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vorausgesetzt: unter völlig gleichen inneren und äußeren Umständen. würde allemal dasselbe erfolgen, würde auf den gleichen Reiz die gleiche Vorstellung, die gleiche Gefühlserregung und Willensbestrebung als Reaktion eintreten. Mit der richtig verstandenen Kausalität steht nun aber die Freiheit keineswegs in Widerspruch; Freiheit ist nicht Geseglosigkeit. An einer Freiheit des inneren Lebens, die gleichbedeutend mit Gesez- und Zusammenhanglosigkeit seiner Elemente wäre, hat die Ethik wahrlich kein Interesse. Im Gegenteil, das Auftreten absolut beziehungsloser Elemente, vereinzelter Volitionen, die ohne kausalen Zusammenhang mit dem Vorleben und der Folgezeit wären, das wäre Zerrüttung des Willens, ja völlige Zerstörung des seelischen Wesens. Gäbe es überhaupt keine Bestimmung des Nachfolgenden durch das Vorhergehende, dann gäbe es natürlich auch keine Übung und keine Erfahrung, keine Wirksamkeit von Grundsägen und Entschlüssen, von Erziehung und öffentlichen Ordnungen. Ohne Kausalität keine Finalität.

Wie steht es nun mit dem Verhältnis der Kausalität und Finalität in der physischen Welt? Gehen sie auch hier miteinander? oder ist in der Natur von Finalität, von innerer Notwendigkeit überhaupt nicht die Rede?

Es ist die herrschende Ansicht; sie erblickt in der Natur wohl äußere, nicht aber innere Notwendigkeit. Mechanische Bewegungsübertragung ist ihr die Urform der Naturwirksamkeit, von einer teleologischen Notwendigkeit will sie dagegen überall nichts wissen; „Teleophobie", darin hat v. Baer offenbar recht, ist für sie charakteristisch. Mir scheint, er hat auch darin recht, daß er den Grund hierfür nicht in der Natur, sondern in der Furcht der Naturforscher vor einer falschen Teleologie findet. Die Teleophobie ist die Reaktion gegen die alte Absichtenteleologie, die eine kausale Erklärung ablehnte und ersehen wollte.

Wir erinnern uns zunächst dessen, was wir im vorigen Abschnitt als wirklichen Inhalt des Urfachverhältnisses in der physischen Welt fanden: Wechselwirkung ist nichts als korrespondierende Veränderung; von Einflüssen und Nötigung ist dabei gar keine Rede. Allgemeine Wechselwirkung aller Teile des Universums, das ist der Ausdruck für die Thatsache, daß die Welt ein einheitliches System mit einheitlicher Bewegung bildet, in der jede Bewegung jedes Teils als ein an

seinem Ort zugehöriges, mit den Bewegungen aller übrigen Teile zusammenstimmendes Glied sich einfügt. Man kann es nicht stark genug betonen: Notwendigkeit ist im logischen Denken, aber nicht in der Natur; alle Naturgeseßmäßigkeit ist nichts als spontane Zusammenstimmung aller Teile.

Und zwar ist auch hier die Zusammenstimmung eine wechselseitige; das Vorangehende bestimmt das Nachfolgende; aber ebenso gut kann man auch sagen: das Nachfolgende bestimmt das Vorangehende. Die Erwärmung der Stube ist eine Wirkung des geheizten Ofens; aber wir können ebenso richtig sagen: die Wärmeaufnahme durch die Umgebung ist Ursache der Abkühlung des Ofens. Der Stoß, den ein Körper gegen einen andern führt, ist Ursache der Bewegung des zweiten; aber ebenso richtig ist: die Bewegung des gestoßenen Körpers ist die Ursache, daß der stoßende die Bewegung verliert oder zur Ruhe kommt. Wo es uns nicht um Hervorbringung, sondern um Hemmung einer Bewegung zu thun ist, da fassen wir die Sache so. Also allgemein, ohne die Ursache wäre die Wirkung nicht, aber ebenso wenig wäre ohne die Wirkung die Ursache.

