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auch in seiner Person die Unzulänglichkeit der menschlichen Kraft zur Erreichung des Zieles darzustellen, oder zu zeigen, daß der Menschen= geist auf dem Wege der Forschung nicht ans Ende der Dinge gelangt, und daß auch Glaube und Dichtung ihr Recht haben. Andererseits hätte er die Aufgabe, den Einfluß der wissenschaftlichen Forschung auf die Weltanschauung zu vermitteln. Unterbleibt dies, bleibt die wissenschaftliche Forschung in ihrer Vereinzelung, fehlt es an einer ernsthaften Philosophie, so wird bald mit dem Spezialismus der Obskurantismus das Feld beherrschen. Und damit wären wir bei dem, was Kant einmal im Unterschied vom Schulbegriff den Weltbegriff der Philosophie nennt: Philosophie die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft“.

Das Wesen aber des Philosophen, das was den Forscher zum Philosophen macht, hat Goethe, der Dichter-Philosoph von Gottes Gnaden, im Tasso gezeichnet:

Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;
Was die Geschichte reicht, das Leben giebt,
Sein Busen nimmt es gleich und willig auf;
Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüt,
Und sein Gefühl belebt das Unbelebte.

3. Einteilung und Grundprobleme der Philosophie.

Man kann alle möglichen wissenschaftlichen Untersuchungen unter drei Gesichtspunkte bringen: sie betreffen entweder die Natur des Wirklichen, oder die Form des Erkennens, oder die dem Handeln ge= stellten Aufgaben.

So kommt man auf die alte, in der späteren griechischen Philosophie übliche Einteilung der Wissenschaften in Physik, Logik und Ethik: Physik die Wissenschaft von der Natur der Dinge, Logik die Wissenschaft, die das Erkennen selbst nach Seiten der Form zum Gegenstand hat, Ethik die Wissenschaft von den Gütern und Werten, von den Aufgaben des Handelns und den Prinzipien des Urteilens.

In der That sind hiermit die lezten Orte wissenschaftlicher Überlegungen überhaupt bezeichnet. Die Namen freilich haben zum Teil eine Verschiebung ihrer Bedeutung erlitten. Nur das Wort

Ethik brauchen wir auch heute noch in seinem alten Sinn. Dagegen haben die beiden andern eine engere Bedeutung angenommen. Mit dem Namen Logik bezeichnen wir jezt gewöhnlich nur die Untersuchung gewisser formaler Verhältnisse des begrifflichen Denkens. Die allgemeinsten Erwägungen über Natur, Bedeutung und Ursprung des Erkennens pflegen wir unter dem Titel der Erkenntnistheorie zu behandeln.

Noch mehr ist die Bedeutung des Namens Physik ins Enge gezogen. Bei den Griechen ist Physik die Wissenschaft von der Natur der Dinge überhaupt, zu ihr gehört auch die Erkenntnis der organischen Welt und des Seelenlebens. Wir haben zunächst aus dem Begriff der Natur die geistige Welt ausgeschlossen; die Physik oder Naturlehre hat es lediglich mit der körperlichen Natur zu thun. Neben ihr steht die Psychologie als die Wissenschaft von der Natur des seelischen Lebens. Dann aber hat sich der Begriff noch weiter verengt, Physik bedeutet nur noch einen Ausschnitt aus der Lehre von den Körpern, die Untersuchung der allgemeinsten Verhaltungsweisen aller materiellen Elemente ist ihr Gebiet; neben ihr beschäftigen sich die Chemie, die Mineralogie, die Biologie u. s. f. mit besonderen Verhaltungsweisen der Körper. Der griechischen Bedeutung der Physik entspricht in unserem Sprachgebrauch einigermaßen der Name Metaphysik. Wir pflegen damit lehte und allgemeinste Untersuchungen über die Natur der Dinge überhaupt, der körperlichen sowohl als der seelischen zu bezeichnen, Untersuchungen, die auf Grund aller Einzelforschung, wie sie durch Physik und Psychologie getrieben wird, eine Gesamtansicht von der Natur der Wirklichkeit zu gewinnen suchen. So klingt es uns jezt auch aus der Etymologie des Namens entgegen, Metaphysik eine Wissenschaft, die über die Physik und ihre Naturbetrachtung hinausgeht. Ursprünglich liegt das allerdings nicht in dem Wort; es ist aufgekommen als Titel einer Schrift des Aristoteles, die von ihrem Verfasser selbst als „erste Philosophie“ bezeichnet wird; sie wurde Metaphysik genannt nach dem Ort, der ihr später in der Sammlung der aristotelischen Schriften hinter der Physik angewiesen war. Wir werden also im folgenden das Wort in der Bedeutung brauchen, daß es die Versuche bezeichnet, die Summe unserer Erkenntnis der Dinge in allgemeinste Ansichten von der Natur der Wirklichkeit zu fassen. Als ihre eigentliche innerste Aufgabe kann man be=

