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entgegen, die Organismen. Wie Mikrokosmen wiederholen sie das Bildungsgesetz der Makrokosmen, sie stellen kleine einheitliche, gegliederte Systeme dar mit einer Reihe periodisch wiederkehrender Veränderungen, Blutumlauf, Atmung, Stoffwechsel, Generationswechsel, die von einer einheitlichen Gesamtentwickelung (Geburt, Entwickelung, Alter, Tod) umschlossen werden. Überall laufen diese Veränderungen in relativ geschlossener Einheit ab, aber mit Beziehung auf die Bewegungen in dem größeren System: die Pflanzen und Tiere fügen sich mit ihren zyklischen Lebensprozessen den zyklischen Bewegungen des Erdkörpers ein; der Generationswechsel folgt im ganzen dem Wechsel der Jahreszeiten, also der Bewegung um den Zentralkörper, die Lebensbethätigung und der Stoffwechsel stehen zu dem Wechse von Tag und Nacht, also der Achsendrehung, in engster Beziehung. Endlich löst die Physiologie die lebenden Körper wieder in kleinere Einheiten, die Zellen, auf, die nochmals in verkleinertem Maßstab denselben mikrokosmischen Charakter zeigen. Und zuletzt zeigt die Chemie, daß alle Körper, organische und unorganische, aus kleinen Systemen bestehen, den Molekülen, die sie wieder als ein Spiel vorausgesetzter Teile konstruiert, der Atome. Hier bleibt die Analyse einstweilen stehen, der Zukunft überlassend, auch die Atome wieder als zusammengesezte Systeme zu konstruieren. — So stellt uns die Naturwissenschaft die Wirklichkeit als einen durchgängig einheitlichen und durchgängig gegliederten Kosmos dar.

Es ist leicht zu sehen, daß die geistige Welt, so viel wir von ihr erkennen, denselben Charakter zeigt, Einheit und Gliederung sind auch hier die hervortretenden Grundzüge. Es giebt in der geistiggeschichtlichen Welt so wenig wie in der physischen vereinzelte Elemente, vielmehr schließen sich alle zu einer Einheit geistig-geschichtlichen Lebens zusammen. Man nehme ein beliebiges Einzelleben. Sein Inhalt kann nicht beschrieben werden, als durch Einfügung in den geschichtlichen Zusammenhang; die ganze Zeitgeschichte und die ganze Vergangenheit ist darin, und auf die ganze Zukunft gehen die Wirkungen. Eine Biographie Lessings kann nicht geschrieben werden, ohne daß Friedrich der Große und Voltaire, Göze und Gottsched, Leibniz und Spinoza darin vorkommen. Aber jeder dieser Namen steht wieder in neuen Beziehungen zu Zeitgenossen und Vorfahren; die ganze geschichtliche

Welt des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts dringt hinein, und nur durch Willkür kann das Einzelne herausgelöst und für sich dargestellt werden. Und die Entwickelung der Neuzeit hängt wieder aufs innigste mit Renaissance und Reformation, mit Mittelalter und Altertum zusammen; und im Griechentum berührt sich das Altertum mit dem Orient; alle diese Dinge sind die Voraussetzung des geistigen Inhalts, welchen wir das Leben Lessings nennen. Man sieht, die geistiggeschichtliche Welt ist eine Einheit, wie die physische Welt: Alles in jedem und jedes in allem!

Und ebenso zeigt sich auch hier die Neigung zur Bildung kleinerer relativ geschlossener Kreise: die Menschheit gliedert sich in Völker, deren jedes eine Einheit geistigen Lebens bildet, in sich zusammengeschlossen durch die Einheit der Sprache, worin der geistige Inhalt sich objektiviert; die Völker gliedern sich wieder in Stämme, diese in Landschaften, die Landschaften in einzelne Orte, die Orte in Familien, jede dieser Gruppen ein einheitlicher, relativ in sich geschlossener Lebensfreis mit eigener Geschichte und eigentümlichem geistigen Inhalt. Die legten Einheiten bilden die Individuen, in deren jedem die größeren Kreise zu einer einzigen, so nur einmal vorkommenden Bildung inneren Lebens spezialisiert sind.

Also, die Wirklichkeit stellt, so viel wir sehen können, ein einheitliches, gegliedertes, von Gesezen durchgängig beherrschtes System dar, einen Kosmos. Das ist die Thatsache. Und nun erhebt sich die Frage: wie sollen wir diese Thatsachen deuten oder konstruieren? Woher kommt es, daß die Welt nicht eine chaotische Vielheit gegen einander absolut gleichgültiger Elemente ist, denkbar wäre ja auch das; woher kommt die kosmische Natur des Wirklichen, die Gliederung und die Zusammenschließung aller Dinge zu einem einzigen großen Durcheinander und Füreinander?

