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steht ein wesentlicher Unterschied. Er beruht darauf, dass die Figuren der Sprache sich als individuelle Bildungen von dem Gemeingut der Sprache des Bedürfnisses, der Mittheilung absondern, während die der Sprachkunst sich abheben von der literarischen Sprache, der Sprache der Gebildeten; dass jene hervorgehn aus blossem Sprachgefühl, gestaltet werden nach unbewusstem Kunsttrieb, sich daher auch leicht wieder verlieren in die Sprache Aller, welche desselben Ursprungs ist, während diese in bewusster Eigenbehandlung einer als gültig anerkannten Sprache innerhalb eines bestimmten Redeganzen geschaffen werden und sich damit als derartige Abweichungen von dem gewöhnlichen Ausdruck darstellen, welche man als solche immer empfindet, und die sich desshalb dem allgemeinen Gebrauche entziehen.

Sobald sich eine literarische Sprache bildet, zuerst in gebundener Rede, dann für die Darstellungen der Prosa, kommt bei der Wahl des Ausdrucks dessen Angemessenheit zu dem Charakter der Composition in Betracht, ob diese ein Werk der Kunst ist oder etwa den praktischen Zwecken eines Redners dient, oder ob sie einfach Belehrung beabsichtigt. Je mehr dies Letztere der Fall ist, je mehr also vor Allem ein allgemeines und sicheres Verständniss erreicht werden soll, desto mehr ist es rathsam, möglichst nur diejenigen Sprachmittel zu verwenden, deren bildliche Natur vergessen ist, die also zu blossen Zeichen geworden sind. Zu vermeiden ist dagegen deren individuelle Neubelebung und Umgestaltung durch die Sprachkunst, denn die Entwickelung der Sprache selbst zu einem usus führt vom Bilde weg zur Befriedigung des Verstandes, die Sprachkunst aber legt diesen Weg wieder zurück und erneuert so im Material wie in der Technik das ursprüngliche Kunstleben der Sprache. Aber auch für Werke der Poesie, welche eine bilderreiche Sprache zieren mag, oder für die der Rhetorik, welche die Affekte durch besondere Formirung des Ausdrucks darstellen und damit zu ähnlichen Stimmungen anregen wollen, bleibt die Frage nach der Angemessenheit bei Verwendung von Tropen und Figuren der Sprachkunst. Die Beantwortung wird davon auszugehn haben, dass die Werke der Sprachkunst Darstellungen sind eines bestimmten Seelenmoments, dass also, sobald sie als Sprachmittel der Rede dienen, sie dem Ganzen der Composition der Art unterzuordnen sind, wie der einzelne

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Seelenmoment aufgeht in jener Bewegung und Entfaltung, zu welcher die Seele sich bestimmt hat, um sie zu irgend einem beabsichtigten Abschluss zu bringen. Sie dürfen also für sich selbst Geltung nicht erzwingen wollen, kein selbstständiges Interesse kommt ihnen zu, wie der Verf. der Abh. пɛì vove (Gr. Rhet. Sp. Vol. I, p. 269) sagt: τότε ἄριστον δοκεῖ τὸ σχῆμα, ὅταν αὐτὸ τοῦτο διαλανθάνῃ, ὅτι σχῆμά ἐστι, und desshalb dürfen sie weder durch ihre Menge die Darstellung unruhig machen, noch in irgend welcher Absichtlichkeit sich hervordrängen. Bei Aquila Romanus (Rhet. Lat. min. ed. Halm p. 37) heisst es: Illud ad postremum praecipiendum videtur, ne proposita tibi figura, quaerens elocutionem ei subjungere, cito verba colligas, ut in eam figuram, quam destinaveris, incidant; infirmum enim hoc et puerile erit, und: Ne tamen, dum copiam imitamur (M. Tulli), in nimietatem incidamus, cavendum est. (Man sehe auch Quint. IX, 3, 100 sq.) Wenn nun schon überhaupt der Gebrauch einer literarisch befestigten Sprache Bildung und damit Reflexion voraussetzt, so fordert namentlich diese Rücksicht auf Angemessenheit der Darstellung eine gewisse Klarheit des Bewusstseins, ein Wissen, durch welches die Sprachkunstwerke im Dienste der Rede zwar nicht hervorgebracht werden, welches sie aber begleitet. Der Stellung der Sprachkunst in dem System der Künste gemäss wird dies Bewusstsein bestimmter und heller hervortreten als bei den Schöpfungen der Musik, es wird aber die höher und weiter entwickelte Besonnenheit und Reflexion, ohne welche ein Werk der Poesie nicht entsteht, nicht erreichen.

