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STELLFELD

HERRN

MICHAIL NIKIFOROWIČ KATKOW.

Excellenz!

Diese aus der Universitäts-Abtheilung Ihres Lyceums hervorgehende Schrift möchte Niemand als Ihnen, dem Vorkämpfer für die klassischen Studien meines zweiten Heimatlandes gewidmet sein. Sie versucht die Reihe der Fäden, durch welche die christlich moderne Welt mit dem klassischen Alterthum verknüpft ist, zu erweitern und zu befestigen, indem sie es unternimmt, einen bisher unbekannten Zusammenhang zwischen jenen beiden Welten darzulegen, den Zusammenhang auf einem Felde, wo man ihn bisher am wenigsten erwarten durfte. Nur dadurch, dass mir die Stellung an Ihrem Lyceum fast sechs Jahre lang ein sorgenfreies und mussereiches Dasein gewährte, nur dadurch allein wurde es mir möglich, diese Arbeit in der jetzt vorliegenden Weise abzuschliessen, die mir vordem, wo meine schriftstellerische Thätigkeit sich leider nur zu sehr von äusseren Rücksichten abhängig machen musste, unausführbar gewesen wäre. Die ersten Anfänge der Arbeit gehören zwar schon dem Beginne der fünfziger Jahre an, sie bildet das nie aus den Augen verlorene Ziel meines gesammten Lebens. Zuerst galt es, den Stoff aus den Berichten der Alten zusammenzutragen

IV

und verständlich zu machen, denn trotz Boeckh's Bemühungen war die Rhythmik des Aristoxenus ein fast verschlossenes Buch geblieben. Dann handelte es sich darum, die Angaben der alten Techniker durch die antiken Dichterwerke und umgekehrt die Formen der Dichter durch die alten Techniker zur klaren Einsicht zu bringen, eine umfangreiche Aufgabe, die sich nicht in einem Male zum Abschlusse bringen liess, sondern immer neuen Anlauf erforderte. Die Metrik anderer Poesien, antiker wie moderner, durfte nicht zur Seite gelassen werden, die deutsche, die altindische und die des Avesta (— die wichtige Parallele des russischen Volksliedes sollte mir erst hier zugänglich werden). Dann erst durfte ich daran denken, den Rhythmus der modernen Musik nach der auf die antike Praxis begründeten, immer msasgebend bleibenden und wunderbar klaren Doktrin der Alten zu prüfen. Einen ersten Versuch hierzu unternahm ich Ende der sechziger Jahre in den Elementen des musikalischen Rhythmus. Es ging nicht anders, als dass jenem Buche die Mängel ankleben mussten, welche sich beim ersten Betreten eines neuen Feldes nicht

vermeiden liessen, unter andern auch der Mangel, dass ich erst am Ende der in dem Buche niedergelegten Studien die nähere Bekanntschaft desjenigen grossen Meisters machte, dessen Kunstsinn dem der Griechen am meisten kongenial ist und der auch in der Rhythmik das Alpha und Omega der musischen Kunst für alle nachfolgenden bleibt, des grossen Meisters J. S. Bach. Ihn kennen zu lernen war, seitdem ich 1873 Deutschland verlassen, mein unausgesetztes Streben. So hat denn das Geschick gewollt, dass was in dieser Arbeit für das Verständnis Bach's geschehen ist, fern von Deutschland in derselben Stadt geschah, welche so glücklich ist, unter ihren andern werthvollen Schätzen auch das wichtigste Aktenstück über Bach's Leben zu besitzen (im Hauptstaatsarchive zu Moskau, jüngst edirt von Philipp Spitta), ebenso wie in der andern russischen Metropole ein grosser Theil der Bach'schen Kompositionen der Unsterblichkeit, für die sie der Geist der Geschichte bestimmt hatte, gerettet wurde.

Die Jahre, die ich hier in Moskau an Ihrem Lyceum verlebt habe, gehören zu den schönsten und fruchtreichsten meines

Lebens. Ich bedaure es tief, dass das harte Klima mir eine längere Fortsetzung meines Aufenthaltes in Moskau unmöglich macht. Durch Ihre gütige Erlaubnis, Ihren gefeierten Namen dieser Schrift voranzustellen, gewähren Sie mir die gewünschte Gelegenheit, die wahrlich aufrichtige Dankbarkeit öffentlich auszusprechen, von welcher mein Herz gegen Ew. Excellenz, gegen Moskau und gegen Russland, das mir nach mancherlei Trübsal noch so viel des Glückes gewährte, bis zum Lebensende erfüllt bleibt.

Ew. Excellenz

dankbar ergebenster

Moskau, Januar 1879.

R. Westphal.

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