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Doch hat sie auch ein Fläschchen Balsam - Feuers, Dem keiner Erde Honig gleicht,

Wovon sie wohl einmal, von Lieb' und Treu' erweicht,
Um die verlechzten Lippen ihres Ungeheuers

Ein Tröpfchen mit der Fingerspiße streicht,
Und wieder flieht und mich mir überläßt,
Und ich dann, losgebunden, fest
Gebannt bin, immer nach ihr ziehe,
Sie suche, schaudre, wieder fliehe

So läßt sie den zerstörten Armen gehn,
Ist seiner Lust, ist seinen Schmerzen still;

Ha! manchmal läßt sie mir die Thür halb offen stehn,
Seitblickt mich spottend an, ob ich nicht fliehen will.

Und ich!

Götter, ist's in euren Hånden,
Dieses dumpfe Zauberwerk zu enden;

Wie dank' ich, wenn ihr mir die Freiheit schafft!
Doch sendet ihr mir keine Hülfe nieder

Nicht ganz umsonst reck' ich so meine Glieder:
Ich fühl's! Ich schwör's! Noch hab' ich Kraft.

Liebe bedürfniß.

Wer vernimmt mich? ach wem soll ich's klagen?
Wer's vernähme, würd' er mich bedauern?

Ach, die Lippe, die so manche Freude
Sonst genossen hat und sonst gegeben,
Ist gespalten und sie schmerzt erbårmlich.
Und sie ist nicht etwa wund geworden,
Weil die Liebste mich zu wild ergriffen,
Hold mich angebissen, daß sie fester
Sich des Freunds versichernd ihn genösse:
Nein, das zarte Lippchen ist gesprungen,
Weil nun über Reif und Frost die Winde
Spiß und scharf und lieblos mir begegnen.

Und nun soll mir Saft der edlen Traube, Mit dem Saft der Bienen bei dem Feuer Meines Herds vereinigt Lind'rung schaffen. Ach, was will das helfen, mischt die Liebe Nicht ein Tröpfchen ihres Balsams drunter?

Süße Sorgen.

Weichet, Sorgen, von mir! - Doch ach! den sterblichen Menschen Låffet die Sorge nicht los, eh' ihn das Leben verläßt. Soll es einmal denn seyn; so kommt ihr, Sorgen der Liebe Treibt die Geschwister hinaus, nehmt und behauptet mein Herz!

Anliegen.

O schönes Mädchen du,
Du mit dem schwarzen Haar,
Die du an's Fenster trittst,
Auf dem Balcone stehst!
Und stehst du wohl umsonst?
Ostündest du für mich
Und zögst die Klinke los,
Wie glücklich wär' ich da!

Wie schnell språng' ich hinauf!

An seine Spride.

Siehst du die Pomeranze? Noch hångt sie an dem Baume; Schon ist der März verflossen, Und neue Blüthen kommen.

Ich trete zu dem Baume,

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und sage: Pomeranze, Du reife Pomeranze,

Du süße Pomeranze,

Ich schüttle, fühl, ich schüttle, fall in meinen Schoos!

Die Musageten.

Oft in tiefen Mitternachten
Nief ich an die holden Musen:
Keine Morgenröthe leuchtet.
Und es will kein Tag erscheinen,
Aber bringt zur rechten Stunde
Mir der Lampe fromm Geleuchte,
Daß es, statt Auror' und Phóbus,
Meinen stillen Fleiß belebe!
Doch fie ließen mich im Schlafe,
Dumpf und unerquicklich, liegen,
Und nach jedem späten Morgen
Folgten ungenußte Tage.

Da sich nun der Frühling regte,
Sagt ich zu den Nachtigallen:
Liebe Nachtigallen, schlaget

Früh', o früh'! vor meinem Fenster,
Weckt mich aus dem vollen Schlafe,
Der den Jüngling mächtig fesselt.
Doch die lieberfüllten Sånger
Dehnten Nachts vor meinem Fenster
Ihre füßen Melodien,

Hielten wach die liebe Seele,
Regten zartes neues Sehnen
Aus dem neugerührten Busen.
Und so ging die Nacht vorüber
Und Aurora fand mich schlafen,
Ja, mich weckte kaum die Sonne.

Endlich ist es Sommer worden,
Und beim ersten Morgenschimmer
Reizt mich aus dem holden Schlummer
Die geschäftig frühe Fliege.
Unbarmherzig kehrt sie wieder,
Wenn auch oft der halb Erwachte
Ungeduldig sie verscheuchet,

Lockt die unverschämten Schwestern,
Und von meinen Augenliedern
Muß der holde Schlaf entweichen.
Rüstig spring' ich von dem Lager,
Suche die geliebten Musen,
Finde sie im Buchenhaine;
Mich gefällig zu empfangen,
Und den leidigen Insecten
Dank ich manche goldne Stunde.
Seyd mir doch, ihr Unbequemen,
Von dem Dichter hochgepriesen,
Als die wahren Musageten.

Morgenklagen.

O du loses leidigliebes Mädchen,
Sag' mir an, womit hab' ich's versœuldet,
Daß du mich auf diese Folter spannest,
Daß du dein gegeben Wort gebrochen?

Drucktest doch so freundlich gestern Abend
Mir die Hände, lispeltest so lieblich:
Ja, ich komme, komme gegen Morgen
Ganz gewiß, mein Freund, auf deine Stube.

Angelehnet ließ ich meine Thüre,

Hatte wohl die Angeln erst geprüfet,

Und mich recht gefreut, daß sie nicht knarrten.

Welche Nacht des Wartens ist vergangen!
Wacht' ich doch und zählte jedes Viertel:
Schlief ich ein auf wenig Augenblicke,
War mein Herz beständig wach geblieben,
Weckte mich von meinem leisen Schlummer.

Ja, da segnet' ich die Finsternisse,
Die so ruhig alles überdeckten,
Freute mich der allgemeinen Stille,
Horchte lauschend immer in die Stille,
Ob sie nicht ein Laut bewegen möchte.

Hätte sie Gedanken wie ich denke,
,,Håtte sie Gefühl wie ich empfinde,
,,Würde sie den Morgen nicht erwarten,
„Würde schon in dieser Stunde kommen.“

Hüpft' ein Käßchen oben über'n Boden,
Knisterte das Mäuschen in der Ece,
Regte sich, ich weiß nicht was, im Hause,
Immer hofft' ich, deinen Schritt zu hören,
Immer glaubt' ich, deinen Tritt zu hören.

Und so lag ich lang' und immer långer,
Und es fing der Tag schon an zu grauen,
Und es rauschte hier und rauschte dorten.

„Ist es ihre Thüre? Wár's die meine!”
Saß ich aufgestemmt in meinem Bette,
Schaute nach der halb erhellten Thüre,
Ob sie nicht sich wohl bewegen möchte.
Angelehnet blieben beide Flügel-
Auf den leisen Angeln ruhig hangen.

Und der Tag ward immer hell und heller;
Hört' ich schon des Nachbars Thüre gehen,
Der das Taglohn zu gewinnen eilet, 1
Hört' ich bald darauf die Wagen rassen,
War das Thor der Stadt nun auch eröffnet,
Und es regte sich der ganze Plunder
Des bewegten Marktes durch einander.
Goethe's Gedichte, I. Bd.

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