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das Legato unterbrochen werden. Solche Stellen sind der Natur der Sache nach die in einem zusammengesetzten Kolon vorkommenden Binnencäsuren, welche, wie früher von uns ausgeführt, hauptsächlich in solchen tetrapodischen Kola am Platze sind, die im Inlaute einer Periode vorkommen, den Protasen der Periode, während die auslautenden Kola der Perioden, die Apodosen, der Regel nach ohne Binnencäsur in einem einzigen Athemzuge, in einem ununterbrochenen Legato zu Ende geführt werden. Wir merken noch dies an, dass die einzelnen Versfüsse durch die begleitende Stimme von Beethoven leicht kenntlich gemacht sind. Auf den einzelnen daktylischen Versfuss nämlich lässt der Komponist entweder die Figur kommen.

oder

Im ersteren Falle haben wir diejenige Form des daktylischen Versfusses, welche bei den Alten Proceleusmaticus genannt wird (von den vier Sechzehnteln kommen zwei auf die Hebung, zwei auf die Senkung). In der zweiten Figur der Begleitung kommt von den beiden Sechzehntel-Triolen die erste auf die Hebung, die zweite auf die Senkung des daktylischen Versfusses.

Die oben angeführten Anhaltepunkte für die Cäsuren resp. Legatos unseres Adagio cantabile, welche aus der Form des durch Beethoven's Ueberschrift ausdrücklich in Erinnerung gebrachten Liedes genommen sind, werden, denke ich, so überaus natürlich erscheinen, dass man kaum voraussetzen wird, es werde der Vortragende auf eine andere Weise die Komposition ausführen können, als in der angegebenen. Sehe ich aber die phrasirten Ausgaben an, so ist die Bezeichnung der Legatos fast durchweg eine gänzlich andere. In der den Namen des Herrn Moscheles tragenden Ausgabe finde ich den Anfang folgendermassen phrasirt, wovon auch die meisten übrigen Ausgaben nicht viel abweichen:

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Moscheles gehört unter die Zahl derjenigen Virtuosen ersten Ranges, deren Vortrage Lussy nach seinem Geständnisse in dem von seinen Landsleuten so sehr gefeierten Buche die dort niedergelegten Grundsätze des richtigen rhythmisch-musikalischen Ausdrucks abgelauscht hat. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Moscheles selber das Adagio cantabile anders und besser als nach der von ihm veröffentlichten Phrasirung vorgetragen hat, denn diese Phrasirung ist so thöricht wie nur immer

möglich 1). Das Stück soll nach Beethoven's Forderung ein Cantabile sein. Aber welcher Mensch ist im Stande nach Moscheles' Phrasirung zu singen? Und wenn Jemand es fertig brächte, dann würde sein Gesang den Eindruck komischer Zerrissenheit und Zerfahrenheit machen, der nie und nimmer der hier von Beethoven beabsichtigte sein kann.

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1) Es wäre endlich an der Zeit, dass grosse Virtuosen aufhörten, durch buchhändlerische Unternehmungen veranlasst, ihren Namen zu revidirten Editionen herzugeben, mit denen sie gar nicht oder nur aus der Fernsicht zu thun gehabt, so dass von einer Revision absolut nicht die Rede sein kann.

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Syst. X.

3

H

§ 133. Fortsetzung.

In der Gesangstimme sind die Versfüsse entweder durch Spondeen, wie im zweiten Kolon des System I, oder durch eine einzige vierzeitige Länge, wie im ersten Kolon desselben ausgedrückt, deren zwei nach der Terminologie der Alten ein Spondeios meizon oder Diplūs genannt werden, oder durch einen Proceleusmaticus, in dem koloraturartigen Schlusskolon des System III durch kleinere Noten, ebenso auch in den Anakrusen. Vier Versfüsse füllen zwei -Takte aus, welche in den meisten Fällen eine halbe tetrametrische Periode bilden (analog dem bei Bach häufigen tetrapodischen 4-Takte; vgl. Richard Wagner, Ueber das Dirigiren S. 75).

Zwei tetrametrische Perioden bilden meist ein einfaches distichisches System, entsprechend einer Vereinigung von 4 vierfüssigen Verszeilen. Doch kommen auch noch kleinere Systeme aus drei Kola (drei Verszeilen) vor. Wer der nicht zu rechtfertigenden Terminologie Reicha's folgt, wie der Recensent meiner »Elemente des musikalischen Rhythmus«< in der Allgemeinen Musikzeitung, gebraucht das Wort Periode für einen grösseren rhythmischen Komplex, z. B. für die Systeme I und II. Es ist in diesem Buche das Verhältnis der Reicha'schen Terminologie zu der älteren von den Griechen, Sulzer und in der vorher angeführten Stelle von Richard Wagner befolgten so eingehend besprochen worden, wie sie durch Unkenntnis der Alten und durch falsche Analogie mit der rhetorischen Periode entstanden ist, dass ich nicht zu befürchten brauche es werde mir die Autorität Lobe's entgegen gehalten werden, wie dies in der That früher von jenem Recensenten in dem Leipziger Musikalischen Wochenblatte bezüglich unseres Adagio cantabile ge

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