Die Frage ist nun: stellt der Kausalzusammenhang in der Außenwelt ebenso wie in der Innenwelt zugleich einen Finalzusammenhang dar? findet auch hier innere teleologische Beziehung zwischen den Gliedern der Reihe statt? - Es giebt einen Punkt, wo alle Welt die Sache so ansieht, das ist das Leben. Die Lebensvorgänge bilden einen Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen, sie sind an jedem Punkt durch naturgesetzmäßige Wechselwirkung aller Teile bedingt, aber zugleich sind sie „zielstrebig“ in dem Sinn, daß sie zu einem einheitlichen Ganzen sich zusammenschließen, dem Leben, das wir nicht umhin können als das Ziel anzusehen, dem alle Funktionen als Mittel dienen. Die Jagd, die Ergreifung der Beute, ihre Verzehrung und Verdauung sind Ursache der Lebenserhaltung, aber zugleich ist das Leben Ziel und jene Funktionen Mittel zum Ziel. Und sind es die Funktionen, so sind es auch die Organe; ist das Sehen um des Lebens willen, so sind auch die Augen um des Sehens willen, und hierzu sind sie dann wohl auch im Fötalleben gebildet.

Aber nein, sagt der zweckscheue Naturphilosoph, nur die erste Hälfte des Sages ist richtig: das Tier sieht, weil es Augen hat,

aber die Augen sind nicht da, damit es sieht, es stößt, weil es Hörner hat, aber es hat nicht Hörner, damit es sich wehren und stoßen könne. Das ist unberechtigter Anthropomorphismus. Die Teleologie ist Verkehrung und Verderbung der kausalen, d. h. der wahren Naturbetrachtung, sie stellt die Dinge auf den Kopf; so urteilen bis auf diesen Tag mit dem alten Lucrez unsere materialistisch-mechanistischen Naturphilosophen.*)

Sie sollten fortfahren und sagen: nicht darum stößt der Stier, um seinen Gegner zu bewältigen, sondern weil er stößt, fällt der andere zu Boden; nicht darum spinnt die Spinne ihr Net, um Fliegen zu fangen, sondern weil das Nez da, bleiben Fliegen drin hangen, und weil die Freßwerkzeuge der Spinne da sind, gerät die Fliege hinein, und weil es einmal so weit gekommen ist, wird sie weiter ins Innere befördert und verdaut; von Zwecken ist dabei überall keine Rede, sondern nur von Kausalzusammenhängen. Und wenn es bei der Spinne so ist, so sollten sie den Gedanken zu Ende denkend sagen, so wird es beim Menschen auch nicht anders sein; auch er flicht nicht das Nez, um Fische zu fangen, sondern weil sich seine Hände so bewegen, verschlingen sich die Fäden zum Neß, und weil das Netz so durchs Wasser gezogen wird, werden mit ihm die Fische herausgebracht.

Vielleicht wird hier doch auch dem zweckscheuen Physiker die Sache zu wunderlich. Er wird sagen: nein, beim Menschen ist wirklich Zweckthätigkeit vorhanden, hier haben wir Wollen und Vorstellen des Ziels als Anfang der Reihe, und darum ist hier die Kausalreihe zugleich Finalreihe.

Gut; nehmen wir dies zunächst so an. Aber sollte dann nicht für die Spinne dasselbe gelten? Der materialistische Philosoph be= steht doch sonst so entschieden darauf, daß der Mensch ein Glied der Tierreihe sei. Warum sich hier untreu werden? Was fehlt denn der Spinne, daß ihre Lebensbethätigung anders beurteilt werden müßte? Das Wollen und Vorstellen des Ziels? Nun, das Wollen doch schwer

*) Lucretius, De rerum natura, IV, 830:

Omnia perversa praepostera sunt ratione,

Nil ideo quoniam natumst in corpore, ut uti
Possemus, sed quod natumst id procreat usum.

lich, man müßte ihr denn das Innenleben überhaupt absprechen. Also das Vorstellen, die Voraussicht des Erfolges. Und darum also fehlte ihrem Thun der Charakter der Zweckthätigkeit? Der würde ihm erst zukommen, wenn sie nach vorausgegangener Überlegung zu sich sagte: Leben besteht im Stoffwechsel, es fordert daher den Ersah verbrauchter Stoffe durch Nahrung; Fliegen sind ein Nahrungsmittel, und Neße ein Mittel Fliegen zu fangen? Aber es liegt ja auf der Hand, daß unter dieser Bedingung auch von der menschlichen Thätigkeit nur ein geringer Teil für zweckmäßig gehalten werden könnte. Vom Stoffwechsel und dem notwendigen Ersaß und der Geeignetheit dieser oder jener Stoffe zu diesem Zwecke weiß unser Fischer am Ende nicht viel mehr als die Spinnen. Sollen wir also sagen: so reicht auch hier die Finalität nicht weiter; Neze flechten und Fische fangen ist Zweckthätigkeit, aber beim Kauen und Schlingen und Verdauen ist von einem. Zwecke nicht mehr die Rede, hier haben wir es lediglich mit Kausalreihen, nicht mit teleologischen Reihen zu thun? Wird erst bei dem Physiologen, der von dem Hergang beim Kauen und Verdauen auch eine Vorstellung hat, die Sache zur Zweckthätigkeit? Ich denke, diese Trennung der menschlichen Lebensprozesse in zweckmäßige und zwecklose, in solche, bei denen Kausalität und Finalität, und solche, bei denen nur Kausalität stattfindet, ist doch allzu absurd.

