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begonnen ist, ist also, daß die Macht, welche sich in dem ganzen als materielle Welt unterschiedenen Universum kundgiebt, eins ist mit der Macht, die in der Form von Bewußtsein aus unserem eigenen Innern hervorquillt." „Wenn der Naturforscher sieht, wie die festen Körper, so tot sie erscheinen, sich doch gegen unendlich schwache Kräfte empfindlich zeigen, wenn das Spektroskop ihm beweist, wie gewisse Moleküle auf der Erde harmonisch schwingen mit solchen auf fernen Gestirnen, wenn sich ihm die Überzeugung aufdrängt, daß jeder Punkt im Raum von unzähligen Schwingungen erfüllt ist, die ihn jeden Augenblick nach allen Richtungen durcheilen, dann neigt er gewiß viel weniger zu der Vorstellung von einem Universum, das nur aus toter Materie besteht, als zu der Vorstellung von einem Universum, das allüberall belebt ist, nicht zwar belebt in dem gewöhnlichen beschränkten, wohl aber belebt in einem allgemeineren Sinn."

Damit wird auch hier Raum für symbolischen Anthropomorphismus und idealisierende metaphysische Begriffsdichtung, wie sie A. Lange, der Vertreter des Positivismus in Deutschland, für unentbehrlich hielt. Verschiedene Wege treffen am selben Ziel zusammen.

Überblicken wir zum Schluß den Gesamtverlauf der langen Gedankenbewegung, so läßt er sich so aussprechen. Die Religion hat mehr und mehr die Elemente ausgeschieden, die am Anfang im Vordergrund standen: die theurgische Praktik und die mythologisch-kosmogonischen Fabeleien. In dem Maße als mit steigender allgemeiner Kultur die wissenschaftliche Naturerkenntnis und die hierauf beruhende technische Naturbeherrschung zunimmt, in demselben Maße verschwindet das alte Zauber- und Fabelwesen. Dagegen tritt mehr und mehr das ethische Moment, das ursprünglich nur nebenher geht, in den Vordergrund, das Wesen des Göttlichen wird bestimmt durch das sittliche Gute. Andererseits zieht sich die Wissenschaft mehr und mehr von dem Gebiet der Religion zurück. Die dogmatische Orthodoxie, die mit Begriffen, deren Möglichkeit wenigstens für theoretisch beweisbar galt, die Natur des Jenseitigen zu bestimmen trachtete, ist ebenso wie die natürliche Theologie des achtzehnten Jahrhunderts, die auf demselben Boden stand, nur daß sie den Kreis des Beweisbaren enger zog, aufgegeben. Auch die philosophische Spekulation, die die Wirklichkeit mit absoluten Begriffen zu erschöpfen dachte, ist aufgegeben. Die Philosophie ist bescheidener Paulsen, Einleitung. 6. Aufl.

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geworden; doch glaubt sie zu sehen, daß die Thatsachen unser Denken anleiten, eine leßte allumfassende Wesenseinheit des Wirklichen anzunehmen, eine Einheit, die nicht äußerliche und zufällige Einheit eines mechanischen Systems sein kann, sondern nach Art der inneren Einheit eines geistigen Wesens zu denken ist. Auf die Ausführung dieses Gedankens aber verzichtet sie; sie überläßt seine Erfüllung der schöpferischen Dichtung des religiösen Genius. Er giebt, wie ein schaffender Künstler, der Idee des Vollkommenen anschauliche Gestalt; er deutet durch Worte und Thaten, durch Lehre und Leben den Sinn des großen Geheimnisses, das wir Wirklichkeit nennen. —

Ich weiß wohl, von anderen wird Verlauf und Ziel der geschichtlichen Entwickelung anders aufgefaßt. Viele sind mit L. Feuerbach überzeugt, die große Erkenntnis unseres Jahrhunderts sei die, daß nicht Gott den Menschen, sondern der Mensch Gott geschaffen habe. Ihnen wird die hier gegebene Darlegung altmodisch und rückständig vorkommen.

