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Indern, geführt. Nachdem der indische Geist zuerst mit schöpferischer Phantasie in den Devas eine Welt leuchtender und ewiger Götter hervorgebracht hatte, erhob er sich im philosophischen Nachdenken zur prinzipiellen Leugnung der Wirklichkeit der vielen Gestalten und Namen des Göttlichen, um im Brahman ein einiges absolutes Selbst der Welt zu erkennen. Das Brahman hat nicht mehr die Form des Einzel-Ich, es wird als Neutrum über den Gegensaß der Geschlechter hinausgehoben; es ist der überindividuelle, übersinnliche, überseiende All-Geist, der in der Einzelseele in gebundener, zerteilter, versinnlichter Gestalt erscheint: „der Atman, das Selbst in dir, ist das wahre Brahman, von dem du nur auf eine Zeit entfremdet warst durch Ge= burt oder Tod, das dich aber wieder in sich aufnimmt, sobald du nur zu ihm und zu dir selbst kommst." Daneben blieb übrigens der Polytheismus und der Opferkult in ungestörter Anerkennung. In einer höchst eigentümlichen, auch für das Verständnis unserer geschichtlichen Welt lehrreichen Weise sind hier die verschiedenen Entwickelungsstufen des Volksgeistes als Entwickelungsstufen auch des Einzellebens erhalten: „Jeder fromme religiöse Gedanke, der einmal in Indien sein Wort, seinen Ausdruck gefunden, der einmal als heiliges Familienstück von Geschlecht zu Geschlecht vererbt worden war, blieb, und der ganze Reichtum der drei historischen Perioden, der Kindheit, des Mannesund des Greisenalters" (repräsentiert in der Litteratur: die Kindheit durch die meisten vedischen Hymnen, die Mannesjahre durch die Brahmanas, das Greisenalter durch die Upanishaden) „wurde dazu verwendet, um die verschiedenen Bedürfnisse des Herzens und Geistes für jeden einzelnen in seiner Kindheit, in seinem Mannes- und Greisenalter zu befriedigen. Es giebt noch immer brahmanische Familien, in denen der Sohn die alten heiligen Lieder Wort für Wort auswendig lernt, in denen der Vater täglich seine heiligen Pflichten und Opfer verrichtet, während der Großvater alle Gebräuche und Ceremonien für eitel hält, in den vedischen Göttern nichts als Namen sieht für das, was, wie er weiß, über alle Namen ist, und Ruhe sucht, wo sie allein zu finden, in der höchsten philosophischen Erkenntnis, die für ihn zugleich die höchste Religion ist. Sie ist Vedânta, das Ende, das Ziel, die Erfüllung des ganzen Veda.“*)

*) M. Müller, Vorlesungen über den Ursprung und die Entwickelung der Religion, S. 406, 412.

Ehe wir den weiteren Verlauf des Denkens im Abendlande ver= folgen, ist es notwendig, auf den zweiten großen Zufluß, der seine geistige Welt bestimmt, einen Blick zu werfen, auf die Entwickelung der monotheistischen Weltanschauung bei einem semitischen Stamm, dem Volk Israel. Nicht auf spekulativem, sondern auf praktisch-religiösem Wege ist hier das Ziel erreicht. Es entspricht das der ganzen Anlage des Volkes, die den konträren Gegensatz zur Anlage des hellenischen Volks darstellt. Liegt die besondere Begabung der Griechen auf der Seite der Intelligenz, in einer höchst empfänglichen Sinnlichkeit und einem erstaunlich beweglichen Verstande, so liegt die besondere Begabung des israelitischen Volkes in dem Ernst und der Tiefe, womit es die moralischen und religiösen Dinge erfaßt. Den Philosophen der Griechen entsprechen die Propheten Israels, Gestalten von einer herben Kraft und Größe, wie sie kein anderes Volk aufzuweisen hat. Von Elias, der am Anfang der Reihe steht, bis auf den Täufer, der sie beschließt, ist der gemeinsame Grundzug des Prophetentums der, daß es, der Stimme Gottes in seinem Innern folgend, der Welt und dem Volk, den Reichen und Großen, den Machthabern bei Hofe oder bei der öffentlichen Meinung, dem Überlieferten und Herrschenden in Leben und Gottesdienst strafend entgegentritt, daß es das Volk an seiner Idee, das auserwählte Volk Gottes zu sein, mißt und zu leicht be= findet: statt in Gerechtigkeit, Liebe und Demut vor euerm Gott zu wandeln, verachtet ihr den Geringen, fresset der Witwen und Waisen Gut und gehet andern Göttern nach, die den Lüsten eures Herzens Raum lassen. Und von hier aus findet der Prophet dann die Deutung der Geschichte, er zeigt Gottes Hand in den Geschicken der Völker. Die Geschichtsphilosophie, so könnte man sagen, ist die Schöpfung Israels, wie Mathematik und Kosmologie die der Griechen. Freilich, es ist nicht eine beliebte Wissenschaft, ihre Predigt findet keine wohlgeneigten Hörer, darum ist Einsamkeit und Ausstoßung das Los des Propheten und die Wüste sein Rückzug.

