Page images
PDF
EPUB

daran, daß sie bestimmt sei, auch die allgemeine Wahrheit zu werden; man hat sie die geheime Religion der Gebildeten genannt, überzeugt, daß sie allmählich auch in die Kreise dringen werde, die einstweilen die Wahrheit nur in der Form der Vorstellung zu fassen vermöchten. Es ist zunächst anders gekommen. Soweit gegenwärtig unter den Gebildeten von philosophischer Weltanschauung überhaupt noch die Rede ist, (die meisten behelfen sich ohne eine solche,) dürfte sie eher in der Richtung eines naturwissenschaftlich gerichteten Materialismus oder eines erkenntnistheoretisch zugestuzten Skeptizismus zu suchen sein. Die physikalische Ansicht der Dinge hat die poetisch-spekulative Betrachtung verdrängt. Unseren Naturforschern aber ist der Gedanke eines Innenlebens der Wirklichkeit meist völlig fremd geworden. Die Vorstellung von einer Weltseele, einem geistigen All-Wirklichen, einem mundus intelligibilis, erscheint ihnen ebenso, wie die Vorstellung anthropomorpher Götter, als ein kindlicher Traum; sie haben diese Hypothese nicht nötig, sie können die Welt aus Atomen und physikalischen Kräften erklären, etwa jenen kleinen Rest, die Bewußtseinsvorgänge im Gehirn lebender Wesen, ausgenommen. Die Wissenschaft, sagt man, ist in das Mannesalter eingetreten; sie gestattet sich nicht mehr das kindliche Spiel solcher phantastischen Spekulationen; wer ein Verlangen darnach hat, mag sie bei philosophischen Nachzüglern suchen. Und die öffentliche Meinung der Gebildeten, durch die Zuversicht, mit der die naturalistische Weltanschauung als das Ergebnis der Naturwissenschaften auftritt, eingeschüchtert, schämt sich zu Vorstellungen sich zu bekennen, die nicht den naturwissenschaftlichen Stempel tragen.

Es liegt mir völlig fern, jene Gedanken Widerwilligen durch Beweisführung aufnötigen zu wollen; ich halte ein solches Unternehmen für hoffnungslos oder vielmehr für gänzlich unmöglich. Will jemand bei der astronomisch-physikalischen Ansicht der Welt stehen bleiben, so kann man ihn aus dieser Stellung nicht herausnötigen. Er mag sagen: das ist es, was wir wissen, von dem anderen wissen wir nichts! Bewußtseinsvorgänge sind vereinzelte Erscheinungen in lebenden Wesen; ob ihnen weitere, kosmische Bedeutung zukommt, davon können wir nichts wissen; mit metaphysischen Hypothesen aber gebe ich mich nicht ab. In dieser Stellung ist er unangreifbar. Angreifbar dagegen wird er, sobald er weiter geht und sagt: was wir nicht wissen, ist auch

nicht vorhanden, was Astronomie und Physik uns lehren können, ist alles, was vom Universum überhaupt zu sagen ist.

Einem solchen negativen Dogmatismus begegnet man vielleicht am zweckmäßigsten mit Fragen; der Fragende ist gegen den Behauptenden auf diesem Gebiete, wie schon Hume bemerkt und vor ihm Sokrates sah, immer im Vorteil. Also nicht wahr, werden wir fragen, du weißt, was es mit der Welt auf sich hat, daß es eine große Ansammlung von Atomen ist, und daß dabei von Seele und Geist keine Rede ist, außer in diesen paar Gehirnen, die die Erde und vielleicht noch dieser und jener andere Weltkörper gelegentlich hervorbringt. Worauf beruht doch dieses dein Wissen? Darauf, daß du von einer Weltseele oder etwas ähnlichem nie etwas gesehen hast? Aber hast du denn die Seele eines Tieres oder eines Menschen gesehen? Und doch glaubst du an ihr Dasein. Warum doch? - Nun, darum, weil ich hier Gehirn und Nerven sehe. Vortrefflich; und also würdest du an eine Weltseele auch glauben, wenn man dir nur das Welthirn und die Nerven zeigte? Und vermutlich müßte dann die Welt, wenn sie ein Gehirn hätte, auch Augen haben und Ohren und Beine und Flügel oder Flossen, und ein Rückgrat und Herz und Magen? Also wenn dies alles dir gezeigt würde, wenn die Welt die Gestalt eines unermeßlich großen Vogels oder Walfisches oder Elefanten hätte, wenn sie kaute und verdaute, wie andere Tiere, dann würdest du auch denken: da muß eine Seele drin sein?*)

[ocr errors]