Ich will niemand in der Zufriedenheit mit seinen Gedanken stören. Doch kann ich mir die Bemerkung nicht versagen, daß mir die Wahrheit der ersten Formel die der zweiten nicht auszuschließen scheint. Ich bin ganz bereit den Sah zuzugeben: der Mensch hat Gott geschaffen, nämlich in seiner Vorstellung und zwar nach seinem eigenen Bilde. Damit ist aber der andere Sah nicht unverträglich: Gott hat den Menschen nach seinem Bilde geschaffen, nun aber nicht bloß in der Vorstellung, sondern in der Wirklichkeit. Der Mensch, sagt jene Philosophie, ist ein Produkt der Natur. Sicherlich. Aber was ist das, die Natur? Ein großer Haufe von unendlich kleinen Sandkörnern? Und aus ihnen sollten durch bloße Nebeneinanderlagerung fühlende und denkende Wesen hervorgehen? Da wird doch wohl, mit Goethe zu reden, etwas Anonymes dabei im Spiel gewesen sein. — Und ein wenig könnte jene Philosophen, die das Ende des Gottesglaubens schon mit Händen zu greifen meinen, doch auch der Umstand stußig machen, daß also nach ihrer Theorie die Erzeugung, Umbildung und endliche Ausstoßung einer phantastischen Einbildung den wesentlichen Inhalt der ganzen bisherigen Menschheitsgeschichte ausgemacht habe. Denn das ist ja eine unzweifelhafte Thatsache, daß alle größten geschichtlichen Bewegungen religiöser Natur waren; Buddhismus, Christentum,

Muhammedanismus, Reformation, das sind die größten Themata der bisherigen Geschichte. Sollten die Welt und der Menschengeist wirklich so seltsam eingerichtet sein, daß sie beim Zusammentreffen mit einander gerade den großen Irrtum zeugen mußten?

Aber die Zukunft, sagen sie, die ganze unendliche Zukunft gehört der von Vorurteil und Aberglauben gereinigten Vernunft, gehört dem von Phantasie und Dichtung nicht geblendeten reinen Wissen. Ich weiß nicht, was den geistigen Inhalt der Zukunft ausmachen wird. Doch würde ich nicht widersprechen, wenn jemand behauptete: die Vorstellung, daß die Wirklichkeit in Wahrheit nichts als ein Agglomerat von sehr kleinen Körperchen sei, werde einmal künftig lebenden Geschlechtern als eine Episode seltsamster Verirrung des Menschengeistes erscheinen. Auf einen Augenblick, mit dem Maßstab der Jahrhunderte gemessen, habe der erstaunliche Fortschritt mathematisch-physikalischer Erkenntnis, zusammentreffend mit Konfessionszwang und politischem Verderben der Religion, in manchen Köpfen eine solche Verblendung zu Wege gebracht, daß sie in den Wahn gefallen seien, der Geist sei etwas der Wirklichkeit absolut Fremdes, und es sei völlig rätselhaft, wie er eigentlich habe herein kommen können. Gegenüber solcher Verirrung, die noch dazu mit dem stolzen Bewußtsein, auf dem Gipfel menschlicher Bildung zu stehen, aufgetreten sei, so werde einmal die Zukunft urteilen, erscheine ihr der ärmste Gößendiener, der vor einem Geist in den Dingen sich auf die Knie werfe, als ein Wesen, dem doch eine Ahnung von dem Wesen der Dinge aufgegangen sei.

Ich las einmal irgendwo ein Wort von Jean Paul: „Wie sich die Wolken so viel anmaßen, als gehörten sie zum Himmel und zu den Sternen, indes sie uns nicht viel ferner stehen als unser Frostatem.“ Das Wort mag auch von den Meinungen derer gelten, die den unendlichen Himmel vor dem Nebel ihrer kurzen Gedanken nicht sehen und nun behaupten, es gebe gar keinen Himmel, das sei nur ein alter Aberglaube, niemals habe ihn jemand gesehen.

Mir erscheint der negative Dogmatismus des Materialismus lediglich als das Gegenstück des positiven Dogmatismus der alten theologischen Orthodoxie. Beide kommen überein in der Auffassung der Religion als einer Summe buchstäblich zu fassender, mit dem Verstand aufzunehmender Lehrfäße, nur daß der erste nein sagt, wo der zweite

ja sagt. Sie kommen überein in dem harten Intellektualismus, der für Dichtung und Kunst keinen Sinn hat. Sie kommen oft auch überein in einem harten Moralismus, der für Individualität und Freiheit des Geistigen keinen Sinn hat; sie kommen endlich überein in einem herrschsüchtigen Fanatismus, der von jedermann absolute Unterwerfung unter die eigenen Bekenntnisformeln, negative wie positive, fordert.

11. Das Verhältnis von Wissen und Glauben.

In einer Schlußbetrachtung möchte ich noch meine Ansicht über das im Bisherigen wiederholt berührte Verhältnis von Philosophie und Religion, von Wissen und Glauben, zusammenfassend darlegen.