Bei seinem Eintritt in die Geschichte finden wir das Volk Israel auf dem Standpunkt eines nicht theoretischen, aber praktisch-kultischen Monotheismus, den man vielleicht als Eingötterei am zutreffendsten bezeichnet. Das erste Gebot: Du sollst nicht andere Götter haben neben mir, verbietet nicht den Glauben an das Dasein anderer Götter,

das es vielmehr vorausseßt, sondern ihren Kult; Israel soll Jahve allein dienen, so wird er seinem Volk helfen gegen seine Dränger. Auf welchem Wege das Volk von dem früheren, in seinen Überlieferungen noch überall durchschimmernden Polytheismus aller Semiten zu dem ausschließlichen Kult des einen Gottes gekommen ist, ist geschichtlich kaum zu erkennen. Dagegen läßt sich die Entwickelung von der Eingötterei zum Monotheismus in der vorliegenden Litteratur verfolgen. Sie ist das gemeinsame Werk des Priester- und Prophetentums. Übrigens liegt sie in der Konsequenz des ersten Schrittes, das Volk hat gleichsam ein Interesse daran, seinen Gott zum einzig wahren Gott überhaupt, den einen Nationalgott zum Weltgott zu machen. In den Psalmen, in den Propheten, in der Schöpfungsgeschichte ist Jahve nicht mehr allein der Gott Israels, sondern der einzig wahre Gott überhaupt, der Gott, der Himmel und Erde gemacht hat; die Götter der anderen Völker sind bloße Gözenbilder, von Holz und Stein gemacht, kraft- und wesenlose Idole. Als Momente in dieser Entwickelung treten hervor zuerst die Zentralisierung des Kults durch das Königtum und Priestertum, sodann die Moralisierung, Denaturierung und endlich Denationalisierung des Gottesbegriffs durch das Prophetentum. Unter dem Eindruck der großen geschichtlichen Schicksale des Volkes gewinnt in den Propheten die Überzeugung Gestalt, daß Jahve nicht ein Gott ist, der mit blinder Gunst oder Voreingenommenheit dem Volke Israel ergeben oder durch äußeren Dienst zu bestechen ist; nicht die Nachkommen Abrahams, nicht die Opferer zu Jerusalem, sondern die Gerechten sind sein Volk. „Meinest du, der Herr habe Gefallen an viel tausend Widdern? oder am Öl, wenn es gleich unzählige Ströme voll wären? Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr dein Gott von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott" (Micha 6, 7 f.). Thut Israel nicht seinen Willen, so ist es nicht mehr sein Volk, er wird es verwerfen. Die Propheten konnten es fassen, daß Jahve das von ihm gegründete Volk und Reich jetzt vernichte. Zu oberst war er ihnen der Gott der Gerechtigkeit. Gott Israels nur insofern, als Israel seinen Gerechtigkeitsansprüchen genügte; sie kehrten also die hergebrachte Anordnung der beiden Fundamentalartikel des Glaubens um. Dadurch wurde Jahve der Gefahr

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entzogen, mit der Welt zu kollidieren und an ihr zu scheitern, die Herrschaft des Rechts reichte noch weiter als die der Assyrer. Dies ist der ethische Monotheismus der Propheten, sie glauben an die sitt= liche Weltordnung, an die ausnahmslose Geltung der Gerechtigkeit als obersten Gesezes für die ganze Welt." *)