Virgil (Aen. VIII, 596) bildet den Vers: Quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum. Heyne in der Anm. hierzu will in Bezug auf die phonetische Wirkung, welche der Vers hervorbringt, von einem bestimmten Bewusstsein, einer beabsichtigten Formirung des Dichters nichts wissen: Versum felicem, ipso verborum sono rem referentem, mirati sunt multi: comparato quoque vss. 465. 466 Iliad. p. Odimus subtilitatem molestam in talibus: Ipsum inflammati impetum ingenii in haec natura ducente incidere necesse est; quomodo enim aliquis celeriter facta languida oratione reddere malit? Und so heisst es in der Disquis. de carm. epico Virg. p. XLV: „Mihi utique ad poetices indolem propins esse videtur statuere, ipsam orationis naturam ita esse comparatam, ut

multarum rerum sonos exprimat; inflammatum autem phantasmatum specie objecta animum, cum, rerum species sibi observantes ut oratione vivide exprimat, laborat, necessario in ista vocabula incidere, vel orationis proprietate ducente. Ita graves et celeres, lenes ac duros sonos vel non id agens et curans ad rerum naturam accommodabit et orator quisque bonus et multo magis poeta." Aber wenn nun Heyne nach den Angaben des Macrobius (Sat. VI, 1), der zeigen will, „quantum Vergilius noster ex antiquiorum lectione profecerit ", drei Verse des Ennius anführt (z. B. „consequitur, summo sonitu quatit ungula terram"), nach denen sich Virgil bei Bildung seines Verses gerichtet hat, so ist schon damit. ein Wissen um die Wirkung und eine Absicht, sie hervorzubringen, erwiesen. Allerdings kommt es durch vielfachen Gebrauch auch bei der literarischen Sprache zu einer Gewöhnung, welche dann die Wahl der Ausdrucksformen ohne Reflexion durch blosses Sprachgefühl bestimmt, aber nicht von dieser zu einer zweiten Natur gewordenen Routine, welche vom Nachahmen lebt, ist Aufklärung über die Entstehung der Sprachkunstwerke zu erwarten, wenn ihr auch selbst in extemporirten Darstellungen Schmuck und Bilderreichthum zur Verwendung steht. Auch tritt solche mechanische Fertigkeit, welche die literarische Sprache zur gewöhnlichen macht, erst in verhältnissmässig später Zeit der Sprachentwickelung hervor und bleibt auf kleinere Kreise beschränkt.

Die Entstehung der Sprachkunstwerke ist aus unbewusst wirkendem Mechanismus nicht zu erklären. Genügen dem Darstellenden, dem Dichter, dem Redner die vom usus gebotenen Ausdrucksmittel nicht zur Ausprägung eines bestimmten Moments seiner Seelenbewegung, so schafft er sie um, gestaltet sie nen. Dass er so zu schaffen vermag, beruht auf seiner künstlerischen Begabung, seiner Gestaltungskraft, dass er aber überhaupt sie sucht unter dem Eindruck der vorangegangenen Momente, setzt ein Vergleichen mit den sonst vorhandenen Sprachmitteln voraus d. h. ein Wissen, welches freilich nicht auch schon ein Wissen um das Wissen zu sein braucht; und da die Art, wie er den Ausdruck nunmehr gestaltet hat, auch auf die Rede in ihrem Fortgang Einfluss übt, so begleitet die Reflexion das Sprachkunstwerk theils in seiner Vorbereitung, theils in seiner Nachwirkung. Das Bewusstsein wird bald mehr bald weniger hell sein, bald mehr

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Besonderer Theil.

bald weniger unterstützen, und so wird also z. B. zwischen Homer und Virgil in dieser Beziehung kein geringer Unterschied anzunehmen sein, aber der impetus inflammati ingenii" für sich allein bringt auch im Gebiete der Sprachkunst keine Kunstwerke hervor, sondern wird überwacht und geregelt von der künstlerischen Besonnenheit. Ueberhaupt charakterisirt es den Gebildeten, dass er die Art seines Ausdrucks überlegt; er ist darauf gefasst, dass man ihn beim Worte nehme", und seine Vorsicht wächst mit dem Werthe des Darzustellenden. Für die Praxis des Redners bespricht Aquila Roman. (1. c. p. 27) diesen Punkt: his figuris sententiarum si, ut adulescens acerrimo ingenio, utebaris actus. proprio motu animi aut etiam ex imitatione lectionis Tullianae, prius etiam quam numeros earum nominaque perceperis, nihil mirum est. Omnia enim fere, quae praeceptis continentur, ab ingeniosis hominibus et in dicendo se exercentibus fiunt, sed casu quodam magis quam scientia. Ideoque doctrina et animadversio adhibenda est, ut ea, quae interdum sine ratione nobis occurrunt, semper in nostra potest..te sint, et quotiens res postulaverit, a nobis ex praeparato adhibeantur.