Es giebt drei Versuche, dieses Problem zu lösen, drei kosmologische Hypothesen: den Atomismus, den anthropomorphischen Theismus und den Pantheismus.

Der Atomismus (der nicht notwendig materialistisch ist, auch eine streng durchgeführte Monadologie gehört hierher) nimmt an, daß durch das bloße zufällige Nebeneinander an sich völlig selbständiger Urelemente der Schein der Einheit entsteht. Ein ursprünglicher innerer

Zusammenhang der Atome existiert überhaupt nicht, aber indem sie, an sich gleichgültig gegeneinander, sich im leeren Raum bewegen und begegnen, entstehen jene vorübergehenden Verbindungen, die wir Dinge und Zusammenhänge von Dingen nennen; indem unendlich viele Elemente im unendlichen Raum und in der unendlichen Zeit sich durcheinander bewegen, müssen alle möglichen Kombinationen zeitweilig wirklich werden.

Der anthropomorphische Theismus behauptet dagegen: es ist nicht denkbar, daß die Einheit, Gliederung und Ordnung der Wirklichfeit ein Ergebnis des Zufalls oder blindgesetzmäßiger Bewegung ist; die Form der Welt ist nur durch die Wirksamkeit einer nach Zwecken thätigen, Gliederung und Verlauf in Gedanken vorausnehmenden baumeisterlichen Intelligenz zu erklären.

Der Pantheismus endlich seßt das Prinzip der Einheit als ein der Welt immanentes. Die Wirklichkeit ist ein einziges Wesen; nicht die Einheit, sondern die Vielheit ist sekundär. Oder, die Elemente der Wirklichkeit sind nicht selbständige Dinge, deren Summe das Ganze ausmacht, sondern sie sind durch das Ganze gesezte Momente, in ihm seiende Bestimmungen oder Modifikationen seines Wesens.

2. Atomistische und teleologisch-theistische Naturerklärung. Die Erörterung der konkurrierenden Hypothesen beginne ich mit der Darstellung des Gegensatzes der atomistischen und der theistischen Hypothese, und zwar zunächst in der Gestalt, wie er Jahrtausende lang das Denken der Menschen beherrscht hat, das heißt ohne Rücksicht auf die Veränderung des Problems, welche in unserem Jahrhundert die entwickelungsgeschichtliche Biologie und Kosmologie mit sich geführt haben. Es sind die beiden Anschauungen, die dem ge= wöhnlichen Denken auch heute noch am nächsten liegen; der Atomismus ist vorherrschend in den Kreisen der naturwissenschaftlichen Bildung, der anthropomorphische Theismus in den Kreisen, die unter dem Einfluß der kirchlichen Philosophie stehen. Wozu ich denn gleich bemerke, daß die Kirchenlehre in einem wesentlichen Stück von der Ansicht, die ich mit dem Namen des anthropomorphischen Theismus bezeichne, sich unterscheidet, darin nämlich, daß sie keine selbständig seiende Materie annimmt, daß sie Gott nicht als Baumeister, sondern als Schöpfer

der Welt aus nichts ansieht. Damit nähert sie sich der dritten Auffassung, der pantheistischen, so sehr, daß sie begrifflich von ihr nicht getrennt werden kann: ein Wesen, daß alle übrigen aus nichts erschafft, ist notwendig das einzig selbständige oder wahrhaft seiende Wesen. Dingen, die von ihm erschaffen und im Dasein erhalten werden, kommt ihm gegenüber keine Selbständigkeit zu; sie sind im Verhältnis zu Gott Bethätigungen und Bestimmungen seines Wesens. Die Allmacht kann alles, nur nicht ihren Geschöpfen Selbständigkeit sich selbst gegenüber geben, sie müßte ihnen denn die Unerschaffenheit geben können.

Der anthropomorphische Theismus, um mit seiner Darstellung zu beginnen, stüßt sich etwa auf folgende Beweisführung, sie wird die teleologische genannt.

