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Erstes Kapitel.

Das ontologische Problem.

1. Zur geschichtlichen Orientierung.

Der Ausgangspunkt alles Philosophierens ist die gemeine Meinung; das gilt von der Entwickelung des Denkens in der Gesamtheit, wie im einzelnen Individuum. In einer zur Einführung in die Philosophie bestimmten Schrift wird es daher zweckmäßig sein, von ihr auszugehen.

Auf die Frage nach der Natur des Wirklichen als solchen wird die gemeine Vorstellung zunächst mit der Hinweisung auf die sichtbaren und greifbaren Dinge antworten: die Körperwelt ist das Wirkliche. Dennoch ist sie nicht eigentlich materialistisch; der Materialismus ist erst ein Erzeugnis des wissenschaftlichen Nachdenkens. Jene kennt neben den Körpern noch ein Wirkliches von anderer Art, die Seele. In den lebenden Körpern ist etwas, das nicht Körper, wenigstens nicht eigentlich Körper ist. Es giebt wohl keine Sprache, die nicht ein Wort hat für das, was wir Seele nennen, und damit diesem Etwas Wirklichkeit und Wesenheit zuerkennt. Den Ursprung der Vorstellung von der Seele als einem besonderen Wesen wird man etwa in folgenden Thatsachen zu suchen haben. Unter den Körpern tritt ein wichtiger und in die Augen fallender Unterschied hervor, der Unterschied von lebenden und leblosen Körpern. Jene bewegen sich durch den eigenen Willen, diese dagegen können sich nicht von selbst bewegen, sondern bedürfen des Anstoßes von außen. Die Ursache dieses Unterschiedes, so folgert die Meinung, muß darin liegen, daß in den lebendigen Körpern ein Etwas ist, das will und bewegt, empfindet und fühlt; das ist die Seele.

Daß aber diese ein besonderes, selbständiges Wesen und nicht eine bloße Kraft oder Eigenschaft ist, darauf führt eine andere Thatsache,

die auf die primitive Gedankenbildung überhaupt einen tiefgehenden Einfluß übt: die Erscheinung des Todes. Mit dem Tode verliert der lebende Körper jenen Vorzug vor den leblosen Körpern, er wird fühllos und bewegungslos. Wie kommt das? was hat sich im Tode zugetragen? Der Körper ist noch derselbe, wie im Augenblick vorher; er ist äußerlich unvermindert und unverändert, nur die eigene Bewegung fehlt. Es muß also, das ist die nahe liegende Folgerung, das Bewegende, die Seele, ihn verlassen haben. Sie ist also unkörperlich, sonst müßte ihr Verlust sichtbar sein, und sie ist ein selbständiges Wesen; sie beweist es eben dadurch, daß sie von dem Leibe sich trennt und zu existieren fortfährt. Denn hierin stimmt die Erfahrung aller Völker überein, daß die Seele nicht im Tode untergeht; sie kann noch erscheinen und wirken. Wohin die Anthropologie blickt, tritt ihr der Totenkult entgegen, ein sicherer Beweis des Glaubens an Dasein und Fortleben der abgeschiedenen Seele. Um das Nichtseiende giebt sich niemand Mühe. Übrigens ist auch während des Lebens zeitweilige Trennung der Seele vom Leibe eine auf primitiver Kulturstufe gewöhnliche Vorstellung. Im Schlaf liegt der Leib auch bewegungslos da; aber die Seele ist nicht unthätig, sie sieht, hört, fühlt und erlebt manchmal er= staunliche Dinge. Sie träumt, sagen wir; die primitive Vorstellung aber deutet diese Thatsache anders: die Seele verläßt im Schlaf den Leib und wandelt eigene Wege, wobei ihr denn eben das zustößt, was sie nach unserer Ausdrucksweise träumt.