zeichnen: die physische und die geistige Welt, oder was auf dasselbe hinauskommt, die kausale und die finale Betrachtung der Wirklichkeit in Eins zusammen zu biegen.

Auf die Frage, ob eine solche Wissenschaft überhaupt möglich sei, gehe ich nach dem, was vorher über die Möglichkeit der Philosophie ausgeführt worden ist, nicht weiter ein. Von der erkenntnis-theoretischpositivistischen Richtung wird die Möglichkeit der Metaphysik verneint, sie müsse als eine große geschichtliche Verirrung des Menschengeistes angesehen werden; die positiven Wissenschaften und die Erkenntnistheorie erschöpften den Umkreis des Wißbaren. In der That, versteht man unter Metaphysik die Wissenschaft von den Dingen, die außerhalb aller möglichen Erfahrung liegen, oder die Konstruktion der Wirklichkeit a priori in einem Begriffssystem, dann wird ihre Zeit vorüber sein. Dagegen wird Metaphysik in dem oben bezeichneten Sinne nie aussterben; der Versuch, auf die leßten Fragen, die dem Geist durch die Wirklichkeit aufgegeben sind, eine Antwort zu geben, wird so lange wiederholt werden, als theoretisches Interesse zum Nachdenken über die Dinge antreibt. Ob man diese Versuche Wissenschaft nennen will oder nicht, scheint ziemlich gleichgültig; daß die Subjektivität des Denkers hier eine größere Rolle spielt, als in der Mathematik oder Physik, ist ohne weiteres zuzugeben; ebenso, daß nicht ein ebenso kontinuierliches Fortschreiten in der Geschichte der Metaphysik zu finden ist, wie in der Geschichte der exakten Wissenschaften. Das kann aber nicht hindern anzuerkennen, daß die Fragen, die man metaphysisch zu nennen pflegt, aufgegeben und damit also der Ort einer solchen Untersuchung abgesteckt ist. Man kann freilich diese Fragen auch in der Erkenntnistheorie abhandeln, man könnte ihnen, wenn man wollte, auch in der Psychologie oder in der Physik einen Ort verschaffen; alle Einteilung der Wissenschaften ist zuleht zufällig. Mir will es aber auf keine Weise zweckmäßig erscheinen, diesen Untersuchungen ihre relative Selbständigkeit zu nehmen und sie gelegentlich in einem andern Zusammenhang abzuhandeln. Behandelt man z. B. diese Fragen in der Erkenntnistheorie, so hat das lediglich die Folge, daß sie unter einem unbequemen und schiefen Gesichtspunkte vorkommen.*)

*) Einsichtige Bemerkungen über Notwendigkeit und Aufgabe der Metaphysik findet der Leser bei J. Volkelt, Einführung in die Philosophie der Gegenwart (1891),

In jedem der drei großen Zweige der Philosophie führt die Untersuchung auf wenige leßte Grundprobleme. Ich will sie hier kurz im Zusammenhang entwickeln, sie bezeichnen zugleich den Gegenstand der folgenden Betrachtungen.

Auf zwei lehte Fragen wird die Betrachtung des Wirklichen oder die Metaphysik geführt, ich nenne sie 1) das ontologische, 2) das kosmologische oder theologische Problem.