Vollendet wurde der Prozeß der Denaturierung und Denationalisierung des jüdischen Monotheismus im Christentum. Jesus zieht die lezte Konsequenz: das Reich Gottes ist überhaupt nicht von dieser Welt. Das Judentum, auch die Propheten, hielten daran fest: dem Gerechten müsse es in dieser Welt gelingen, auch das Volk Israel werde, wenn es Jahve rechtschaffen diene, wieder aufgerichtet, das Reich Davids hergestellt werden. Jesus läßt diese messianische Hoffnung fahren, er läßt auch die Voraussetzung der jüdischen Frömmigkeit fahren, daß es zuletzt dem Gerechten in dieser Welt wohl gehe, und daß der Ungerechte zu Schanden werde. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“; und so ist es das Reich Gottes nicht, es hat gar keine Ähnlichkeit mit dem alten Reich Davids, oder überhaupt mit dem, was dem natürlichen Menschen herrlich und groß und begehrenswert vorkommt. Das Reich Gottes ist in dir, eine der Welt verborgene und ihr unverständliche Fülle der Seligkeit und des Friedens, es hat gar nichts mit den Gütern, welche die Welt geben und nehmen kann, zu thun, Armut und Schande in der Welt find mit ihm gar wohl verträglich. Das Reich Gottes ist in der Gemeinschaft der Gläubigen und Heiligen, in der Gemeinde der Jünger Jesu, die als Fremdlinge hin und her durch die Reiche dieser Welt zerstreut leben, ohne an ihnen teil zu haben oder zu suchen. Das Reich Gottes ist endlich die ewige jenseitige, nicht in der Zeit und nicht im Raum beschlossene Herrlichkeit Gottes, die die Seinen sehen werden, wenn keine Natur und keine Welt mehr sein wird.

Unter dem Einfluß dieser beiden Formen des Monotheismus, des jüdisch-christlichen und des griechischen, ist nun die Gottes- und Weltvorstellung gebildet worden, welche in der Kirche und mit ihr in

*) J. Wellhausen, Abriß der Geschichte Israels und Judas in den Skizzen und Vorarbeiten, I, 50. Die Quellenuntersuchung mit ihrer höchst einleuchtenden Konstruktion der Entwickelung des Kults und der Tradition in desselben Verfassers Geschichte Israels.

der europäischen Völkerwelt herrschend geworden ist. Von Israel stammen die praktisch-religiösen Bestimmungen im Gottesbegriff: Gott ist heilig und gerecht, aber auch in Christo gnädig und barmherzig. Von den Griechen kommt die spekulative oder metaphysische Seite: Unendlichkeit, Allweisheit, Allwirksamkeit, Allgenugsamkeit, kurz, die Bestimmungen, durch welche er zum All-Einen wird, durch das und in dem alles ist, was Dasein und Wesen hat. Aus dem stets wiederholten Versuch, die griechische Philosophie und Kosmologie mit der christlichen Religion in einem geschlossenen Lehrgebäude zu vereinigen, ist die christlich-kirchliche Theologie und Philosophie entstanden. Ihre philosophische Grundanschauung ist ein monistischer Theismus. Die Kirche, als praktisches Institut, betont den Theismus: Gott ein persönliches, supranaturales, extramundanes Wesen, das mit dem Menschen in persönlichen Verkehr tritt; in der gemeinen Vorstellung wird er zu einem völlig anthropomorphischen Wesen, mit menschenähnlichen Gefühlen und Bestrebungen. In der Spekulation dagegen tritt das monistische Element hervor. Sowie man versucht, den Begriff eines Wesens, das alle übrigen ursprünglich aus nichts geschaffen hat, und dessen Wille allein sie im Dasein erhält, zu bestimmen, ergiebt sich, daß es das einzige selbständige Wesen ist, und daß neben ihm für andere selbständige Wesen kein Raum bleibt. Der Monotheismus nimmt die Bedeutung an, daß Gott allein ist, er geht in Pantheismus über: Gott der All-Eine.

Durch die ganze Geschichte der Kirche läßt sich verfolgen, wie sich diese beiden Triebe, der religiöse und der spekulative, auf mannigfachste Weise bedrängen und durchdringen. Sichtlich z. B. bei Augustinus, in dessen mächtiger Natur beide Triebe in großer Stärke angelegt sind. Der Neuplatonismus führte ihn aus den Irrgängen des Manichäismus heraus, und von daher bleibt ihm der Begriff Gottes als des Allwirklichen: es giebt kein Sein als in Gott, außer ihm ist nur das Nichtsein. Dieser akosmistische Pantheismus ist ihm aber, mit Harnacks Ausdruck, nur die Grundierung, auf welche er nun die aus innersten Lebenserfahrungen gewonnene christliche Anschauung aufträgt: jenes höchste Sein ist das als allmächtige Liebe auf den Willen wirkende heilige Gute.*)

*) A. Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte III, 101 ff.

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