Was nun das Wesen der Seele nach der primitiven Vorstellung anlangt, so läßt es sich etwa so bestimmen: sie ist ein hauchartiges Wesen, sichtbar, aber nicht greifbar, von der Gestalt des Leibes, wie sein bleibender substantieller Schatten. Der Zusammenhang des Lebens mit dem Atem ist offenbar der Anlaß, daß in so vielen Sprachen die Seele als Hauchwesen (yvzý, animus) bezeichnet wird. Seiendes Bildnis oder seiende Sichtbarkeit des Leibes, ohne Körperlichkeit, ohne Undurchdringlichkeit und Schwere, so könnte man sie definieren. So beschreibt Homer die abgeschiedenen Seelen oder Geister, so malt sie der mittelalterliche Maler, so stellt sie auch heute noch die Gespensterfurcht vor. Dabei fehlt ihnen nicht die Fähigkeit zu spukhafter Wirksamkeit und vor allem ein, wenn auch verändertes und herabgesettes, Innenleben mit Erinnerung und Gefühl.

Wollte man die ontologische Auffassung der gemeinen Meinung klassifizieren, so müßte man sie als einen vagen Dualismus bezeichnen. Die Körper sind das eigentlich Wirkliche, daneben giebt es aber jenes Wirkliche zweiter Ordnung, körperartige Wesen ohne eigentliche Körperlichkeit, die sowohl in den Körpern als wirksame Kraft sich bethätigen, als auch für sich als abgeschiedene Geister existieren.

Die philosophische Auffassung der Wirklichkeit ist, wie schon bemerkt, überall durch das Streben zum Monismus gekennzeichnet; die Wirklichkeit aus einem Prinzip abzuleiten, die mannigfachen Formen des Seienden auf eine Urform zurückzuführen, das ist ein Grundtrieb des philosophischen Denkens. Zwei Formen des ontologischen Monismus ergeben sich, jenachdem man von den Thatsachen der äußeren, sichtbaren Welt oder der inneren Welt ausgeht: Materialismus und Spiritualismus. Jener behauptet: Körper oder Bewegungen sind die Urform des Wirklichen, aus ihnen sind auch die Thatsachen des Wahrnehmens, Denkens und Wollens zu erklären. Der Spiritualismus oder Idealismus dagegen behauptet: die Thatsachen des Innenlebens, wie sie im Selbstbewußtsein sich darstellen, sind das erste und eigentliche Wirkliche; Gedanken kann man nicht als Produkt der Materie, wohl aber umgekehrt die Materie als Produkt des Denkenden konstruieren; die Körperwelt ist Erscheinung.

Am Eingange der griechischen Philosophie treten uns die beiden ontologischen Theorien in einem Paar kraftvoller und kühner Denker entgegen, in Demokrit und Plato. Jener führt alles Wirkliche auf die Atome und das Leere zurück. Kleinste, unteilbare, aber ausgedehnte Körper sind die Urbestandteile der Wirklichkeit, aus ihrer Bewegung lassen sich alle Naturvorgänge erklären, die himmlischen wie die irdischen, und unter diesen auch die Lebenserscheinungen mit Einschluß des Wahrnehmens und Denkens. Plato dagegen hat den Mut, als der erste im Abendlande den Gedanken zu Ende zu denken: die Körper sind nicht nur nicht das eigentlich Wirkliche, sondern sie sind eigentlich überhaupt nicht wirklich, nicht an sich wirklich, sie sind Erscheinungen eines andern. Das an sich Wirkliche ist geistiger Natur, die Welt ist an sich selbst ein System seiender Gedanken (Ideen). Im begrifflichen Denken erfaßt der Geist dieses wahrhaft Wirkliche, während die sinnliche Vorstellung an den nicht

seienden, sondern werdenden und vergehenden, durch den Raum verstreuten Nachbildern der Ideenwelt, den förperlichen Dingen oder Erscheinungen klebt.

