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stehung aus nichts. Demnach sei sein Entschluß gefaßt, er könne nicht umhin, der parallelistischen Theorie vor der anderen, die ein Kausalverhältnis annehme, den Vorzug zu geben. Vielleicht entschließt sich

in der Not dieses Dilemmas auch der materialistische Metaphysiker zu der parallelistischen Hypothese überzugehen; lieber als auf das Geset der Erhaltung der physischen Energie, wird am Ende auch er auf die Formel verzichten: die Bewußtseinsvorgänge sind eine Wirkung der physischen Organisation. Was hindert denn auch, wird er etwa sagen, sie als eine Begleiterscheinung der Gehirnvorgänge zu fassen? Das Verhältnis bleibt dabei doch im wesentlichen dasselbe: geistige Vorgänge ein gelegentlicher, nun nicht Erfolg, aber Refler physischer Vorgänge. Ja, vielleicht wird er sagen, das sei im Grunde gerade seine Ansicht. Der Gehirnvorgang das Objektive, Empfindung, Vorstellung, Gefühl der subjektive Reflex. So liest man bei Büchner: „Denken und Ausdehnung zwei Seiten oder Erscheinungsweisen eines und desselben einheitlichen Wesens" (S. 300), „Geist und Natur ist in legter Linie dasselbe,“ „Logik und Mechanismus sind dasselbe, und die Vernunft in der Natur ist auch die Vernunft des Denkens" (S. 127).

Wir sehen demnach im Folgenden die parallelistische Theorie als zugestanden voraus und wollen im nächsten Kapitel ihre Konsequenzen entwickeln. Ich erinnere dabei nochmals daran, daß wir diese Theorie mit einem erkenntnistheoretischen Vorbehalt annehmen: dem Vorbehalt nämlich, daß den beiden Seiten, dem Physischen und dem Psychischen, nicht in gleichem Sinne Wirklichkeit zukommt. Ich werde später zu zeigen versuchen, daß allein dem Psychischen Wirklichkeit in absolutem Sinn, der Körperwelt aber nur in relativem Sinn zukommt, als bloßer Erscheinung.

Hier möchte ich aber noch mit ein paar Strichen die geschichtliche Entwickelung der Theorie des Parallelismus andeuten. Daß sie von Spinoza zuerst in ihren allgemeinen Zügen ausgeprägt worden ist, wurde schon oben (S. 60) bemerkt. Leibniz hat sie ins Idealistische umgebogen, wozu Spinoza, troß mancher Anläufe, sich nicht entschließen konnte: die Darstellung der Wirklichkeit als Körperwelt blos ein phaenomenon in der sinnlichen Vorstellung, während der Verstand das wirklich Wirkliche erkennt als ein System von seelenartigen Wesenheiten (Monaden). Leibniz hat noch zwei weitere Vorzüge: er

hat den Begriff des unbewußten seelischen Vorgangs eingeführt, womit der universelle Parallelismus eigentlich erst durchführbar wird; und er vermeidet Spinozas falsche Verwendung des Parallelismus der Attribute zur Lösung der erkenntnistheoretischen Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sein. — Kant bleibt mit seiner metaphysischen Weltanschauung im Grunde auf dem Boden der Leibnizischen Metaphysik stehen, doch führt ihn seine auf die Begründung eines erkenntnistheoretischen Rationalismus gerichtete kritische Untersuchung dazu, auch die psychische Seite des Wirklichen zur bloßen Erscheinung herabzusetzen, so daß wir hier auf einen rein phänomenalistischen Parallelismus kämen und nun folgende Reihe hätten: bei Spinoza beide Seiten real, bei Leibniz die geistige Seite real, die materielle phänomenal, bei Kant beide Seiten phänomenal. In der spekulativen Philosophie dringt alsbald die auch bei Kant als Unterströmung vorhandene idealistische Metaphysik wieder durch. Schopenhauer giebt der parallelistischen Anschauung eine bedeutsame Wendung, indem er die Innenseite der Wirklichkeit als Wille bestimmt: die Körperwelt nur die Erscheinung desselben, was im Selbstbewußtsein als das, was es eigentlich ist, als Wille, sich darstellt. In unserer Zeit hat Fechner, mit Anlehnung an Schelling und Spinoza, die parallelistische Theorie wieder rein naturphilosophisch entwickelt und sie seiner universellen psycho-physischen Betrachtung zu Grunde gelegt. In denselben Spuren bewegt sich Wundt, nur daß bei ihm die erkenntnistheoretische Reflexion die idealistische Grundanschauung stärker hervortreten läßt. Unter den Psychologen der Gegenwart, die von dieser Anschauung ausgehen, nenne ich Höffding (Psychologie in Umrissen, 2. Aufl. 1893), Jodl (Lehrbuch der Psych., 1896), Ebbinghaus (Grundzüge der Psychologie, 1897).

