der wissenschaftlichen Philosophie', denen dies Buch zu wenig Strenge des Denkens und zu viel Nachgiebigkeit gegen rückständige Phantastereien zu enthalten scheint; auf der andern Seite die Anhänger des Be= kenntnisglaubens, die darin ,troß einiger christlicher Redensarten' im Grunde eine Philosophie des Unglaubens finden. Überein kommen beide in dem Vorwurf der Unentschiedenheit und Halbheit: wäre der Verfasser ein klarer Kopf oder ein entschiedener Charakter, so würde er auf einer Seite, natürlich auf unserer, stehen; so hinkt er auf beiden Seiten.

Es entspricht dies genau der Lage, wie sie in der Vorrede zur ersten Auflage bezeichnet ist; es ist der Kampf mit zwei Fronten, den die Philosophie nun schon seit dreihundert Jahren führt: die Entschiedenen hüben und die Entschiedenen drüben; die Philosophie in

der Mitte, von beiden angefeindet. Ich muß dabei an eine alte Anekdote denken. Zwei Ritter kamen über die Farbe eines Schildes in Streit, der eine sagte, er ist weiß, der andere, er ist schwarz. Und von erbittertem Wortwechsel kam es bald zu blutigen Schlägen. Ein dritter, der vorüberging, und erfuhr, warum es sich handle, bemerkte: aber seht ihr denn nicht, der Schild ist ja auf der einen Seite weiß, auf der anderen schwarz. Was, rief der eine der Kämpfenden, der Kerl kann wohl schwarz und weiß nicht unterscheiden? Nein, schrie der andere, er traut sich nicht schwarz schwarz und weiß weiß zu nennen, um es mit keinem zu verderben. Und so machten sich beide zunächst über den unberufenen Vermittler her.

Steglit, 6. August 1894.

Vorwort zur sechsten Auflage.

Abgesehen von ein paar kleinen Zusäßen und formellen Änderungen ist die neue Auflage ein unverändeter Abdruck der früheren.

Steglit, 13. März 1899.

Friedrich Paulsen.

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