Allerdings ist unter allen Künsten bei der Sprachkunst der Schritt vom Geiste zum Stoff, von der Vorstellung zur Ausprägung des Lautbildes, am kürzesten, so kurz, dass die Absicht des Künstlers ihm selbst erst mit dem Aussprechen zur völligen Klarheit kommt. Das Bewusstsein vergisst jenes Durcheinander von auftauchenden, verschwindenden, von ergriffenen, verworfenen, wieder eingeschobenen, von hin und her schwankenden Gedanken, welche nicht vollständig zur Reife kommen, und nimmt gern die gewählte Form als die wahre und einzig mögliche. Die Spuren der arbeitenden Reflexion sind an dem fertigen Kunstwerk getilgt, und die Gebildeten empfinden es als naturwüchsig, aber es ist lediglich die Illusion der Kunst, welche dieser veredelten Natur den Schein einer unmittelbar gegebenen verleiht. Sehr deutlich zeigt sich die Thätigkeit der Reflexion, wenn die Sprachkunstwerke im Dienste der gebundenen Rede verwandt werden sollen, denn hier werden z. B. durch den Reim bestimmte Aufgaben gestellt, welche ihre Lösung nach Maassgabe von gegebenen Bedingungen erwarten. Die Tropen der Sprachkunst unterscheidet man unschwer von denen des usus. Wenn Göthe (Faust) ruft: „Hör', es splittern

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äulen ewig grüner Paläste"; oder Klopstock (Der RheinO du, der Traube Sohn, der im Golde blinkt"; so fühlt dass sie um ihr Neuschaffen wussten; Homer's Gleichman betrachte z. B. die beiden Ilias 2, 144 sq. oder die aufeinanderfolgenden vs. 455 sq. mag man seine Sprache och so naiv ansehn, vereinigen mit aller sinnlichen Lebendigdurchweg eine reife Besonnenheit. Ebenso ist es bei den ren, seien diese musikalischer Art oder überhaupt durch Behandlung des Lautmaterials charakterisirend, seien es e, durch welche vermöge geschickter Technik der Sinn gen oder eigenthümlich gefärbt wird. So wirkt der mit greifn Vorbedacht von Virgil (Georg. I, 281) angewandte dop- Hiatus: ter sunt conati imponere Pelio Ossam (indem das entheil von Wohllaut als Lautmittel benutzt wird), um die erfällige Arbeit der Riesenbrüder zu schildern. Wie fein benet erscheint die Wiederkehr bei Göthe (Tasso): Ant. In -m Augenblicke forderst du, Was wohlbedächtig nur die Zeit ihrt. Tass. In Einem Augenblick gewährt die Liebe, Was Le kaum in langer Zeit erreicht; wie die Umkehrung bei kespeare (Cor. II, 1): Brut. He 's lamb indeed, that baes a bear. Men. He's a bear indeed, that lives like a lamb. t für Wort erwogen, folgen sich die Antithesen bei Aeschy(Sept. 963 sq.): Ant. nausic nawag. Ism. où d'ézaves ακτανών. Ant. δορὶ δ' ἔκτανες Ism. δορὶ δ' ἔπανες, Ant. με τονος Ism. μελεοπαθής. Ant. ἴτω γόος Ism. ἴτω δάκρυα; und an etwa Homer die Ironie verwendet, wie z. B. Od. 21, 402: γὰρ δὴ τοσσοῦτον ἐνήσιος ἀντιάσειεν ὡς οὗτός ποτε τοῦτο ήσεται εντανύσασθαι, wie kann es ihm an Wissen über die Heutung solcher Redeweisen fehlen und an der Absicht, sie hier gebrauchen?

Da also den Werken der Sprachkunst eine bestimmte Stelg innerhalb bestimmter Compositionen angewiesen ist, so wahsie auch dauernd ihren Charakter als individuelle Kunstnöpfungen und erscheinen so inmitten ihrer Umgebung immer ein von dem gewöhnlichen, literarisch befestigten Ausdruck weichendes (Quint. (IX, 1, 13): a simplici atque in promptu sito dicendi modo poetice vel oratorie mutatum). Sie erhalten -h daher kenntlich als ein Neues, sind als ein integrirender

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