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Tugend und Laster.

Es wohnten in einem Hause vier fromme Weibspersonen, welche sich zu gleicher Zeit schwanger, und sehr übel befanden. Als nun die Geburtsstunde herbey kame, brachten sie auf Einen Tag vier sehr abscheuliche Kinder, nemlich zween Söhne und zwo Töchter auf die Welt. Die Wahrheit, welches die älteste und schönste unter besagten Frauen ware, gebore den Haß, ein ungestaltes Kind mit schehlen Augen und spißigen Klauen. Die Glückseligkeit, ein junges und freches Weib brachte an das Licht den Stolk, eine Mißgeburt mit zweyen Köpfen, einem Leib und Schwanz gleich einer abscheulichen Schlangen, mit Basilisken Flügeln 2c. Die Sicherheit gebore eine Tochter, die nennte sie die Gefahr, die wollte klettern wie eine Kaß, und hatte doch keine Klauen sich anzuhalten. Viertens erledigte fich die Vertreulichkeit einer Tochter, die nennte man die Verachtung. Wie nun die Eltern gute Freundschaft flogen, also wollten sie solche bey ihren Kindern erblich machen, und heyrathet der Herr Haß, die Fräulein Gefahr, und der Herr Stolk, das Fräulein Verachtung.

Der andere von den Fabeldichtern aus dem verflossenen Jahrhunderte ist Justus Gottfried Rabener, ein gelehrter Mann, der als Rector der Fürstenschule zu Meissen 1699 gestorben ist. Seine Fabeln, die unter dem Titel, Nügliche Lehrgedichte, 1691 zu Dresden in Octav herausgekommen, sind zu der Absicht, in welcher er sie für die Jugend aufgesehet hat, sehr dienlich gewesen. Er scheint freylich den Fußtapfen des Herrn Harsdörfer zuweilen gefolget zu seyn, indessen ist es ihm weit besser geglückt, als jenem. Seine hundert Fabeln zeigen von ei ner fruchtbaren Erfindungskraft. Und wenn dieser wackere Mann nicht in dem schematischen Weltalter gelebet hätte, wo

man recht tapfer allegorisiren mußte, wenn man wißig seyn wollte; wenn er sich ferner des Johann Valentin Andreä lateinische Apologen nicht zu Mustern genommen hätte, welche zu Straßburg unter dem Titel, Mythologia Christiana, 1619 herausgekommen, und nichts weniger, als gute Fabeln oder Erzählungen sind: so würden seine Erfindungen nebst seiner Schreibart weit größere Vorzüge haben. Nach meinen Gedan= ken verdienten es seine Fabeln, daß man sie von den Fehlern ihrer Zeit reinigte, und sie auf eine geringere Anzahl seßte. Etliche Blätter voller äsopischen Wißes, den ein kurzer und muntrer Vortrag belebet, stiften bey der Jugend und bey tausend Erwachsenen vielleicht mehr Nußen, als große Werke, worinnen man die Moral gründlich ausdehnet, mit einer tiefsinnigen Miene seicht, und mit einem systematischen Geschreye trocken abhandelt. Weil das Buch des Herrn Rabeners auch nicht in Vieler Händen ist: so will ich ein Paar Proben von seinen Fabeln geben.

Ein leichtfertiger Bube wollte einmahls in heissen SommerTagen in dem Strome baden nebenst andern-muthwilligen Knaben, wagete sich aber zu weit in den Strom, und wurde von demselben in eine gefährliche Tiefe geführet, in welcher er auch schon unterzusinken anfieng. Als aber die andern Knaben hierüber heftig anfiengen zu schreyen, lief ein ehrlicher Mann aus Mitleiden zu, sprang mit großer Gefahr in das Wasser, er= haschte den schon ertrinckenden bey den Haaren, und brachte ihn also mit großer Mühe aufs trockene. Un statt aber, daß der undankbare Vogel die Wohlthat erkennen, und sich dafür hätte bedanken sollen, lästerte er den ehrlichen Mann, und warf mit Steinen nach ihm, daß er ihn geraufft hätte. Also gehet es auch treuen Predigern und Lehrmeistern, welche man mehrentheils mit Undanck und Schelt-Worten lohnet, wenn sie ihre

Zuhörer aus denen vielen gefährlichen Lastern heben, und mit großer Mühe heraus reissen.

Spectrum Mansvetudinis.

