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überhaupt nicht die Form einer wissenschaftlichen Theorie hat. Die Auffassung der natürlichen und der geschichtlichen Wirklichkeit, die in der Annahme einer baumeisterlichen Intelligenz, von der nach einer uns faßbaren Absicht das Ganze planmäßig zusammengefügt sei, ihren Abschluß fand, ist durch eine jüngere Auffassung, die entwickelungsgeschichtliche, an allen Punkten verdrängt. Und es wäre eine bloße Selbsttäuschung, wenn man annehmen wollte, es könne nach dem Wegfall der Vorausseßungen an jener Ansicht dennoch festgehalten werden. Daß aber die entwickelungsgeschichtliche Betrachtung als vorübergehende Mode, wie einige meinen, wieder verschwinden werde, ist wenig glaublich; sie mag noch manche Wandlungen durchzumachen haben, aber der anthropomorphische Theismus wird, so lange wissenschaftliche Interessen Ausschlag gebend bleiben, ihr kein Gebiet wieder abgewinnen.

Es erhebt sich nun die Frage: welche unter den beiden übrig bleibenden kosmologischen Vorstellungen verdient den Vorzug? Entspricht der Atomismus oder ein pantheistischer Monismus den Thatsachen besser?

In weiten Kreisen herrscht gegenwärtig die Ansicht, daß ein materialistischer Atomismus die durch die Wissenschaft uns aufgenötigte Weltansicht sei. Durch Darwin sei die einzige ihm bisher anhangende Schwierigkeit beseitigt; es stehe jezt der Konstruktion der Welt aus Atomen kein wesentliches Hindernis mehr entgegen. Bei Anhängern und Gegnern Darwins ist diese Meinung verbreitet: die Vorausseßung oder die lehte Folgerung aus seiner Betrachtung sei die Entbehrlichkeit Gottes oder eines Einheitsprinzips, sei die Erklärbarkeit der Wirklichkeit aus der naturgesetzlichen Wechselwirkung der Teile.

Ich halte das für einen Irrtum; durch die Entwickelungslehre wird eine atomistische Metaphysik weder vorausgesezt noch begünstigt. Sie hat überhaupt keine so enge Beziehung zur Metaphysik, als vorausgesezt zu werden pflegt; sie ist, wie jede Erklärung besonderer Thatsachen, mit einer idealistisch-pantheistischen Metaphysik so gut verträglich, wie mit einer materialistisch-atomistischen. Die Entscheidung zwischen diesen beiden Formen der Weltanschauung ist von allgemeineren Erwägungen abhängig. Und diese scheinen mir nun nicht darauf hinzudeuten, daß die Lösung des Welträtsels in den Atomen zu suchen ist; vielmehr finde ich mich von allen Seiten auf die andere Ansicht hingewiesen. Ich deute die Erwägungen an, die für mich bestimmend sind,

ohne für sie die Kraft zwingender Beweise in Anspruch zu nehmen. Die Zeit dürfte überhaupt vorüber sein, wo man glaubte, mit logischen Demonstrationen die Notwendigkeit dieses oder jenes Weltbegriffs ausmachen zu können. Die Beweise für die leßten Gedanken über die Dinge werden im wesentlichen darauf hinauskommen, daß man zeigt, wie die Thatsachen auf einen solchen Abschluß unserer Versuche, sie zu konstruieren, hinweisen oder gleichsam gegen jene Gedanken konvergieren.

Vorausgesetzt bleibt hier das Ergebnis unserer ontologischen Be= trachtung. Sie führte uns zu der Überzeugung, daß die materialistische Ansicht zur Begreifung der Wirklichkeit nicht ausreiche, vielmehr angenommen werden müsse, daß dem Physischen überall ein Psychisches entspreche oder zur Seite gehe. Vorerst aber stellen wir uns auf den Standpunkt der physischen Betrachtung.

Ich erinnere zunächst daran, daß Atome nicht gegebene Thatsachen oder Objekte sind; sie sind nicht Gegenstand wirklicher oder auch nur möglicher Beobachtung. Gegeben sind die Körper oder vielmehr die einheitliche Körperwelt; diese löst das Denken zunächst in einzelne Dinge oder Körper auf, die als einheitlich bewegte oder ruhende sich darstellen. Die Körper zerfallen wieder in Teile, ein Stück Kreide läßt sich in Stücke brechen, in Staub zerreiben, ohne daß ein Ende der Teilbarkeit erreicht wäre; die Qualität der Teile bleibt dabei die gleiche wie die des Ganzen. Sodann aber läßt sich dieselbe Kreide auch in ungleichartige Teile zerlegen, in die chemischen Elemente, Kalk und Kohlensäure, und dieser wieder in Kohle und Sauerstoff. Auf das Atom als ein empirisch aufzeigbares Objekt kommt man aber auch so nicht. Der Begriff des Atoms ist lediglich als ein Hülfsbegriff zur Konstruktion physikalischer und chemischer Thatsachen gebildet worden; er bezeichnet den lezten Punkt, den die analysierende Betrachtung des Chemikers bisher erreicht hat.

