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Erklärungsprinzip; der Physiker als solcher weiß nichts von ihrem Dasein, er fällt von seiner Wissenschaft ab, wenn er, wie es die Schulphilosophie that, Ernährung, Wachstum, Bewegung des Leibes von ihr herleitet.

Die Kehrseite der mechanistischen Physik und Physiologie ist eine rein spiritualistische Psychologie: können Vorgänge des leiblichen Lebens nicht aus der Thätigkeit der Seele erklärt werden, so ist die Erklärung des Denkens aus physischen Vorgängen natürlich ebenso unmöglich; Bewegung bewirkt Bewegung, aber sie kann niemals einen Bewußtseinsvorgang zur Wirkung haben; sie müßte sonst in ihm verschwinden, das heißt aufhören, physisch da zu sein. Das ist gegen das erste Axiom der Physik. Da aber andererseits die Wirklichkeit des Denkens nicht bezweifelt werden kann, vielmehr das gewisseste ist, das es überhaupt giebt, so ist es notwendig, hierfür ein eigenes, vom Körper völlig verschiedenes Prinzip anzunehmen, das ist der Geist (mens). So beginnt die moderne Philosophie, ausgehend von der mechanistischen Physik, mit der schroffsten Formulierung des Dualismus, worin ihr denn übrigens, freilich von ganz anderen Voraussetzungen ausgehend, auch die scholastische Philosophie mit der Lehre von rein spirituellen Substanzen vorangegangen war.

Aber der Dualismus ist nicht das letzte Wort der modernen Philosophie. Ja, der auf die Spize getriebene Dualismus schlägt gleichsam von selbst in Monismus um. Man kann den Punkt genau bezeichnen, von wo der Druck, der zum Monismus führt, ausgeht; es ist die Frage nach dem Verhältnis dieser beiden Arten des Wirklichen zu einander. Es bleibt eine Thatsache, daß zwischen Vorgängen im Körper und in der Seele regelmäßige Beziehungen stattfinden; den willkürlichen Bewegungen entsprechen Gefühls- und Willenserregungen, den Erregungen der Sinneswerkzeuge entsprechen Empfindungen und Wahrnehmungen. Wie ist das Verhältnis zu konstruieren, wenn es, nach den Prinzipien der neuen mechanistischen Physik, nicht mehr als Wechselwirkung gedacht werden kann? Hierauf giebt Spinoza die Antwort: dann muß man es als Identität bestimmen. Körper und Seele sind nicht absolut verschieden, sie sind vielmehr eben dasselbe Ding von zwei Seiten gesehen; ein Bewegungsvorgang und ein Bewußtseinsvorgang sind im Grunde derselbe Vorgang, das eine Mal

von außen, das andere Mal von innen gesehen. Und dies Verhältnis geht durch die ganze Wirklichkeit hindurch. Die Wirklichkeit, die ein einziges einheitliches Wesen, eine Substanz bildet, nennen wir sie Natur oder Gott, entfaltet ihren Wesensinhalt unter zwei Gestalten, in der Gestalt einer Körperwelt (sub attributo extensionis), und der Gestalt einer Bewußtseinswelt (sub attributo cogitationis). Von hieraus wird nun jene Thatsache der regelmäßigen Beziehung ohne Wechselwirkung begreiflich; zwischen der physischen und psychischen Welt findet ein Parallelismus statt, in der Art, daß jeder Zustand oder Vorgang (modus) in beiden vorkommt: was in der Körperwelt als Bewegung (modus extensionis) vorkommt, das erscheint andererseits in der Bewußtseinswelt als Empfindung oder Vorstellung (idea, modus cogitationis). Von Wechselwirkung ist dabei natürlich nicht die Rede: neben einander, nicht durch einander sind die beiden Arten von Vorgängen. Jede der beiden Welten, die physische und die psychische, bildet einen in sich geschlossenen Kausalzusammenhang. Und zwar ist der Parallelismus ein universeller: es giebt schlechterdings keinen Bewußtseinsvorgang, dem nicht ein Bewegungsvorgang entspräche, aber auch umgekehrt: es giebt schlechterdings keinen Bewegungsvorgang in der Natur, dem nicht ein Bewußtseinsvorgang entspräche. Alle Dinge, so drückt Spinoza diese Konsequenz einmal aus, sind beseelt, omnia quamvis diversis gradibus animata. Die zugehörige Umkehrung lautet: alle Seelen sind inforporiert.