Nun, das wäre denn freilich ein erstaunlich wunderliches Wesen. Vielleicht läßt sich doch auch einem Physiologen glaublich machen, daß die Weltseele, wenn es denn eine solche giebt, nicht übel gethan hat, sich nicht in solcher Gestalt zu inkorporieren. Natürlich, ein Tier braucht das alles: Beine, darauf sich zu stüßen und sich zu bewegen, und Magen und Zähne, die Nahrung zu verarbeiten, und Augen, die Beute zu erspähen, und ein Zentralnervensystem, seine Bewegungen der

*) Du Bois-Reymond läßt den Naturforscher, bevor er in die Annahme einer Weltseele willigen könne, verlangen, „daß ihm irgendwo in der Welt, in Neuroglia gebettet, mit warmem arteriellen Blut unter richtigem Druck gespeist und mit angemessenen Sinnesnerven und Organen versehen, ein dem geistigen Vermögen solcher Seele entsprechendes Konvolut von Ganglienzellen und Nervenfasern gezeigt würde“ (Grenzen des Naturerkennens S. 50).

Außenwelt anzupassen. Aber das All hat alles das nicht nötig, weder eine Stüße, darauf zu stehen und zu gehen, noch eine Einrichtung für den Stoffwechsel, noch Augen und Ohren, denn es hat nichts außer sich zu sehen und zu hören, und so wird es also auch ein Gehirn und Nerven nicht brauchen. Oder hätte es troßdem diesen ganzen Apparat sich anschaffen sollen, nur um auch einem auf der Höhe des Pyrrhonismus stehenden Naturforscher des neunzehnten Jahrhunderts glaubhaft zu machen, daß die Wirklichkeit noch nicht am Ende sei, wo der Laplacesche Geist am Ende ist?

Oder hätte es, wenn denn auch nicht die Gestalt eines großen Tieres, doch wenigstens die Gestalt eines einzigen großen, zusammenhängenden Körpers, etwa einer Kugel, annehmen sollen, um auch jenem pyrrhonischen Geist die Vermutung eines einheitlichen Innenlebens als zulässig erscheinen zu lassen? Würde er weniger Anstoß an dieser Vorstellung nehmen, wenn das Universum ein Kontinuum bildete, statt eines Systems von Körpern, die durch den unermeßlichen Raum zerstreut sind? Ist der hierin zu Tage tretende Mangel an Einheit das Hindernis? Aber wodurch hat ein Tierkörper Einheit? durch die Kontiguität aller Teile? Offenbar nicht, sondern durch die funktionelle Einheit aller Teile. Berühren sich etwa die Moleküle, die das Gehirn eines Tieres ausmachen? Sie mögen durch Abstände getrennt sein, die ihren Durchmesser um ein Beliebiges übertreffen. Werden die Atome als ausdehnungslose Kraftpunkte gedacht, dann find ja die Abstände unendlich groß im Vergleich zum Durchmesser. Also der Mangel an Kontiguität ist durchaus kein Hindernis der Einheit; ob die Teile durch Milliontel von Millimetern oder durch Millionen von Meilen getrennt sind, das ist gleichgültig, wenn sie nur eine Bewegungseinheit bilden. Und das thun ja die Weltkörper, soweit wir sehen, im strengsten Sinne. Oder ist die Bewegung zu einfach und gleichförmig? Können nur so komplizierte Bewegungssysteme, wie die tierischen Körper es sind, für belebt und beseelt angesehen werden? Fechner erwidert (Ideen zu einer Schöpfungsgeschichte S. 106): „So verwickelt unsere Gehirne sind und so sehr man geneigt sein mag, an diese Verwickelung eine Höhe geistiger Eigenschaften zu knüpfen, so ist die Welt unsäglich verwickelter, indem sie eine Verwickelung aller in sie eingehenden Verwickelungen, darunter unser Gehirn selbst, ist; warum nicht also auch

noch höhere geistige Eigenschaften an diese höhere Verwickelung knüpfen? Der Bau und Ausbau des Himmels erscheint nur einfach, wenn man bloß auf die großen Massen, nicht auf deren Ausarbeitung und Verfettung achtet. Die Weltkörper sind doch keine rohen gleichförmigen Klumpen, und die Beziehungen von Licht und Schwere greifen zwischen ihnen in mannigfachster und verwickeltster Weise durch. Daß aber das Viele in der Welt sich auch einheitlich gruppiert, zusammenfaßt und gliedert, widerspricht nicht dem Gedanken, sondern stimmt nur dazu, daß es sich entsprechend geistig zusammenfaßt.“