Als Gegner der parallelistischen Ansicht und Anhänger der Wechselwirkung mögen Sigwart, Mach, Stumpf genannt sein. Kürzlich ist die parallelistische Theorie einer ausführlichen Kritik von Fr. Erhardt (die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele, 1897) unterzogen worden. Ich kann nicht finden, daß ihre Widerlegung ihm gelungen ist; in der Form, in der sie hier, in der sie jezt in der Regel behauptet wird, der idealistischen, wird sie von seiner Kritik überhaupt nicht getroffen. Sind Körper Erscheinungen, so können sie natürlich mit dem, was erscheint, nicht in Wechselwirkung stehen. Aber auch wenn man sich auf

den realistischen Standpunkt stellt, scheint es mir die Maxime der naturwissenschaftlichen Forschung bleiben zu müssen: physische Vorgänge sind aus physischen Ursachen zu erklären, und andererseits: sie können nur Wirkungen haben, die der physischen Welt angehören. Sind psychische Vorgänge als solche nicht in der äußerlichen Anschauung darstellbar, so sind sie für den Physiker als solchen nicht vorhanden, und er wird sich sträuben, sie dem Kausalzusammenhang einzureihen. Sind sie aber auch in der sinnlich wahrnehmbaren Welt vorhanden, als irgend welche physischen Vorgänge oder Zustände, so wird er sich lediglich an diese Seite ihres Daseins halten. Der Sat: alles, was in der physischen Welt wirkt, ist, mit seinen Ursachen und Wirkungen, als Glied in der Welt der sinnlichen Anschauung vorhanden, scheint mir eine unaufgebbare Voraussetzung aller physischen Forschung. Es ist dies das Stück, worin der Materialismus recht hat, man könnte ihn den Grundsay des formalen oder kritischen Materialismus nennen. Giebt es in der physischen Welt Wirkungen von Ursachen, die rein psychischer Natur sind und umgekehrt, so stehen wir prinzipiell auf dem Boden des Spiritismus: es giebt Wirkliches, das auf keine Weise physisch ist, aber doch Wirkungen in der physischen Welt haben kann. Zwischen diesen beiden Ansichten scheint es mir kein Mittleres zu geben. Der Dualismus mit zwei heterogenen Wirklichkeitselementen, rein physischen und rein psychischen, die einen einheitlichen Naturzusammenhang bilden, mag an sich möglich sein; was ich hier allein behaupte ist dies: die Naturforschung kann sich schwerlich damit befreunden, sie wird immer dem Materialismus den Vorzug geben. Und so wird es der Philosoph thun, nur daß er dem Materialismus, mit Kant, ein Vorzeichen giebt: diese ganze physische Wirklichkeit nur Erscheinung.

5. Die Konsequenzen der parallelistischen Theorie. Allbeseelung. Zwei Säße sind mit der Theorie des Parallelismus gegeben: 1. Physische Vorgänge sind niemals Wirkung psychischer; und 2. psychische Vorgänge sind niemals Wirkung physischer Vorgänge.

Mit dem ersten Sah ist gesagt: der lebende Körper ist ein Automat. Er unterscheidet sich von einer Maschine durch die unendliche Komplikation seiner Zusammenseßung; aber alle seine Leistungen sind zuleßt aus denselben Grundkräften zu erklären, mit denen der Naturforscher