Der metaphysische Atomismus nun kehrt die Sache um; er behauptet: der Endpunkt der Analyse ist das Ende der Dinge oder also vielmehr der erste und absolute Anfang der Wirklichkeit; die Welt ist zusammengesezt aus Atomen, aus absolut unzerstörbaren und absolut selbständigen kleinen Körperchen.

Das ist nicht mehr berechtigt, als wenn jemand dächte: Buchstaben sind die ersten absolut selbständigen Urbestandteile, aus denen die

Rede zusammengesezt ist. Vielleicht stellt sich in dem Kopf eines Knaben, der eben die lateinische Grammatik zu erlernen begonnen hat, die Sache so dar: die lateinische Sprache besteht, wie jede Sprache, aus Wörtern, die Wörter aus Silben, die Silben aus Buchstaben, und diese sind also die wirklichen lezten Bestandteile, gleichsam die Atome, aus denen die Sprache zusammengesezt ist. Hier bedarf es nur der Besinnung, um das Falsche der Vorstellung zu erkennen. In Wahrheit ist natürlich allein die lebendige Rede; Wörter, Silben, Buchstaben sind Abstraktionen, die als solche in der Wirklichkeit nicht vorkommen. Der Grammatiker zerteilt die Rede in einzelne Wörter und Laute; die Beschreibung kann nicht das Ganze auf einmal geben, sie zerlegt es daher und läßt dann aus den Teilen allmählich das Ganze entstehen. Aber in Wirklichkeit ist es natürlich nicht so; die Sprache hat nicht damit begonnen, daß man erst einzelne Laute oder Buchstaben sprach, a und b und c, dann sie zu Silben und Wörtern zusammenfaßte und endlich die Wörter zum Sag an einander fügte. Sondern die Sprache war immer nur wirklich im Zusammenhang lebendiger Rede; nur in der grammatischen Betrachtung sind Buchstaben und Wörter etwas für sich seiendes, können doch die Buchstaben größtenteils nicht einmal für sich gesprochen werden. Und ganz dasselbe gilt auch von dem Seelenleben. Auch hier kommt ja die Meinung vor, als sei es etwas aus Vorstellungen, Empfindungen, Gefühlen, als den selbständigen Elementen, Zusammengeseztes. Auch hier ist diese Vorstellung absurd; in Wirklichkeit ist allein das einheitliche Ganze, das nur von der Psychologie für die Betrachtung in einzelne Seiten und Elemente zerlegt wird. Ja man kann weiter gehen und sagen: nicht einmal die Einzelseele ist als ein Selbständiges gegeben, gegeben ist das Gesamtleben und in ihm das Einzelleben als ein Teil oder Glied. Man kann es in der Betrachtung isolieren, aber man kann es nicht als ein ursprünglich selbständiges Element in der Wirklichkeit antreffen, um aus der Vereinigung Vieler ein Ganzes zusammenzusetzen. So meinte der alte Rationalismus: das Volk ein Kompositum von Individuen. Aber Aristoteles hat auch hier recht: das Ganze ist vor den Teilen, die Teile sind durch das Ganze.

Nun, eben dasselbe gilt auch in der physischen Welt: das Atom ist ein Abstraktum, wie der Buchstabe; so wenig als dieser kommt es

