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sei ihm bei seinem Charakter und Alter wohl zuzutrauen; Furcht vor Germanicus sei sicherlich nicht dabei im Spiele gewesen. Was Tacitus von seiner Erbitterung gegen Asinius Gallus, L. Arruntius, Scaurus und Haterius berichte, werde durch sein nachmaliges Verhalten diesen Männern gegenüber widerlegt. Die Leichtigkeit und Umsicht, mit welcher Drusus den Aufstand der pannonischen Legionen bezwungen habe, sei anzuerkennen im Gegensatz zu dem schwächlichen und vielfach unwürdigen Auftreten des Germanicus gegen die Empörer am Rhein. Die Stellung, die Tib. beiden Bewegungen gegenüber einnahm, sei völlig correct. Der Tod der Julia könne ihm nicht zugeschrieben werden, und über die Ermordung ihres ehemaligen Buhlen Sempronius Gracchus gebe Tac. selbst unklare Nachrichten, insofern einerseits die Mörder nach den Einen von Rom, nach den Anderen von Asprenas, dem Proconsul von Afrika, abgesendet seien, andererseits es nicht klar sei, dass Asprenas von Tib. Auftrag erhalten habe. Unmöglich könne der Kaiser Neid empfunden haben gegen die seiner Mutter zu erweisenden Ehren. Damit, dass er die ungünstigen Nachrichten von den pannonischen Legionen verheimlichte, habe er Recht gethan. Tacitus' eigener Bericht über die Ereignisse der Empörung am Rhein stehe vielfach in Widerspruch zu der Behauptung, dass Germanicus ein Mann von besonders mildem Charakter und bei Volk und Legionen aufserordentlich beliebt gewesen sei. Von gegenseitiger Erbitterung zwischen Germanicus und Tiberius zeige sich keine Spur. Tiberius' Gründe, nicht nach Deutschland zu gehen, seien berechtigt gewesen. Den Germanicus habe er auf alle Weise geehrt, obgleich dieser nur durch Nachgiebigkeit, Schmeichelei und schweres Blutvergiefsen das Heer beim Gehorsam erhalten habe. Alle Regierungsmafsregeln des Tib. aus dem folgenden Jahre seien zu loben, und die Bemerkungen, mit denen Tac. sie begleitet, fänden in den Thatsachen keine Begründung. Der Besuch des Germanicus auf der Wahlstatt des Teutoburger Waldes, sowie das Auftreten der Agrippina bei dem Heere am Rhein sei von Tib. mit Recht getadelt worden. In den Majestätsklagen dieses Jahres zeige sich Tib. überall nachsichtig. Die im dritten Regierungsjahre erfolgte Zurückberufung des Germanicus sei mit Rücksicht auf dessen geringe Erfolge wohlbegründet; die Bitte, er möge seinem Bruder Drusus Gelegenheit geben, sich auszuzeichnen, sei ein natürlicher Beschwichtigungsvorwand. Tiberius' Verhalten in dem Prozesse des Libo Drusus und in der Sache der Urgulania sei unanfechtbar, sein Urtheil über den Hortalus habe sich später als richtig erwiesen. Die Vorliebe des Tac. für Germanicus sei ebenso grofs, wie seine Neigung zur Verdächtigung des Tiber, welche in dem Bericht über alle übrigen Handlungen des Kaisers während seines dritten Regierungsjahres hervortrete. -- Auch im vierten Jahre zeige sich Tib. als tüchtigen Herrscher. Seine

Liebe zu Germanicus werde bewiesen durch die Gestattung des Triumphes; ebenso zeige sich in der Sendung nach Asien nur die Liebe und das Vertrauen des Kaisers zu seinem Sohne. Um seiner in Deutschland bewiesenen Unselbständigkeit zu Hilfe zu kommen, habe er ihm den tüchtigen Cn. Piso zur Seite gestellt. Von diesem stolzen Manne aber sei es nicht zu glauben, dass er sich zum Werkzeuge des Tiber hergegeben habe. Die Aufträge der Livia an die Plancina könnten sich nur auf die Agrippina bezogen haben, welche der Mittelpunkt eines Kreises gewesen sei, der Tiber und seinem Sohne feindlich gegenüberstand. Tibers Sorge für bedrängte Unterthanen und sein Verhalten testamentarischen Schenkungen gegenüber werde von Tac. selbst gelobt; in den Majestätsklagen dieses Jahres zeige er sich gerecht, sogar gütig.