Die Metaphysik, die Spinoza in den wenigen kurzen Säßen der Ethik umrissen hat, kann dem, der die Entwickelung des modernen Denkens im Ganzen überschaut, als die vorweggenommene Lösung der Aufgabe erscheinen. Mehr und mehr gravitieren die Gedanken gegen diese Anschauungsweise, am sichtbarsten in der Philosophie, neuerdings nähern sich ihr aber auch die Physiologen und Biologen, freilich nicht selten, ohne die Konsequenzen deutlich zu sehen.

Es wird dies in der Folge weiter auszuführen sein. Hier möchte ich nur auf eines noch aufmerksam machen: es kann ein solcher parallelistischer Monismus nach zwei Seiten umgebogen werden, nach der Seite des Materialismus und nach der des Idealismus. Den Naturforschern, deren Aufmerksamkeit der Körperwelt zugewendet ist, liegt die erste Umbiegung nahe. Man kann Hobbes als ihren philo

sophischen Führer ansehen. Bei den Philosophen ist die Umbiegung im Sinne des Idealismus gewöhnlich. Leibniz geht diesen Weg: gewiß sind Ausdehnung und Bewußtsein die beiden großen Formen des Daseins; aber nicht in gleicher Weise sind sie Ausdruck des Wesens der Wirklichkeit, die geistige Welt ist der eigentlichen Natur des Wirklichen näher. Die lezten Elemente der Wirklichkeit, die Monaden, sind an und für sich Wesen von seelischer Natur; Begehren und Empfindung sind ihre ursprünglichen Bestimmungen, Ausdehnung ist eine sekundäre und zufällige Bestimmung, eine Erscheinungs-, aber nicht eigentlich eine Seinsweise des Wirklichen.

Auf dieselbe Umbiegung wird gleichzeitig Berkeley durch die erkenntnistheoretische Betrachtung geführt: das Wesen des Körpers läßt sich in Wahrnehmungsinhalte auflösen. Diese Betrachtung dringt, mit dem zunehmenden Gewicht der Erkenntnistheorie, immer mehr durch; sie liegt der deutschen Philosophie, seitdem ihr Kant die kritische Reflexion auf die Natur der Erkenntnis aufgezwungen, durchweg zu Grunde: die Körperwelt ist Erscheinungsform desselben Wirklichen, das in der geistigen Welt sein eigentliches Wesen offenbart. Hierin kommen einander so fremde, ja feindselige Denker, wie Hegel, Schopenhauer, Beneke zusammen. Einen parallelistischen Monismus mit idealistischem Vorzeichen, so etwa könnte man die in der Philosophie seitdem herrschende Metaphysik bezeichnen. Daneben giebt es freilich, besonders in den Kreisen der Naturforschung, auch den Monismus mit materialistischem Vorzeichen. Und der reine Erkenntnistheoretiker bleibt am liebsten auf dem Standpunkte stehen, über den auch Kant nicht hinaus will: Körperwelt und Bewußtseinswelt verschiedene Erscheinungsformen des an sich Wirklichen, das wir nicht erkennen, aber als einheitliches und gleichartiges voraussehen können. Das wäre der Standpunkt des agnostizistischen Monismus, auf den sich auch Herbert Spencer stellt.

Nach dieser historischen Orientierung treten wir in die sachliche Erörterung des Problems ein. Ich will dabei von einer Darstellung und Kritik der materialistischen Auffassung, die sich selber gern als die eigentlich wissenschaftliche, als das Ergebnis der modernen Naturwissenschaft darstellt, ausgehen.

2. Der Materialismus und seine Begründung.*)

Mit dem Namen des Materialismus wird hier also diejenige ontologische Theorie bezeichnet, die auf die Frage nach der Natur des Wirklichen antwortet: das Seiende als solches ist Körper, seine Bestimmungen sind Ausdehnung und Undurchdringlichkeit; seine erste und eigentliche Bethätigungsform ist Bewegung. Aus diesen Prinzipien können und müssen alle Vorgänge in der Wirklichkeit erklärt werden, im besonderen auch die sogenannten Bewußtseinsvorgänge.

Der lehte Punkt, die Zurückführung der psychischen Vorgänge auf physische, ist die eigentliche These des Materialismus. Sie wird von ihm etwa in folgender Weise begründet.