Überall, wo wir eine Vielheit von Elementen, die ihrem Dasein nach von einander unabhängig sind, so angeordnet finden, daß sie durch ihr Zusammenwirken regelmäßig einen sinn- oder wertvollen Erfolg hervorbringen, da nehmen wir an, daß die Anordnung der Teile durch eine Intelligenz bewirkt sei, die, den Erfolg als Zweck wollend, die Zusammenfügung der Teile als Mittel ins Werk sezte. In einer Uhr z. B. sind viele Teile: Räder, Zapfen, Steine, Zeiger, Zifferblatt, Feder, so zusammengefügt, daß ihr Zusammenwirken eine gleichförmige Bewegung der Zeiger zur Folge hat, wodurch die Uhr zu einem geeigneten Werkzeug der Zeitmessung wird. Jedermann, der den Zweck kennt und die Anordnung der Teile sieht, schließt sogleich mit Zuversicht auf einen Ursprung dieses Dinges aus Kunst und Absicht. Und wenn er auf einer unbewohnten Insel eine Uhr oder auch nur ein Bruchstück eines Zahnrades fände, so würde er alsbald sagen: hier waren Menschen; nicht der Zufall hat die Elemente so zusammen= geführt, sondern menschliche Absicht.

Nun, eben dieser Fall liegt in der Natur im großen vor. Wir sind nicht Augenzeugen der ersten Anordnung der Teile gewesen; aber überall begegnen uns Erzeugnisse des Naturlaufs, die Erzeugnissen menschlicher Kunst und Absicht so sehr gleichen, daß wir auf ähnlichen Ursprung, auf die Thätigkeit einer baumeisterlichen Intelligenz zu schließen genötigt werden. Vor allem gilt das von den Lebewesen. Sie gleichen in Bau und Verrichtung sehr komplizierten Maschinen. Die Teile: Knochen, Muskeln, Bänder, Nerven, Gefäße, Herz, Lunge,

Blut, Magen, Haut, Haare u. s. w. sind so zusammengefügt, daß ihre Wechselwirkung jenen Erfolg, den wir Leben nennen und als sinnund wertvoll, ja als die Vorausseßung aller Werte erkennen, zur Folge hat. Und jeder dieser Teile ist wieder zusammengesezt und zeigt dieselbe erstaunliche Anpassung vieler Teile zur Ermöglichung einer für das Ganze notwendigen Funktion. Man nehme das Auge. Da haben wir zuerst die Nezhaut mit den Endigungen der Fasern des optischen Nerven, erstaunlich komplizierte Gebilde, wie das Mikroskop zeigt, ge= eignet, von jenen leisesten Erschütterungen, den Lichtwellen, erregt zu werden und ihre Erregung durch die Nervenfasern dem Gehirn zuzuführen. Die allgemeine Lichtempfindlichkeit würde aber zur Orientierung in der Wirklichkeit wenig nüßlich sein, wenn nicht scharf umrissene Bilder der Objekte auf die Retina geworfen würden. Dies bewirkt der vorgelagerte optische Apparat: durch Hornhaut, Linse, Glaskörper werden die einfallenden Lichtstrahlen so gebrochen, daß sie ein scharfes, verkleinertes, umgekehrtes Bild des Gegenstandes auf die Nezhaut zeichnen. Der bewegliche Schirm der Iris mit der zentralen Öffnung der Pupille, der die trübenden Strahlen, die durch den Rand der Linse gehen würden, abhält, die Auskleidung der Augenhöhle mit schwarzem Pigment, ein kompliziertes Muskel- und Nervensystem, wodurch dem Auge die Accommodation an verschiedene Entfernung der Objekte sowie allseitige Beweglichkeit in der Augenhöhle verliehen wird, vollenden seine Brauchbarkeit. Endlich ist das ganze so wichtige Organ aufs sorglichste verwahrt; eingebettet in eine Knochenhöhle des Schädels, wird es noch durch Lider, Wimpern, Brauen gegen allerlei zufällige Schädlichkeiten geschüßt.

Was uns hier entgegentritt, wiederholt sich im Organismus tausendfach; jedes Organsystem zeigt dieselbe künstliche Zusammenfügung einer Vielheit von Teilen zu einem Werkzeug, dessen Thätigkeit die Erhaltung des Lebens, sei es des Individuums, sei es der Art, ermöglichen hilft. Je tiefer mit neuen Untersuchungsmitteln Anatomie und Biologie in den Bau und die Funktionen des Leibes eindringen, desto erstaunlicher wird die Sache; immer größer wird vor unseren Augen die Komplikation, immer tiefer dringt die Gliederung, immer mannigfacher wird die Bildung. Aber in demselben Maße wächst das Wunder der Zusammenstimmung der Teile zum Ganzen,

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