Hiermit bricht die Arbeit wegen mangelnden Raumes ab.

In einer Anzeige der im vorigen Jahresbericht besprochenen Schrift von Riedl, über den Parteistandpunkt des Tacitus, Programm, Wien 1875 in der Ztschr. f. d. österr. Gymnasien XXVII (1876) p. 146-148 hebt J. Zycha hervor, dass Riedls Resultate besser begründet sein würden, wenn, was noch nicht geschehen wäre, zuvor die Quellen verhältnisse jener Zeit überhaupt und Tacitus' Verhältnis zu denselben insbesondere genau erforscht und eingehend geprüft worden wären.

Leonhard, Ueber die Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit des Tacitus. Programm. Ellwangen 1877. 4. 32 S.

Eine Apologie des Tacitus, welche in einen einleitenden, einen allgemeinen und einen speciellen Theil zerfällt. Die Einleitung enthält eine Charakteristik der Schriften von Sievers, Stahr und Freitag, sowie der von anderen Gesichtspunkten ausgehenden Untersuchungen von Spengel, Verhandlungen d. Münchener Akademie VII und von Anton, Programm Rossleben 1850, endlich der neuesten Untersuchungen über Tacitus' Quellen. Der allgemeine Theil sucht die Sympathien und Antipathien des Tac. zu rechtfertigen, sowie den geringeren Grad seiner Glaubwürdigkeit da, wo es sich um internationale Verhältnisse oder um die religiösen Anschauungen eines fremden Volkes handelt, als begreiflich oder entschuldbar zu erweisen; auch sei nicht zu vergessen, dass die dem Tac. eigene Neigung zu psychologischer Begründung an und für sich schon die Gefahr des Irrthums in sich schliefse. Der specielle Theil beschäftigt sich mit den im Eingang der Annalen erzählten Vorgängen, den entgegengesetzten Urtheilen der Zeitgenossen über den Augustus, dem Verhältnis des Tiberius zum Augustus und seinem Regierungsantritt, der Hinrichtung des Agrippa Postumus und dem Verhältnis des Kaisers zu seiner Mutter, in zwar ausführlicher, aber keine neuen Gesichtspunkte gewinnender Polemik gegen Sievers, Stahr und

Freitag. Die Fortsetzung dieser Polemik verschiebt Verf. auf eine spätere Gelegenheit. Der sprachliche Ausdruck ist hier und da fehlerhaft (z. B.:,,eine Vollständigkeit der Litteratur konnte und wollte nicht gegeben werden", ,,in Abrede ziehen“, ,,misstimmt" als Participium).

Rudolph Schmidt, De rationibus quibusdam, quae efficiant, ut C. Cornelii Taciti opera tanti in historia litterarum sint momenti. Progr. Schässburg. Hermannstadt. S. Filtsch's Buchdruckerei. 1876. 8. 20 S.

Diese anspruchslose Arbeit ist geschrieben in der Hoffnung ,,fore ut aliquantulum fructus percipiant ex opella mea ii certe, qui non totos se adhuc studiis Taciteis dederint". Auf eine Besprechung der äufseren Lebensverhältnisse des Tacitus folgt eine Erörterung über Entstehungszeit und Inhalt seiner Schriften; in der Frage der Tendenz der Germania schliefst sich Verf. an Baumstark an. Mit andern Schriftstellern lasse sich Tac. kaum vergleichen, weder mit Plinius, noch mit Livius, dem eine allgemeine Idee fehle, selbst nicht mit Sallust, der die starke Empfindung und die tragische Kraft des Tacitus, sowie die diesem eigene Höhe der Gesammtanschauung nicht besitze. Hierauf giebt Verf. eine kurze Darstellung der religiösen und politischen Anschauungen des Tacitus, sowie der hervorragendsten Eigenthümlichkeiten seines Stils, der Kürze, des Strebens nach Abwechselung, der Allitteration (?), Personification, der Scheu vor dem Gewöhnlichen. Seine Glaubwürdigkeit sei unantastbar, ebenso seine stilistische Unabhängigkeit von seinen Vorgängern in der Geschichtschreibung. Das Latein des Verf. ist zwar nicht fehlerfrei, aber leidlich gewandt.