allein und isoliert in der Wirklichkeit vor; so wenig als ein stummer Konsonant, ist es ein für sich existierendes oder existenzfähiges Objekt. Man versuche doch, es als solches vorzustellen. Wie sieht es aus? Ist es ausgedehnt, wie ein Körper? Bejaht man mit dem antiken Atomismus die Frage, so ergiebt sich sogleich die Folge, daß es teilbar ist. Was ausgedehnt ist, das hat Teile, die außer einander sind; so liegt es im Begriff, ob wir die Teilung vollziehen können oder nicht. Dann ist es aber auch nicht ein metaphysisch leztes einheitliches Wesen, sondern ganz in demselben Sinn wie der Körper zusammengeseßt. Nimmt man dem Atom die Ausdehnung, sezt man es dem Punkt gleich, wie es die mathematische Physik für ihre Zwecke thut und thun mag, so erhebt sich für den materialistischen Metaphysiker, der das Atom zum absoluten Weltprinzip machen will, die verlegene Frage, worin denn sein Wesen bestehe? Was ist ein seiender Punkt? Sagt man: ein System von Kräften, so wird ihm damit, von anderen Schwierigkeiten abgesehen, die Selbständigkeit genommen. Eine Kraft ist nur wirklich, sofern sie wirkt; Wirken aber seht voraus ein anderes, auf das gewirkt wird. Ohne dies andere kann demnach das Kraftatom weder da sein noch begriffen werden. Und woraus besteht der leere Raum zwischen den Atomen? - Wenn man versucht, auf diese Fragen sich eine Antwort zu geben, wird man vielleicht finden, daß die Auskunft Kants, die Kontinuitätshypothese, welche den Raum kontinuierlich, wenn auch mit verschiedener Intensität erfüllt sein läßt, wenigstens geeignet ist, einer Reihe sehr lästiger Fragen ein Ende zu machen. Auf jeden Fall aber wird man sich überzeugen, daß es mit den Atomen, so einfach die Sache anfangs aussieht, doch nicht so glatt abgemacht ist. Sie haben ihren guten Gebrauch als Konstruktionshülfen in der Physik und Chemie, und diese mögen sich ihren Begriff zurechtlegen, wie es ihren Zwecken angemessen ist. Aber von Atomen als von den gegebenen lezten, selbständigen Elementen der Wirklichkeit zu reden vermag nur, wer ohne über die Sache nachgedacht zu haben, sich von einer der Anschauung sich einschmeichelnden Analogie leiten läßt: wie eine Mauer aus Ziegelsteinen besteht, so besteht ein Ziegelstein wieder aus kleineren Ziegelsteinen, bis man zuletzt auf lezte Ziegelsteine kommt, die so klein sind, daß es sich nicht mehr der Mühe verlohnt, über ihre Natur sich den Kopf zu zerbrechen.

Ich erinnere hier an eine Betrachtung, die der Metaphysik Loßes geläufig ist: Wirklichkeit kommt dem Einzelnen nur in der Gesamtheit der Dinge zu, worauf es wirkt und wovon es leidet. Die gemeine Vorstellung meint das einzelne Ding ohne Rücksicht auf seine Wirkungen für sich sehen zu können. Das ist eine Täuschung; ein Ding, das nicht wirkt, ist nicht; nur als Glied des Ganzen hat es Wirklichkeit; Wirklichkeit bedeutet für es: in Beziehungen des Wirkens und Leidens stehen.

Eine zweite Betrachtung, die auf dasselbe Ziel führt, geht von dem Begriff des Wirkens und Leidens selbst aus. Der gesunde Menschenverstand braucht diese Begriffe täglich, ohne sonderliche Schwierigkeiten darin zu finden. Er stellt sich die Sache etwa so vor: zum Wirken und Leiden gehören zwei Dinge, deren jedes seine Wirklichkeit für sich hat. Aber nun geschieht es, daß es ungeachtet seiner Selbständigkeit eine Veränderung seines Zustandes erfährt, die nicht in ihm selber begründet ist; wir sagen: es erleidet einen Einfluß, der von außen, von dem anderen Dinge herkommt. Und ebenso übt es seinerseits auf das andere Einfluß aus.

Es ist von jeher das Schicksal der Philosophie, an dem Anstoß zu nehmen, was aller Welt ganz unanstößig und einleuchtend ist, nodum in scirpo quaerere. So fragt sie hier: was heißt das doch eigentlich, einen Einfluß üben? Man sagt: der Mond übt einen Einfluß auf die Erde, er zieht z. B. die Gewässer des Ozeans an sich und bewirkt dadurch die Erscheinung von Ebbe und Flut. Was geschieht hier? löst sich von dem Monde etwas ab, schwimmt durch das Leere hinüber zur Erde, hängt sich an die Wasserteile des Meeres und hebt sie dem Mond entgegen? Geht von dem Monde ein Ausfluß aus, der, nach allen Seiten gleichmäßig sich ausbreitend, den Raum erfüllt und gleichsam absucht, und wo er einen Körper, groß oder klein, antrifft, sich alsbald an ihn hängt und ihn gegen den Mond zieht oder stößt? Oder wie sollen wir das Vorsichgehen der Einwirkung sonst vorstellen? Ist der Mond mit der Erde, ist jedes Massenteilchen mit jedem andern durch ein unsichtbares Seil oder Band verknüpft, wodurch es das andere zu sich zieht? Nun, von alledem weiß die Physik gar nichts. Was sie uns wirklich sagt, wenn sie die Flutwelle eine Wirkung der Anziehungskraft des Mondes nennt, ist dies:

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