Das ontologische Problem wird durch die Frage ausgedrückt: worin besteht die Natur des Wirklichen als solchen? Auf diese Frage scheint zunächst eine einfache Antwort nicht möglich; das Wirkliche tritt uns nicht als ein gleichartiges entgegen. Verschiedene Wissenschaften zeigen ein völlig ungleichartiges Wirkliches. Der Physik stellt es sich dar als Körper, der den Raum erfüllt und im Raum sich bewegt; alle ihre Bemühungen sind darauf gerichtet, die Naturerscheinungen auf gesetzmäßige Bewegungen raumerfüllender Teilchen zurückzuführen. Als ein völlig anderes tritt uns das Wirkliche in den Geisteswissenschaften entgegen; es erscheint hier als empfindend, vorstellend, denkend, fühlend, strebend, wollend; von Bewußtseinsvorgängen handelt die Psychologie, Erscheinungen, die man nicht sehen, greifen, messen, noch überhaupt als im Raum sich begebende Vorgänge konstruieren kann.

Wie verhalten sich diese beiden Formen des Wirklichen zu einander? Besteht die Wirklichkeit aus zwei völlig verschiedenen Arten des Wirklichen? Oder lassen sich jene beiden Formen, die physische und die psychische, auf eine zurückführen.

Die Verschiedenheit der Antworten auf diese Frage ergiebt die verschiedenen metaphysischen Standpunkte, welche man mit dem Namen des Dualismus, des Materialismus, des Spiritualismus oder Idealismus bezeichnet.

Dualismus heißt die Ansicht, welche behauptet: es giebt zwei heterogene Arten des Wirklichen, zwei Arten von Substanzen, körperliche und geistige, ausgedehnte und denkende. Der gemeine Menschenverstand

mit welcher Schrift die hier vorliegende überhaupt manche Berührungspunkte hat. Ich verweise hier auch auf die Einleitung in die Philosophie von D. Külpe, die eine zur Orientierung sehr brauchbare systematische Übersicht über alle philosophischen Disziplinen und ihre geschichtliche Entwickelung, sowie über die in ihnen hervorgetretenen Richtungen des Denkens bietet.

findet bis auf diesen Tag in dieser Lösung des ontologischen Problems am leichtesten Befriedigung.

Die Philosophie zeigt jederzeit eine Neigung über den Dualismus hinaus zu einem Monismus zu kommen. Die Antriebe dazu liegen auf der Hand; die Einheit der Wirklichkeit ist so groß und greifbar, daß sie die Zusammenseßung aus zwei völlig verschiedenartigen Elementen selbst abzulehnen scheint. Dazu kommt die Neigung des Denkens zur Vereinfachung der Wirklichkeit; die Dinge erklären, heißt die mannigfachen Erscheinungen auf einfache Prinzipien zurückführen.

Auf doppelte Weise kann der Einheitsdrang sein Ziel erreichen; man führt entweder die geistigen Vorgänge auf die körperlichen zurück und sagt: Körper und Bewegung ist das an sich Wirkliche, die Bewußtseinsvorgänge sind bloß eine Erscheinungsform von Vorgängen, die an sich physikalischer Natur sind; dann haben wir den Materialismus. Oder man führt die physikalischen Erscheinungen auf Bewußtseinsvorgänge zurück und sagt: geistige Vorgänge sind das an sich Wirkliche, die physische Welt ist eine bloße Erscheinungsform jenes wirklich Wirklichen; dann haben wir den Spiritualismus oder Idealismus.

Daneben bleibt eine vierte Möglichkeit; man kann sagen: die Natur des Wirklichen an sich vermögen wir überhaupt nicht zu erkennen. Gegeben sind uns zunächst die beiden Formen, das Körperliche und das Geistige; wir mögen aber annehmen, daß sie nur verschiedene Erscheinungsformen eines uns unerreichbaren Wirklichen sind. Agnostizismus kann man diese Ansicht nennen.

Das zweite große Problem der Metaphysik ist das kosmologische oder theologische. Es wird ausgedrückt durch die Frage: welche Vorstellung sollen wir uns von dem Zusammenhang aller Dinge machen? welche Gestalt hat die Wirklichkeit als Ganzes? Atomismus, Theismus, Pantheismus sind verschiedene Beantwortungen dieser Frage.

Auf den ersten Blick stellt sich die Wirklichkeit als eine Vielheit selbständiger Dinge dar, deren jedes zwar in Beziehung zu anderen steht, aber seinem Dasein nach unabhängig für sich besteht. Diese Ansicht ist zu Ende gedacht im Atomismus: die Wirklichkeit ist ein Aggregat vieler, selbständiger, unentstandener und unvergänglicher Urelemente; durch mannigfache Verbindung entstehen aus ihnen, gleichsam Paulsen, Einleitung. 6. Aufl.

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