Fr. W. Hensell, De praepositionis 'per' usu Taciteo. Diss. inaug. Marburg 1876. 8. 52 S.

Eine in nicht sonderlichem Latein geschriebene, aber fleifsige und recht verständige Arbeit, welche wohl geeignet ist, ein übersichtliches Bild der ausgedehnten und mannigfaltigen Anwendung zu geben, welche die Präposition per in den Schriften des Tacitus findet. Die Beispiele, welche H. giebt, sind, wie es scheint, vollständig; zu loben ist ferner das Bestreben des Verfassers, durch alle Beispiele und Anwendungen hindurch die durch die ursprüngliche Bedeutung der Präposition ('die Bewegung durch etwas hin') gegebene Einheit festzuhalten. Es ist zu wünschen, dass die Ergebnisse der Monographie dem lexicon Taciteum von Gerber und Greef zu Gute kommen.

Vorausgeschickt sind einige Bemerkungen über Besonderheiten in der Anwendung der Präposition, zunächst eine Erörterung über die mit per zusammengesetzten Verben und Adjective als Nachtrag zu Böttichers Lexicon p. 349-357 und Drägers

Syntax und Stil p. 96. Bei dieser Gelegenheit vertheidigt H. mit Unrecht die Ueberlieferung A. 12, 26, 6 per intempestiva (getrennt), wo Sirker ohne Zweifel richtig per in puer verwandelt hat; vergl. A. I, 58, 24: educatus Ravennae puer quo mox ludibrio conflictatus sit, in tempore memorabo. Eigentliche Anastrophe kennt Tac. bei per nicht, wohl aber die Zwischenstellung, deren Beispiele von den kleinen Schriften, wo sie sich noch gar nicht findet, bis zu den Annalen (36 Beispiele) immer häufiger werden. Die Anaphora ist bei per ziemlich häufig; auch wechselt diese Präposition in parallelen Satzgliedern in den gröfseren Schriften häufig mit anderen Präpositionen, besonders mit in, und, nach dem Vorgange des Sallust und Livius, mit dem Ablativus (besonders dem instrumentalen), gewöhnlich so, dass ein Unterschied der Bedeutung zwischen beiden Ausdrücken nicht zu erkennen ist.

H. erörtert nun zunächst die locale Bedeutung von per und zwar in ursprünglicher, gesteigerter und tropischer Anwendung. Die ursprüngliche Anwendung des localen per zeigt sich in der Verbindung mit Länder- und Völkernamen, wobei die Präposition zuweilen von einem Substantiv abhängt, das den Begriff der Bewegung enthält (wie iter), zuweilen mit einem Ablativ wechselt (z. B. A. 1, 60, 5 per Bructeros finibus Frisionum), und mit anderen Ortsbezeichnungen, eine Verbindung, in der die Präposition zuweilen mit über', seltener mit 'längs' zu übersetzen ist. Die Namen der Flüsse und Meere, sowie der Wege, wechseln zwischen per und dem Ablativ. Das Neutrum Sing. eines Adjectivs findet sich abhängig von diesem den Weg bezeichnenden per nur in den Annalen, das Neutr. Plur. hier wenigstens viel häufiger, als in den Historien. Wenn per sich nicht auf den Ort selbst, sondern auf die ihn erfüllenden Gegenstände bezieht, so ist es oft so viel wie zwischenhin', 'darüberhin'; z. B. H. 1, 47, 8: per stragem iacentium in Capitolium vectus. In gesteigerter Bedeutung steht per bei denjenigen Worten, die den Begriff des Ausstreuens und Verbreitens enthalten, so bei den Verben crebrescere, discribi, dispergi und spargi, besonders häufig in den früheren Schriften, ferner bei disponi, dividi, fundi, palari, sterni und bei den Adjectiven rarus und vagus; ferner bei den Verben audiri, differri, vulgari, dem Adjectiv clarus und den Substantiven fama, (seltener) gloria und sermo; überhaupt bei allen Ausdrücken, welche den Begriff der Verbreitung über einen Raum hin enthalten, oft so, dass eine Form von esse zum Prädicat zu ergänzen ist; z. B. A. 14, 60, 14: inde crebri questus nec occulti per vulgum. Besonders gestellt sind diejenigen Beispiele, wo per nicht die Bewegung, sondern die Ruhe innerhalb eines Ortes bezeichnet. In diesem Falle berührt es sich mit in, unterscheidet sich aber von demselben dadurch, dass dieses einen einzelnen Punkt, per aber die Ausdehnung über einen ganzen Raum bezeichnet; z. B. H. 1, 68, 11: consectantibus Germanis Rhaetisque per silvas atque