Nun, gilt beim Menschen, daß das ganze Leben als teleologischer Prozeß aufgefaßt werden muß, weil und sofern es einem Willen entspricht, auch ohne daß das Ziel und die Vermittelung ganz in die Vorstellung fällt, so wird dasselbe auch in der Tierwelt gelten. Und sind die Thätigkeiten zielstrebig, die auf die Erhaltung des Eigenlebens gerichtet sind, so werden es die nicht minder sein, die auf die Erhaltung der Gattung als ihr objektives Ziel gerichtet sind, das Nestbauen und Eierlegen und Brüten und Hegen der Brut, und was noch dazu gehört. Und ist das der Fall, so wird man auch die Entwickelung und Organbildung nicht anders ansehen können.

In der That, es ist auf alle Weise unmöglich, das eine zu bestreiten, ohne auch das andere zu leugnen; es ist unmöglich, die menschlichen Thätigkeiten für zielstrebige anzusehen, ohne dasselbe auch für die tierischen zuzulassen; und wieder ist es unmöglich, es für die sogenannten animalischen und willkürlichen Thätigkeiten zuzulassen, ohne

es auch für die vegetativen Prozesse anzunehmen, die ja nicht bloß die wesentliche Voraussetzung jener sind, sondern auch nirgends rein von ihnen abgetrennt werden können; beide Formen der Lebensprozesse laufen ja überall in einander. Und wieder, läßt man die teleologische Betrachtung für die vegetativen Vorgänge in der Tierwelt zu, so kann man sie der Pflanzenwelt nicht fernhalten; es sind ja dieselben Vorgänge.

Ist man aber so weit gegangen, so wird es schwer sein hier stehen zu bleiben. Die lebenden Wesen sind ja nicht von außen in diese Welt hineingeschneit, sondern sie sind ihr legitimes Erzeugnis: sie sind aus den Elementen gebildet, die den Körper der Erde ausmachen; sie sind entstanden unter dem Einfluß der kosmisch-tellurischen Gesamtlage. Diese Fische konnten nur in diesem Meer und diese Tierwelt nur auf dieser Erde und unter dieser Sonne entstehen. Eine Konspiration aller Dinge war erforderlich, diese Lebewesen hervorzubringen. „Dieses Tierreich“, so führt v. Baer aus, „kann nicht bestehen ohne das Pflanzenreich, dieses wieder nicht, ohne daß das Felsgerüste der Erde an seiner Oberfläche durch physikalische und chemische Einwirkung in lockeren Boden zerrieben war; ferner aber wird vorausgesetzt, daß dieser Boden von Zeit zu Zeit von Regen getränkt wird; der Regen kann nur fallen, wenn das Wasser vorher von der Luft aufgenommen, gehoben und dann durch Wechsel der Wärme wieder ausgeschieden wird; das Wasser kann wieder nicht gehoben werden, ohne daß die Erde von der Sonne beschienen und erwärmt wird: es ist also für den geringsten Grashalm wirklich das ganze Planetensystem mit seinen Anordnungen und Bewegungen, die ganze Gesezmäßigkeit der Natur erforderlich." Es ist, wie der Dichter sagt, der wie kein anderer von der Einheit der Wirklichkeit durchdrungen ist, Goethe:

Das Stäubchen, selbst der unfruchtbare Stein,
Indem er sein Gesez hat, muß er wirken

Und thätig für das große Ganze sein.

So dehnt sich die Zielstrebigkeit, wenn man sie einmal an einem Punkt zugelassen hat, über die ganze Natur aus. Es ist Willkür, einerseits darauf zu bestehen, daß der Mensch auch nur ein Stück des allgemeinen Naturlaufs sei, daß er nicht eremtes Gebiet, ein imperium

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