überhaupt arbeitet. Es giebt hier keine Ausnahmen; auch die kompliziertesten Bewegungen lebender Körper, auch die sinnreichsten Arbeiten und Handlungen des Menschen sind ohne alle Rücksicht auf seelische Vorgänge lediglich als physische Reaktionen eines solchen und so disponierten körperlichen Systems auf solche physischen Reize anzusehen. Ein Hund verfolgt einen Hasen, er wird durch die Witterung und das Gesicht gleichsam angezogen. Die Bewegung ist rein physisch zu erklären, nicht anders wie die Bewegung der Sonnenblume, die dem Licht sich zuwendet, oder des Planeten, der um die Sonne rotiert; die Wirkung und Gegenwirkung ist komplizierter, aber sie liegt dort wie hier rein in der physischen Welt und ist mit den Mitteln der physischen Wissenschaften zu konstruieren. Ein Schriftsteller schreibt ein Buch, ein Baumeister baut mit hundert Arbeitern ein Haus, ein Feldherr schlägt mit hunderttausend Soldaten eine Schlacht: der vollkommene Physiolog würde alle diese Vorgänge als physisch bedingte aus der Konstitution dieser Körper, dieser Nerven- und Muskelsysteme, und andererseits der Natur der einfallenden Reize konstruieren. Er würde uns den Verfasser der Kritik der reinen Vernunft als eine Art Uhrwerk demonstrieren; bei dieser Disposition der Gehirnzellen, ihrer Verbindungen unter einander und mit motorischen Nerven, mußten solche auf die Nezhaut, auf die Tastnerven der Finger wirkende Reize solche Bewegungen veranlassen, prinzipiell nicht anders wie bei einem Schreibautomaten oder einer Spieldose. Von Gedanken und dergleichen wäre bei jener Demonstration garnicht die Rede; der Physiolog könnte darum wissen, daß auch so etwas stattfindet, aber für seine Demonstration würde er davon keinen Gebrauch machen wollen und dürfen, Gedanken können so wenig die Finger bewegen, als sie den Mond aus seiner Bahn zu lenken vermögen. Es ist nicht zu erwarten, daß jener Physiolog einmal kommt; das Spiel der Gehirnmoleküle, welches die Gedankenarbeit der Kritik der reinen Vernunft begleitete, wird nie seinen Newton finden; aber allerdings wäre zu behaupten: lediglich dieses Spiel, und nicht die Gedanken, sind Ursache der Bewegungen, durch welche die Schriftzeichen auf das Papier gebracht werden.

Aber das ist ja Unsinn, wird der gesunde Menschenverstand sagen, und vielleicht wird nun auch der eine oder andere Physiolog mit ihm irre: das kann ja kein Automat leisten; das kann nicht ohne Denken

und Absicht erklärt werden. — Nun, dann muß man sich deutlich machen, daß man damit zu der Theorie der Wechselwirkung zurückkehrt und dann also auch jene Schwierigkeiten in den Kauf nehmen muß: die Entstehung von Bewegung aus etwas, was physisch überhaupt nicht da ist, und ebenso die Umwandlung von Bewegung in rein Geistiges. Entweder — oder; es giebt hier kein Mittleres.

Was aber die Unfähigkeit des Körpers zu solchen „automatischen“ Leistungen anlangt, so kann man darauf mit Spinoza antworten: bisher hat noch niemand die Grenze dessen gefunden, was der Körper als solcher leisten könne. Er weist auf die Nachtwandler hin, die ohne Bewußtsein und Gedanken die kompliziertesten Bewegungen ausführen. Heute hätte er vielleicht auf die hypnotischen Vorgänge hingewiesen, etwa auf die posthypnotische Wirkung der Suggestion. Einer Person wird im hypnotischen Schlaf der Auftrag gegeben, morgen Mittag um zwölf Uhr in ein bestimmtes Haus zu gehen und mit dem Taschentuch zum Fenster hinaus zu winken. Sie weiß nichts von dem Auftrag, sie hat keine Erinnerung an das, was im hypnotischen Zustand mit ihr vorging, aber wenn die Stunde da ist, macht sie sich auf den Weg und vollzieht den Auftrag. Wie anders läßt sich der Vorgang konstruieren, als das man annimmt, die Worte des Hypnotiseurs haben dem Gehirn eine bestimmte Disposition gegeben, und nun wird durch den Glockenschlag die Reihe von Bewegungen ausgelöst, nicht anders wie die Bewegungen der Weckeruhr, wenn der Zeiger die eingestellte Stunde überschreitet. Daß unendlich viel kompliziertere Auslösungen stattfinden können, als wir mit unseren Maschinen erreichen, ist nicht überraschend. Mit den fünfhundert oder tausend Millionen Zellen der Hirnrinde, die alle wieder aus ungezählten, überaus komplizierten und verschiedenartigen chemischen Molekülen zusammengesezt und durch zahllose Leitungsbahnen mit einander verbunden sind, wird sich ja etwas ganz anderes machen lassen, als mit den paar Rädern und Hebeln unserer Maschinen, und wenn in Wirklichkeit unsere Physiologen damit noch so gut wie gar nichts machen können, so ist doch der Phantasie damit ein grenzenloser Spielraum eröffnet. — Das muß man übrigens auf alle Fälle sich deutlich machen: wenn die Seele bei jenen Vorgängen als Ursache beteiligt ist, so ist sie es doch nicht durch ihre Erkenntnis; sie bewirkt die Bewegungen, z. B. der Finger des

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