Es ist eine durch die Erfahrung gegebene Thatsache, daß psychische Vorgänge nur in engster Verbindung mit gewissen physischen Vorgängen überhaupt vorkommen. So viel wir wissen können, sind nur organische oder vielmehr nur tierische Körper Träger der Bewußtseinsvorgänge, im besonderen erscheinen diese an die Thätigkeit des Nervensystems geknüpft. Hieraus folgt, daß die Wissenschaft in der Besonderheit dieser Körper die Ursache jener Vorgänge suchen muß: seelische Vorgänge sind als eine Funktion des Nervensystems aufzufassen.

Der gewöhnliche Menschenverstand zog aus derselben Thatsache eine andere Folgerung; er folgerte, wie im vorigen Kapitel ausgeführt ist: also ist in den Tieren ein besonderes Etwas, eine Kraft oder ein Wesen, das diese Vorgänge bewirkt. Das ist die Auskunft, so sagt der materialistische Philosoph, auf die das vorwissenschaftliche Denken überall fällt; wo ihm eine Gruppe von eigentümlichen Erscheinungen entgegentritt, da nimmt es zu ihrer Erklärung eine besondere Kraft oder ein Wesen an. So führt das primitive Denken die Erscheinungen des Gewitters auf einen Donnergott, der im Himmel seinen Sig hat,

*) Eine geschichtliche Darstellung der materialistischen Philosophie giebt das vortreffliche Werk von F. A. Lange, Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart, 2 Bde., 5. Aufl. 1896. Der Leser findet hier umsichtigste geschichtliche Aufklärung über Wesen und kulturhistorische Entwickelungsbedingungen des Materialismus. Seine Beziehungen zu den Naturwissenschaften, zu Theologie und Kirche, sowie zur Gesellschaft und ihren Bestrebungen werden allseitig dargelegt. Eine Biographie des trefflichen Mannes ist kürzlich von O. A. Ellissen (1891) veröffentlicht worden.

die Erscheinungen der Krankheit auf einen Krankheitsstoff zurück. Ihm folgend, erklärte eine lange herrschende Naturphilosophie das Steigen des Wassers in der Brunnenröhre aus einem horror vacui, die Vorgänge des organischen Lebens aus einer besonderen Lebenskraft. Und nach demselben Schema werden nun auch die Bewußtseinsvorgänge als Äußerungen eines besonderen Prinzips, der Seele, erklärt. Natürlich ist damit auch hier nichts gewonnen; Seele ist nichts als eine vis occulta, eine ad hoc angenommene, im übrigen unbekannte Kraft oder Wesenheit, ebenso wie der horror vacui. Das Denken aus einer Seele erklären, ist ganz dasselbe, wie mit den gelehrten Doktoren der Schule beim Molière die Thatsache, daß Opium einschläfert, daraus erklären, daß eine Schlaf machende Kraft darin sigt.

Die wissenschaftliche Forschung, so fährt der Materialismus fort, unterscheidet sich von der vorwissenschaftlichen Denkweise dadurch, daß sie die Erscheinungen nicht aus Wesen und Kräften, sondern aus anderen vorangehenden und gleichzeitigen Erscheinungen erklärt. Erklären heißt in der Naturwissenschaft: das Gesetz angeben, nach dem diese Erscheinung mit anderen Erscheinungen verknüpft ist, so daß ihr Eintreten aus dem Eintreten der anderen vorhergesehen werden kann. So erklärt die wissenschaftliche Meteorologie das Gewitter, indem sie diese Erscheinung einer größeren Gruppe gleichartiger Erscheinungen einfügt, d. h. den Bliz als elektrischen Funken erkennt, und nun die Bedingungen seiner Entstehung, d. h. die Vorgänge, welche der elektrischen Spannung und Entladung in der Atmosphäre vorangehen und sie be= gleiten, aufsucht.

Dieselbe Aufgabe hat die Wissenschaft mit Bezug auf die Bewußtseinsvorgänge: sie hat die regelmäßig vorangehenden und begleitenden Erscheinungen zu suchen, um so den naturgeseßmäßigen Zusammenhang dieser Erscheinungen zu bestimmen. Die begleitenden und vorangehenden Erscheinungen sind nun eben, wie die Erfahrung zeigt, physiologisch, Vorgänge im Gehirn und Nervensystem. Demnach ist die Aufgabe der Wissenschaft, an Stelle der Pseudowissenschaft „Psychologie“ mit ihren vorwissenschaftlichen Prinzipien „Seele“ und „Seelenkräften“, auch hier die naturwissenschaftliche Erklärung durchzuführen: wissenschaftliche Psychologie ist Physiologie.

Das wäre das formelle Prinzip. Was nun die Sache anlangt,

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