In der That, was hindert, in einem Planeten eine Ganglienzelle des Welthirns zu erblicken? Ist er zu groß? Aber warum sollte das Welthirn nicht größere Zellen bilden, als ein Tierhirn. Oder stimmt seine Zusammensetzung nicht dazu? Es finden sich ja dieselben Stoffe darin, Kohle und Sauerstoff und Stickstoff und Eisen und Phosphor und zahlreiche andere dazu; und tausendfache Wechselwirkung geht zwischen ihnen hin und her, ähnlich wie es in einem Ganglion auch der Fall sein mag. Ja, wer weiß, wie groß und einleuchtend die Ähnlichkeit uns erscheinen würde, wenn wir nur das Ganglion hinlänglich zu vergrößern, seine Struktur zu erkennen, die tausend Formen der Bewegung in seinem Innern zu beobachten vermöchten. Nägeli deutet in der schon früher erwähnten Abhandlung über die Schranken der naturwissenschaftlichen Erkenntnis,*) worin er überall aufs stärkste die empirische Begrenztheit unserer Erkenntnis gegenüber dem Unendlichen, sowohl dem unendlich Großen als dem unendlich Kleinen, hervorhebt, eine solche Betrachtung an: Wie die Teilbarkeit nicht aufhört, so müssen wir nach Analogie dessen, was wir im ganzen Bereich unserer Erfahrung bestätigt finden, annehmen, daß auch die Zusammensetzung aus individuellen, von einander gesonderten Teilen nach unten sich endlos fortsetze. Ebenso sind wir genötigt, eine endlose Zusammenseßung nach oben zu immer größeren individuellen Gruppen vorauszusehen. Die Weltkörper sind die Moleküle, welche sich zu Gruppen niederer und höherer Ordnung vereinigen, und unser ganzes Firsternsystem ist nur eine Molekülgruppe in einem unendlich viel größeren Ganzen, das wir uns als einheitlichen Organis

"

*) Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre (1884) S. 572.

mus und wieder nur als Teilchen eines noch größeren Ganzen vorzustellen haben."

Der Physiker wird sagen: das sind ja bloße Phantasien. Nun, sie geben sich nicht für viel mehr; aber die Phantasie hat auch ihr Recht und ihre Aufgabe, und wäre es hier auch nur die, den Verstand an seine Schranken zu erinnern. In einer Zeit, wo die Wissenschaft so sehr zum satten Behagen im Endlichen neigt, wird das keine überflüssige Sache sein. Die wissenschaftliche Forschung soll ruhig ihren Weg gehen, unbekümmert um die Phantasien. Aber sie soll nicht sagen: es giebt nichts in der Welt, als was unsere Physiologen und Kosmologen von ihr wissen. Es mag tausend Dinge am Himmel und auf Erden geben, von denen sich die Schulweisheit zu unserer Zeit so wenig träumen läßt, wie zu den Tagen Hamlets, ja vielleicht jezt weniger als damals. Meint sie doch, das Träumen jezt beinahe ganz abgestellt zu haben: bis auf einen kleinen Rest gelegentlichen Aberglaubens lauter aufgeklärte Leute, die an die Physik und an die Atome und an ein paar Welträtsel glauben, weiter aber sich keine Gedanken über die Dinge machen.

Die Naturwissenschaft könnte durch ihre eigene Geschichte sich belehren lassen; was sind nicht in den lezten paar Jahrhunderten durch das Mikroskop auf Erden, durch das Teleskop am Himmel für Wunder entdeckt worden. Hätte man einem mittelalterlichen Physiker von Milchstraßensystem und kosmischer Entwickelung, von dem Bau des Auges und der Bewegung des Lichtes erzählt, was in unseren Schulbüchern steht, er hätte darin nichts als Träume einer überspannten Phantasie gesehen. Sollten wir nicht, wenn wir in den Besig von ähnlichen Hülfsmitteln für die Erkenntnis der Innenwelt kämen, oder wenn uns die Gabe des Seelenlesens gegeben würde, auch hier erstaunliche Entdeckungen zu machen haben? Hat allein die Körperwelt immer neue Wunder aufzuweisen? oder würde nicht die Innenwelt, wenn unser Auge aufgethan würde, sie zu sehen, noch viel erstaunlicheren Reichtum des Inhalts, Feinheit der Gliederung, Größe der Zusammenhänge zeigen?

Sicherlich, wir haben nicht jenen Sinn; wir suchen, mühsam am Leitfaden der Analogie buchstabierend, die seelische Bedeutung der Körper und Körperformen zu erraten; nur in der menschlichen Welt bringen

« PreviousContinue »