Aristoteles nähert sich wieder mehr der gemeinen Vorstellung. Wie er in der Erörterung philosophischer Probleme oft von ihrer Darstellung im Sprachgebrauch ausgeht, so kehrt er auch mit seiner Entscheidung gern zu ihr zurück; er liebt nicht die schroffen und einseitigen Gedanken, wie sie den großen einsamen Denkern zusagen. Seine Philosophie hat die starken und schwachen Seiten einer Vermittlungsphilosophie. Seine Ontologie ist ein zum Idealismus neigender Dualismus. Am Anfang des zweiten Buches seines Werks über die Seele erklärt er ihr Wesen: sie ist die Form eines organischen Körpers. Die Erklärung erinnert an die Vorstellung der gemeinen Meinung. Ihr Sinn ist allerdings ein tieferer; die Seele ist nicht der Schattenriß des Leibes, nicht die äußere stereometrische, sondern die innere, funktionelle Form ist gemeint: das wirkende und gestaltende Lebensprinzip. Alles das, wodurch sich ein lebender Organismus von einem leblosen Körper unterscheidet, ist Thätigkeit der Seele: Entwickelung, Stoffwechsel, spontane Bewegung, Empfindung, Begehren, Denken und vernünftiges Wollen. Aus den Stoffteilen, aus denen ein organischer Körper besteht, lassen sich seine Funktionen nicht ableiten, sie sind die Bethätigung eines besonderen Lebensprinzips, das ist die Seele; sie macht den Körper erst zu dem, was er ist. Die Materie bietet bloß die Möglichkeit des Lebens, wie das Holz die Möglichkeit eines Bogens, der Marmor die Möglichkeit eines Bildwerks bietet; aber erst die Form macht aus dem möglichen Bildwerk das wirkliche. So macht die Seele aus organischer Materie den lebenden Leib. Man sieht, von den beiden Prinzipien ist die Form das wesentliche, der Stoff das zufällige und sekundäre; jene ist das eigentliche Was des Dinges, diese das Woraus. An sich ist die Materie überhaupt unbestimmte und unfaßbare Möglichkeit; erst durch die Form wird sie zu einem bestimmten, gestalteten, faßbaren Wirklichen. Und im Gedanken Gottes, der keine Möglichkeit, sondern reine Form, nämlich reines Denken ist, wird zuleht die Materie überhaupt aufgehoben, ohne daß aber doch mit diesem Gedanken nun so entschieden Ernst gemacht würde, wie es Plato that. Es

giebt keine Philosophie, die der gemeinen Vorstellung mehr entgegen. käme, als diese Erklärung aller Dinge aus Form und Stoff, aus Kraft und Möglichkeit. Die Schroffheit des platonischen Idealismus ist darin so weit abgeschwächt, daß der gesunde Menschenverstand ihn erträgt. Man wird annehmen dürfen, daß ihre Tauglichkeit zur Schulphilosophie, die sie durch lange Jahrhunderte bewährt hat, hiermit zusammenhängt.

Die moderne Philosophie wandelt auf den Pfaden, welche die großen griechischen Denker gebahnt haben: Dualismus, Materialismus, Spiritualismus sind die wiederkehrenden Grundformen.

Sie beginnt bei Cartesius mit der schärfsten Zuspigung des Dualismus: Körper und Seele zwei völlig unvergleichliche Formen des Wirklichen, Körper ein Wesen, dessen einzige Bestimmtheit die Ausdehnung, Seele ein Wesen, dessen einzige Bestimmtheit das Denken oder die Bewußtheit ist. Corpus res extensa, mens res cogitans, das sind die beiden der ganzen Cartesianischen Philosophie zu Grunde liegenden Definitionen.

Der neue Begriff des Körpers ist der frühere. Durch Galilei war der Naturwissenschaft eine neue Grundanschauung zugeführt worden: Bewegung entsteht und vergeht nicht; wie ein ruhender Körper ohne Einwirkung von außen in Ruhe bleibt, so behält ein bewegter Körper seine Bewegung mit gleicher Richtung und Geschwindigkeit ins Unendliche bei. Die aristotelische Schulphilosophie des Mittelalters hatte zwar die Körper selbst im natürlichen Lauf der Dinge nicht entstehen und vergehen lassen, an dem Verschwinden von Bewegung dagegen keinen Anstoß genommen, so wenig es der gesunde Menschenverstand thut, zeigt es doch die alltäglichste Erfahrung; und so mag denn wohl auch Bewegung, die vorher nicht vorhanden war, etwa durch Thätigkeit der Seele, ursprünglich entstehen. Descartes eignet sich die neue Galileische Anschauung an; das Quantum der Bewegung, so formuliert er sie, ist im Universum konstant, es findet weder Vermehrung noch Verminderung, sondern lediglich Übertragung statt, und zwar nur bei Berührung, d. h. durch Druck oder Stoß. Damit ist das Axiom gegeben; alle Naturvorgänge sind ohne Ausnahme durch Druck und Stoß zu erklären, auch die Lebensprozesse im organischen Körper; die Physiologie ist Mechanik der Lebensvorgänge. Die zugehörige negative Formel ist: die Seele ist kein naturwissenschaftliches

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