Philosophie ist nicht Religion und kann nicht an ihre Stelle treten. Sie will nicht ein Glaube sein, sondern ein Wissen. Dennoch enthält jede Philosophie, sofern sie Philosophie in dem alten Sinn, Welt- und Lebensanschauung, sein will, auch ein Element des Glaubens in sich, das die Wissenschaft als solche nicht enthält. Jede Philosophie geht zulezt darauf hinaus, Sinn in die Dinge zu bringen oder vielmehr den Sinn, der in den Dingen ist, aufzuzeigen. Dieser Sinn ist aber im letzten Grunde immer eine Sache nicht des Wissens, sondern des Willens und Glaubens. Was dem Philosophen selber das höchste Gut und lehte Ziel ist, das sieht er in die Welt als ihr Gut und Ziel hinein und meint es nun auch durch hinterherkommende Betrachtung als solches darin zu finden. In diesem Sinne ist das Augustinische Wort: fides praecedit rationem eine allgemein menschliche Wahrheit, ja der eigentliche Schlüssel zum Verständnis aller Philosophie.

Die Sache liegt auf der Hand bei aller idealistischen Philosophie. Das Ziel, dem die Wirklichkeit zustrebt, das ist die gemeinsame Grundüberzeugung alles objektiven Idealismus, ist das zu sich selber kommen der Wirklichkeit: an sich Gedanke seiend, will sie sich als das, was sie an sich ist, erfassen, als Gedanken oder Vernunft wissen. Die Hegelschen Formeln bezeichnen die Grundanschauung dieser Denkweise zu allen Zeiten. Das ewige Fürsichsein der Ideen, das Denken des absoluten Denkinhalts, mit dem aristotelischen Ausdruck, ist Grund und Ziel der Wirklichkeit, ja, ist die Wirklichkeit selbst.

Der letzte Grund dieser Überzeugung liegt hier nun offenbar in dem eigenen Erleben. Dem Aristoteles wie dem Plato war

Philosophie die höchste Angelegenheit des eigenen Lebens. Also ist sie, so konstruieren sie die Sache in der Ethik, der höchste Inhalt und das höchste Gut des menschlichen Lebens, also, so folgert die Metaphysik weiter, das höchste Ziel alles Lebens und Daseins überhaupt. Das Allwirkliche, die Gottheit, ist nach dem Schema des kleinen Gedankendenkers als der große Gedankendenker gebaut. Ebenso ist für Fichte oder Hegel Philosophie die wichtigste und bedeutendste unter allen Thatsachen, die die Welt überhaupt bietet; folglich ist das Denken Grund und Ziel, ja das eigentliche Sein der Welt. Hätte man Fichte gefragt, welches Ereignis er für das wichtigste des 18. Jahrhunderts oder auch der neueren Zeit überhaupt halte, er würde wohl keinen Augenblick gezögert haben zu antworten: das Aufkommen der Wissenschaftslehre, die mit Kant anfange. In den Reden über die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters konstruiert er das Ganze der Geschichte; sie dreht sich um die neue Philosophie als ihren Angelpunkt: die große Wende der Zeiten, der Übergang von der absteigenden zur aufsteigenden Bewegung wird durch das Eintreten der Transcendentalphilosophie bezeichnet; in ihr beginnt die Vernunft, die sich an die Natur verloren hatte, sich selber wieder zu gewinnen. Bei Hegel mündet ebenso der Weltprozeß unmittelbar in seiner Philosophie; in ihr erreicht die Wirklichkeit das Ziel ihrer Selbstbewegung, das absolute Selbstbewußtsein. So interpretiert der Philosoph das Universum aus sich selbst und seinen höchsten Bestrebungen. Der Weltprozeß nimmt seinen Weg immer mitten durch den Kopf des Philosophen hindurch.

Die Sache steht nicht anders bei Schopenhauer, dem Antipoden Hegels. Auch er interpretiert die Welt aus seinem eigenen Wesen; im eigenen Lebensziel geht ihm das Ziel der Welt auf. Die Welt als Wille und Vorstellung nennt er sein Hauptwerk; er selbst ist das Modell der Welt; ihre beiden Seiten sind die Seiten seines eigenen Wesens, Intelligenz und Wille. Und das Verhältnis dieser beiden Seiten zu einander, das er in sich selber erlebt, sieht er in die Welt überhaupt hinein: die Intelligenz das lichte und freudige Wesen, der Wille das dunkle, blinde, begehrende, fürchtende, neidende, hassende, elende und unselige Wesen. Die Intelligenz verschaffte ihm die großen und reinen Freuden seines Lebens, der Wille die täglichen kleinen und großen Leiden. Darum, vom Willen erlöst und reine Intelligenz werden,

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