Es rühmte ein Hund seine Sanfftmuth gegen die andern, und vermahnete sie, daß sie ins künftige nicht mehr die unschuldigen fürüber gehenden Leute anfallen sollten. Diese verwunderten sich über seine ungewöhnliche Frömmigkeit, als welche wohl wußten, daß er für dessen die Wanders - Leute bis zum Dorffe hinaus verfolget hätte. Als sie aber genau auf sein Maul Ach= tung gaben, nahmen sie gewahr, daß ihm seine fördern Zähne alle mit einem Steine ausgeworffen worden. Solches wird ers zählet wider dieselben Heuchler, welche viel von ihrer Frömmigs keit und Sanfftmuth rühmen, wenn es ihnen an Kräfften und Gelegenheit fehlet den Leuten zu schaden, wiewohl es ihnen an dem bösen Willen nicht mangelt; vor solchen aber muß man sich mehr, als für den Kläffern hüten.

Dieses mag von etlichen deutschen Fabeln genug seyn. Ich weis nicht, ob ich allen Lesern mit dieser Nachricht einen so gar großen Dienst gethan haben werde. Viele würden es vielleicht lieber gesehen haben, wenn ich von den Fabeln der Neuern geredet, und sie, nachdem sie es gewünschet, entweder recht unverschämt gelobet, oder recht kunstmäßig herunter gemachet hätte; aber zu beiden habe ich weder einen Beruf, noch die gehörige Geschicklichkeit und Verwegenheit. Vielen würde es lieber gewes sen seyn, wenn ich einige poetische Ueberbleibsel von einer uralten griechischen oder lateinischen Fabel hätte auftreiben, und sie mit einem historisch - philologisch - critischen Commentariolo von sechs oder zwölf Bogen versehen können, 3um Exempel, wenn

ich die Grenzen der Gelehrsamkeit mit einigen wieder hergestellten Versen aus einer Fabel des Ennius hätte erweitern können, die, wie Gellius berichtet, von der Heidelerche (cassita) hans delte, und in versibus quadratis geschrieben war. Doch an Statt, daß einige deswegen Ursache haben sollten, auf mich zu zürnen: so sollten sie mir vielmehr danken, daß ich ihnen nicht eine Materie weggenommen habe, bey der sie ihre Gelehrsamkeit ohne Pralerey zeigen können. Vielen würde es vielleicht lieber gewesen seyn, wenn ich eine Abhandlung von der Fabel, von ih ren Fehlern und Schönheiten, an dieser Stelle angebracht hätte. Allein da Herr la Motte vor seinen Fabeln, Herr Breitinger in seiner critischen Dichtkunst, Herr Bodmer in der Vorrede zu dem halben Hundert neuer Fabeln, und andere gelehrte Männer mehr bey uns diese Arbeit schon über sich genommen haben: so wird man die meinige sehr gut entbehren, und dafür diese Nachricht von einigen alten Fabeln lesen, oder überblättern können.

Von meinen Fabeln, die ich dem Leser überliefere, weis ich nichts weiter zu sagen, als daß ich erwarte, ob sie das Glück haben werden, den Kennern zu gefallen, oder das Unglück, ihnen zu mißfallen. Das erste wird die größte Belohnung seyn, die ich mir für meine Bemühung nur wünschen kann; das andere die größte Strafe, die mir niemals die Verwegenheit wieder in den Sinn kommen lassen wird, die Welt durch Fabeln zu lehren, oder zu vergnügen. Leipzig, im Märzmonate, 1746.

Gellert I.

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Vorrede

zum zweyten Theile der Fabeln und Erzählungen der ersten Ausgabe.

Meine Fabeln und Erzählungen, die ich vor zwey Jahren her

aus gegeben, sind so glücklich gewesen, den Beyfall der Kenner zu erhalten. Dieses Glück vergnügt mich unendlich; und ich weis nicht dankbarer dafür zu seyn, als daß ich dieses offenherzig ge= stehe. Man muß das stolze Verlangen, den Vernünftigen zu gefallen, recht unruhig fühlen; man muß oft in Furcht gewesen seyn, diese Ehre nicht zu verdienen; man muß sich aller der Bemühungen bewußt seyn, durch die man seinen Schriften das Leben gegeben, aller der Wenderungen und Verbesserungen, die uns oft mehr Arbeit gekostet, als das Ganze selbst, aller der Stellen und Einfälle, die man aus Furcht, sie möchten für die Welt nicht schön genug seyn, mit widerstehenden Händen weggestrichen hat: kurz, man muß selbst ein Autor seyn, wenn man wissen will, was ein kluger Beyfall für eine unschäßbare Belohnung, ja was dem Poeten schon eine zufriedne Miene, mit der sich ein vernünftiges Frauenzimmer bey dieser oder jener Stelle im Lesen glücklich aufhält, für ein Lobspruch und für ein vollständiger Beweis ist, daß er die Natur nicht verfehlet, und bey seiner Mun

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