Jahresberichte IV.

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in ipsis latebris trucidati. A. 6, 12, 14: quaesitis Samo, Ilio, Erythris (in Samos u. s. w.), per Africam etiam ac Siciliam et Italicas colonias carminibus Sibullae. Oft ist indessen dieses per geradezu in, z. B. H. 4, 27, 2: navem —, cum per vada haesisset. 5, 13, 3: visae per caelum concurrere acies, wo die Präposition und ihr Casus richtig mit visae verbunden werden. Die geläufigsten hierher gehörigen Verbindungen sind per domos und per provincias; z. B. H. 2, 87, 1: dum haec per provincias runtur verglichen mit 4, 31, 1: haec in Germania gesta. Die tropische Anwendung des localen per ist besonders häufig im Dialogus; des Verbums irrepere wegen zieht H. auch hierher c. 29: per quae paullatim impudentia irrepit; ferner Agr. 42: per abrupta, wo er mit Roth richtig den Begriff des Lebensganges in der Präposition erkennt.

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Das temporale per, hindurch', während', zuweilen innerhalb', wird mit annus (am geläufigsten ist per tot annos und tot per annos, in den Annalen) und anderen Zeitbegriffen, mit tempus nur in der Verbindung per idem tempus zur Bezeichnung des Ueberganges zu einem neuen, gleichzeitigen Ereignis verbunden; hierzu kommt per tenebras (besonders in den Hist.), per quadriduum u. ä. Ebenso steht per in der Bedeutung während' bei allen Erscheinungen, die eine gewisse Zeit hindurch dauern, und zwar häufiger in den Hist., als in den Ann.; z. B. per omnem valetudinem eius, während der ganzen Zeit seiner Krankheit' (Agr. 43), per quietem 'im Schlafe', per otium im Frieden', per interna bella, per incerta, per prospera, per adversa.

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Uebertragen steht per zunächst instrumental; und zwar ursprünglich nur von Personen (durch die gewissermafsen die HandJung hindurchgeht), wobei der Unterschied zwischen a und per zuweilen verschwindet (Agr. 12: nunc per principes factionibus et studiis distrahuntur ist wohl mit Unrecht hierhergezogen); dann auch von Sachen (nur ein Beispiel im Dialogus). Hierher rechnet II. auch A. 1, 2, 8: per acies aut proscriptione cecidissent nach 2, 64, 5: si bellum per acies confecisset, und Agr. 40: per ambitionem aestimare, sowie A. 15, 32, 7: per arenam foedati sunt (durch ihr Auftreten in der Arena). Am häufigsten sind die Verbindungen per artem (artes), per commercia (im Agr. und in der Germ.), per dolum, per edictum, per litteras, per obsequium, per promissa, per raptus, per saevitiam, per scelus, per tormenta. Manche Beispiele sind sicherlich mit Unrecht hierhergezogen, so H. 4, 42, 24: per singulas domos, wo, wie singulas zeigt, eine locale Vorstellung zu Grunde liegt; A. 14, 2, 3: per vinum et epulas ist per ebenfalls nicht instrumental, sondern temporal. Sehr viele der hier gegebenen Beispiele sind ohne Zweifel modal oder causal zu fassen; so A. 1, 19, 3: per seditionem et turbas, II. 4, 22, 6: per licentiam. Dem instrumentalen per ordnet H. auch die Verbindungen per me stat, per me licet unter (aber A. 6, 28, 13: quamquam magnas per

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